Kriegserklärung des Konkordates

Die Maske ist ab. Die Karten liegen offen auf dem Tisch. Aarau am Samstag 25.April 2015 hat definitiv gezeigt, was von den immer wiederkehrenden Beteuerungen zu halten ist, die im Zuge des interkantonalen Hooligan-Konkordates verabschiedeten Gesetze würden „massvoll“ angewandt: Nichts! Ohne jede Rechtsgrundlage wurden Personen, von denen man vermutete, sie könnten FCZ-Fans sein, beim Aussteigen aus dem Zug in Aarau in Empfang genommen, gefesselt und in ein Wartehäuschen gesperrt. Es handelt sich hier um Personen, die keine einzige Gesetzesübertretung begangen haben. Auch ein Rayonverbot oder ähnliches liegt nicht vor. Diese Personen dürfen sich Kraft unserer Bundesverfassung in der ganzen Schweiz auf öffentlichem Grund frei bewegen.

Der FC Aarau hat wie jeder Veranstalter das Hausrecht, bestimmte Besucher seiner Veranstaltung abzuweisen, auch ohne Begründung. Mit den neu verabschiedeten Gesetzen ist auch die von der Kantonspolizei Aargau verfügte Blocksperre im Brügglifeld wenn auch nicht sehr klug, so doch rechtens. Hingegen eine Person. die sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, festzunehmen, einfach nur weil sie Aarauer Boden betreten hat, ist schlichtweg ein Skandal, und eines demokratischen Rechtsstaates nicht würdig. Kommt noch dazu, dass viele der Festgenommenen nicht einmal FCZ-Fans waren. Kriterien wie Alter (14-30), Geschlecht (männlich) und Fahrtrichtung (mit dem Zug aus Richtung Zürich ankommend) waren offenbar für die örtliche Polizei völlig ausreichend, um unbescholtene Bürger kommentarlos zu fesseln und festzusetzen.

Auf unsere Nachfrage legitimierte einer der Gruppenleiter der Kantonspolizei Aargau vor Ort sein Vorgehen mit der Aufforderung der FCZ-Führung im Internet, nicht nach Aarau zu kommen, welchem sich die Fans „widersetzt“ hätten. Dass dies eigentlich keine Rechtsgrundlage darstellt, konnte er nicht verneinen und flüchtete sich in die doch ziemlich erhellende Phrase „das ist nicht so klar, das müsste dann halt im Streitfall ein Richter entscheiden“. Aha! Wäre es nicht die Pflicht der Polizei, einzig und allein Aktionen durchzuführen, von welchen sie sich sicher ist, dass sie legal und legitim sind? Na ja, immerhin war der sich offensichtlich in guter Stimmung befindliche Mann höflich und diskussionsbereit. Ist auch schon etwas.

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Es kam dann aber noch „besser“: auf die Nachfrage, warum es Festnahmen und Anzeigen wegen „Landfriedensbruch“ gegen auf dem Vorplatz vor dem Stadion und unterwegs angehaltene und eingekesselte mutmassliche FCZ-Fans gegeben habe, erläuterte der Gruppenleiter, dass die Polizei grundsätzlich das Recht habe, jedwelche Gruppe „mit gleicher Gesinnung“, die gemeinsam unterwegs sei, festzunehmen und wegen Landfriedensbruch anzuzeigen. – Aha? Also auch Menschen, die alle auf einem Trottoir gleichzeitig unterwegs zu einer Zirkusvorstellung oder einem Konzert sind? – Antwort: Ja, die Polizei könnte diese Menschen alle rein theoretisch festnehmen und wegen Landfriedensbruch anzeigen. Man mache das in solchen Fällen natürlich normalerweise nicht. Aber das Recht dazu hätte die Polizei jederzeit…. Buuumm!

Dann soll aber bitte ja nie mehr ein Bundesrat nach China oder Russland reisen und der dortigen Staatsführung Vorträge über Menschenrechte halten…. Sonst antwortet dann der Chinese: „Und was ist mit Ihlem Hooligan-Konkoldat?“.

Das Verhalten der Polizeikräfte in Aarau kommt einer Kriegserklärung gleich. Die Einsatzkräfte vor Ort gaben offen zu, dass das Ziel war, friedliche Fans zu „bearbeiten“, um über diese an die gewaltbereiten Fans heranzukommen. Wir reden hier also von Methoden, wie sie vielleicht zwischen verfeindeten Mafia-Clans oder Geheimdiensten im Bürgerkrieg praktiziert werden. Die Kriegserklärung ist bei den Betroffenen angekommen: am Tag darauf solidarisierte sich die Basler Muttenzerkurve mit ihren Zürcher Kollegen, mit denen sie sich zwei Wochen davor noch Scharmützel geliefert hatte, und richtete eine klare Message an die Hardliner unter den Politikern und in den Polizeikorps: „Massnahmen wie Sektorsperren führen zu mehr als friedlichem Protest“.

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Dass diese unrechtmässige Polizeigewalt in Aarau völlig ohne Gegenwehr der Opfer ablief ist eine schier unglaubliche Leistung an Selbstdisziplin von hunderten von jungenMenschen. Ähnlich repressive Polizei-Massnahmen an einem Open Air-Festival, an der Fasnacht oder an einer Aktionärsversammlung würden garantiert in einen Krawall münden. Die KaPo klopft sich nun sogar teilweise selbst auf die Schulter für einen „erfolgreichen“ Einsatz. Inwiefern erfolgreich? Es wurde erneut an der Gewaltspirale gedreht, indem junge Fussballanhänger unrechtmässig festgesetzt wurden. Das Radikalisierungsrisiko ist bei diesen Jugendlichen nun sehr hoch. Dass es „ruhig“ geblieben ist, liegt einzig und alleine daran, dass Gewalt einseitig ausgeübt wurde (von der Polizei), und die andere Seite sich davon nicht provozieren liess.

Warum nicht? Ganz einfach: weil die gewaltbereiten Fans gar nicht erst nach Aarau gekommen waren. Diese haben sich schon immer hauptsächlich auf die „Rosinen“ im Kalender (Derbies, Spiele gegen FCB, Cupfinal) fokussiert. Von den gewaltbereiten Fans hat wenn überhaupt meist nur ein kleines Kontingent Lust, nach Aarau zu reisen. Und für so ein kleines Kontingent war das riesige Polizeiaufgebot diesmal dann wohl doch auch abschreckend genug.

Vergleicht man die verschiedenen Ereignisse miteinander, kommt man nun zu einem ziemlich verstörenden Ergebnis: immer wenn gewaltbereite Fans vor Ort sind, gibt es praktisch keine Festnahmen. Die Polizei beschränkt sich darauf, die Fans so schnell wie möglich (zurück) in den Extrazug zu drängen und schickt sie ab nach Hause. Sind hingegen keine gewaltbereiten Fans vor Ort, dann kommt es zu Einkesselungen und massenhaften Festnahmen von friedlichen Fussballfans wie im Februar in Zürich oder jetzt im April in Aarau. Die Adler fasst man mit Handschuhen an, auf die Spatzen schiesst man mit Kanonen. Und ist danach auch noch Stolz auf die grosse Anzahl an Festnahmen. Jeder kann und wird da seine eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Wäre es nicht eigentlich die verdammte Aufgabe der Polizei, echte Straftäter zu identifizieren und einem Strafverfahren zuzuführen? Wofür bezahlen wir sie denn sonst? Die hochbezahlten, hochgerüsteten und straff organisierten Ordnungskräfte kuschen vor den gewaltbereiten Fans in der Kurve, gleichzeitig werden 14-jährige friedliche Fans zur Verantwortung gezogen mit der Begründung, sie seien selbst Schuld, da sie nichts gegen die gewaltbereiten Gruppen in der Kurve unternähmen. Eine Bankrotterklärung! Und dafür dann auch noch die Frechheit haben, für diese „Leistung“ den populären lokalen Fussballklub eigenmächtig finanziell zu ruinieren?

In den Schweizer Fankurven gibt es sehr wohl Selbstregulierung. Da gibt es viele junge Leute, die haben viel mehr Zivilcourage, als all die grossmauligen Politiker, Journalisten und Leserbriefschreiber zusammengenommen. Selbstregulierung ist gut und wichtig, von aussen dies aber quasi im Befehlston (subito!) von jungen Menschen zu verlangen, die weder die Verantwortung dafür tragen, noch dafür bezahlt werden oder ausgerüstet sind, ist völlig absurd. Die Fankurven sind im Gegensatz zur Polizei keine straffe Organisation, sondern eine bunte Mischung aus Einzelpersonen und kleinen Grüppchen von Kollegen und verschiedenen Fanklubs, die völlig unabhängig voneinander Tickets für den günstigsten Bereich des Stadions kaufen und als einzigen gemeinsamen Nenner haben, dass sie ihr Team unterstützen wollen.

17 Kommentare

  • Vielen Dank für diesen sachlichen Beitrag zum beschämenden Einsatz der Kapo AG.

  • Super Text! Vor allem bezüglich Selbstregulierung welche gerne von den 0815-Medien gerne erwähnt wird und ja nicht klappen würde.

  • Guter Text, Gruss aus Basel

  • Super geschrieben. Da müssen wir Fans uns einfach solidarisch zusammen raffen. Das ist ein klares Eigentor der Kapo argau.

  • Übrigens Gruss aus BASEL. Gute Aktion von der sk.

  • danke, ein wunderbarer Bericht. dazu passt das Fazit der Staatsanwaltschaft: Es gab nicht eine strafbare Tat, absolut kein Bedarf für irgendwelche Verfahren. Das ist eine Bankrotterklärung für die Kapo Aargau. Am besten passt dazu ein Zitat des Mediensprechers der Kapo aus der NZZ: „Uns kann nun keiner vorwerfen, wir würden zu wenig Fans festnehmen“. eine reine Pseudoaktion, um das Konkordat zu rechtfertigen. einfach nur peinlich.

  • Reinmann Stefan

    super Kommentar. Das nächste mal dann auch wenn die Hooligans wieder alles kurz und klein schlagen. Hier wäre von Ihrer Seite auch ein Kommentar gefragt. Aber das ist ja ganz was anderes wenn friedliche Fans und Passanten unter dem Pöbel zu leiden haben. Da greift man lieber die Polizei an statt zu helfen diesen Chaoten das Handwerk zu legen. Dann bräuchte es auch keine Aktion der Polizei mehr und die Echten Fans könnten dann auch wieder einen Match besuchen.

  • Tschortsch Kluuni

    Lieber Stefan Reinmann

    Bitte gesellen Sie sich zu Ihren Stammtisch-Proleten-Kollegen.

    Ich will sehen, was Sie machen, wenn eine Selbstregulierung verlangen, aber dann 40 ausgebildeten Muay-Thai, Kickbox, Thaiboxkämpfern gegenüber stehen. Ich glaube da werden Sie ebenfalls ganz klein und unternehmen was? GENAU NICHTS!!

    Diese Krawallbrüder, gab es schon immer und wird es immer geben.
    Kommen Sie mir bitte nicht mit „In England funktionierts“
    Dort hat sich alles in die unteren Ligen verschoben. Wenn Sie es nicht glauben, überzeugen Sie sich selbst in dem Sie ein Spiel schauen gehen.

    Das Problem hier ist einfach, dass die Politiker und Pressen das Ganze kurz vor den Wahlen immer ins Unendliche aufbauschen!!

    Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, dass ausser „Problemfans“ keine anderen Probleme hat. Die Polizei unternimmt NICHTS gegen kriminelle Ausländer… und wenn, dann wird die Ausschaffungsinitiative nicht konsequent umgesetzt.

    Noch was: Wollen Sie eine gesamte Autobahn (A1 als Beispiel) sperren, nur weil einer mit 160 rast und gefährlich für die anderen Verkehrsteilnehmer ist? Nicht wirklich oder? Warum? Weil Sie ja selber die Autobahn mal benützten müssen…. Wenn Sie nun begeisterter ÖV-Fahrer sind, dann herzlichen Glückwunsch 🙂

    Ich habe es satt, stets die Aussagen von den Stammtischproleten hören zu müssen. Stets wird gesagt dass alle Fans Chaoten sind.
    Luzerner haben vergangenes Wochenende massenweise Pyros in Basel gezündet. KEINER sagt was. Nur weil es Zürcher waren, wird hier ein riesen TamTam veranstaltet. Schon blöd hmm?? wenn man kein Zürcher ist was? Neid ist die grösste und schönste Form der Anerkennung.

    Ausserdem wurde Fringer von einem HUULIGEN von der Tribüne aus mit einem Becher Bier getroffen. Und das von einem Baselfan, der nicht mal zur MK gehört, sondern bei den Bonzen auf der Tribüne sitzt… Stempeln Sie diesen mann auch als HUULIGEN ab?

    Keine Angst, ich weiss, dass es nicht HUULIGEN sondern Hooligan heisst… aber ein bisschen schmunzeln darf man bei dem ERNST der SACHE ja auch oder?

    Ich bitte Sie höflich nicht alle und alles zu pauschalisieren. Denn das Gros der Fans SIND auch Fans, sowie es aber auch die Ultras und die Hools sind. Nur sind die beiden letzt genannten etwas motivierter wenn Sie verstehen was ich meine…

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 🙂

  • Super Artikel….Gratuliere
    Auch von meinem Jahrgang gibt es viele die hinter euch stehen.
    Bin ein 1947er.

  • Mattia Jonathan

    Ich bin alles andere als ein Freund des Hooligan-Konkordates, unrechtmässiger Verhaftungen und Kollektivstrafen. Was mich aber an der ganzen Diskussion seitens der Fans immer wieder stört, ist die arrogante Art auf zwei Gleisen gleichzeitig unterwegs zu sein. Einerseits flippt man völlig aus, wenn die verhassten FCZ-Fans Pyrofackeln aufs Feld werfen und nutzt diesen Grund, um ihnen ordentlich die Fresse zu polieren und andererseits solidarisiert man sich wenige Tage danach mit genau diesen Leuten. Das bei solchen Phänomenen unterschiedliche Gruppierungen eine Rolle spielen, bin ich mir sehr wohl bewusst. Und genau deshalb bin ich umso mehr verärgert, dass man sich, wie man dies andererseits der Polizei und unserem Rechtsstaat vorwirft, hinter Floskeln und Tränendrüsengedrücke verschanzt. Wenn man so Manns sein kann, eine Fackel aufs Feld zu werfen, wenn man es nötig hat einem anderen die Fresse dafür zu polieren und wenn man sich danach wieder brüderlich in den Armen liegt, muss man sich nicht wundern, wenn sich die, nicht gerade für Kreativität und Nachsicht berühmte Polizei, hirnverbrannter Kollektivstrafen bedient. Will man dies ändern braucht es meiner Meinung nach eine klarere Abgrenzung von solchen Ereignissen und Gruppierungen und nicht immer eine pseudosolidarische Haltung gegenüber Personen und Vorkommnissen die man eigentlich abstossend findet. In diesem Sinne: Schön wäre es, könnten wir einfach über Fussball reden und schreiben – und nicht über seine hässlichen Nebeneffekte.

  • Scheissfuessball

    Personalienabklärung, StPO 217. 3h festhaltezeit! Antwort.

  • Dein Beitrag ist nicht schlecht und hat durchaus seine Berechtigung. Er ist aber zu einseitig geschrieben. Du kannst dich nicht allein auf die Aussage eines Gruppenführers stützen. Klär das doch erst in den Gesetzen selbst ab. Mich nimmt wunder warum du nicht(!) erwähnst, dass im Zentrum der angehaltenen Menschenmenge etliche verbotene Gegenstände „zurückblieben“. Die waren ja bestimmt nicht vorher da. Vermummungsmaterial, verbotene Kanllkörper, Schutzausrüstung und gefährliche Gegenstände.
    Du hast mit deinem Beitrag nicht unrecht. Jedoch liegst du auch nicht richtig. Ich würde sagen so 50-50.

  • guter Kommentar. Es kann doch nicht sein das man rundum sämtliche Grenzen ohne Probleme passieren kann aber im eigenen Land sich nicht mehr frei bewegen kann.

  • Wenn ihr wahren Fussballfans es nicht schafft, diese hirnlosen Gewalttäter in eurem Sektor zur Vernunft zu bringen, dann muss es die Polizei tun. Bevor es auch in der Schweiz Tote gibt. Fussball ist Sport und keine Plattform für hirnlose Randalierer!

  • vielleicht mal an der zeit das IHR mal was tut dann brauchts auch keine polizei!! aber nein man findets ja lustig und unterhaltsam steht daneben und schaut einfach zu. WOW was für ne leistung und dann sich beschweren.

  • ich behaupte mal:
    hätten die zürcher in basel die pyros nicht aufs feld und in richtung zuschauer geworfen und vorallem hätte die zürcher mal endlich auf die sinnlosen böller verzichtet, und natürlich auf die noch sinnlosere zerstörung und sachbeschädigung in pratteln, dann wäre:
    – das spiel nicht unterbrochen worden
    – wäre dieses thema in den medien nicht beachtet worden, wäre einfach wieder ein spiel mit vernünftigen pyroeinsatz gewesen.
    – wäre der block in aarau nicht gesperrt worden
    – wäre dieser artikel überflüssig

    ich bin natürlich auch gegen eine solchen polizeieinsatz aber es nervt mich auch, dass die südkurve es nicht schafft, die pyroartikel auch nur für die stimmung zu nutzen.

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