Im Fahrplan – grosse Halbzeitbilanz der Challenge League, 3.Teil

Die Rückrunde hat begonnen. Nach der Hälfte der absolvierten Meisterschaft in der Challenge League können die zehn beteiligten Clubs in folgende drei Kategorien eingeteilt werden, je nachdem ob sie über, unter oder den Erwartungen entsprechend klassiert sind:

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Im Ersten Teil haben wir auf die drei Teams geschaut, welche in der Vorrunde die Erwartungen übertroffen haben. Im zweiten Teil waren die „Underachievers“ dran. Der dritte und letzte Teil behandelt die Teams, welche die Erwartungen erfüllt haben.

FC Chiasso – die Grenzstädter im ständigen Balanceakt

Der angeblich notwendige Zusammenschluss von mehreren Tessiner Traditionsvereinen zu einem Retortenklub «FC Ticino» war eine Zeit lang ein beliebtes Thema vor allem in der Deutschschweizer Presse. Es war die Zeit, als mit Bellinzona, Locarno, Lugano und Chiasso gleich vier Mannschaften aus dem 350’000-Einwohnerkanton (4% der Schweiz) in der Swiss Football League spielten, und damit 20% der Super League und Challenge League ausmachten. Es war damals gemessen an den engräumigen Schweizer Verhältnissen zwar «zeitraubend», aber eben auch schön, häufig ins sonnige Tessin zu fahren. Mittlerweile sind noch Lugano und Chiasso übriggeblieben, und die Sache mit dem Zusammenschluss hat sich wenig überraschend ebenfalls erledigt. Denn kommen tatsächlich «zu viele» Klubs aus einer bestimmten Region, dann hat sich ein solches «Problem» bisher noch immer mit der Zeit automatisch gelöst, ohne dass Traditionsklubs zerstört werden mussten. So auch diesmal.

Lugano spielt in der Super League, Chiasso ist als einzige Mannschaft in der Challenge League verblieben. Locarno ist mittlerweile in der comunale-chiasso-floodlights-hellviertklassigen 1.Liga angelangt, wo es um den Klassenerhalt bangen muss und in der Gruppe Ost hinter den Tessiner Konkurrenten Bellinzona und Mendrisio liegt. Das mit einigen ehemaligen Challenge League- und Super League-Spielern bestückte Bellinzona könnte Chiasso mittelfristig als Nummer 2 des Kantons ablösen. Aktuell halten sich die Grenzstädter aber trotz grossen sportlichen und finanziellen Herausforderungen weiter tapfer in der zweithöchsten Liga – bereits in der siebten Saison hintereinander. Wird es die verflixte siebte? Ein grosser Spielerumschlag sowohl im Sommer wie auch im Winter verheisst nichts Gutes. Es kommen praktisch nur noch junge Talente aus der Dritt- und Viertklassigkeit. Mit Milosavljevic und Lurati musste das «Tafelsilber» an Sion abgegeben werden. Dazu setzt Trainer Giuseppe Scienza die erfahrenen Regazzoni, Monighetti und Guatelli auf die Ersatzbank. Und erstmals seit dem Aufstieg zeigt der Marktwert-Trend auf transfermarkt.ch wieder abwärts.

Auswärts hat Chiasso in der Vorrunde nur zwei Mal verloren und im Vergleich zu den Heimspielen nur halb so viele Gegentore kassiert. Nur den Spitzenteams FCZ und Xamax konnte man in der Fremde keine Punkte abknöpfen. Vor der Winterpause haben die Rossoblu in Schaffhausen beim letzten Wettbewerbsspiel auf der altwehrwürdigen Breite einen grandiosen 2:1-Erfolg feiern können. Ob man die verstärkten und im neuen LIPO Park hausierenden Munotstädtern bei deren Ansturm aus dem Tabellenkeller aufhalten kann, ist fraglich. Also müsste man ein weiter vorne liegendes Team überholen, um den Abstieg zu verhindern – zum Beispiel Wohlen oder Winterthur. Oder wieder einmal mit Ach und Krach selbst die Lizenz für die kommende Saison erhalten, gleichzeitig aber vom Rückzug (Le Mont) oder Konkurs (Wil) eines Konkurrenten profitieren.

Servette FC – grosse Ambitionen und vergeudetes Talent

Der Genfer Traditionsklub (17 Meistertitel, 7 Cupsiege) hat sich das klare Ziel gesteckt, im Sommer 2018 nach zwei Challenge League-Jahren in die Super League aufzusteigen. Und teilt dieses Ziel unter anderem mit dem FC Aarau. Die Ambitionen wurden in der Winterpause mit dem Trainerwechsel von Anthony Braizat zu Meho Kodro unterstrichen, und nach drei Runden steht dessen Team als einziges noch verlustpunktlos da. Natürlich profitieren sie dabei auch von der Treffsicherheit ihres Kamerunischen Stürmers Jean-Pierre Nsamé (18 Tore in 17 Partien), der ohne einen privaten Schicksalsschlag niemals in der Challenge League gelandet wäre.

stade-de-geneve-vs-fcz-negativ-bildDas Zuschauerinteresse in der Calvinstadt ist volatil und stark vom Erfolg abhängig. Im September kamen im Heimspiel gegen den FCZ über 8’000 Fans. Als die Zürcher dann aber im Februar mit einem grossen Punktevorsprung im Gepäck erneut in die Calvinstadt reisten, waren nur noch 2’600 vor Ort. Nach dem 2:1-Heimspielerfolg gegen den Leader war die Euphorie aber sofort wieder da – in Winterthur waren am darauffolgenden Wochenende so viele Servette-Fans vor Ort wie schon lange nicht mehr an einem Auswärtsspiel. Der Stamm der Mannschaft ist immer noch der gleiche, welcher letzte Saison in der Promotion League den Aufstieg geschafft hat, als man im Heerenschürli gegen die 2.Mannschaft des FCZ antrat, anstatt im Letzigrund gegen das Fanionteam.

Etwas überraschend wurde das Stürmertalent Adler Da Silva zuletzt gleich zwei Ligen tiefer zu Etoile Carouge verliehen. Zwar ist Carouge ein Partnerklub von Servette und im Abstiegskampf, aber der Entwicklung des Juniorennationalspielers wird dies kaum guttun. Dies nachdem Servette in den letzten Jahren seine Toptalente wie Lorenzo Gonzalez (Manchester City), Jeremy Guillemenot (Barcelona), Dereck Kutesa (Basel) und Denis Zakaria (YB) einer nach dem anderen sehr früh verloren hat.

FCZ – ein Halbjahr reich an unvergesslichen Momenten

Der Herbst 2016 wird in Erinnerung bleiben – so viel ist sicher! Und am Ursprung von allem stand die vorhergende Saison mit dem Misserfolg in der Liga und gleichzeitig starken Leistungen im Cup. Der FCZ ist zum zweiten Mal innert zwei Jahren im Madrigal von Villarreal zu Gast und bereits nach 70 Sekunden dreht Armando Sadiku jubelnd ab. Nach 70 Sekunden traf Züri in dieser Vorrunde gleich mehrmals. Fortes Mannen waren in den meisten Spielen von der ersten Minute an parat. Der Herbst 2016 ist die Geburtsstunde für so vieles: vor allem ist es die Geburtstunde des Kantonsderbys. 13’000 Fans kommen zum Auftakt gegen Winterthur bei Regenwetter in den Letzigrund und auf einer übervollen Schützenwiese versuchen kaum weniger Fussballinteressierte im Dezember die Spieler durch den Nebel zu erspähen. Es war mehr als ein Fussballspiel mit Fussballfans – es war ein gesellschaftlicher Anlass.

Im Herbst 2016 spielt sich auch die Wiedergeburt von Marco Schönbächler ab. Der Urdorfer, schon seit 10 Jahren in der 1.Mannschaft, kehrt letzigrund-scho-mal-gschlage-nomal-schlah-comicnach anderthalbjähriger Verletzungspause Anfang August gegen Wohlen als noch 30 Minuten zu spielen sind zurück – Gänsehautstimmung im Letzigrund! Aus der Gänsehaut wird im ersten Europa League-Heimspiel als Zweitligist gegen Osmanlispor eine Eruption – Schönbächlers Tor nach einem Solo über den halben Platz ist schon früh das Tor des Jahres – bis ein 18-jähriger Testspieler mit Namen Khalil Elnouby beim Freundschaftsspiel gegen Vaduz an der Churer Ringstrasse mit einem spektakulären Fallrückzieher nach einer flüssigen Kombination über die rechte Seite Schönbis Treffer zumindest starke Konkurrenz machte.

Nur wenige Tage nach dem Osmanlispor-Spiel: ein Bild für die Ewigkeit. Sonnyboy Moussa Koné nach seinem 5:0 in der Niedermatten mit einem «Stage Dive» mitten in die Fans. Überhaupt: die Fans. Die Unterstützung der Mannschaft ist in der Challenge League im übertragenen Sinne auf Champions League-Niveau. Im übertragenen Sinne deshalb, weil in der Realität die Stimmung bei vielen Champions League-Partien nicht an diejenige von FCZ-Spielen in der Challenge League herankommt. Die Kreativität und der Aufwand bei den Choreos ist Extraklasse wie eh und je.

Es ist ein vertrautes Bild – einerseits. Sechs Busse vollbepackt mit Fussballfans werden von Polizeiautos Richtung Stadion eskortiert. Man kennt solche Bilder aus Rom, Paris, Amsterdam. Nicht aber aus Vuiteboeuf. Nicht auf einer schmalen Landstrasse quer durch die lieblichen Matten des Waadtländer Jurasüdfusses. Im fernen Baulmes füllten die FCZ-Fans den gesamten Fansektor komplett und konnten Schönbächlers schönes Weitschusstor bestaunen – sein Premierentreffer nach dem Comeback. Die Südkurve reagierte aber auch grossartig, als der auch auf den Strassen von Zürich ausgetragene innertürkische Konflikt ins Letzigrundstadion überschwappte: sie machte klar, dass im Letzi Fussball und der FCZ regiert, und sang die ganze Pause des Spiels gegen Osmanlispor durch. Sie dämpfte damit die politisch erhitzten Gemüter, und erstickte die Eskalation im Keim.

61 Millionen Transfererlös – Schweizer Klubs werden zu Spielerhändlern

Der FC Basel stösst mit dem Geschäftsjahr 2016 finanziell für Schweizer Verhältnisse in neue Dimensionen vor. An der gestrigen Bilanzpressekonferenz präsentierte der Verwaltungsrat Finanzen Stephan Werthmüller eine Umsatzzahl von 132 Millionen Schweizer Franken! Dies sind nochmal 27 Millionen mehr als beim bisherigen Rekordergebnis vor zwei Jahren, welches Werthmüller damals noch für nicht mehr übertreffbar hielt. Zum Vergleich: der FCZ hat 2015 einen Umsatz von 22,5 Millionen ausgewiesen. Das sind nicht 20, 30 oder 50% weniger, sondern es geht um den Faktor 6. Für den FCZ ist ein FC Basel zur Zeit genauso in einer anderen finanziellen Dimension wie in die andere Richtung ein FC Schaffhausen oder der nach dem Abgang des Türkischen Besitzers redimensionierte FC Wil. Winterthur, Xamax, Servette oder Aarau sind hingegen näher beim FCZ als der FCB.

Welche Schlüsse können Schweizer Klubs aus diesen Zahlen ziehen? Das Rekordergebnis verdankt der FCB den kürzlich abgeschlossenen TV-Verträgen in Deutschland und England. Durch diese stossen die dortigen Klubs finanziell in neue Sphären vor. Ein Teil dieses Geldes landet durch den «trickle down»-Effekt über den Transfermarkt in der Schweiz und anderen kleineren und mittleren Fussballländern. Die Transfereinnahmen machen für das Jahr 2016 rekordhohe 61 Millionen aus! Damit ist die auf Züri Live vor 8 Monaten berechnete Kennzahl von 1/3 bezüglich dem Anteil der Transfereinnahmen am Umsatz bei den Schweizer Topausbildungsklubs FCZ, GC und FCB zumindest für letzteren bereits wieder obsolet. Es ist nun beinahe die Hälfte! Auch die Transferausgaben des FCB sind mit 23 Millionen (für Spieler wie Balanta, Sporar, Elyounoussi und auch Bua vom FCZ) im Jahr 2016 so hoch wie noch nie gewesen.

Die Schweizer Fussballklubs werden de facto noch mehr als bisher zu Spielerhändlern und Spielerentwicklern. Auch wenn mercato-transfersdie Haupttätigkeit immer noch aus dem Bestreiten der nationalen und internationalen Wettbewerbe besteht, hat die wichtigste Quelle des Umsatzes wie in jeder anderen Branche natürlich einen wesentlichen Einfluss auf die getroffenen Entscheide – auch in sportlichen Belangen. Für die jungen Talente ist das gut. Die Trainer werden von ihrer Klubführung noch mehr dazu angehalten werden, im Zweifelsfall auf die Jungen zu setzen, weil nur diese die den Klub finanzierenden Transfersummen generieren können. Der sportliche Erfolg in Form von Meisterschaften und Cupsiegen wird in Zukunft noch mehr als bisher davon abhängen, wie gut es die Klubleitungen schaffen, an den Milliarden-Umsätzen der Top 5-Ligen direkt oder indirekt zu partizipieren. Dass die Wichtigkeit der Spielertransfers weiter zunimmt, ist für den FCZ positiv. Denn in diesem Bereich ist der Letzigrundklub erfolgreicher, als Konkurrenten wie St.Gallen oder Luzern.

Das Timing spielt bei den Abgängen nicht nur aus Spieler-, sondern auch aus Klubsicht eine entscheidende Rolle. Wechselt der Spieler zu früh, kann man weder sportlich noch finanziell die Früchte von dessen Ausbildung in angemessenem Ausmass ernten. Wechselt er zu spät, verstopft er die «Pipeline» für nachrückende Talente. Dass ein grosser «Talente-Umschlag» nicht zwingend schlecht für die sportlichen Resultate sein muss, beweisen seit Jahren Klubs wie Porto oder Benfica. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Talente-Pipeline gut gefüllt, und die 1.Mannschaft hervorragend geführt ist.

Die Transfereinnahmen werden zunehmend auch erst Jahre nach dem eigentlichen Verkauf des Spielers generiert. Dank «gut formulierten Verträgen», wie sich Werthmüller ausdrückt, hat der FC Basel diesen Sommer mit den Weiterverkäufen von Aleksandar Dragovic von Dynamo Kiev zu Bayer Leverkusen, und vor allem Granit Xhaka von Borussia Mönchengladbach zu Arsenal geschätzt 15-20 Millionen Franken verdient. Es hilft zusätzlich, wenn sich am anderen Ende der Transferkette ein professionell geführter internationaler Grossklub wie Arsenal befindet. Bei solchen Klubs muss man manchmal als Schweizer Verein nicht einmal seine Ansprüche anmelden. Diese nehmen sogar von sich aus Kontakt mit Ex-Vereinen auf, um die in der Vergangenheit von Drittparteien ausgehandelten Vertragsklauseln zu erfüllen, wie Werthmüller ausführt. Zudem habe er in seiner ganzen Amtszeit nur ein einziges Mal bei einem Klub Druck machen müssen, damit das Geld überwiesen wird. Die allfälligen Sanktionsmöglichkeiten über die FIFA oder UEFA seien gross, was international die Zahlungsmoral hochhält.

Die in der Schweiz auf die nächste Saison hin erhöhten TV-Gelder werden vor allem kleineren Klubs helfen, über die Runden zu kommen, bleiben für die grösseren Vereine hingegen weiterhin nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Zuschauer im Stadion hingegen sind in der Schweiz trotz steigender Transfererlöse nicht nur moralisch, sondern auch finanziell ultimativ wichtig. Nicht nur wegen der Ticket-, Catering- und Merchandisingeinnahmen, sondern auch aufgrund der positiven Zusatzeffekte aufs Sponsoring. In diesem Bereich macht beispielsweise YB mit seinen zahlreichen Aktionen und Aktivitäten zur Gewinnung und Pflege der verschiedenen Zuschauergruppen vieles richtig. Die Stadionzuschauer sind neben der Talententwicklung und guten Führung der 1.Mannschaft die Basis für künftige Erfolge von Schweizer Fussballklubs. 

Graphik: Khalil-aich7 (CC BY-SA 4.0)