Jetzt mal ehrlich: drei Fragen vor YB – FCZ

  1. Warum fühlen wir uns in Bern so wohl?

Uli Forte, Fredy Bickel, Dodo Jud,… Es ist ein eisernes Gesetz: geht ein Zürcher nach Bern, kommt er anschliessend aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: die Stadt, die Klubs, die Frauen,… Es entstehen kreative Werke, Erfolge – ganze Familien. Auch der FCZ fühlt sich im Wankdorf wohl. In diesem Stadion gab es für den Letzigrund-Klub in den letzten Jahren einige der spektakulärsten Spiele und Siege – unter anderem zwei Mal im Cup. Bei einer Begegnung YB gegen FCZ im Wankdorf sind drei Tore im Normalfall das Minimum, der Unterhaltungsfaktor hoch. Und nicht zu vergessen: im Cupfinal wurde hier 2014 der haushohe Favorit aus Basel geschlagen. Es muss wohl am Geist des 10. Mai 2006 liegen, als YB’s UEFA Cup-Hunger grösser war, als der Meisterhunger des FCB – der 4:2-Sieg der Berner ebnete den Weg zum ersten FCZ-Meistertitel seit 25 Jahren.

  1. Hat Uli Forte recht?

Grundsätzlich: Uli Forte hat immer recht. Er ist der Coach. Aber wird wie vom FCZ-Trainer vorausgesagt YB diesmal wirklich Meister? Es wäre ein grosser Einschnitt. Der oben erwähnte Meistertitel 2006 wandelte in jenen Mai-Tagen nach Zürich. Parallel wanderte damals gleichzeitig etwas anderes in die entgegengesetzte Richtung: der Nimbus des sympathischen Verlierers. Neu war nun nicht mehr der FCZ, sondern YB der Klub, der am längsten keinen Meistertitel mehr geholt hatte. Mittlerweile hat YB mit 31 meisterlosen Jahren den FCZ von damals weit überholt. Seither war YB nach dem FCB mit Abstand das konstanteste Spitzenteam der Schweiz, wovon sechs 2. Plätze und drei 3. Plätze zeugen. Zwei Mal wurde eine Finalissima verloren, zwei Mal ein Cupfinal. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum FCZ, der über Jahrzehnte gar nicht erst in die Nähe eines grossen Erfolges gekommen war, bei entscheidenden Spielen dann aber trotzdem praktisch immer als Sieger hervorging (unter anderem mit 9 Cuptiteln in 10 Finals).

  1. Ist Bern das neue Zürich?

Wir schreiben das Jahr 1848. Mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird eines der ältesten heute noch existierenden Staatswesen der Welt gegründet. Gefunden werden muss nach Jahren des wechselnden «Vorortes» der Sitz für Parlament, Regierung und Verwaltung. Luzern, Zürich und Bern stehen zur Auswahl. Die Meinungen sind geteilt. Einig sind sich die Eidgenossen aber darüber, dass man weiterhin möglichst grosse Diversität will, und kein starkes Zentrum à la Paris, Berlin oder London. Deshalb sind viele gegenüber den bereits relativ grossen Zürich und Bern skeptisch. Und deshalb entscheidet man sich auch dafür, keine eigentliche Hauptstadt zu bestimmen, sondern eine Bundesstadt als Sitz von Parlament, Regierung und Verwaltung. 169 Jahre später startet der Berner Schlittschuh-Club als Schweizer Meister völlig entgegen allen ungeschriebenen Gesetzen und Abmachungen ausgezeichnet in die neue Saison und verzichtet auf den ominösen «Meister-Blues». Gleichzeitig liegen die «weltberühmten» Young Boys in der Super League mit sieben Punkten in Front! Und schon ist es mit der lange gepflegten Berner Zurückhaltung nicht mehr weit her. Nix mehr mit Bundesstadt und 1848. In Bern legt man plötzlich wert darauf, als «Houptschtadt» bezeichnet zu werden – und YB ist demonstrativ der «Houptschtadtklub». Der Ton in Richtung Basel (und Zürich) wird rauer. An der Limmat verfolgt man diese Entwicklung natürlich mit besonderer Sorge. Wollen die Berner uns wirklich unseren in mühsamer Kleinarbeit über Jahre aufgebauten und gepflegten Status als «arroganteste und uneidgenössischste Schweizer» abluchsen? Nicht auszudenken, was los wäre, würde YB nun tatsächlich auch noch den Titel erringen? Wird dann ein Berner Arc de Triomphe errichtet? Oder Berndeutsch als gesamtschweizerische Lingua Franca durchgesetzt?  Und noch schlimmer: gilt Zürich dann plötzlich als vergleichsweise sympathisch? Die Identitätskrise wäre vorprogrammiert!

Das Ende der Tunesischen Ära

Der Abgang von Amine Chermiti zur Winterpause ist mehr als nur der Abschied von einem langjährigen Spieler – es ist das Ende der Tunesischen Ära im FC Zürich. Die wie das Präsidenten-Ehepaar in Kilchberg wohnenden Tunesier waren der rote Faden der bisherigen Präsidentschaft von Ancillo Canepa. Frisch im Amt reiste er zusammen mit dem damaligen Sportchef Fredy Bickel im Mai 2007 nach Tunesien und sicherte sich die Dienste des dort bereits zum Star erhobenen 20-jährigen Jungspundes Yassine Chikhaoui.

Auf guten Start folgt jeweils das Mittelmass

Chikhaoui kam nach Zürich und realisierte in den ersten zwei Monaten vom 26.Juli bis 29.September 2007 sagenhafte dreizehn Super League-Skorerpunkte (7 Tore und 6 Assists in 10 Partien). Die Krönung war sein Sololauf zur Eröffnung des neuen Letzigrundstadions – nach zwei weiteren Chikhaoui-Assists hatte der FCZ das Derby 4:0 gewonnen. Hätte der FCZ zu jenem Zeitpunkt einen guten Wahrsager in seinem Staff beschäftigt gehabt, hätte dieser empfohlen, den Tunesier nach diesem Startfurioso gleich wieder ziehen zu lassen. Denn in den folgenden acht langen Jahren kam nüchtern betrachtet vom Hoffnungsträger nichts wesentliches mehr. Für die nächsten 13 Skorerpunkte beispielsweise benötigte Chikhaoui volle fünfeinhalb Jahre! Die Mannschaft und der Klub verbrachte Jahr um Jahr entweder mit dem Warten auf die baldige Rückkehr des immer wieder verletzten „Fussball-Messias“ oder dann mit der Anpassung an seine gerade auch für die Mitspieler nicht immer einfach zu durchschauenden Spielweise, wenn er doch mal wieder auf dem Platz stand.

Auch Amine Chermiti war zu Beginn seiner FCZ-Zeit mit Abstand am wirkungsvollsten, und fiel danach für die folgenden fünf Jahre ins Mittelmass zurück. Der Stürmer konnte in der Folge nie zu einem echten Leistungsträger werden. In seiner ersten Saison 10/11 sah das noch anders aus: Chermiti war zwar häufig verletzt, aber wenn er spielte, agierte er schnell, spritzig und zielstrebig. Trotz nur 17 Einsätzen kam er auf 9 Tore und 6 Assists. In jener Saison war der FCZ nahe am Meistertitel dran, was unter anderem auch das Verdienst von Tunesier Nummer drei, Chaker Zouaghi, war. Der häufig verkannte Defensivmann war in seiner ersten von zwei FCZ-Saisons ein wichtiges Element des starken Jahrgangs rund um Djuric, Aegerter, Koch, Teixeira, Schönbächler, Mehmedi und Alphonse. Chikhaoui hingegen hatte in jener Saison durch seinen Schienbeinbruch und eine spätere Knieverletzung kaum einen Einsatz.

Generation mit viel Vorschusslorbeeren – und wenig Biss

Erfolgsgaranten waren die Tunesier in ihrer langen FCZ-Ära nie. In der Meistersaison 08/09 hatte Chikhaoui ganze 6 Einsätze vorzuweisen gehabt, und zum Cuptitel 13/14 trugen Chikhaoui und Chermiti kein einziges Tor bei. Die Schlüsselspieler beim Meistertitel waren Tihinen, Abdi, Hassli, Alphonse, Aegerter und Leoni – und beim Cupsieg Da Costa, Gavranovic, Etoundi, Chiumiento, Buff und Schönbächler – aber nicht die beiden Tunesier. Sie sind damit sinnbildlich für eine ganze Generation von im Heimatland mit viel Vorschusslorbeeren bedachten jungen Spielern, von denen sich aber kaum einer in Europa richtig hat durchsetzen können. Wer kann sich noch an weitere Tunesische Nationalspieler in der Super League wie Oussama Darragi, Saïf Ghezal oder Ammar Jemal erinnern? Kleine Ausnahmen bilden einzig die beiden Innenverteidiger Aymen Abdennour (Valencia) und Karim Haggui (heute Düsseldorf). Es ist eine Generation von Spielern, die zuhause von Fans und Medien allzuschnell in den Himmel gehoben wurde, im Ausland dann aber zu wenig Biss zeigte. Das höchste der Gefühle für die meisten Tunesischen Nationalspieler war in den letzten Jahren schlussendlich ein lukrativer Vertrag auf der Arabischen Halbinsel.

2004 gewann Tunesien zum ersten und bisher einzigen Mal den Afrika Cup und nahm 2006 letztmals an einer WM teil. Seither haben die „Adler von Karthago“ an der alle zwei Jahre stattfindenden Kontinentalmeisterschaft nie mehr den Viertelfinal überstanden. Der einzige Sieg an einem WM-Turnier ereignete sich vor grauer Urzeit am 2.Juni 1978 im argentinischen Rosario bei einem 3:1 gegen Mexiko. Teil des 2004 Afrika Cup-Siegerteams war der eingebürgerte Brasilianer Francileudo Santos gewesen. Dieser stand vor genau 9 Jahren am Anfang der Tunesischen Ära im FCZ. Für gerade mal ein paar Monate von Toulouse zum FCZ ausgeliehen, zeichnete sich Santos im Gegensatz zu den auf ihn folgenden gebürtigen Tunesiern durch eine ausgeprägte Winnermentalität aus.  In den letzten drei Partien der Saison 06/07  trug er mit je einem Tor bei jedem seiner Teileinsätze viel zur Sicherung des zweiten Zürcher Meistertitels der Neuzeit bei. Seit Juli 2015 ist der heute 36-jährige übrigens wieder auf Schweizer Fussballplätzen unterwegs. Für den jurassischen FC Porrentruy hat er im Oktober in der 2.Liga Interregional gegen Allschwil und Muttenz je ein Tor erzielen können. Seine Mannschaft liegt aber trotzdem mit nur 6 Punkten zur Winterpause auf dem letzten Platz.

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Mit Kind, Kegel und Plastiksack: als am 29.Mai nach dem 4:3 im Derby zum versöhnlichen Abschluss der Saison alle schon weg waren, genoss Yassine Chikhaoui mit seiner Familie die Ruhe und Musse, um sich vor einer damals noch ungewissen Zukunft schon mal vom Letzigrund zu verabschieden. Der Ort, wo acht Jahre zuvor alles so kometenhaft begonnen hatte, war zu einer Arena der Hoffnung und des Leidens – und gerade deshalb zu einem Stück Heimat geworden.    

Au revoir, nos aigles de Carthage! Et merci pour vos émotions et pour vivre avec nous le FC Zurich! Une fois Zurichois, toujours Zurichois…