FCZ im Abstiegskampf – was lehrt uns die Saison 15/16?

Wie üblich beginnen nach den ersten Super League-Runden die ersten Trainerdiskussionen in den Medien und bei anderen Beobachtern des Schweizer Fussballs. Diesmal ist wenig überraschend wieder mal der FC Zürich dran. Die journalistischen Beiträge zum Thema sind dabei nicht ungewohnt kein bisschen besser als die aktuellen Liga-Resultate des FCZ. In der letzten Rubrik „Am Ball mit Böni“ stellt dabei Andreas Böni (Blick) zwei Behauptungen auf:

  1. Der FCZ habe schon mal bei Sami Hyypiä „die ganze Saison gewartet“, bis er entlassen worden sei und sei dann (darum) abgestiegen.
  2. Franco Foda hätte sich ein Vorbild an Nationaltrainer Murat Yakin nehmen sollen. Dieser habe als Nachfolger von Vladimir Petkovic „alles ungefähr gleich gelassen“ und nicht „mit grossen Pröbeleien“ angefangen.

Yakin stellt alles auf den Kopf – Hyypiä lange besser als Challandes

Beides ist falsch. Mehr auf den Kopf stellen als Yakin kann man als neuer Nationaltrainer fast nicht. Viererabwehr statt Dreierabwehr, Umschaltfussball statt Ballbesitz, sehr variabel auf den Gegner abgestimmt statt immer gleich, Fabian Frei reaktiviert und genauso wie Aebischer und Okafor gegen Italien in der Startformation gebracht, Zeqiri und Lotomba neu mit dabei, Captain Xhaka zeitweise Links liegengelassen, mehrere Spieler, die auf anderen Positionen spielen, als im Verein oder zuvor mit der Nationalmannschaft… Möglich, dass Yakin sich gegenüber den Journalisten so verkauft hat, als würde er fast nichts ändern – um möglichst wenig Wellen zu schlagen. Aber die Aufgabe eines Sportjournalisten müsste dann schon sein, kurz nachzuprüfen, ob das auch stimmt.

Ähnlich schludrig die Aussage bezüglich Abstiegssaison des FCZ. Eine Trainerentlassung schon nach sechs Runden sei durchaus zu rechtfertigen, weil der FCZ in der Abstiegssaison damit zu lange gewartet habe. Böni vergisst dabei komplett, dass die FCZ-Saison 15/16 mit Urs Meier begann – und dieser schon nach vier Spielen (drei Ligarunden) gehen musste. Am Beginn der Abstiegs-Saga stand also eine äusserst frühe Trainerentlassung. Danach folgten Wochen der Übergangsphase bis der neue Trainer gefunden, verpflichtet und dann endlich in Zürich angekommen war. Und als dies der Fall war, brauchte die Mannschaft auch noch etwas Zeit, um sich auf Hyypiä einzustellen. Bis dahin war Ende Oktober. In dieser Übergangsphase rutschte man vom zwischenzeitlich 4. Rang auf den letzten Platz ab. Ab Ende Oktober ging es mit Hyypiä dann aber aufwärts. Bis Mitte April hatte die Mannschaft unter dem Finnen eine Bilanz von 8 Siegen / 5 Unentschieden / 4 Niederlagen. Deutlich besser als Meistertrainer Bernard Challandes‘ FCZ-Bilanz! Und man hatte nach Triumphen gegen YB, Thun und Sion den Cupfinal erreicht.

Knackpunkt im St. Jakob Park

So ziemlich alle Journalisten und Schweizer Fussballfreunde waren zu diesem Zeitpunkt sicher, dass der FCZ überm Berg sei. Am 10. April änderte Basel-Coach Urs Fischer aus Respekt vor seinem formstarken Stammklub ungewöhnlicherweise sogar sein Spielsystem. Es nützte nichts. Die Zürcher führten im St. Jakob Park bis zur 83. Minute nach Toren von Kerzhakov und Bua trotzdem mit 2:0. Dann unterlief Embolo rückwärtslaufend und eine Verletzung des Gegenspielers in Kauf nehmend im Zürcher Strafraum den zum Kopfball aufspringenden Alain Nef. Statt Stürmerfoul entschied Ref Fedayi San auf Penalty wegen „Aufstützens“ (VAR gab es damals noch nicht). Delgado versenkte diesen genauso wie er kurz danach in Unterzahl nach einer Unkonzentriertheit des eingewechselten Sangoné Sarr Birkir Bjarnason ideal zum tausendsten FCB-Super League-Tor bediente. Noch entscheidender: in der 54. Minute hatte Cédric Itten mit einer Attacke von hinten mit beiden Beinen gestreckt in der Luft den zentralen Zürcher Abwehrmann Sanchez à la Ulysses Garcia vs. Fabian Schubert regelrecht “umgeholzt“ (wurde nicht mal als Foul taxiert). Sanchez fiel mit einem Muskelfaserriss aus und die zuvor stabile Zürcher Defensive in einem zu jenem Zeitpunkt eher knappen Kader war aus dem Gleichgewicht.

FCZ-Fans beim 2:2 am 10.4.2016 im St. Jakob Park

Nach einem Punkt aus den Spielen gegen Luzern und GC folgten drei Niederlagen in Folge gegen YB, Thun und Basel. Der FCZ war immer noch auf dem 8. Platz, aber es wurden nun erste Stimmen nach einem erneuten Trainerwechsel laut. Dieser erfolgte eine Woche später nach der Heimniederlage gegen Lugano dann auch. Die von Böni nun retrospektiv herbeiphantasierte angeblich lange Phase der Erfolglosigkeit unter Hyypiä („die ganze Saison gewartet“) gab es nicht. Es lief lange Zeit sehr gut – bis zum abrupten Absturz Ende April / Anfang Mai. Man konnte allenfalls über eine Woche früher oder später diskutieren – mehr nicht.

Abstiegssaison 15/16 Paradebeispiel für vorschnelle Trainerentlassung

Uli Forte, nach Urs Meier, Massimo Rizzo und Sami Hyypiä der vierte Trainer der Abstiegssaison, stellte dann die Mannschaft im direkten Duell in St. Gallen katastrophal ein und auf. Und in Sion beging er einen taktischen Fehler, als er sein Team aus dem offenen Schlagabtausch zurückzog, um ein Unentschieden über die Zeit zu bringen, von dem von vornherein klar war, dass es dem FCZ wahrscheinlich nichts bringen wird. Die FCZ-Saison 15/16 ist somit das Paradebeispiel für einen zu schnellen, überhasteten und zudem unvorbereiteten Trainerwechsel, nicht für ein zu langes Festhalten am Trainer.

Die Vorgeschichte dazu war beinahe eine Kopie zur vorschnellen Entlassung von Urs Fischer dreieinhalb Jahre davor, aus der man nur teilweise die Lehren gezogen hatte. Fischers Team verpasste 10/11 in einer tollen Saison den Meistertitel nur um ein Pünktchen. In der folgenden Vorrunde gewann man zwar gegen Basel, YB und eines der Derbys mit 6:0, fokussierte sich ansonsten aber stärker auf die Champions League-Qualifikation (Ausscheiden gegen Bayern) und Europa League-Gruppenphase. Im Winter verliessen dann mit Rodriguez, Mehmedi, Djuric, Alphonse und Margairaz gleich fünf Leistungsträger den Klub. Gemessen am Aderlass präsentierte sich die Mannschaft nach Wiederbeginn überraschend gut. Die Ungeduld in der damaligen Vereinsführung überwog aber angesichts des Mittelfeldplatzes, weil man in der Saison davor noch um den Titel gespielt hatte.

Freistellung von Urs Meier: Parallelen zu Urs Fischer

Fast genauso bei Urs Meier: sein FCZ spielte 14/15 über Monate ganz vorne um den Titel mit. Dann folgte eine ziemlich einmalige Serie von widrigen Umständen – Gilles Yapi wurde von Sandro Wieser in Aarau vom Platz getreten. Burim Kukeli setzten die Folgen seines Beinbruches zu (überhartes Foul von Simon Grether in einem Testspiel fast zwei Jahre davor). Mehrere Stammspieler erlebten im Winter einen skandalträchtigen Afrika-Cup, von dem sie sich mental lange nicht erholten, und dann kam in der Rückrunde auch noch eine in den letzten zwei Jahrzehnten nie dagewesene Serie an Schiedsrichter-Fehlentscheiden gegen den FCZ hinzu. Dank des historisch einmaligen fünften Derbysieges der Saison hievte man sich trotz alledem noch auf den 3. Platz.

29.5.2015: Familie Chikhaoui verabschiedet sich nach dem 4:3-Derbysieg vom Letzigrund. Yassine war in der 65. Minute eingewechselt worden und lieferte in der 73. Minute den Assist zum Siegtreffer Amine Chermitis.

Im Sommer verliessen dann aber die Leistungsträger Elvedi, Chikhaoui, Rikan, Cico Rodriguez den Klub, genauso wie der frühere Nr. 1-Torhüter Piu Da Costa und Talent Dimitri Oberlin, der sich in den Sommer-Testspielen in überragender Verfassung präsentiert hatte. Der Fall „Fischer“ wiederholte sich: die Mannschaft startete leistungsmässig angesichts des Aderlasses eigentlich ganz gut, hätte nach Torchancen die Unentschieden ausgegangenen Auftaktpartien gegen YB und Vaduz gewinnen müssen und verlor im Derby in der 93. Minute gegen Källström, Caio, Dabbur, Tarashaj und Co.. Nach der vorhergehenden Saison zeitweise an der Tabellenspitze waren die Ansprüche aber offenbar in unrealistische Höhen gestiegen. Und Meier musste gehen.

Neuzugänge sind technisch besser

Wie stellt sich die heutige Situation im Vergleich zur Abstiegssaison dar? Identisch ist der Aspekt der weit überdurchschnittlichen Vorsaison an der Tabellenspitze (wie 10/11 und 14/15) – diesmal sogar mit Meistertitel am Ende. Ebenfalls ein wichtiger Faktor in allen drei Fällen ist der starke Fokus auf den Europacup bei Verein und Spielern. Wie sieht der Vergleich bezüglich Abgängen und Zugängen aus? Im Winter 11/12 und im Sommer vor der Saison 15/16 fand ein echter Aderlass statt. Die Qualität der Zugänge konnte mit der Qualität der Abgänge ganz fundamental nicht mithalten. Heute ist die Situation teilweise anders, teilweise gleich. Von der grundsätzlichen Qualität her sind die Zugänge mindestens gleich gut oder sogar eher besser, als die Abgänge.

Vor allem im technischen Bereich sind die Neuzugänge deutlich besser. Condé ist technisch besser als Doumbia und auch Okita als Ceesay. Zwischen Vyunnik und Santini auf der einen Seite und Kramer auf der anderen bestehen technisch Welten. Und sogar Selnaes ist technisch versierter als Leitner, weil er die präzisen Bälle viel schärfer spielen kann und auch deutlich gefährlicher schiesst. Einzig im Vergleich Avdijaj vs. Coric ist der letztjährige Spieler technisch überlegen – dies aber ohne dass Avdijaj diesbezüglich wirklich abfällt. Katic ist der einzige technisch etwas limitierte Neuzugang. Er ersetzt aber auch keinen Abgang, sondern kam als zusätzliche Alternative für die Innenverteidigung hinzu.

Einbussen in Sachen Speed

Wie sieht es in der Luft aus? Mit dem Kopfballspiel? Santini, Vyunnik und Katic konnten das schon, bevor sie zum FCZ kamen. Kramer war in diesem Bereich bis zum Schluss schmerzhaft zum Zuschauen. Leitner rannte sogar möglichst weit weg, wenn ein hoher Ball in seine Richtung kam. Ceesay und Gnonto konnten es lange Zeit auch nicht, bis sie es in der Meistersaison auf fast schon mirakulöse Art und Weise plötzlich gelernt haben. Die defensive Disziplin und Mitarbeit ist bei den Neuzugängen ebenfalls eher besser, als bei den Abgängen. Physisch haben Neuzugänge wie Condé, Vyunnik oder Santini ebenfalls insgesamt mehr auf dem Kasten, als die Abgänge. Von diesen war einzig Kramer wirklich kräftig und dieser setzte seine Muskeln eher ungeschickt ein. Man hatte immer wieder das Gefühl, er wäre mit seinen Voraussetzungen in anderen Sportarten erfolgreicher.

Erfahrung? Die ist bei den Neuzugängen ebenfalls grösser. Selnaes, Santini, Avdijaj und Co. haben mehr Länderspiele, Europacuppartien und Einsätze in Topligen auf dem Buckel. Selbst der junge Vyunnik hat schon mal Real Madrid auswärts in der Champions League geschlagen. Kramer kam von einem deutschen Viertligisten, Gnonto aus der Primavera, Doumbia aus der Challenge League, Ceesay von Lugano. Einzig im Bereich Speed hat man diesen Transfersommer Einbussen gemacht. Das war die grosse Stärke von Ceesay und Kramer. Doumbia ist auch nicht langsam. Daher macht es auch Sinn, dass Rohner nun im Sturm spielt. Wenn das Timing stimmt, dann haben Super League-Verteidiger genauso wie gegen Ceesay und Kramer kaum eine Chance gegen ihn.

Einen Ceesay „Ausgabe 21/22“ kann sich der FCZ auf dem Transfermarkt nicht leisten

Tosin und auch die Neuzugänge sind nicht in dieser Speed-Kategorie. Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass der FCZ seine Spielweise und Taktik umgestellt hat. Das Stärken-/Schwächen-Profil der Mannschaft hat sich verändert, und dementsprechend muss man natürlich auch die Spielweise und Taktik anpassen. Mehr Technik und weniger Speed spricht tatsächlich für einen dominanteren Fussball mit mehr Ballbesitz, wie ihn Foda zu implementieren versucht. Trotzdem hat die Mannschaft in dieser Saison bisher ihre besten Momente immer noch im Umschaltspiel, auch wenn das Ballbesitzspiel langsam Fortschritte macht.

7.8.2022: FCZ – Sion im Letzigrund

Bei all der grundsätzlichen Qualität, die bei den Neuzugängen vorhanden ist: entscheidend für die aktuelle Tabellen- und Stimmungslage ist natürlich, was sie aktuell in den letzten Wochen auf den Platz bringen – im Vergleich zu dem, was die Spieler über weite Strecken letzte Saison auf den Platz gebracht haben. Aktuell sind Selnaes und Santini läuferisch und vom Rhythmus her noch nicht auf Super League-Niveau angekommen. Okita muss nach dem anders gearteten holländischen Fussball sein Spiel umstellen und hat seinen Platz im Team noch nicht gefunden. Omeragic und Dzemaili kommen aus der x-ten Verletzungspause und machen Anfängerfehler. Die Mannschaft wird im Dreitagerhythmus rotiert, das Team hat sich in neuer Zusammensetzung, neuer Spielweise und neuem Trainer noch nicht ganz gefunden. Kramer erzielte in seiner ersten FCZ-Saison sein erstes Tor erst in der 12. Runde, obwohl er immer spielte. Ceesay schoss in den ersten drei Saisons ingesamt nur sechs Liga-Treffer. Aber den „Ceesay Ausgabe 21/22“, so jemanden kann sich der FCZ auf dem Transfermarkt nicht leisten.

Ab jetzt bewegt man sich auf dünnem Eis

Kann man Franco Foda mit Urs Meier vergleichen, dem Trainer, der Anfang Saison 15/16 nicht so überhastet hätte entlassen werden dürfen? Von der angestrebten Spielweise her ja, aber sonst ist einiges anders. Unter Meier waren die Resultate besser, die Spielweise souveräner und er machte weniger taktische Fehler, weil er Mannschaft und Liga gut kannte. Die taktischen Fehler machte Breitenreiter in der Vorrunde letzter Saison übrigens genauso wie Foda, nur ging das in den generell positiven Resultaten etwas unter. Die Tabellensituation ist schlimmer als 15/16. Nur dass der Letztplatzierte diesmal nicht direkt absteigt, und Winterthur einen schlechteren Saisonstart erwischt hat, als damals Vaduz oder Lugano, sind Hoffnungsschimmer. Aber auf beides kann man sich im Verlauf der Saison nicht verlassen.

Trainer Mario Frick hat zuletzt mit Vaduz und Luzern herausragende Rückrunden gespielt. Trotzdem stieg Vaduz ab und Luzern schaffte es nur noch auf den Barrage-Platz. In der FCZ-Abstiegssaison 15/16 war die Übergangsphase zwischen den Trainern Meier und Hyypiä von Anfang August bis Ende Oktober entscheidend für den Abstieg. Denn danach bewegte man sich trotz über weite Strecken guter Leistungen während der restlichen Saison auf dünnem Eis und ein einziger Riss genügte, um einzubrechen. Der FCZ ist von der Teamstruktur her seit vielen Jahren anders aufgestellt, als beispielsweise Luzern oder Vaduz. Einfach nur „kämpfen“ alleine reicht nicht, um den Klassenerhalt zu schaffen. Man muss unbedingt auch die Qualität der einzelnen Spieler in die Waagschale werfen können.

Fokus auf den Sonntag in Genf

Eines ist klar: die Tabellensituation ist dramatisch und die Spieler müssen sich ab jetzt mental auf den Abstiegskampf einstellen. Seit dem Wiederaufstieg hat man unter Forte, Magnin, Rizzo und Breitenreiter die Vorrunde immer mindestens auf dem 4. Platz abgeschlossen. Das wird diesmal nicht der Fall sein, Man kann nicht mehr länger mehrere ältere Spieler parallel in Ligaspielen „aufbauen“ und an den „Super League-Rhythmus heranführen / zurückführen“. Wahrscheinlich muss auch die Team-Hierarchie verändert werden. Nur läuferisch für Super League-Verhältnisse gute Spieler sollten auf dem Platz stehen – mit allerhöchstens einer Ausnahme.

Personell muss diese Woche der Servette-Match vom Sonntag Priorität haben. Es ist das letzte Liga-Spiel vor der Nati-Pause. Man trifft auf einen sehr formstarken Gegner, vor dem der FCZ aber trotzdem nicht gleich in Ehrfurcht erstarren muss. Von den aktuell formstärksten FCZ-Spielern sollten gegen Arsenal nur diejenigen spielen, denen dieser Auftritt nützt, um am Sonntag Bestleistung zeigen zu können. Wer von der für Servette vorgesehenen Startformation hingegen aufgrund seiner aktuellen mentalen und/oder physischen Konstitution aus dem Arsenal-Match etwas fehlende Frische in das Spiel in Genf mitnehmen könnte, sollte am Donnerstag auch nicht spielen. Zumindest nicht in der Startformation.

Wie ein Plan B aussehen müsste

Und natürlich muss die sportliche Leitung einen Plan B im Köcher haben. Auf der einen Seite ist es zwar verständlich, wenn man sich gerade in der Trainerfrage nicht damit beschäftigen will, denn nur schon sich ernsthaft mit Alternativen zu beschäftigen, kann das dringend nötige Vertrauen, das jeder Trainer braucht, untergraben. Auf der anderen Seite darf es im Fall der Fälle auf keinen Fall wieder so eine schädliche Übergangsphase geben wie in der Saison 15/16. Ein Coach, der während einer Saison kommt, sollte den Schweizer Fussball und wenn möglich den FCZ sehr gut kennen – und müsste zudem mit seiner Art von Fussball auch zum mittlerweile veränderten Profil der Zürcher Mannschaft passen.

Zum Thema: Super League ist keine Reha-Klinik: FCZ nach 14 Spielen unter Franco Foda

Media Watch: Christian Constantin, Rolf Fringer und die Spitze des Eisberges

Es gibt sie ungefähr einmal pro Dekade, diese geschichtsträchtigen Ereignisse, wo die Mitarbeiter der grossen Medienhäuser angehalten werden, alles stehen und liegen zu lassen und sich an der Mega-Berichterstattung über das grosse aktuelle Thema zu beteiligen. Dazu gehören die Mondlandung, 9/11, und offenbar auch die «Affäre Constantin»: ein 60-jähriger Walliser Fussballpräsident, der einen Clinch mit dem gleichaltrigen TV-Experten und ehemaligen Fussballtrainer Rolf Fringer nach einem Spiel in Lugano wie ein halbstarker Jugendlicher auf dem Schulhof «regelt». Fringer habe von Constantins Sohn Barth zur Rede gestellt, abgestritten, sich auf Teleclub negativ über dessen Vater geäussert zu haben. «Da habe ich ihm sein Gedächtnis aufgefrischt» äusserte sich Constantin im Anschluss daran beim französischsprachigen Teleclub-Interviewer über seine Beweggründe.

In den darauffolgenden Tagen und Wochen ist der Faux-Pas Christian Constantins das ganz grosse Thema bei «Teleclub», im «Blick» und weiteren Schwesterpublikationen wie «Bluewin». Die enorme Manpower dieser Medienhäuser wird voll ausgeschöpft. Beim «Blick» gibt es mittlerweile kaum mehr einen der zahlreichen Fussball-Journalisten, der nicht in die Anti-Constantin-Kampagne involviert wurde. Auch im Teleclub wird drei Wochen lang in fast jeder Sendung über «das Thema» gesprochen. Eine ganze Armee von im Sold stehenden Experten stimmt dabei meist brav in die gebetsmühlenartigen Wort-Salven Richtung Wallis ein. Das dauert so lange, bis es vor Wochenfrist in der Sendung «Kick-Off» den eingeladenen Gästen Philippe Montandon und Bruno Berner dann doch etwas zu bunt wird. Die beiden verlangen vom erneut auf der Causa «Constantin» insistierenden Teleclub-Moderator Christophe Augsburger wiederholt, auch noch etwas zur anstehenden Fussballrunde sagen zu dürfen.

Wie kam es überhaupt so weit? Und warum ist diese Geschichte bei einem Teil der Medien so ein Riesenthema? Man kann, wie das der «Blick» und «Teleclub» tun, den Fokus auf Christian Constantin richten. Dieser ist wohl der unschweizerischste aller in der Öffentlichkeit stehenden Schweizer. Constantin geht völlig unabhängig von Rang und Namen auf andere Menschen zu, und redet mit jedem, als wäre das Gegenüber ein jahrelanger Kumpel aus der Stammkneipe. Er bestellt jedes Jahr den neuesten Ferrari ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was wohl die Nachbarn darüber denken. Und am alljährlichen Gala-Abend des FC Sion exponiert er sich auf der Bühne als unverzichtbarer Teil des Unterhaltungsprogramms.

Ohne Constantin gäbe es den FC Sion als Super League-Klub in der Randregion Wallis wohl nicht mehr. Er hat sehr viel erreicht. Es wäre aber noch mehr möglich, wenn es der Sion-Präsident schaffen würde, Kontinuität in die Führung der 1. Mannschaft zu bringen. Seine aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter sowohl in der Immobilienbranche wie auch im Fussball loben seine Sozialkompetenz und Führungsqualitäten. Es gibt aber auch Leute, die nicht gut auf den Walliser Unternehmer zu sprechen sind. Vor 13 Jahren wurde Constantin zudem schuldig gesprochen, nach einer hitzigen Partie in Kriens Schiedsrichter Von Känel (nach eigener Aussage bei der gemeinsamen Flucht vor den auf den Platz stürmenden Fans unbeabsichtigt) zu Fall gebracht zu haben.

Aber nicht nur bei Christian Constantin gibt es zum Vorfall von «Lugano» eine lange Vorgeschichte, sondern auch bei Rolf Fringer. Eine fast nahtlose Spur von Streit, Intrigen und Gerichtsverfahren zieht sich durch die Karriere des Adliswilers. Eine entscheidende Rolle spielt dabei immer wieder Fringers Freundschaft mit «Blick»-Sportchef Felix Bingesser. Dieser arbeitete für das Aargauer Tagblatt, als Fringer beim FC Aarau seine drei besten Trainerjahre hatte. Gleich in der ersten Saison 92/93 errang Fringer mit einer hungrigen Mannschaft unter anderem mit dem überragenden späteren Stammspieler der Italienischen Nationalmannschaft Roberto Di Matteo den Schweizer Meistertitel und war der Shootingstar der Trainergilde. GC musste in jener Saison in die Auf/Abstiegsrunde, Basel spielte in der Nationalliga B, die nach der Qualifikation vor Aarau liegenden YB, Servette, Sion und Lausanne lieferten nach der Punktehalbierung eine mediokre Finalrunde ab, und fielen zurück.

1995 kam Bingesser zu «Blick»-Herausgeber Ringier. Nur wenige Monate später startete der «Blick» eine Schmutzkampagne gegen Nationalcoach Artur Jorge. Neuer Nationaltrainer wurde nach der EM im Sommer (Surprise! Surprise!) – Bingesser-Buddy Rolf Fringer. Nach der Auftaktniederlage in Aserbaidschan und nur vier Siegen in elf Partien war dieser dann aber auch von seinem Hausblatt  nicht mehr zu halten. Beim damaligen Liga-Krösus GC konnte Fringer anschliessend an die Ära Christian Gross den Vorsprung aus der Winterpause ins Ziel schaukeln, und seinen zweiten persönlichen Schweizer Meistertitel feiern. Trotzdem war man auf dem Hardturm mit der Arbeitsweise Fringers nicht zufrieden. Er musste schon nach einem Jahr wieder gehen.

Bei seinem zweiten Engagement beim FC Aarau stieg Fringer in die Nationalliga B ab. Vereinigte Arabische Emirate, Zypern und Griechenland waren die nächsten Stationen. 2006 erhielt Fringer nochmal eine Chance in der Schweiz dank dem damaligen jungen St. Galler Sportchef René Weiler, den Fringer zuvor als Spieler sowohl in die Nationalliga A zum FC Aarau geholt, sowie auch später als Nationalcoach dessen einziges Länderspiel für die Schweiz ermöglicht hatte. Nach etwas mehr als einem Jahr konnte aber auch Weiler Fringer nicht mehr halten. Der St. Galler Verwaltungsrat entschied nach einem schwachen Saisonstart, welcher schlussendlich in den Abstieg münden sollte, Fringer zu entlassen.

Ein Jahr später kam Fringer nach der kurzen und fruchtlosen Episode mit Roberto Morinini beim FC Luzern zum Zug. Der Adliswiler konnte in der letzten Saison auf der alten Allmend den Abstieg in der Barrage gegen Lugano knapp verhindern. Der Schock sass aber tief, was den FC Luzern dazu bewegte, sich einen Hakan Yakin zu leisten – die für viele beste «Nummer 10» der Geschichte des Schweizer Fussballs. Mit diesem und dem ebenfalls neu verpflichteten Cristian Ianu wurde Luzern im Provisorium Gersag zu einer nominellen Spitzenmannschaft, die in den Folgesaisons den 4. und 6. Platz belegte. Das genügte bei den damaligen Ambitionen und Investitionen der Luzerner Führungsriege nicht. Auf sein darauffolgendes Engagement beim FCZ konnte sich Fringer dann fast so lange  (beziehungsweise kurz) auf der Tribüne vorbereiten, wie er dann schliesslich arbeiten durfte. Sein letztes Engagement als Sportdirektor erneut beim FC Luzern verlief ebenfalls glücklos.

Fringer lobt immer wieder gerne die Klubführung um Präsident Ernst Lämmli in seinen goldenen drei Jahren in Aarau. Dies vor allem auch deshalb, weil er sich seither in mehr als zwei Jahrzehnten mit so gut wie jeder anderen Vereinsspitze verkracht hat. Immer wieder wurde ihm die zu grosse Nähe zu den Medien, vor allem zum «Blick», vorgeworfen. Es ist für eine Vereinsführung schon schwierig genug, auf der Tribüne sitzende Spieler von einem zu offenherzigen Umgang mit Journalisten abzuhalten, aber wenn das Leck beim Trainer selbst liegt, ist in Bezug auf die Stimmung und den Zusammenhalt im Team eher früher als später Hopfen und Malz verloren. Immer wieder brach Fringer zudem die goldene Regel eines Trainers, Kritik an eigenen Spielern nur intern zu äussern.

Stattdessen nutzte der Adliswiler den «Blick», um eigene Spieler in der Öffentlichkeit frontal anzugreifen. Das ist an und für sich bereits fragwürdig genug. Noch schlimmer war, dass es sich nicht um sachliche Kritik handelte. Fringer attackierte die Betroffenen stattdessen auf der persönlichen Ebene und stellte öffentlich ihren Charakter in Frage. Lior Etter, Silvan Büchli, Josip Drmic oder Marco Schönbächler bescheinigte er «fehlenden Ehrgeiz», «Probleme wegen der Freundin» und ähnliches. Der 20-jährige Etter löste seinen damals noch zwei Jahre gültigen Profivertrag abrupt auf und wendete sich vom Fussball ab. Abgesehen davon, dass Fringers Gebahren ethisch verwerflich ist, ging auch sein Kalkül, durch die öffentliche Blossstellung von jungen Spielern aus dem Vereinsnachwuchs die eigene Position zu stärken, jeweils nicht auf. Trotzdem sah Fringer keine Veranlassung, sein Verhalten und seine Strategie zu überdenken – und ging mit der Mannschaft und schlussendlich auch mit der Vereinsführung jeweils zunehmend auf Konfrontationskurs. Welche kurzfristigen Vorteile Fringer auch immer daraus gezogen haben mag, mittel- bis langfristig machte Fringer die Nähe zum «Blick» in den jeweiligen Klubs untragbar.

Das Arbeitsverhältnis mit dem FCZ endete vor Gericht. Fringer hatte unter anderem öffentlich die Erfolglosigkeit seiner Mannschaft mit Unruhen in der Klubleitung erklärt. Bei Luzern instrumentalisierte Fringer Assistenzcoach Roland Vrabec in seiner Intrige gegen Cheftrainer Markus Babbel. Fringer und etwas später auch Vrabec wurden von den Vereinsverantwortlichen um Präsident Ruedi Stäger freigestellt. Babbel monierte danach, dass Fringer nie direkt mit ihm gesprochen und reinen Wein eingeschenkt habe, sondern stattdessen über die Medien attackiert habe. Analog äussert sich Christian Constantin. Fringer sei im direkten Gespräch immer betont freundlich gewesen. Kaum habe er aber ein Mikrofon in der Hand, werde er ausfällig. Constantin ist auf Fringers «Schwarzer Liste» seit dem Cup-Halbfinal Luzern – Sion 2009. Einen Cuptitel konnte der gebürtige Österreicher nie erreichen. Dass er in einer so wichtigen Partie mit dem möglichen Cupfinal vor Augen von einem rabaukigen Präsidenten ohne Trainerdiplom bezwungen worden war, hat der Adliswiler nie verwunden. Auf Fringers Schwarzer Liste stehen auch alle Vereinsverantworlichen, die ihn entlassen haben.

Was passiert mit jemandem wie Christian Constantin, Ancillo Canepa oder Ruedi Stäger, der Fringer auf oder neben dem Platz eine Niederlage zufügt? Antwort: Es dauert jeweils nicht lange, dann taucht plötzlich ein erster «Blick»-Journalist auf, und führt mit der betreffenden Person ein «Interview» bestehend aus persönlichkeitsverletzenden Statements verpackt in Form von rhetorischen Fragen. Ein zweiter «Blick»-Mann beginnt im privaten Umfeld der Zielperson zu wühlen und forschen, um irgendetwas zu finden, das wie eine Leiche im Keller aussieht. Ein dritter macht sich daran, vereinsinterne Opposition aufzuspüren und aufzuwiegeln. Die Maschine kommt in vollen Gang. Seit Bingesser 2011 zum zweiten Mal von der „Aargauer Zeitung“ zum „Blick“ gewechselt ist, diesmal als Leiter der Sport-Redaktion, hat der Umfang und die Dreistigkeit seines Vorgehens deutlich zugenommen.  Luzern-Präsident Ruedi Stäger wurde über Monate hinweg in «Blick»-Artikeln abwechslungsweise als «Niete» oder «Totalversager» bezeichnet, und schliesslich wurde ohne Umschweife gefordert: «Stäger muss weg!». Keine Gelegenheit war zu klein, um eine Breitseite abzufeuern: selbst als Stäger in einer Partie gegen den FC Thun im «Teleclub»-Interview eine Offsideposition monierte, die keine war, war das Grund genug für die Schlagzeile: «FCL-Präsi blamiert sich im TV».

Mit dem Eintritt als Experte beim Ringier-Partnersender «Teleclub» vor ein paar Monaten schaffte es Fringer, sein mediales Waffenarsenal für den Rachefeldzug gegen seine persönlichen Feinde nochmal stark auszubauen. Er verlor keine Zeit, und nahm sich gleich als erstes Ancillo Canepa vor. Fringer schaffte es, für die Sendung «Heimspiel» seinen Freund Felix Bingesser als Verstärkung dazuholen zu dürfen. Die beiden griffen Canepa auf verletzende Art und Weise im wahrsten Sinne des Wortes frontal an. Der seit 10 Jahren intensiv an mehreren Schnittstelllen des Schweizer Fussballs (Klub, Liga, Frauenfussball, Academy) wesentlich mitgestaltende Canepa musste sich anhören, «branchenfremd» zu sein und wurde wie ein tunichtguter kleiner Kindergärtner behandelt («er muss noch lernen»).

Der nächste auf der Liste war dann eben Christian Constantin. Fringer attackierte auch ihn auf Teleclub. Und dies nicht nur einmal, sondern in den Sendegefässen «Heimspiel» und «Kick-Off» wiederholt, geplant und systematisch in offensichtlich ehrverletzender Absicht – und bezeichnete dies nachher verharmlosend als «sachliche Kritik». Constantin wurde so lange in die Enge getrieben, bis die erwartete (Über-)Reaktion kam. «Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit geht», sagte Fringer danach. Möglich, dass dies zutrifft. Aber es ist trotzdem heuchlerisch, wenn ausgerechnet «Blick» und «Teleclub» nun beklagen, die ganze Affäre sei «schlecht für den Schweizer Fussball».

Fringer missbraucht und manipuliert den «Teleclub» und den «Blick» zum Zwecke seiner persönlichen Diffamierungskampagnen gegen Jungprofis, ehemalige Arbeitgeber und andere Kontrahenten. In typisch populistischer Manier zielt er darauf ab, die von ihm als Feinde wahrgenommenen Personen als Menschen mit schlechtem Charakter abzuwerten. Das ist keine Bagatelle. Wer in der Öffentlichkeit systematisch als Person diffamiert wird, fühlt sich ohnmächtig. Er oder sie weiss, dass sich dadurch ein falsches Bild von der eigenen Person in den Köpfen der Mitmenschen festsetzt, welches sich nie mehr ganz korrigieren lässt. Menschen, die so in die Enge getrieben werden, reagieren darauf häufig entsprechend drastisch.

Neben dem Thema «Constantin» fährt der «Blick» aktuell parallel die Story um eine 13-jährige Schülerin aus dem Limmattal, welche sich das Leben nahm, nachdem sie in den Sozialen Medien diffamiert und verhöhnt wurde. Die Anteilnahme des Blattes in solchen Fällen wirkt geheuchelt, wenn man beobachtet, wie die eigenen Diffamierungskampagnen gleichzeitig schamlos verharmlost werden. Worte richten häufig einen grösseren Schaden an als Ohrfeigen. Gerade auch wenn man die möglichen Folgen betrachtet, welche dies für die betroffenen Personen haben kann. Es braucht schon sehr viel Realitätsverweigerung und fehlende Selbstkritik, um die mehrfache Anschwärzung einer Person als «Narzissten» mit «null Empathie für andere Menschen» als «sachlich» zu bezeichnen.

Wer noch nie Ziel einer Diffamierungskampagne geworden ist, kann kaum gänzlich nachempfinden, wie sich dies anfühlt. Was können Opfer tun? Christian Constantin kann kaum als Paradebeispiel einer optimalen Reaktion herhalten, aber den wichtigsten Punkt hat er mit seiner Lebenserfahrung von 60 Jahren begriffen und beherzigt: man darf sich auf keinen Fall von diesem Hass, der einem aus grossen, mächtigen Boulevardmedien oder Sozialen Netzwerken entgegenschlägt, zerfressen lassen.  Wenn man sich anschaut, wie regelmässig und systematisch Constantin von Fringer öffentlich verunglimpft worden ist, sind die eingereichten Klagen wegen Diffamation (Strafrecht) und Persönlichkeitsverletzung (Zivilrecht) auch für den «Blick» sicherlich nur angeblich eine Überraschung.

Ein alljährliches Ritual wie die Neujahrsrede des Bundespräsidenten im Schweizer Fernsehen «SRF» ist das Interview zum Geburtstag von Rolf Fringer im «Blick». Wenn Bingessers Adjutant Andreas Böni bei «Teleclub» vor diesem Hintergrund dann treuherzig «neutral vom Blick her…» den Fall Constantin / Fringer kommentiert – und wenn in einer Runde Gleichgesinnter in der Sendung «Heimspiel» über den nicht anwesenden Christian Constantin lästern als «faire Diskussion» bezeichnet wird, weiss man nicht so recht, ob man dies nun als guten Witz oder als schlechtes Trauerspiel ansehen sollte. Die Ohren wackeln, die Nase rümpft sich, der Magen zieht sich zusammen – es ist wohl eher letzteres. Im Vorfeld und auch nach der Retourkutsche Constantins haben Fringer, Bingesser und Böni den Walliser als Unmenschen dargestellt und quasi für geisteskrank erklärt. Schwer wiegt, dass es sich dabei nicht um einmalige Ausrutscher handelt, sondern um eine systematische Verunglimpfungskampagne. Dazu kommt eine immer wieder äusserst fragwürdige Wortwahl, wie «nicht therapierbar» oder «jetzt muss der Stecker gezogen werden».

Zwischen scheinheilig, unappetitlich und peinlich schwankt der Umgang mit der «Affäre Constantin» bei «Blick» und «Teleclub» speziell im Anschluss an den Vorfall von Lugano. Völlig ignorierend, dass die Brandstifter in dieser Geschichte aus den eigenen Reihen stammen, wird frisch-fröhlich die eigene Rolle in zahlreichen Sendungen, Artikeln und Kommentarspalten entweder verschwiegen oder abgewiegelt. Anstatt sich selbst zu hinterfragen und (warum nicht?) für die Diffamationskampagne zu entschuldigen, inszeniert man sich stattdessen bei den Lesern als bedauernswertes Opfer. Sie sei besorgt um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter, wird «Teleclub»-Programmleiterin Claudia Lässer zitiert. Felix Bingesser ist das noch nicht dramatisch genug. Der «Blick»-Sportchef aus dem Aargau sieht nichts weniger als die Pressefreiheit in Gefahr. Rolf Fringer als Schweizer Antwort auf Anna Politkovskaja! Auch der in der «Teleclub»-Runde angestrengte Vergleich mit der traditionsreichen Sport1-Diskussionssendung «Doppelpass» ist wenig selbstreflektierend. Würde dort jemand systematische Ehrverletzungskampagnen betreiben, würde dies hohe Wellen werfen und heftige Reaktionen hervorrufen.

Gemäss offizieller «Teleclub»-Mitteilung prüfe die Liga auf Betreiben des «Teleclub» zurzeit «geeignete Massnahmen, um die Sicherheit und Integrität unserer Journalisten und Experten in den Stadien sicherzustellen». Bevor nun aber wieder mal aufgrund eines Einzelfalls regulationswütig die kleinen Profiklubs mit noch mehr Auflagen belastet werden, ein gut gemeinter Vorschlag an die Verantwortlichen des «Blick» und «Teleclub»: weisen Sie Ihre Angestellten (auch die leitenden!) darauf hin, dass sie die ihnen zur Verfügung stehende öffentliche Plattform nicht für persönliche Fehden und Hetzkampagnen missbrauchen sollen. Und schreiten Sie ein, wenn einer Ihrer Mitarbeiter systematisch gegen ihm persönlich unsympathische Personen Hass säht. Das wäre mit Abstand die effektivste Sicherheitsmassnahme. Mehr braucht es nicht.

Die Ringier-Tochterfirma «InfrontRingier» weiterhin mit der Vermarktung zu betrauen, war in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Schweizer Fussballs natürlich gelinde gesagt ein heikler Entscheid der Liga gewesen. Gerade im Hinblick auf solche Fälle wie die «Affäre Constantin» hinterlässt es einen schalen Beigeschmack, wenn eine der Parteien ein wichtiges Medienhaus ist, welches gleichzeitig für die Liga Geld beschafft. Bingessers Ringier-Blatt «Blick» machte denn auch ohne Rücksicht auf den offensichtlichen Interessenkonflikt im Vorfeld des Urteils enormen Druck auf die Liga und deren Disziplinarkommission. Es musste befürchtet werden, dass sich diese in ihrer sportrechtlichen Entscheidung davon beeinflussen lassen könnte.

Bingesser offenbarte dabei ein Rechtsverständnis, das kein bisschen weniger archaisch daherkommt, als die von ihm angeprangerte Selbstjustiz Christian Constantins. Grundprinzipien moderner Zivilisation wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung scheinen in diesem nicht vorzukommen. Wenn Bingesser schreibt: «Constantin muss weg», verlangt er offenbar von der Disziplinarkommission nicht einen Vorfall auf der Basis der Reglemente zu beurteilen, sondern pauschal den Daumen über eine Person zu senken. «Wir werden keine Ruhe geben» drohte der «Blick»-Sportchef zudem in der Sendung «Heimspiel» in geradezu inquisitorischem Ton an. Offensichtlicher kann man nicht deklarieren, dass die eigene Zeitung nicht im Dienste der hehren journalistischen Wahrhaftigkeit, sondern als Machtinstrument zur Durchsetzung der persönlichen Interessen und Anliegen zu dienen hat.

Das klappt manchmal besser, manchmal weniger gut. In Luzern und in St. Gallen gelang es dem «Blick» durchaus, zumindest bei einem Teil der Anhänger das Image der «Fringer-Gegner» zu beschädigen. Die Fans liessen sich in gewissen Fällen vom «Blick» instrumentalisieren und übernahmen dessen Sichtweise bezüglich «Guten» und «Schlechten» Protagonisten in den verantwortlichen Positionen des Klubs. In Zürich und Sion hat das Boulevardblatt bedeutend mehr Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Dass die Anhänger im Wallis nicht wie von Bingesser und Fringer erträumt, den Aufstand probten, schien den «Blick» fast in die Verzweiflung zu treiben. Da nützten auch die allzu plumpen Anbiederungsversuche Bingessers nichts, der plötzlich seine Liebe für den «ansonsten so sympathischen FC Sion» zu entdecken schien.

Die Disziplinarkommission der Swiss Football League hat den Präsidenten des FC Sion, Christian Contantin, mit einer Platzsperre von 14 Monaten und einer Busse von CHF 100’000.- belegt. Entlarvend war im Anschluss daran die Aussage des «Blick»-Reporters Martin Arn gegenüber dem Westschweizer Sender «RTS» und in einem eigenen Artikel: «Die Liga hat leider eine gute Gelegenheit verpasst, Constantin lebenslänglich zu sperren». Den Sion-Präsidenten lebenslänglich zu sperren soll also von vornherein das Ziel sein. Die Umsetzung dieses Zieles ist alleine die Frage einer «passenden Gelegenheit». Rechtsstaatlichkeit scheint tatsächlich nicht so eine populäre Idee auf der „Blick“-Redaktion zu sein.

Aus einer etwas fortschrittlicheren Sicht betrachtet, sollte der Präsident eines Fussballklubs gleich behandelt werden wie jeder andere Matchbesucher auch. Weder eine Privilegierung noch eine besonders harte Bestrafung «um ein Zeichen zu setzen» sind mit demokratischen und rechtsstaatlichen Werten vereinbar. 14 Monate Platzsperre sind durchaus im Rahmen des Strafmasses, welches auch andere randalierende Matchbesucher erwartet, allerdings eher am unteren Rand. Ein Stadionverbot müsste aber normalerweise vom Hausherrn, also dem FC Lugano, ausgesprochen werden: angesichts des kürzlichen Zwistes der beiden Klubs rund um den Wechsel von Trainer Paolo Tramezzani eine nicht uninteressante Konstellation.

Die disziplinarische Initiative hat aber offenbar weder Lugano noch der Schweizerische Fussballverband, sondern die Swiss Football League ergriffen. Ob der weder mit dem Spiel noch mit SFL-Offiziellen direkt im Zusammenhang stehende Vorfall von der Zuständigkeit her überhaupt ein SFL-Disziplinarfall sein kann, wird sich möglicherweise im Laufe des Rekurses in den nächsten Wochen (und Monaten) noch herausstellen. Schon beim «Fall Kriens» vor 13 Jahren wurde die damals durch den SFV ausgesprochene 30-monatige Sperre gegen Constantin (sogar in der Form eines «Berufsverbotes») auf gerade mal 3 Monate reduziert. Allerdings war die Beweislage damals schlechter. Willkürlich wirkt im aktuellen Fall die Busse von CHF 100’000.-, da sie wie eine «Lex Constantin» daherkommt. Nicht mit dem Ziel der Rechtsprechung, sondern einer einfachen Form von Geldbeschaffung für die Liga, bei jemandem «der es hat».

Was passiert aber mit den Urhebern der ganzen Affäre, Rolf Fringer und Felix Bingesser? Werden sich diese zu einer Entschuldigung durchringen können? Oder geht alles so weiter wie gehabt? Wer wird als nächstes attackiert? In der aktuellsten Ausgabe von «Heimspiel» schmierte Fringer dem von ihm Wochen zuvor in der gleichen Sendung frontal attackierten Ancillo Canepa ganz in Boulevard-Manier vorsorglich eine grosse Portion Honig ums Maul. Fringer ist definitiv ein geschliffener Kommunikator, er versteht etwas von Fussball und ist vor allem immer gut vorbereitet. Die Auftritte des Adliswilers könnten eins-zu-eins als Lehrvideos eines Rhetorikkurses verwendet werden.

Gleichzeitig ist unwahrscheinlich, dass die Diffamierungskampagnen gegen ihm unliebsame Menschen aufhören werden. Die «Affäre Constantin» ist nur die zur Zeit an der Wasseroberfläche sichtbare Spitze eines bereits seit den 90-er Jahren im Meer des Schweizer Fussballs schwimmenden Eisberges, welchen man mit «Affäre Fringer / Bingesser» bezeichnen kann. Der «Teleclub» muss sich gut überlegen, ob er Fringers Gebahren weiter dulden und mitverantworten will. Die Liga ihrerseits ist bei der nächsten Rechtevergabe bezüglich der Gefahr für ihre Glaubwürdigkeit, welche die kommerzielle Vermarktung durch das Tochterunternehmen eines einflussreichen Medienhauses mit sich bringt, nun doppelt gewarnt.

(Photo: Murray Foubister [CC BY-SA 2.0])

FCZ-Berichterstattung, oder: Journalisten als Brandstifter

«Schreiben, was ist» ist ein bekannter journalistischer Leitsatz des «Spiegel»-Gründers Rudolf Augstein. «Schreiben, was ist» kann man auf die sorgfältige Analyse eines komplexen Themas beziehen, wie auch auf die korrekte Wiedergabe von beobachteten Einzelereignissen.

In beiderlei Hinsicht hat ein Grossteil der über den FCZ berichtenden Medienschaffenden aus dem Grossraum Zürich in den letzten Wochen und Monaten wiederholt versagt. Anstatt mit unabhängigem Geist die Situation zu analysieren, wird eine persönliche Fehde mit den Waffen des öffentlichen Druckes ausgetragen. An die Stelle von Analyse tritt populistische Propaganda, vereinfacht zugespitzt auf eine einfache Message: «Ancillo Canepa ist doof, im FCZ ist alles schlecht, und Canepa ist alleine Schuld daran». Dies wurde bis zum geht nicht mehr wiederholt, wiederholt, wiederholt und nochmal wiederholt.

Hat man sich erst mal auf eine schuldige Person oder Personengruppe geeinigt, ist aufgeputscht durch Tagi, NZZ und Co. der Weg bereitet für die Meute aus der Südkurve, die sich durch den Spielereingang in Richtung des «Schuldigen» zwängt. Es sind immer die gleichen Schritte, welche bei solchen kollektiven Prozessen ablaufen – vom Mobbing auf dem Schulhausplatz bis zum Völkermord in Ruanda oder Nazi-Deutschland.

Die einfachen Parolen sind ganz offensichtlich beim Volk angekommen. Dies müsste die Brandstifter in den Redaktionen eigentlich nicht erstaunen. Tut es aber offenbar doch. Interessant, dass ausgerechnet der als Boulevardmedium verschriene «Blick» noch am ehesten eine differenzierte und vielfältige Berichterstattung zustande bringt, während bei «NZZ» und «Tagi» im Fussball-Bereich liebgewonnene Ideologien wie «Anti-Südkurve» oder «Anti-Canepa» in Stein gemeisselt sind. Anstatt zu schreiben, was ist.

Blinde Wut konnte man übrigens in der Aktion der Meute aus der Südkurve zumindest im Stadion nicht erkennen, sondern es war eine gezielte Aktion mit einer klaren Stossrichtung, die im Endeffekt erstaunlich gewaltfrei ablief. Und hier kommt das zweite Versagen der angesprochenen Journalisten ins Spiel. Es wird in der Berichterstattung der Ereignisse ein Phantasiebild gezeichnet von «Ausbruch von Gewalt» und «fliegenden Fäusten» (ja, wir bestellen das Bild). Mit anderen Worten: es wurde erneut nicht geschrieben, was war.