Über NoBillag, Mentalitätsgräben und den Schweizer Fussball

Es ist irgendwie erstaunlich, fast schon surreal, wie viel Energie, Emotionen, Kreativität aber auch Absurdität in den letzten Monaten in den Abstimmungskampf für und vor allem gegen «NoBillag» geflossen sind. Viel mehr als bei politischen Grundsatzfragen in Gesundheits-, Aussen- oder Energiepolitik. Medienschaffende schauen zu Recht beispielsweise der Pharmabranche auf die Finger, wenn diese sich in einem Abstimmungskampf im Gesundheitswesen engagiert. Was aber „abgeht“, wenn Journalisten und Kulturschaffende ihre eigenen finanziellen oder politischen Privilegien in Gefahr sehen, sprengt offenbar alle Grenzen. Auch hat gerade der Abstimmungskampf die viel zu grosse Abhängigkeit vieler kleinerer Medien vom grossen «SRG-Topf» offensichtlich werden lassen. Die fehlende Konkurrenz und Unabhängigkeit vor allem der elektronischen, zum Teil aber auch der Printmedien, ist sowohl ein wirtschaftliches Problem, als auch ein Handicap für die Demokratie. «Too big to fail» sollte es nicht nur im Bankensektor, sondern auch bei den Medien nicht geben.

Herrscht Konkurrenz, können die Medienkonsumenten vergleichen und wählen. Schlechte Qualität oder Falschinformationen werden so viel schneller entlarvt. Auch fliessen dann mehr Mittel in Bereiche, welche die Menschen wirklich interessieren. Womit wir beim Fussball wären – und dessen Stellung im Vergleich zu den anderen Sportarten. Es kann wohl kaum bestritten werden, dass der «Sonderfall Schweiz» in Bezug auf die elektronische Medienlandschaft dem Schweizer Fussball schadet. Umso erstaunlicher daher, dass sich die Liga und der Verband kaum für die «NoBillag»-Initiative engagiert haben. Würde eine Annahme der Initiative doch tendenziell mehr Vielfalt und Konkurrenz versprechen. Schiss vor der grossen SRG, dem langjährigen Medienpartner? Als in Deutschland Ende der 80-er / Anfang 90-er Jahre (selbst dies war eigentlich bereits relativ spät) Privatfernsehsender in die Fussballberichterstattung einstiegen, waren die Bundesligastadien vielerorts zur Hälfte oder gar zwei Dritteln leer. Und ohne Konkurrenz hatte sich bei den Staatlichen Sendern ARD und ZDF eine steife, qualitativ schlechte und teilweise gar skurrile oder gar ethisch fragwürdige Kultur der Fussballberichterstattung entwickelt.

Mit dem Einstieg der Privatfernsehsender wurde der Fussball bildlich, akustisch und dramaturgisch deutlich attraktiver in Szene gesetzt. Inhaltlich waren die Angebote vor allem zu Beginn von unterschiedlicher Qualität. Die Konkurrenzsituation an und für sich führte aber nicht zuletzt auch bei ARD und ZDF selbst zu einem «Wake Up-Call». «Alte Zöpfe» konnten Schritt für Schritt abgeschnitten und die Qualität deutlich gesteigert werden. Vor allem aber war und ist die Konkurrenz im Bereich der bewegten Bilder ein Geldsegen. Moderne Trainingszentren konnten deutschlandweit aufgebaut und ausländische Topspieler (auch aus der Schweiz) verpflichtet werden. Und es wurden dank den vorhandenen Mitteln Zehntausende von Arbeitsplätzen geschaffen. Sowohl der Sportbereich im engeren Sinn, als auch das ganze «Drumherum» wurde enorm professionalisiert. Die Fussball-Bundesliga vermochte ihre Stellung als Nr. 1 im Vergleich zu anderen Sportarten und Unterhaltungsangeboten wieder deutlich auszubauen, und nicht zuletzt ihre gesellschaftliche und politische Relevanz zu stärken. Und entgegen anfänglichen Unkenrufen kamen mit mehr Fussball im TV nicht weniger Zuschauer ins Stadion, sondern sogar mehr. Die Arenen füllten sich bis auf das heute beeindruckende Level. Das Fernsehen nahm sich nicht ein Stück eines begrenzten Kuchens, sondern vergrösserte diesen in grossem Masse.

Die Schweiz hingegen hinkt im TV- und Radio-Bereich seinen Nachbarländern hinterher und hat diesbezüglich immer noch eine mit einem Land wie Russland vergleichbare Medienkonzentration – und glaubt man den Prognosen über den Abstimmungsausgang, wird dies vorläufig auch so bleiben. Die Schweizer Super League wird neuerdings im UEFA-Ranking selbst von der Tschechischen Liga hart bedrängt – auch weil diese trotz allgemein immer noch deutlich tieferer Kaufkraft im Vergleich zur Schweiz einen ausgezeichneten TV-Vertrag hat aushandeln können. Der Meister Dänemarks oder ein kleiner Deutscher Zweitligist wie der SV Sandhausen verdienen dank einer vielfältigeren Fernsehlandschaft mit TV-Geldern ein Mehrfaches des Schweizer Meisters. Selbst Polen, Rumänien oder Norwegen sind dank Privatfernsehen daran, die Schweiz bei den TV-Geldern zu überholen. Die Fortschritte hierzulande sind klein. Die SRG hat der überragenden Bedeutung des Fussballs innerhalb des Sportes zuletzt etwas nachgegeben – aber bei weitem noch nicht im vergleichbaren Mass wie in den meisten anderen Europäischen Länder. Und seit der Pay-TV Sender Teleclub Spielzusammenfassungen gratis ins Internet stellt, mussten viele SRF-Kommentatoren ihre Einseitigkeit in der Berichterstattung zugunsten ihres persönlichen Lieblingsvereines etwas zurückschrauben.

Nur dank herausragender Jugendarbeit können die Schweizer Super League-Teams mit dem Europäischen Mittelfeld noch mithalten. Die Luft wird aber zunehmend dünner, wenn Klubs aus Ländern wie Tschechien oder Zypern sich teilweise bessere ausländische Spieler leisten können, als Schweizer Klubs. Und wenn die Gehaltsdifferenzen so gross werden, dass die besten Schweizer Talente selbst in Jugendakademien im Ausland mehr verdienen, als in der Schweiz als Teil eines Profiteams. Nicht nur für die Liga sind diese Talente verloren, sondern häufig zusätzlich auch noch für die Nationalmannschaft.

Die fehlenden finanziellen Mittel führen ausserdem zu einer ganzen Kaskade von Folgeproblemen. Zum Beispiel sind fast alle Schweizer Klubs defizitär. Kein vernünftig denkender Schweizer mit Familie und ein paar Millionen im Sack engagiert sich heute noch finanziell in einem Fussballklub der höchsten Ligen. Denn es ist neben weiteren Unannehmlichkeiten meist ein Fass ohne Boden. Dies führt dazu, dass sich nur noch «Verrückte» dafür interessieren, einen Schweizer Klub zu besitzen. Wenn man Glück hat, ist es ein «positiv Verrrückter» – wenn man Pech hat, ein «dubios Verrückter». Mit mehr TV-Geld hätte in der Mehrheit der Fälle auch verhindert werden können, was in den letzten Jahren der Challenge League widerfahren ist: praktisch nur noch Absteiger aus finanziellen, statt sportlichen Gründen. Oder dass für Lausanne-Sport kein anderer Käufer als ein ausländischer Chemiekonzern mit Reputationsproblemen gefunden werden kann, der dann das traditionelle Logo dem Firmenlogo anpassen will.

Die Welt und die Schweiz wird weder bei einer Ablehnung noch bei einer Annahme der Initiative untergehen, wie dies die Angstmacher-Kampagnen vor allem der Gegnerseite haben weismachen wollen. Jedem Medienerzeugnis steht ein grosser Variantenreichtum an möglichen Ressourcen zur Verfügung. Sind diese Ressourcen nicht vorhanden, ist offensichtlich das Interesse auch nicht ausreichend gegeben. Weder von den Machern selbst, noch von den Konsumenten. Für hochrelevante und / und hochinteressante Themen finden sich immer bis zu einem gewissen Grad engagierte Freiwillige, die auch ohne Entschädigung Beiträge leisten. Oder man findet Spender, die das Projekt unterstützen. Oder Werber, für die ein vielbeachtetes Medienerzeugnis immer interessant ist. Oder ein konkretes Format wird von der Politik für wertvoll gehalten, und mit Staatsgeldern direkt unterstützt.

Wenige Meter Distanz können manchmal eine andere Welt sein. Im März 1980 die wenigen Meter zwischen West-Berlin und Ost-Berlin, oder im Mai 2006 die wenigen Meter zwischen Muttenzerkurve und Gästeblock im St. Jakob Park in Basel. Ein Mentalitätsgraben verläuft zur Zeit auch zwischen dem Haus im Zürcher Kreis 3, in dem ich wohne, und dem benachbarten hippen Café. Dort verkehren unter anderem Profiteure der Billag-Gelder. Schweizer Schauspieler, Moderatoren oder Kulturschaffende. Das ist die Welt derjenigen, die sehr stolz darauf sind, dass sie sich gratis (!) in diesem Abstimmungskampf für ein „NEIN“ engagiert haben.

«Mein Haus» hingegen ist von Kopf bis Fuss international mit Menschen aus allen Ecken der Welt. Da kaum jemand ausser mir als Kind in der Schule Deutsch gelernt hat, wurde ich schon immer gerne für administrative Probleme und Aufgaben zu Rate und Diensten gezogen, sei es vom jungen Somalischen Single, der eine mehrjährige Hauswirtschaftslehre absolviert, vom verheirateten Bengalen, der in einem nahegelegenen In-Restaurant arbeitet, oder dem älteren Flüchtling aus Afghanistan, der lange Zeit im Unternehmen einer FCZ-Legende in der Region Zürich gearbeitet hat, bis er chronisch krank und bettlägrig wurde.

Es gibt in den Gesprächen mit diesen Menschen seit Jahren ein Wort, welches alle zusammenzucken und das Gesicht eine stressvolle Mimik annehmen lässt – «Billag». Erschreckend ist für sie der hohe Betrag, die aus ihrer Sicht fehlende Verhältnismässigkeit, und vor allem auch die Erfahrungen mit der unbarmherzigen Maschinerie der Erhebung und des Einzugs dieser Gelder, welche ihr Bild von der Schweiz mitgeprägt hat – und dies nicht im positiven Sinne. Ähnliches höre ich von einem Kollegen, der ein kleines Handelsunternehmen für Sportutensilien betreibt, und unter sehr hohen Billag-Beiträgen leidet, weil die Bemessungsgrundlage realitätsfremd sei. Mein Kollege konnte immerhin abstimmen gehen. Das können «meine» Ausländer nicht. Die Mehrheit von ihnen hätte «JA» gestimmt.

61 Millionen Transfererlös – Schweizer Klubs werden zu Spielerhändlern

Der FC Basel stösst mit dem Geschäftsjahr 2016 finanziell für Schweizer Verhältnisse in neue Dimensionen vor. An der gestrigen Bilanzpressekonferenz präsentierte der Verwaltungsrat Finanzen Stephan Werthmüller eine Umsatzzahl von 132 Millionen Schweizer Franken! Dies sind nochmal 27 Millionen mehr als beim bisherigen Rekordergebnis vor zwei Jahren, welches Werthmüller damals noch für nicht mehr übertreffbar hielt. Zum Vergleich: der FCZ hat 2015 einen Umsatz von 22,5 Millionen ausgewiesen. Das sind nicht 20, 30 oder 50% weniger, sondern es geht um den Faktor 6. Für den FCZ ist ein FC Basel zur Zeit genauso in einer anderen finanziellen Dimension wie in die andere Richtung ein FC Schaffhausen oder der nach dem Abgang des Türkischen Besitzers redimensionierte FC Wil. Winterthur, Xamax, Servette oder Aarau sind hingegen näher beim FCZ als der FCB.

Welche Schlüsse können Schweizer Klubs aus diesen Zahlen ziehen? Das Rekordergebnis verdankt der FCB den kürzlich abgeschlossenen TV-Verträgen in Deutschland und England. Durch diese stossen die dortigen Klubs finanziell in neue Sphären vor. Ein Teil dieses Geldes landet durch den «trickle down»-Effekt über den Transfermarkt in der Schweiz und anderen kleineren und mittleren Fussballländern. Die Transfereinnahmen machen für das Jahr 2016 rekordhohe 61 Millionen aus! Damit ist die auf Züri Live vor 8 Monaten berechnete Kennzahl von 1/3 bezüglich dem Anteil der Transfereinnahmen am Umsatz bei den Schweizer Topausbildungsklubs FCZ, GC und FCB zumindest für letzteren bereits wieder obsolet. Es ist nun beinahe die Hälfte! Auch die Transferausgaben des FCB sind mit 23 Millionen (für Spieler wie Balanta, Sporar, Elyounoussi und auch Bua vom FCZ) im Jahr 2016 so hoch wie noch nie gewesen.

Die Schweizer Fussballklubs werden de facto noch mehr als bisher zu Spielerhändlern und Spielerentwicklern. Auch wenn mercato-transfersdie Haupttätigkeit immer noch aus dem Bestreiten der nationalen und internationalen Wettbewerbe besteht, hat die wichtigste Quelle des Umsatzes wie in jeder anderen Branche natürlich einen wesentlichen Einfluss auf die getroffenen Entscheide – auch in sportlichen Belangen. Für die jungen Talente ist das gut. Die Trainer werden von ihrer Klubführung noch mehr dazu angehalten werden, im Zweifelsfall auf die Jungen zu setzen, weil nur diese die den Klub finanzierenden Transfersummen generieren können. Der sportliche Erfolg in Form von Meisterschaften und Cupsiegen wird in Zukunft noch mehr als bisher davon abhängen, wie gut es die Klubleitungen schaffen, an den Milliarden-Umsätzen der Top 5-Ligen direkt oder indirekt zu partizipieren. Dass die Wichtigkeit der Spielertransfers weiter zunimmt, ist für den FCZ positiv. Denn in diesem Bereich ist der Letzigrundklub erfolgreicher, als Konkurrenten wie St.Gallen oder Luzern.

Das Timing spielt bei den Abgängen nicht nur aus Spieler-, sondern auch aus Klubsicht eine entscheidende Rolle. Wechselt der Spieler zu früh, kann man weder sportlich noch finanziell die Früchte von dessen Ausbildung in angemessenem Ausmass ernten. Wechselt er zu spät, verstopft er die «Pipeline» für nachrückende Talente. Dass ein grosser «Talente-Umschlag» nicht zwingend schlecht für die sportlichen Resultate sein muss, beweisen seit Jahren Klubs wie Porto oder Benfica. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Talente-Pipeline gut gefüllt, und die 1.Mannschaft hervorragend geführt ist.

Die Transfereinnahmen werden zunehmend auch erst Jahre nach dem eigentlichen Verkauf des Spielers generiert. Dank «gut formulierten Verträgen», wie sich Werthmüller ausdrückt, hat der FC Basel diesen Sommer mit den Weiterverkäufen von Aleksandar Dragovic von Dynamo Kiev zu Bayer Leverkusen, und vor allem Granit Xhaka von Borussia Mönchengladbach zu Arsenal geschätzt 15-20 Millionen Franken verdient. Es hilft zusätzlich, wenn sich am anderen Ende der Transferkette ein professionell geführter internationaler Grossklub wie Arsenal befindet. Bei solchen Klubs muss man manchmal als Schweizer Verein nicht einmal seine Ansprüche anmelden. Diese nehmen sogar von sich aus Kontakt mit Ex-Vereinen auf, um die in der Vergangenheit von Drittparteien ausgehandelten Vertragsklauseln zu erfüllen, wie Werthmüller ausführt. Zudem habe er in seiner ganzen Amtszeit nur ein einziges Mal bei einem Klub Druck machen müssen, damit das Geld überwiesen wird. Die allfälligen Sanktionsmöglichkeiten über die FIFA oder UEFA seien gross, was international die Zahlungsmoral hochhält.

Die in der Schweiz auf die nächste Saison hin erhöhten TV-Gelder werden vor allem kleineren Klubs helfen, über die Runden zu kommen, bleiben für die grösseren Vereine hingegen weiterhin nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Zuschauer im Stadion hingegen sind in der Schweiz trotz steigender Transfererlöse nicht nur moralisch, sondern auch finanziell ultimativ wichtig. Nicht nur wegen der Ticket-, Catering- und Merchandisingeinnahmen, sondern auch aufgrund der positiven Zusatzeffekte aufs Sponsoring. In diesem Bereich macht beispielsweise YB mit seinen zahlreichen Aktionen und Aktivitäten zur Gewinnung und Pflege der verschiedenen Zuschauergruppen vieles richtig. Die Stadionzuschauer sind neben der Talententwicklung und guten Führung der 1.Mannschaft die Basis für künftige Erfolge von Schweizer Fussballklubs. 

Graphik: Khalil-aich7 (CC BY-SA 4.0)