Nicht, dass es noch ein Geheimnis gewesen wäre – es ist ja auch längst vom Eidgenössischen Amt für Geistiges Eigentum patentiert und bestätigt: Wahnsinn, Drama und Kuriositäten im Fussball sind im FCZ zu Hause. Sechs Minuten vor Schluss im Cup-Viertelfinal gegen den FC Thun noch mit 1:3 im Rückstand, dreht das Letzigrund-Team die Partie noch in der regulären Spielzeit mit drei Toren in Folge und zieht in den Halbfinal ein. Ausgerechnet der seine bisher schlechteste Leistung im FCZ-Dress abliefernde Rasmus Thelander erzielt mit seinem ersten Tor für den Stadtklub den 3:3-Ausgleich in der 90. Minute. Die in der Schlussphase aus dem Mittelfeldzentrum agierenden Rodriguez und Rüegg bringen die Angriffsmaschine in Gang, und Michi Frey bleibt zwei Mal im Abschluss eiskalt.

Der «Gameplan» war für den FC Thun derselbe wie schon in den drei vorherigen Cup-Partien gegen unterklassige Mannschaften: von Beginn weg Vollgas geben. Auch diesmal gelang es den Berner Oberländern schon früh, zwei Tore zu erzielen. Dazu kam in der Zweiten Halbzeit ein Kontertor zum 3:1. Bis dahin unterschied sich die Partie beim FCZ für den FC Thun kaum von den bei Stade Payerne (2:1), in Wil (3:0) und bei Stade Nyonnais (3:1) gespielten Runden. Der Unterschied kam erst in der Schlussphase zum Tragen. Der FCZ vermochte die unweigerliche Müdigkeit Thuns nach deren kräfteraubender Ersten Halbzeit besser ausnutzen, als die vorherigen Gegner. In der Anfangsphase des ersten Durchganges hatte das Forte-Team noch dagegenhalten und die Partie ausgeglichen gestalten können, aber vor allem Mitte der Halbzeit verschaffte sich Thun Vorteile in den Bereichen Zielstrebigkeit, Handlungsschnelligkeit, Aggressivität und Laufumfang.

Uli Forte hatte in der Startformation Moussa Koné für Roberto Rodriguez aufgestellt. In der Ersten Halbzeit ging dieser Wechsel überhaupt nicht auf: Koné half dem FC Thun mit seinen vielen Ballverlusten ins Spiel zu kommen. Alain Nef spielte an Stelle des noch leicht angeschlagen auf der Bank sitzenden Cédric Brunner eine durchschnittliche Partie. Yanick Brecher kassierte drei Tore, wobei er vor allem das dritte mit einem nach vorne abgewehrten Ball mit anschliessendem Stellungsfehler begünstigte. In der Szene davor hatte er gegen den gerade erst eingewechselten jungen Thuner Stürmer Dzonlagic bereits einmal zur Seite abgewehrt gehabt. Bei den Berner Oberländern wirkte Torhüter Francesco Ruberto nach seinen zwei Patzern in der Meisterschaft gegen den FC St. Gallen vor allem beim 1:2 von Moussa Koné etwas indisponiert. Dem FCZ kam ebenso entgegen, dass der 19-jährige Timo Righetti in seinem ersten Profieinsatz zwar sehr engagiert spielte, unter anderem aber ebenfalls beim ersten Zürcher Treffer bezüglich Zweikampfverhalten Lehrgeld bezahlen musste.

FCZ – Thun 4:3 (0:2)

Tore: 9. Sorgic (Kablan) 0:1, 24. Rapp (Hediger) 0:2; 51. Koné (Dwamena) 1:2, 77. Rapp (Dzonlagic) 1:3, 85. Frey (Rodriguez) 2:3, 90. Thelander (Koné) 3:3, 90.+4 Frey (Pa Modou) 4:3.

FC Zürich: Brecher; Nef, Bangura, Thelander; Rüegg, Palsson (81. Odey), Sarr (46. Winter), Pa Modou; Dwamena (69. Rodriguez), Frey, Koné.

Thun: Ruberto; Glarner, Bürgy, Gelmi, Kablan; Righetti, Hediger, Lauper, Spielmann (72. Dzonlagic); Rapp, Sorgic.

1. Zufall oder Schicksal?

Schlecht stehende Sterne sehen wahrlich anders aus. Der Cupfinal findet 2018 statt und in graden Jahren hat der FCZ zuletzt jeweils den Cup gewonnen. Gleich drei Gegner der Cupsiegersaison 2013/14 (Bassersdorf, Stade Lausanne-Ouchy, Thun) wurden dem FC Zürich erneut zugelost – eine unglaublich unwahrscheinliche Fügung. Die Amateur-Mathematiker von Züri Live haben für das Eintreffen eines solchen Falles eine Wahrscheinlichkeit von 0,000007% errechnet. Ausserdem hat man den ersten Super League-Gegner erst im Viertelfinal zugelost erhalten und dann erst noch zu Hause im Letzigrund – wo die Zürcher Equipe den gleichen Gegner im März 2014 in ebenjener Cupsiegersaison in einem engen Halbfinal bezwungen hatte. Auch auf dem Weg zum Cuptitel 2016 wurde der FC Thun im Viertelfinal bezwungen. Bei so vielen schicksalshaften Vorzeichen ist es nicht verwunderlich, dass Züri Live-Experte Thomas Renggli in seiner bekannt provokativ-optimistischen Art davon spricht, dass an der Werdstrasse in der Vitrine schon mal Platz geschaffen werden müsse.

2. Wie schlägt sich Yanick Brecher?

Der FCZ hat Yanick Brecher zum Cupgoalie dieser Saison bestimmt. Vor seinem Kreuzbandriss hatte der 24-jährige am 7. Mai 2016 bei der 2:3-Heimniederlage gegen den FC Basel sein letztes Spiel gegen ein Super League-Team bestritten. Ein nicht unwesentlicher Faktor für den Abstieg in die Challenge League in der Saison 2015/16 war das Torhüterduo Brecher / Favre gewesen – neben GC mit Vasic / Mall das schlechteste Torhüterduo der Liga. Wirklich viele Punkte verlor der FCZ mit Brecher im Tor (Punkteschnitt: 0,82 pro Spiel, nur drei Siege in 22 Partien), während man mit dem Punkteschnitt des bescheiden talentierten, aber einigermassen soliden Favre (1,14 Punkte pro Spiel) im Mittelfeld der Tabelle (6. Platz) gelandet wäre. Seit der Rückkehr von seiner Verletzung wirkt Brecher im Vergleich zu vor zwei Jahren etwas stabiler. Trotzdem sind Raumgefühl und Timing, das absolute A und O eines Torhüters, im Vergleich zu anderen Super League-Torhütern immer noch weit unterdurchschnittlich. Ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit: Brecher lässt sich in einem Testspiel gegen den FC Dietikon durch einen von der Mittellinie getretenen direkten Freistoss von Marjan Jelec erwischen, im Promotion League-Spiel beim SC Brühl verzichtet Brecher bei einem Freistoss aus 25 Metern auf eine Mauer und lässt den alles andere als platziert getretenen Schuss von Alessandro Riedle passieren, bei Stade Lausanne-Ouchy trifft Bradley Bavueza zur eigenen Überraschung in die nahe Ecke, weil Brecher denkt, der Ball fliege neben das Tor, und den Arm zurückzieht. In insgesamt 36 Promotion League-Partien schaffte es Brecher nur fünf Mal seinen Kasten reinzuhalten – eine «Weisse Weste»-Quote von 14%. Zum Vergleich: Andris Vanins hat in der zwei Stufen höheren Super League eine «Weisse Weste»-Quote von 33%. Immerhin besteht die in dieser Saison bisher erfolgreiche Zürcher Defensive nicht nur aus dem Torhüter. Die ganze Mannschaft arbeitet meist so gut, dass man den Gegnern nur wenig echte Torchancen zugesteht.

3. Gibt’s Gänsehaut nicht nur wegen dem Wetter?

So wie im März 2014. Unvergessen: das Penaltyschiessen des Cup-Halbfinals im Letzigrund…

 

Wie in Sion gibt es erneut mit 43 sehr viele Top-Offensivaktionen – der zweithöchste Wert seit Beginn der Messung von Züri Live. Wiederum ist ein wichtiger Grund dafür das vor allem in der Zweiten Halbzeit immer besser in Gang kommende Kombinationsspiel über 10 und mehr Stationen. Die beiden Tore fallen allerdings auch diesmal auf relativ direktem Weg nach einem Ballgewinn von Rasmus Thelander im Mittelfeld (1:0) und einem durch Adrian Winter gegen Elton Monteiro gewonnenen Laufduell nach einem durch die Lausanner Hintermannschaft abgewehrten Eckball (2:0).

Most Valuable Player ist erstmals Pa Modou Jagne. Der linke Aussenläufer zeigt bisher grosse Leistungsschwankungen wie kaum ein anderer FCZ-Spieler. In 11 seiner 17 Wettbewerbseinsätze gab es von Züri Live eine ungenügende Note. Der Gambier macht viele Fehler, bügelt diese aber relativ häufig selbst wieder aus. Kevin Rüegg konnte auf seiner angestammten Position auf rechts vor allem in der Anfangsphase immer wieder seine Schnelligkeit ausspielen. Cédric Brunner fand nach seiner schwierigen Partie gegen YB’s Roger Assalé im Duell mit Lausanne wieder zu seiner guten Form zurück, zumal sein Gegenpart Samuele Campo nicht seinen besten Tag erwischte.

Spielbestimmend beim FCZ war auch diesmal Roberto Rodriguez. An elf der 15 Torchancen war der Zürcher beteiligt, spielte die meisten Steilpässe und Flanken, und schlug mit einer Ausnahme alle Standards in Strafraumnähe. Rodriguez steht für das spielerische aber auch läuferische Element im Zürcher Team. Was ihm fehlt, ist Speed – den müssten eigentlich Raphael Dwamena beziehungsweise Moussa Koné in die Waagschale werfen können. Diese schaffen es aber noch zu wenig häufig, die Tiefe zu suchen und ihre Stärken in akute Torgefahr ummünzen zu können.

Wie nah Freud und Leid, Top und Flop im Fussball beieinander sein können, zeigten zwei Situationen nach FCZ-Eckbällen in der 2. Halbzeit.

1. Situation: In der 60. Minute nahm Kevin Rüegg an der Strafraumgrenze zu viel Risiko und haute am Ball vorbei. Daraus entstand, weil die Waadtländer antizipativ schnell umschalteten, und der FCZ etwas zu wenig abgesichert hatte, ein Lausanner Konter mit einer Vier gegen Eins-Situation. Zum Glück für den FCZ zeigte sich der ballführende Samuele Campo von seiner kompliziert-verspielten Seite. Anstatt einen kurzen einfachen Steilpass auf Toptorschütze Francesco Margiotta zu spielen, der freie Bahn Richtung Tor hatte, spielte der ehemalige Basler den Ball nach rechts aussen. Weil dieser Pass zudem in Schärfe und Richtung auch noch unpräzis war, wurde Adressat Kololli zu weit abgedrängt, was Andris Vanins dank dem Abschluss aus relativ spitzem Winkel eine gute Abwehrchance bot. Nur drei Minuten später bekam Michael Frey im Zusammenspiel mit Sangoné Sarr den Ball auf einer idealen Schussposition aufgelegt, und fackelte nicht lange mit einem präzisen Drehschuss – sechstes Saisontor für den Mittelstürmer.

2. Situation: In der 81. Minute hing der Ausgang der Partie noch einmal an einem seidenen Faden, denn es gab wieder eine für den FCZ heikle Situation bei einem eigenen Eckball. Die Lausanner postierten gleich vier Spieler an der Mittellinie für den anschliessenden möglichen Konter – zu diesen gesellten sich vier Zürcher. Einer dieser vier war Adrian Winter, der nach dem Lausanner Befreiungsschlag entscheiden musste, ob er auf diesen Ball wie der aus dem Strafraum heraneilende Elton Monteiro wirklich sprinten will. Winter hatte den deutlich weiteren Weg, es wurde eng, er kam aber trotzdem zuerst an den Ball – vor allem auch dank seiner Frische als Einwechselspieler. Wäre Monteiro zuerst am Ball gewesen, hätte Lausanne beim Konter wieder eine Überzahlsituation gehabt. So aber hatte Laufduellgewinner Winter Platz und Zeit, um den ebenfalls eingewechselten Alain Nef ausfindig zu machen. Dieser war im Strafraum so unbedrängt wie in dieser Saison noch nie und konnte so die 2:0-Entscheidung mit einem Kopfball in die linke untere Ecke realisieren. Was diese Szene ebenfalls vor Augen führt: der FCZ stellt sich bei einer 1:0-Führung nicht einfach nur hinten rein und begnügt sich mit dem knappsten aller Vorsprünge, sondern nimmt auch ein gewisses Risiko in Kauf, um die Entscheidung herbeizuführen. «La partita è chiusa» sagte denn auch nach diesem zweiten Tor der Tessiner TV-Kommentator.

In der Anfangsphase holte das Team von Trainer Uli Forte über die rechte Seite mit dem schnellen Kevin Rüegg innerhalb von acht Minuten vier Eckbälle heraus. Der FCZ schaffte es aber in den ganzen 45 Minuten trotzdem kaum mal, in gute Abschlussposition zu kommen. Lausanne parkierte Francesco Margiotta allein auf weiter Flur vorne in der Spitze und blieb mit dem Rest der Mannschaft kompakt hinten. Zu Beginn der Saison hatte das noch ganz anders ausgesehen. Lausanne-Sport stürmte und spielte sehr offensiv – und kassierte in fünf Partien 15 Gegentore, holte so nur einen Punkt. Seit der Umstellung auf die defensive Ausrichtung läuft es deutlich besser. Der vor kurzem an das Britisch-Schweizerische Unternehmen INEOS verkaufte Klub gewann seither unter anderem in Basel, gegen YB – und in St. Gallen gleich mit 4:0. Die etwas zufällig nach einer abgefälschten Palsson-Flanke zustandegekommene Dreifachchance für Sarr, Dwamena (Pfostenschuss) und Pa Modou in der 52. Minute war dann aber die Initialzündung für ein etwas offeneres Spiel im «Zweiten Akt» des Fussballabends. Am Ende der Partie hatten die Ligastatistiker inklusive geblockte Abschlüsse 20 FCZ-Torschüsse gezählt – davon acht aufs Lausanner Tor. Noch nie in dieser Saison hatte das Letzigrund-Team bisher mehr zu verzeichnen gehabt – erstaunlich nach einer so chancenarmen Ersten Halbzeit.

FCZ – Lausanne-Sport 2:0 (0:0)

Tore: 63. Frey (Sarr) 1:0, 81. Nef (Winter) 2:0.

FC Zürich: Vanins; Thelander, Bangura, Brunner (72. Nef); Rüegg (64. Winter), Palsson, Sarr, Pa Modou; Dwamena (72. Koné), Frey, Rodriguez.

Lausanne-Sport: Castella; Monteiro, Manière, Rochat (67. Marin); Kololli, Maccoppi, Tejeda (72. Dominguez), Gétaz; Campo, Zarate (83. Zeqiri); Margiotta.

1. Erleidet der FCZ wieder einen November-Knick?

Letzte Saison kam der FCZ Mitte Juli stark aus den Startlöchern und hielt die Pace bis Mitte November durch. Diese Saison sieht es bisher ähnlich aus. Als Aufsteiger mit dem sechsthöchsten Budget der Liga ist man erstaunlich gut gestartet. Kommt erneut der November-Knick? Wäre dies der Fall, könnte es der FCZ sicherlich weniger gut überspielen wie noch vor Jahresfrist. Damals spielte man noch eine Liga tiefer und vermochte gewisse Spiele auch mit einer mässigen Leistung für sich zu entscheiden. Ausserdem war in jener Phase Alain Nef enorm wichtig, in dem er mit unbändigem Kampfgeist das ein oder andere Spiel für seine Nebenleute noch aus dem Feuer riss. Nun ist man wieder in der Super League, und Alain Nef war zuletzt angeschlagen. Wie schon vor Jahresfrist steht Adrian Winter symbolisch sowohl für den starken Start, wie auch für das Nachlassen Richtung Winterpause. Kevin Rüegg hat zuletzt auch im Training öfter mal auf dessen Position als Rechter Aussenläufer agiert und es ist durchaus möglich, dass er gegen Lausanne da auf dem rechten Couloir in die Startformation rückt. Zumal Victor Palsson sich im Zentrum zuletzt etwas besser etabliert hat.

2. Gibt es vor der Winterpause noch Verstärkung aus den eigenen Reihen?

Nicht zum ersten Mal stellt sich hier die Frage: Können die Fans für den Schlussspurt vor der Winterpause auf Verstärkung der Mannschaft aus den eigenen Reihen hoffen? Kann der ein oder andere zuletzt verletzt gewesene Spieler bereits eingreifen? Armin Alesevic, Michael Kempter, Yassin Maouche, Antonio Marchesano und Marco Schönbächler sind aktuell verletzt, rekonvaleszent oder im Aufbau begriffen. Aus den Äusserungen von Trainer UIi Forte in den letzten Wochen lässt sich herauslesen, dass es auf keinen Fall eine Feuerwehrübung geben soll. Erste Priorität ist, dass die betroffenen Spieler auf den Rückrundenstart hin in Bestverfassung kommen. Mirlind Kryeziu und Antonio Marchesano sind schon seit längerer Zeit (wenn auch bei Marchesano noch reduziert) im Mannschaftstraining mit dabei und beide machen dabei auf den Betrachter von Züri Live den Eindruck, dass sie bei ihrer Rückkehr die Mannschaft verstärken können. Kryeziu werden zur Zeit in der Promotion League von Spiel zu Spiel immer mehr Spielminuten zugestanden. Zuletzt bei der 1:5-Klatsche in Köniz waren es 65 Minuten.

3. Wer schiesst die Tore….und wie viele?

Bei Spielen mit Lausanne-Beteiligung gibt es die meisten Tore in der Super League: 53 an der Zahl bisher in 15 Begegnungen. Ganz anders beim FCZ – dieser hat mit 30 und genau zwei im Schnitt pro Partie den tiefsten Wert der Liga. Die erste Direktbegegnung der Saison auf der Pontaise (1:1 nach den Toren von Roberto Rodriguez und Francesco Margiotta) entsprach genau diesem FCZ-Schnitt. Auf der Pontaise im September hatte das Forte-Team eine starke erste halbe Stunde zu verzeichnen, in welcher Roberto Rodriguez das Spiel in die Hand nahm. Auch wettbewerbsübergreifend haben bisher in dieser Saison erst acht FCZ-ler ins Schwarze getroffen. Adi Winter hatte in dieser Saison bisher acht Abschlüsse, ohne ein Tor zu erzielen, Sangoné Sarr gar neun. Die beste Chancenverwertung hat mit 33% bisher Dzengis Cavusevic – allerdings war der grösste Teil seiner Spielzeit im Cup gegen unterklassige Gegner. Speziell Raphael Dwamena und Roberto Rodriguez müssen ihr Visier besser einstellen, denn sie kommen auch immer wieder im Strafraum zum Abschluss, und haben trotzdem eine Chancenverwertung von nicht über 15%. Schon 19 Spieler kamen in dieser Saison bei einem Wettbewerbsspiel zum Abschluss – Raphael Dwamena hatte mit 47 Schüssen auf oder neben das Tor die meisten Torchancen zu verzeichnen.

Gegen den zu Hause offensivstarken Leader aus Bern kommt der FCZ so stark unter Druck, wie noch nie in dieser Saison. 99% Form und 99% Aufmerksamkeit genügt im Wankdorf nicht. Der Zentrale Verteidiger Umaru Bangura ist deutlich häufiger als Feuerwehrmann gefordert, als normal. Dies vor allem auch weil der sich zuletzt in guter Verfassung präsentierende Cédric Brunner gegen den zur Zeit giftigsten Offensivmann der Liga, Roger Assalé, genauso wie Pa Modou Jagne an seine Grenzen stösst. Dank der Umstellung auf ein defensiver ausgerichtetes 3-5-2 hat der FCZ in Bern bis zum Schluss reelle Chancen auf zumindest einen Punkt.

Kevin Rüegg ist nach dem 1:1 gegen St. Gallen in der 7. Runde zum zweiten Mal MVP. Auf seiner halbrechten Achterposition erstickt er viele Berner Angriffe über diese Seite bereits im Keim und sorgt zusammen mit Adrian Winter und Raphael Dwamena selbst für den ein oder anderen gefährlichen Angriff. Der Ghanaische Stürmer zeigt eine ansprechende Leistung. Er hat sich bezüglich Torerfolgen bei bisher 3 Toren und 2 Assists in der Meisterschaft sicherlich mehr erhofft. Die aktuell fehlende Effizienz des Ghanaers ist einer der Hauptgründe für die geringe Anzahl Tore beim FCZ. Abschlusschancen hat der 22-jährige genug. Und es scheint nicht viel zu fehlen, damit es «Klick» macht. Dwamena muss lernen, dem Gegner mehr weh zu tun, als «nur» jeweils eine Gelbe Karte für taktische Fouls zu provozieren.

Im auf zwei Mann reduzierten Sturm mit deutlich weniger Pressing wurde Michi Frey bei seinem Stammklub etwas seiner Stärken beraubt, aber insgesamt war auch sein Auftritt ordentlich, wenn auch in gewissen Szenen etwas übermotiviert. In der 81. Minute kam Stephen Odey zu seinem Meisterschaftsdébut, zeigte bei seinem Kurzeinsatz aber wie schon im Cup bei Stade Lausanne-Ouchy erst mal grosse Probleme mit dem Rhythmus, der Zweikampfhärte und seinen taktischen Aufgaben. Anders Moussa Koné, der innert kürzester Zeit fast ein Maximum herausholen konnte. Seine besten Leistungen im FCZ-Dress hat Koné fast ausschliesslich als Joker gebracht, und in Bern demonstrierte er einmal mehr, warum er für diese wichtige Rolle so prädestiniert ist.  

Nach Basel und GC kassiert der FCZ auch gegen das dritte Spitzenteam der Liga eine Niederlage. Es ist weitgehend die grössere Qualität der Einzelspieler, die den Unterschied ausmacht – vor allem YB-Stürmer Roger Assalé macht den Unterschied. Assalé ist aktueller Ivorischer Nationalspieler und bereits der neunte Ivorer bei YB. Mit Djibril Sow und Christian Fassnacht sind auch zwei Spieler aus der FCZ Academy aktuell wichtige Stützen des Meisterschaftsleaders. Sow bereitete dabei mit einem gut getretenen Freistoss das entscheidende 2:1 in der 84. Minute durch Assalé vor. Dieses kam allerdings irregulär zustande: Kevin Mbabu kam nur deshalb völlig freistehend zum Kopfball, weil er zuvor seinen Gegenspieler Kevin Rüegg in den Rücken gestossen hatte.

YB war aber von Beginn weg überlegen gewesen. Die taktische Umstellung vom 3-4-3 auf ein 3-5-2 schien beim FCZ gut zu funktionieren, aber erstmals in dieser Saison war man dem Gegner in den Zweikämpfen unterlegen. Diese Unterlegenheit wurde dann teilweise durch übermotiviertes Einsteigen kompensiert, was nach den Fouls von Brunner an Assalé und Pa Modou an Mbabu zu den beiden entscheidenden Standards führte. Dies nachdem der FCZ in der 34. Minute entgegen dem Spielerverlauf nach dem ersten Eckball der ganzen Partie in Führung gegangen war. Das Tor fiel wieder in der Phase Mitte der Ersten Halbzeit, in welcher der FCZ diese Saison am meisten Tore erzielt. In der Zweiten Halbzeit konnte das Forte-Team die Partie ausgeglichener gestalten und hätte durchaus auch selbst noch ein zweites Tor erzielen können. Neun Minuten vor Ende der regulären Spielzeit kam zudem Stephen Odey bei einem Doppelwechsel im Zürcher Sturm zu seinem Meisterschaftsdébut.

Young Boys – FCZ 2:1 (1:1)

Tore: 34. Nsamé (Eigentor, Sarr) 0:1, 36. Sulejmani (Penalty, Assalé) 1:1: 84. Assalé (Mbabu) 2:1.

BSC Young Boys: Von Ballmoos; Mbabu, Nuhu, Von Bergen (58. Wüthrich), Lotomba; Fassnacht (69. Moumi), Sow, Sanogo, Sulejmani; Assalé, Nsamé (81. Hoarau).

FC Zürich: Vanins; Thelander, Bangura, Brunner; Winter (85. Rodriguez), Palsson, Pa Modou; Rüegg, Sarr; Dwamena (81. Koné), Frey (81. Odey).

(Standbild: SFL.CH) 

 

 

  1. Warum fühlen wir uns in Bern so wohl?

Uli Forte, Fredy Bickel, Dodo Jud,… Es ist ein eisernes Gesetz: geht ein Zürcher nach Bern, kommt er anschliessend aus dem Schwärmen nicht mehr heraus: die Stadt, die Klubs, die Frauen,… Es entstehen kreative Werke, Erfolge – ganze Familien. Auch der FCZ fühlt sich im Wankdorf wohl. In diesem Stadion gab es für den Letzigrund-Klub in den letzten Jahren einige der spektakulärsten Spiele und Siege – unter anderem zwei Mal im Cup. Bei einer Begegnung YB gegen FCZ im Wankdorf sind drei Tore im Normalfall das Minimum, der Unterhaltungsfaktor hoch. Und nicht zu vergessen: im Cupfinal wurde hier 2014 der haushohe Favorit aus Basel geschlagen. Es muss wohl am Geist des 10. Mai 2006 liegen, als YB’s UEFA Cup-Hunger grösser war, als der Meisterhunger des FCB – der 4:2-Sieg der Berner ebnete den Weg zum ersten FCZ-Meistertitel seit 25 Jahren.

  1. Hat Uli Forte recht?

Grundsätzlich: Uli Forte hat immer recht. Er ist der Coach. Aber wird wie vom FCZ-Trainer vorausgesagt YB diesmal wirklich Meister? Es wäre ein grosser Einschnitt. Der oben erwähnte Meistertitel 2006 wandelte in jenen Mai-Tagen nach Zürich. Parallel wanderte damals gleichzeitig etwas anderes in die entgegengesetzte Richtung: der Nimbus des sympathischen Verlierers. Neu war nun nicht mehr der FCZ, sondern YB der Klub, der am längsten keinen Meistertitel mehr geholt hatte. Mittlerweile hat YB mit 31 meisterlosen Jahren den FCZ von damals weit überholt. Seither war YB nach dem FCB mit Abstand das konstanteste Spitzenteam der Schweiz, wovon sechs 2. Plätze und drei 3. Plätze zeugen. Zwei Mal wurde eine Finalissima verloren, zwei Mal ein Cupfinal. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum FCZ, der über Jahrzehnte gar nicht erst in die Nähe eines grossen Erfolges gekommen war, bei entscheidenden Spielen dann aber trotzdem praktisch immer als Sieger hervorging (unter anderem mit 9 Cuptiteln in 10 Finals).

  1. Ist Bern das neue Zürich?

Wir schreiben das Jahr 1848. Mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft wird eines der ältesten heute noch existierenden Staatswesen der Welt gegründet. Gefunden werden muss nach Jahren des wechselnden «Vorortes» der Sitz für Parlament, Regierung und Verwaltung. Luzern, Zürich und Bern stehen zur Auswahl. Die Meinungen sind geteilt. Einig sind sich die Eidgenossen aber darüber, dass man weiterhin möglichst grosse Diversität will, und kein starkes Zentrum à la Paris, Berlin oder London. Deshalb sind viele gegenüber den bereits relativ grossen Zürich und Bern skeptisch. Und deshalb entscheidet man sich auch dafür, keine eigentliche Hauptstadt zu bestimmen, sondern eine Bundesstadt als Sitz von Parlament, Regierung und Verwaltung. 169 Jahre später startet der Berner Schlittschuh-Club als Schweizer Meister völlig entgegen allen ungeschriebenen Gesetzen und Abmachungen ausgezeichnet in die neue Saison und verzichtet auf den ominösen «Meister-Blues». Gleichzeitig liegen die «weltberühmten» Young Boys in der Super League mit sieben Punkten in Front! Und schon ist es mit der lange gepflegten Berner Zurückhaltung nicht mehr weit her. Nix mehr mit Bundesstadt und 1848. In Bern legt man plötzlich wert darauf, als «Houptschtadt» bezeichnet zu werden – und YB ist demonstrativ der «Houptschtadtklub». Der Ton in Richtung Basel (und Zürich) wird rauer. An der Limmat verfolgt man diese Entwicklung natürlich mit besonderer Sorge. Wollen die Berner uns wirklich unseren in mühsamer Kleinarbeit über Jahre aufgebauten und gepflegten Status als «arroganteste und uneidgenössischste Schweizer» abluchsen? Nicht auszudenken, was los wäre, würde YB nun tatsächlich auch noch den Titel erringen? Wird dann ein Berner Arc de Triomphe errichtet? Oder Berndeutsch als gesamtschweizerische Lingua Franca durchgesetzt?  Und noch schlimmer: gilt Zürich dann plötzlich als vergleichsweise sympathisch? Die Identitätskrise wäre vorprogrammiert!