Einbruch der Routiniers / „Air Jérémy“ narrt die Liga / FCZ – St. Gallen in der Analyse
Wenn die Routiniers beim FCZ nach der Pause doch nur halbwegs so vif gewesen wären, wie der Zürcher Balljunge, der etwa eine halbe Minute vor dem St. Galler 2:1 Lukas Görtler umgehend den Ball zuwarf! Der FCZ geriet durch den schnell ausgeführten Einwurf in Verlegenheit (Omeragic war noch mit Organisieren beschäftigt). Schon nach wenigen Sekunden des zweiten Durchganges stellte sich beim Kommentatorenteam von Züri Live auf der Tribüne ein ungutes Gefühl in der Magengegend ein. Kramer verschätzte sich bei einem langen Ball, und Kololli lief diesem und den Gegenspielern plötzlich wieder in seiner unmotiviert wirkenden Art und Weise von letztem Jahr hinterher. Auch Marchesano machte beim nächsten hohen Ball nicht mal den Versuch, den Gegenspieler etwas zu stören. Anschliessend verlor Kololli einen weiteren Ballbesitz im Duell mit Stergiou, weil er sich aus alter Gewohnheit wieder zu stark mit dem Gegenspieler und zu wenig mit dem Ball beschäftigt hatte. Dann ein unpräziser Steilpass Marchesanos für Kramer, der ebenfalls vom 18-jährigen Stergiou abgelaufen wurde. Anstatt sofort ins Gegenpressing zu gehen, trabte Marchesano schon in der dritten Minute nach der Pause leicht resigniert in eine andere Richtung. Kololli und Kempter verhielten sich auf der Seite dann zu passiv gegen Görtler und Demirovic – und in der Mitte passte Nathan die entscheidende Zehntelssekunde nicht auf – Brecher vermochte am nahen Pfosten den Winkel zum Ball auch nicht mehr zu verkürzen.
Nach der Partie lag ein Fokus der Berichterstattung und der Einschätzungen auf den Abwehrfehlern von Nathan. Der Brasilianer war sicherlich gleich nach dem Restart deutlich besser drauf, als ihm vor allem in St. Gallen eine Top-Partie gelang , wo er unter anderem am nahen Pfosten einen fast sicher geglaubten Treffer von Ermedin Demirovic verhinderte. Trotzdem hatte Nathan auch diesmal einige gute Aktionen gegen St. Gallen und der Leistungsabbau mehrerer anderer FCZ-Akteure war eklatanter sowie entscheidender für die schlechte Zweite Halbzeit. Vom seine Form suchenden Antonio Marchesano und Blaz Kramer kam sowohl offensiv wie auch defensiv klar zu wenig, Hekuran Kryeziu verzettelte sich im Mittelfeld. Sogar Michael Kempter war erstmals seit dem Restart unter dem Strich ungenügend. Dieser wurde genauso wie Kevin Rüegg durch die beiden St. Galler Flügel Ribeiro und Bakayoko im 4-3-3 der Ersten Halbzeit stärker zurückgebunden, als sonst jeweils gegen den gleichen Gegner. Die Einwechselspieler Sohm und Schönbächler machten die Situation eher noch schlechter. Wirklich gut war nur Henri Koide (im sechsten Einsatz zum zweiten Mal MVP).
Die Partie hatte diesmal ein deutlich tieferes Niveau, als die zum Teil hochstehenden bisherigen Direktbegegnungen der beiden Teams in dieser Saison. Die Präzision, Intensität und defensive Geschlossenheit liess auf beiden Seiten zu wünschen übrig – auf Seiten des FCZ letztendlich unter dem Strich noch mehr als beim Gegner. Der FCSG griff bei weitem nicht so hoch und aggressiv an, wie sonst jeweils, so dass die Anzahl Ballverluste im eigenen Drittel des Spielfeldes beim FCZ so tief wie noch nie in dieser Saison gegen die Ostschweizer war. Auf der einen Seite gewannen die Zürcher gegen ebenfalls nicht sattelfeste St. Galler so viele Offensivduelle wie noch nie in dieser Saison – abgesehen vom 3:0-Heimsieg gegen Luzern im November. Andererseits war der Anteil gewonnener Defensivzweikämpfe sehr tief und abgesehen von der 1:4-Niederlage in Genf im Februar liessen die FCZ-Feldspieler in der aktuellen Spielzeit noch nie so viele Schüsse aufs eigene Tor zu – in der Zweiten Halbzeit war das Schussverhältnis 1:16. Die FCZ-Quote der gewonnenen Luftduelle war hingegen wiederum sehr hoch. Aufgrund der guten 1. Halbzeit vermochte der FCZ mit 1,83 den höchsten Expected Goals-Wert seit dem Auswärtssieg in St. Gallen zu verzeichnen. Sieht man zudem vom Penalty in der 2. Minute ab, hatte der FCSG trotz grosser Überlegenheit im zweiten Durchgang insgesamt keinen höheren Expected Goals-Wert als der FCZ zu verzeichnen.
Dass dieser Penalty nach 38 Sekunden Spielzeit von Schiedsrichter Jaccottet gepfiffen und von VAR Esther Staubli nicht im Detail angeschaut wurde, ist unverständlich. Jérémy Guillemenot steht im Strafraum auf die Zehenspitzen und hebt ab wie ein Flugzeug beim Start – eine klassische Schwalbe. Der Versuch Nathans, Guillemenot an der Schulter zurückzuhalten, ist so unmerklich, dass dieser ohne Probleme in einer fliessenden Bewegung in die entgegengesetzte Richtung nach vorne abspringen kann. Als Guillemenot bereits in der Luft ist, findet dann auch noch unten eine Berührung statt. In einem normalen Laufduell gäbe es in dieser Situation Druck und Gegendruck, da der Stürmer hier aber bereits abgehoben und keine Bodenhaftung mehr hat, wird er in der Luft natürlich wie ein Stück Holz weggedrückt. Im Fussball, wo sogar leichte Bodychecks erlaubt sind, ist dies sicherlich kein Foul. In der 2. Halbzeit hatte Guillemenot dann die Unverfrorenheit, das Gleiche im Laufduell mit Hekuran Kryeziu gleich nochmal zu versuchen. Wieder pfiff Jaccottet, aber diesmal griff Esther Staubli ein.
Jérémy Guillemenot ist seit seiner Ankunft in der Super League vor anderthalb Jahren zum unbestrittenen Schwalbenkönig der Liga avanciert. In früheren Zeiten hatte jede zweite Mannschaft einen Spieler, der ab und zu eine Schwalbe produzierte. In den letzten Jahren ist dieses Phänomen in der Liga glücklicherweise stark zurückgegangen. Guillemenot bringt nun die unguten Zeiten gleich im Konzentrat wieder zurück.
Züri Live hat die in der Datenbank gespeicherten letzten 21 für Guillemenot gepfiffenen Freistösse und Penalties angeschaut: sage und schreibe 15 davon entpuppten sich als Schwalben! Nur fünf Freistösse und ein Penalty waren korrekt gepfiffen. Selbst in diesen sechs korrekt gepfiffenen Fällen war Guillemenot jeweils nur darauf aus, ein Foul zu provozieren. Es ist die Strategie, die er entwickelt hat, um seine fehlende Schnelligkeit zu kompensieren: Guillemenot wartet, bis der Gegenspieler nahe dran ist, spielt den Ball leicht nach vorne und stoppt dann abrupt ab, damit der Gegenspieler in ihn reinläuft. Nur ein einziges Mal von diesen 21 untersuchten gepfiffenen „Fouls“ liess sich Guillemenot zudem NICHT in seiner typischen Art theatralisch fallen.
Es ist peinlich für die Super League, dass der Genfer in St. Galler Diensten die Schiedsrichter landauf landab nun schon seit anderthalb Jahren zum Narrren hält und diese bis heute nichts gelernt zu haben scheinen. Was wird denn in den vielen individuellen Feedbacks und Workshops thematisiert, wenn nicht so etwas? Schon zu Beginn der Saison fiel mit Adrien Jaccottet der gleiche Schiedsrichter auf eine Schwalbe Guillemenots im St. Jakob Park herein und pfiff in der 80. Minute einen für den weiteren Verlauf der Meisterschaft wegweisenden Penalty zum 2:1-Sieg St. Gallens beim FC Basel. Wohlgemerkt: Jaccottet pfiff hier gegen das Team, von dem er in jungen Jahren selbst Fan war! Die ganze Sache hat definitiv nichts mit der Bevorteilung einer Mannschaft zu tun, sondern schlicht mit der fehlenden Fähigkeit, die Schauspielkunst Guillemenots als solche zu erkennen. Ob Eray Cömert in der Szene Guillemenot beim Versuch den Ball wegzuschlagen berührt hat oder nicht, ist im TV-Bild schwierig zu erkennen. Was klar erkennbar ist: Guillemenot fiel nicht wegen Cömert hin, sondern er liess sich selbst fallen.
Da solche Spieler wie Guillemenot höchst selten geworden sind, müssen sich die Schiedsrichter erst wieder dran gewöhnen und sich über einige Grundprinzipien klar werden. Hebt ein Spieler auf den Fussspitzen ab, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich um eine Schwalbe handelt. Schiedsrichter Dudic hat dies in der Partie Lugano-FCZ bei Jonathan Sabbatini erkannt, der in der gleichen Art und Weise bereits im ersten Saisonspiel im Letzigrund gegenüber Alain Bieri einen Penalty erschleichen wollte – damals erfolgreich. Ein Foul ist immer ein Bruch des Bewegungsablaufes, die Extremitäten fliegen in alle Richtungen, der Stürmer landet unsanft und vor allem unelegant. Ist es hingegen eine fliessende Bewegung mit schön geordneten Armen und Beinen wie auf einem gemalten Bild, handelt es sich um einen gewollten Bewegungsablauf und somit (fast) sicher um eine Schwalbe.
Guillemenot verwendet Techniken vom Bodenturnen, dem Eiskunstlauf und der Skiakrobatik für seine Absprünge, und um deren optische Wirkung zu verstärken. Er schafft es mit diesen Effekten und Illusionen trotz der Offensichtlichkeit seiner Schwalben immer wieder, dass die Schiedsrichter wie verzaubert automatisch ihre Trillerpfeifen zum Mund führen. Guillemenots Schauspielkunst ist so ausgefeilt, dass manchmal selbst der Gegenspieler unsicher ist, ob er vielleicht doch ein Foul begangen hat.
FC Zürich – St. Gallen 1:3 (1:1)
Tore: 2. Quintilla (Penalty, Guillemenot) 0:1, 16. Kololli (Koide) 1:1; 48. Itten (Demirovic) 1:2, 75. Guillemenot (Görtler) 1:3.
FCZ – Brecher; Rüegg, Nathan, Omeragic, Kempter (77. Sohm); Domgjoni, H. Kryeziu; Koide, Marchesano (67. Schönbächler), Kololli; Kramer.
St. Gallen – Zigi: Hefti, Stergiou, Letard (46. Fazliji), Muheim; Görtler (80. Rüfli), Quintilla, Staubli (46. Staubli); Ribeiro (46. Itten), Guillemento, Bakayoko (46. Demirovic).
(Standbilder: Teleclub)
Hahaha köstlich!