Aargauer KaPo dreht an der Gewaltspirale

Die Kantonspolizei Aargau verfügt die Sperre des Gästeblockes im Fussballspiel FC Aarau gegen den FC Zürich von heute Samstag und behauptet, dies mit dem Ziel zu tun, die öffentliche Sicherheit zu wahren. Die Meldung kommt unerwartet, aber keineswegs überraschend. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorauszusehen, dass diese Massnahme grosses Potential hat, genau das Gegenteil von öffentlicher Sicherheit hervorzubringen. In den letzten Jahren war es rund um Fan-Randale an Fussballspielen in der Schweiz ziemlich ruhig geworden. Experten der Materie meldeten einen Rückgang der Vorfälle, in Basel beispielsweise war man drauf und dran, die Polizeikontingente für Einsätze an Fussballspielen wieder zu reduzieren.

Offenbar war es verschiedenen Verantwortlichen im Polizeiapparat nun zu ruhig geworden. Denn im Zuge des berühmt-berüchtigten „Hooligan-Konkordats“ waren den „Ordnungshütern“ ja weitreichende Ermächtigungen in die Hand gegeben worden, und dieser neugewonnenen Macht wollte man sich nun natürlich betätigen. Dies ist alles keine Überraschung. Denn es braucht schon sehr viel Naivität in Kombination mit einem Fensterplatz im Geschichtsunterricht, um den salbungsvollen Beteuerungen eines Staatsapparates vom „massvollen“ Einsatz solcher Machtmittel glauben zu schenken. Ebenfalls alles andere als ein neues Phänomen ist, dass die Staatsmacht massive Einschnitte in die Freiheits- und Menschenrechte zuerst gegen eine in der breiten Bevölkerung unbeliebte Gruppe, im aktuellen Fall die „Fussball-Fans“, einsetzt. Dies dient sowohl der Rechtfertigung wie auch der Gewöhnung der Bürger an verfassungswidrige Mittel, welche im Normalfall nie und nimmer mehrheitsfähig wären.

Der relativen Ruhe rund um Schweizer Fussballspiele wurde am 21.Februar mit dem im voraus geplanten Überfall der Zürcher Stadt- und Kantonspolizei auf 800 (!) friedlich Richtung Stadion ziehende FCZ-Fans und der anschliessenden sechsstündigen (!) Einkesselung ein Ende gesetzt. Wie an dieser Stelle damals vermutet, hat dieses Ereignis in der Südkurve ganz offensichtlich zu einer Radikalisierung geführt. Man braucht nicht Psychologie studiert zu haben, um zu verstehen, dass solche Ungerechtigkeiten und Kollektivbestrafungen, und dann noch von Seiten der mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Ordnungshüten, selbst bei ansonsten eher harmoniebedürftigen Gemütern starke Ressentiments wecken. Die radikalsten Elemente einer Fangruppierung erhalten so massiv Auftrieb, weil sie nun auch bei den Gemässigten zumindest teilweise auf Verständnis stossen.

Ganz in der Tradition ihrer Zürcher Kollegen eskaliert nun die Aargauer Kantonspolizei das Problem einer kleinen gewaltbereiten Gruppe innerhalb der Fanszene und schliesst gleich alle FCZ-Fans vom Spiel aus. Selbst Kinder dürfen nicht mit FCZ-Fanutensilien ins Stadion. Der lokale TV-Sender TV M1 schliesst daraus: „Zürcher Fans wollen wir nicht“. Nun heisst es also plötzlich ganz allgemein „Zürcher“ gegen „Aargauer“ – als Folge davon werden natürlich die radikalsten Strömungen in beiden Fanlagern starken Zulauf erhalten. Die ziemlich kurzfristig verhängte Massnahme der Aargauer KaPo wird heute zudem gewaltbereite Jugendliche aus der ganzen Schweiz wie die Motten zum Licht nach Aarau ziehen. Diese Entwicklungen müssen die Polizeistrategen voll und ganz auf ihre Kappe nehmen.

Im Brügglifeld-Stadion hatte es mit den FCZ-Fans in den letzten Jahren nie wesentliche Probleme gegeben. Im November war im Gegenteil der Zürcher Spieler Nico Elvedi von einem Wurfgeschoss aus dem Aarauer Sektor am Kopf getroffen worden. Und im Stadion randaliert wurde in den letzten Jahren nur ein einziges Mal, und dies durch Basler Fans nach dem Gewinn der Meisterschaft. Ansonsten gab es jeweils ausserhalb des Stadions wesentlich häufiger Probleme, als innerhalb –  zuletzt während und nach dem Heimspiel gegen St.Gallen, als die Gästefans ebenfalls angereist waren, aber aus Protest gegen die Preispolitik nicht ins Stadion hineingingen.

In einer Strassenumfrage eines VJ’s der Aargauer Zeitung äusserten gestern mehrere Aarauer Passanten, dass sie sich im Stadion jeweils sicher fühlen, in der Innenstadt aber nicht immer. Kein Wunder nehmen die Zuschauerzahlen in der Super League seit Jahren konstant zu. Die regelmässigen Stadionbesucher wissen, wie die Situation tatsächlich ist, während die Abwesenden durch die Medien-Hysterie rund um das Thema „Fussball-Fans“ eine andere Realität aufgetischt erhalten.  Man fühlt sich beim Lesen vieler Zeitungsartikel und Online-Kommentare über Fussball-Fans an Tacitus erinnert, welcher zu Zeiten Julius Cäsars die nördlich des Rheins lebenden Völker aus Propagandagründen rundweg als Barbaren beschrieben hat.

Die Polizeistrategen betreiben derweil Arbeitsbeschaffung für ihre Mitarbeiter. Es ist nicht immer klar, was als Grundlage ihrer Entscheidungen jeweils überwiegt: der böse Wille oder schlicht und einfach Ignoranz und Inkompetenz. Vor Jahresfrist bereits hatten die Zürcher und die Aargauer Kantonspolizei in einem gemeinsamen Effort mit absurden Sicherheits- und bürokratischen Hürden ein Testspiel zwischen dem FC Zürich und dem FC Biel untersagt, bei welchem vielleicht ein Dutzend Rentner und ein oder zwei Journalisten als Zuschauer anwesend gewesen wären. Die gleichen Stellen sind nun offenbar der Meinung, ein Aussperren aller Zürcher Fans würde in Aarau zur öffentlichen Sicherheit beitragen.

In Tat und Wahrheit werden hingegen sogar im Stadion selbst durch diese Massnahme die Risiken eher erhöht, denn normalerweise lassen sich die Ultras bereitwillig in ihren Fansektor einpferchen. Nun ist ein Stadionsturm nicht ausgeschlossen. Dies wäre im Brügglifeld von allen Seiten problemlos möglich. Und dies alles nur, weil es laut Mediensprecher Bernhard Graser offenbar das oberste Ziel der Kantonspolizei Aargau ist, „ein Zeichen zu setzen“. Genauso wie ein Teil der Zürcher Südkurve in den letzten Partien mit ihren Böllern „ein Zeichen setzen“ wollte gegen die Degradierung ihres Lieblingstorhüters David Da Costa, oder wie ein Teil der Basler Muttenzerkurve mit ihrem Sturm der Haupttribüne „ein Zeichen setzen“ wollte gegen das aus ihrer Sicht freche Auftreten der Gästefans. Die Polizei übernimmt bewusst oder unbewusst die Denk- und Handlungsweise der Ultras – es geht offenbar auch den Uniformierten in erster Linie darum, Präsenz zu markieren, Macht zu demonstrieren, Ohnmacht zu therapieren, zu zeigen, dass man „da“ ist, und sich nicht alles gefallen lässt. Die Polizeistrategen sollten sich vielleicht nochmal klar darüber werden, was eigentlich ihr Ziel ist. Kämpfen sie gegen die Hooligans oder gegen den Hooliganismus? Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe und erfordern völlig unterschiedliche Arten von Massnahmen. Im einen Fall wird eskaliert, im anderen deeskaliert.

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