St. Gallen revolutionär, der FCZ differenziert / FCZ – St. Gallen in der Züri Live-Analyse

Die Auftritte des FC St. Gallen sind immer wieder beeindruckend: das Tempo, die Athletik, die Laufbereitschaft und Kompromisslosigkeit. Mit vielen kleineren und grösseren innovativen Herangehensweisen und Prinzipien brechen sie über Jahrzehnte eingeschliffene Spielweisen und Gewohnheiten auf. Sie zwingen ihren Gegnern damit einen Fussball auf, der den Stempel der Unterhaltungsgarantie trägt. Die Liga sollte den Ostschweizern dafür dankbar sein. Das fängt bei der schnellen Ausführung von Einwürfen und Eckbällen an, geht über die unaufhörliche Suche nach dem direktesten Weg zum Tor, bis zu einer verteilten Positionierung, welche beiden Teams viel Platz zum Laufen und Spielen mit Ball bietet – ein wichtiger Grund dafür, warum Spiele gegen St. Gallen so abwechslungreich rüberkommen.

St. Gallen hat den Super League-Fussball verändert

Die Spielweise ist eine moderne Version des ursprünglich Englischen Stils des „Kick and Rush“ und eine komplette Abkehr von der seit den durch Italien dominierten 90er-Jahren gepredigten „Kompaktheit“ im internationalen Fussball. Sie wurde in für Innovationen offenen und mit der notwendigen Geduld für langfristiges Arbeit ausgestatteten österreichischen und deutschen „Retortenklubs“ entwickelt. St. Gallens Peter Zeidler entstammt dieser Trainerschule, welche speziell österreichischen Vereinen im Europacup ungeahnte Höhenflüge ermöglicht hat. In der Schweiz führte der ehemalige Salzburger Trainer Adi Hütter YB auf den langfristigen Erfolgskurs.

Wer schon einmal Zusammenfassungen von englischen First Division-Partien aus den 70er-Jahren gesehen hat, fühlt sich bei St. Gallen-Matches daran erinnert. Wenn man gut hinhört, vernimmt man dabei sogar als ein Echo der damaligen Zeit wieder das leidenschaftliche englische Stehplatzpublikum bei jeder Aktion lebhaft mitgehen. Aber natürlich ist es in der Realität nicht genau dasselbe: die Plätze sind heute besser, ebenso die Athletik und Technik der Spieler sowie die deutlich zahlreicheren taktischen Finessen. Während die Fesseln auf dem Platz also wieder etwas fallen, strahlen derweil die Fankurven mehr denn je römische Kompaktheit aus.

FCZ agiert differenzierter als die Grünweissen

So viel zum löblichen Spielstil. Niemand wird aber behaupten, dass St. Gallen und Peter Zeidler alles richtig machen, sonst würden sie nicht auf der aktuellen Tabellenposition stehen. Die Partie gegen den FCZ zeigte exemplarisch die Probleme des aktuellen St. Galler Spiels auf: es ist zu stereotyp. Wie „Manöggeli“ in einem Computerspiel der 80er-Jahre verhalten sich die grünweissen Spieler überall auf dem Platz genau gleich. Egal ob im Mittelfeld, im Angriffsdrittel oder im eigenen Strafraum. Das St. Galler Pressingverhalten ist auf dem ganzen Platz intensiv. Dabei handelt es sich tendenziell nicht um ein kollektives Pressing, sondern jeweils um eine überfallartige Attacke des ballführenden Gegners durch einen einzelnen St. Galler im Vollsprint. So auch von Boubacar Traoré gegen Blerim Dzemaili im St. Galler Strafraum – das Resultat: Penalty!

Oder in der Angriffszone: wie wenn sich im Zürcher Tor ein Magnet befinden würde, bewegt sich der Ball bei St. Galler Ballbesitz entweder durch Dribblings oder lange Pässe in direkter Linie zum gegnerischen Tor. Und es wird auch aus relativ grosser Distanz schnell der Abschluss gesucht. Querpässe scheinen verpönt zu sein. Anders der FCZ: er passt sich zwar bis zu einem gewissen Grad dem St. Galler Spiel an und hat ebenfalls Zug in seinen Aktionen, geht aber deutlich differenzierter vor. Vor dem 2:1-Führungstreffer beispielsweise wird die gegnerische Abwehr im Angriffsdrittel auch mal mit Querpässen und Diagonalbällen ausgehebelt. Und im eigenen Strafraum verteidigt man nicht gleich wie im Mittelfeld.

Nikola Boranijasevic macht viele kleine, entscheidende Dinge gut

Beeindruckend bei St. Gallen ist die Sprungtechnik von Kwadwo Duah und Elie Youan bei den eingeübten hohen langen Bällen von Ati Zigi in die gegnerische Hälfte. Sie steigen so hoch mit einem hervorragenden Timing, dass den Zürcher Gegenspielern nur das Staunen bleibt. In der Anfangsphase ergibt sich so eine grosse Gästechance. Das Vorgehen kostet aber auch Kraft, die den Stürmern dann oft im Abschluss fehlt. Wenn die Spieler Roboter wären, würde St. Gallen mit seiner Spielweise mit grossem Vorsprung Schweizer Meister. Aber es sind eben Menschen mit begrenzten Ressourcen. Und natürlich haben die Ostschweizer die Abgänge eines Ermedin Demirovic, Silvan Hefti oder Jordi Quintilla bis heute noch nicht richtig kompensieren können. Gegen den FCZ fiel im Verlauf der Partie dann auch noch Leistungsträger Ousmane Diakité verletzt aus. Bei gegnerischen Eckbällen hat sich das Zeidler-Team nach zwei Corner-Gegentoren in Luzern Ende Oktober der grossen Mehrheit der Liga angeschlossen und auf Manndeckung umgestellt.

Obwohl St. Gallen nicht ganz so hoch verteidigt wie noch beispielsweise bei der Heimniederlage gegen GC (0:4), operiert der FCZ sehr häufig mit Hohen Bällen von hinten heraus. Im ersten Spielviertel zeigt sich bei den Zürchern eine grosse Diskrepanz zwischen sehr schlecht in die Partie gestarteten Spielern wie Becir Omeragic und Blerim Dzemaili auf der einen Seite und auf der anderen die herausragend beginnenden Nikola Boranijasevic und Aiyegun Tosin. Blerim Dzemaili war vom Anfangstempo der St. Galler überfordert. Unter anderem führte ein Ballverlust von ihm, als er dem Ball nicht entgegenging, zu einem St. Galler Konter mit dem Pfostenschuss des wirbligen Elie Youan. Nach vier gelungenen Teileinsätzen lief Tosin zum zweiten Mal in dieser Vorrunde in der Startformation auf, baute im Verlaufe der Partie dann aber fortlaufend ab. Nach stürmischer Anfangsphase war von ihm nicht mehr viel zu sehen. Der für Tosin in der 61. Minute eingewechselte Wilfried Gnonto brachte hingegen wieder viel Schwung.

Boranijasevic ist erstmals der Zürcher MVP, profitiert dabei auch etwas davon, dass die linke St. Galler Seite mit Aussenverteidiger Traoré und dem linken 8-er Schmidt nicht immer ganz sattelfest war. Es ist auch eine Belohnung dafür, dass der Serbe schon die ganze Vorrunde hindurch viele kleine, aber nicht unwichtige Dinge immer gut macht – zum Beispiel die Einwürfe. Wie sehr im FCZ auf Details geachtet wird, um das Maximum aus seinen Möglichkeiten herauszuholen, wird unter anderem dadurch illustriert, dass Assan Ceesay die Ausführung des Penaltys übernahm. In einem Team, das nicht lebt, geht man häufig den Weg des geringsten Widerstandes und hält sich an Gewohnheiten. Hier wird hingegen flexibel auf Umstände reagiert. Jedes Spiel, jede Aktion, jede Entwicklung wird ernst genommen und die jeweils bestmögliche Lösung für die jeweilige Situation gesucht.

Alle vier Tore des Spiels auf Standards erzielt

Der 0:1-Rückstand in der 7. Minute durch ein Eigentor von Becir Omeragic war das vierte Gegentor der Vorrunde nach einem Eckball. Gegen St. Gallen und GC gab es in jedem bisherigen Spiel solch einen Gegentreffer. Der Eckball war aus einem anderen Eckball und dieser aus einem Ballverlust des wie meist in den letzten Wochen eher durchschnittlich spielenden Antonio Marchesano in der Angriffszone entstanden. Dass Becir Omeragic den Ball dabei ins eigene Tor lenkte, war kein Zufall. Der Genfer, obwohl Innenverteidiger, gehört eher zu den schwächeren Zürchern in solchen Situationen und verliert ab und zu mal seinen Gegenspieler aus den Augen. Da Mirlind Kryeziu wie immer im Raum eingesetzt wurde, wurde daher Lindrit Kamberi damit betraut, den stärksten Gegenspieler (erst Diakité, dann Nuhu) zu decken. Beim Gegentreffer verlor Omeragic seinen Gegenspieler Guillemenot, der damit die Möglichkeit erhielt, Kryeziu an der Grenze des Erlaubten beim Versuch, den Ball wegzuköpfen zu behindern. Omeragic hätte danach den Ball auch selbst wegköpfen können, war aber darauf auch nicht gefasst. Stattdessen stand er letztendlich abseits des Geschehens an einer Stelle, wo er nichts bewirken konnte – aussser einen Schuss von Kwadwo Duah, welcher klar nebens Tor geflogen wäre, entscheidend ins eigene Gehäuse abzulenken.

Duahs Gegenspieler wäre Ousmane Doumbia gewesen. Der Ivorer gehört normalerweise zu den aufmerksamen Manndeckern bei gegnerischen Eckbällen, aber diesmal liess er sich erwischen. Auf der anderen Seite erzielte der FCZ alle seine drei Tore ebenfalls aus Standardsituationen: ein Penalty, ein Freistoss und ein Corner. Der neben Antonio Marchesano stärkste Offensiv-Kopfballspieler Lindrit Kamberi erzielte nach einem Guerrero-Corner per Kopf sein erstes Wettbewerbstor im Fanionteam. Es war beinahe eine Kopie von Mirlind Kryezius 3:0-Treffer gegen Luzern, ausser dass diesmal der Eckball von links und an den nahen Pfosten geschlagen wurde. Bei St. Gallen lief in dieser Szene etwas mit der Zuteilung schief. Boubacar Traoré war sicherlich die falsche Wahl als Gegenspieler von Kamberi. Insgesamt hat der FCZ in dieser Vorrunde inklusive Cup 41% seiner Tore auf Standards erzielt.

Telegramm

FCZ – St. Gallen 3:1 (1:1)
Tore: 7. Omeragic (Eigentor, Duah) 0:1, 28. Ceesay (Penalty, Dzemaili) 1:1; 78. Kramer (Kryeziu) 2:1, 86. Kamberi (Guerrero) 3:1.
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Kamberi; Boranijasevic (90. Gogia), Dzemaili (90. Hornschuh), Doumbia, Guerrero; Marchesano (71. Krasniqi); Tosin (61. Gnonto), Ceesay (71. Kramer).
St. Gallen – Zigi; Sutter, Stergiou, Fazliji, Traoré; Diakité (43. Nuhu); Münst (81. Schubert), Schmidt (63. Diarrassouba); Guillemenot (63. Besio); Duah, Youan.

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