Bei den „Osmanen“ in Ankara: Reisebericht aus einer skurrilen Welt
Das Journalisten-Leben kann schön sein! Zumindest bei Reisen in bestimmte Länder. Erstmal: der Preis! Zuvor immer individuell angereist, war Züri Live diesmal erstmals im Europacup bei der offiziellen Journalistenreise im Charter mit der Mannschaft dabei. Denn es wäre selbst in einer günstigen Absteige individuell nicht wirklich billiger gekommen. Aber hier handelte es sich um ein Viersternhotel! Mit Direktflug! Mit allen Transfers!
Ging es in Länder wie Spanien oder Tschechien waren die Preise der Journalistenreise jeweils gigantisch und individuell locker für weniger als die Hälfte organisierbar. Die Reise nach Ankara war so günstig, dass selbst ein Journalist einer grösseren Schweizer Zeitung bereit war, das Ganze aus dem eigenen Sack zu bezahlen, bevor er im letzten Moment seine Redaktion doch noch überzeugen konnte, dass die mögliche Qualifikation für die Sechzehntelfinals durch einen einheimischen Zweitligisten vielleicht doch die Spesen wert ist.
In den Tagen vor dem Abflug wurde es dann aber richtig kurios. Zuerst kam die Meldung von einem Upgrade. Die paar wenigen Journalisten wurden in ein 200 Meter entferntes nobles Fünfsterne-Hotel umquartiert. Einfach so. Ohne Begründung. Ohne Aufpreis. Mit der Mannschaft hatte das Ganze nichts zu tun, denn die war in einem dritten Hotel untergebracht. Etwas später leitete das Schweizer Reisebüro ein weiteres Gratisangebot vom Türkischen Tour Operator weiter: eine zuvor im Programm nicht eingeschlossene «City Tour» .
Der «lokale Guide» hiess Fatih und wurde extra aus Izmir eingeflogen. Teilweise in Holland aufgewachsen sprach und verstand er im Gegensatz zu 95% der Angestellten des Fünfsternehotels Englisch. Gleich von der ersten Minute im Bus kam Fatih zur Sache. Probleme und Korruption gäbe es ja überall auf der Welt. Ein Parlamentarier, der die Beerdigung eines «Terroristen» besucht, würde doch überall auf der Welt vor Gericht gestellt. Eine Journalistin, die einen Gerichtstermin versäumt, würde doch überall auf der Welt ins Untersuchungsgefängnis gesteckt. Später kam Fatih dann nochmal auf die «City Tour» zurück, die offenbar bei den Schweizer Journalisten keinen grossen Ansturm ausgelöst hatte und versuchte es diesmal über die persönliche Schiene. Er selber sei auch zum ersten Mal in Ankara und würde unbedingt gerne morgen die Atatürk-Monumente besuchen. Wer will mitkommen? Das Interesse blieb aber lau – schliesslich war man ja auf einer Arbeitsreise mit dem Auftrag, über sportliche Dinge zu berichten.
Was auf dem Anflug als erstes auffiel: in den Bergen um Ankara (auf rund 1’000 Meter über Meer gelegen) hat es mehr Schnee, als in den Österreichischen Alpen. Die Topographie der Grossstadt ist speziell, in ein sehr hügeliges Gelände gebaut, auf einem vielerorts nicht wirklich stabilen Untergrund. Es wird trotzdem viel gebaut. Grosse finanzielle Mittel aus dem nationalen Staatsetat fliessen direkt in die Landeshauptstadt. Eine grosse Anzahl an Gebäuden sieht aber leer oder unfertig aus. Die vielen Moscheen sind zum grössten Teil neueren Datums. Und überall sind grossflächige Türkische Flaggen aufgehängt.
Auch das Europa League-Spiel von Osmanlispor gegen den FC Zürich wurde in der ganzen Stadt mit Plakaten und Bannern auf den Hauptverkehrsachsen und Bushaltestellen beworben. Trotzdem kamen aus der Fünfmillionenstadt nur schätzungsweise 8’500 Zuschauer ins abgelegene Osmanli Stadi am Rande der Berge. Etwa gleich viele wie zuletzt in der Meisterschaft gegen Besiktas. Zu normalen Ligaspielen gegen Teams wie Eskisehir sind es rund 2’000 bis 3’000.
Bereits zwei Stunden vor Spielbeginn waren hunderte von Ordnern und Sicherheitskräften in und ums Stadion bereit auf ihren Plätzen. FCZ-Fans waren zu Spielbeginn erst etwa 25 anwesend. Stück für Stück erhöhte sich die Zahl bis zur Pause auf etwas mehr als 200. Dies machte sich akkustisch bemerkbar. Waren die Zürcher am Anfang gegen die grosse Überzahl der einheimischen Zuschauer kaum zu hören, konnten sie den Wettbewerb neben dem Feld mit der Zeit immer ausgeglichener gestalten.
Optisch war der Anblick des Gästesektors allerdings gewöhnungsbedürftig. Keine Fahnen, keine Banner. Dem Vernehmen nach wurde dies von Osmanlispor untersagt und dabei unter anderem mit von der UEFA verbotenen politischen Statements argumentiert. Ein Hohn! Das Stadion, die Fahnen, die Lieder der einheimischen Fans waren nichts anderes als ein einziges grosses politisches Statement. Mit mehreren Ausrufezeichen!!! Übergrosse Osmanische Kriegerfiguren am Stadioneingang und sogar am Spielfeldrand. Die immer gleiche martialische Musik, zu welcher die Zuschauer jeweils Fähnchen schwenken mussten. Eine Reihe von Flaggen auf der Gegentribünenseite, welche die glorreiche Geschichte nachzeichnen soll, von den Seldschuken über die Osmanen bis zur Türkischen Republik. Man kann es auch so formulieren: nimmt die UEFA ihr Verbot bezüglich politischer Statements wirklich ernst, dann dürfte in diesem Stadion ohne ein paar gröbere Modifikationen eigentlich gar nicht gespielt werden.
Einen eigentlichen einheimischen Fansektor als solchen gab es nicht. Vielmehr waren die einheimischen Zuschauer auf allen Tribünen in corpore aktiv in den Support der Mannschaft involviert. Dieser war zugegebenermassen ziemlich abwechslungreich. Über Echogesänge, Schalparaden und spezielle Parolen je nach Spielsituation war alles dabei. Vor dem Erreichen der Sechsminutenmarke wurde im ganzen Stadion der Countdown runtergezählt und dann an verschiedenen Orten im Stadionrund Konfetti in die Luft geworfen. Etwas skurril war, dass just mit Spielbeginn in einer Ecke des Stadions eine Blaskappelle zu spielen begann. Neben Osmanlispor-Fähnchen wurden an die Zuschauer auch Türkei-Fahnen verteilt, und als dann nach dem 2:0 der Sieg von Osmanlispor perfekt war, wurde dieser mit «Türkiye! Türkiye!»-Rufen aus dem weiten Stadionrund gefeiert. Dies war ja bereits vom Hinspiel in Zürich bekannt, als von den den Gästeklub mit Türkei-Fahnen bewaffnet unterstützenden Zuschauern die meisten aus politischen Motiven im Stadion waren, nicht weil sie wirklich Osmanlispor-Fans sind.
FCZ-Trainer Uli Forte wurde an der Pressekonferenz nach der Partie von einem einheimischen Journalisten nach den Chancen von Osmanlispor im weiteren Verlauf der Europa League befragt. Im für Forte aussergewöhnlichen Widerwillen auf diese Frage zu antworten, steckte eine ganze Menge Ärger, der ganz offensichtlich nichts mit der Niederlage zu tun hatte. Forte hielt sich aber an die an Spieler und Umfeld im Vorfeld herausgegebene Vorgabe, fokussiert aufs Sportliche zu bleiben, und sich von Schikanen nicht zu einer Reaktion provozieren zu lassen.
Laut Türkischen Journalisten wird Osmanlispor direkt aus den Steuereinnahmen Ankaras finanziert. Für Spieler wie Badou Ndiayé gab es Interesse aus der Bundesliga und von Topklubs in Frankreich. Dieser verlängerte stattdessen seinen Vertrag bei Osmanlispor bis 2020. Wohl eher nicht wegen dem interessanten und wechselhaften Wetter in der Hochebene von Ankara. In einer VIP-Loge im Stadion anwesend war der Oberbürgermeister von Ankara und Osmanlispor-Gründer, Melih Gökcek mit seiner Familie – ein AKP-Mitglied und enger Vertrauter von Staatspräsident Erdogan.
Gökcek und seine Söhne Osman und Ahmet propagieren die Türkei als Weltmacht, welche über die anderen Völker herrschen soll. Gökcek war stolz darauf, dass einige Spieler, deren Konterfei in der Form eines mittelalterlichen Kriegsbanners an der Haupttribüne hängt, ihn nach der Partie mit Winkzeichen aufforderten, in die Kabine zu kommen. Anschliessend stellte er sich vor dem Spielereingang des Stadions gerne den Türkischen TV- und Radiostationen – ständig bewacht von sieben bis acht wachsamen Bodyguards, die sich eng um ihn gruppierten.
Als Gökcek danach in die kalte Ankara-Nacht hinaus gefahren wurde, versendete er gleich 10 Tweets als Ausdruck der Freude an seine 3,5 Millionen Follower, darunter eines mit dem Bild von Osmanlispor-Trainer Mustafa Akcay als Sultan Fatih Mehmed, dem Eroberer von Konstantinopel 1453 und dem Spruch «Entweder werde ich die UEFA (Europa League) erobern oder die UEFA mich». Der angesprochene Akcay hatte verstanden, und liess sich am folgenden Tag denn auch in der regierungstreuen Zeitung «Sabah» zitieren, dass der Europa League-Final in Stockholm das Ziel von Osmanlispor sei.