Vom Segen und Fluch der Euphorie / Sion – FCZ in der Züri Live-Analyse

Ein typisches Tourbillon-Spiel entwickelte sich im Rückrundenduell zwischen dem FC Sion und dem FC Zürich bei schönem Wetter, zahlreich mitgereisten Zürchern und Walliser Fans, die sich nach dem guten Rückrundenstart ihres Teams etwas ausrechneten und sich freuten, wieder mal ohne Restriktionen ins Stadion zu pilgern. Die Partie kann man in vier sehr unterschiedliche Phasen aufteilen:

  • 1. bis 12. Minute (Auswechslung Bua)
  • 12. bis 60. Minute (erste Sion-Torchance)
  • 60. bis 67. Minute (Platzverweis Cipriano)
  • 67. bis 99. Minute (Schlusspfiff)

Sion spiegelt den FCZ – Teams verzahnen sich ineinander

In dem Teil der ersten zwölf Minuten, in dem effektiv gespielt wurde, war es eine relativ offene Partie mit Vorteilen für den FCZ, aber einem potentiell auf Konter gefährlichen Sion. Die Walliser zogen sich in der eigenen Platzhälfte in ein 5-3-2 zurück. In Ballbesitz wurde daraus ein 3-4-3 mit dem Brasilianer Wesley, der je nach Spielsituation zwischen Achterposition und Rechtem Flügel hin- und herswitschte. Nachdem Itaitinga für den angeschlagenen Bua eingewechselt worden war, begann Sion sowohl mit wie auch ohne Ball in einem 3-3-2-2 mit der vordersten Linie höher zu stehen und die Formation des FCZ auf dem ganzen Platz zu spiegeln. Dies trug dazu bei, dass sich die beiden Teams ineinander verzahnten mit vielen Zweikämpfen und Fouls. Der FCZ kam nicht mehr so gut ins Pressing und Dzemaili musste sich tiefer positionieren. Auch in dieser längsten Phase der Partie lagen die Vorteile auf Seiten des FCZ. Sions Sechser Anto Grgic hatte dabei Antonio Marchesano aber recht gut im Griff und die Walliser Dreierabwehr liess Assan Ceesay nicht aus den Augen.

Zweites Pressinggegentor der Saison

In der 60. Minute erhöhte Sion dann von einem Moment auf den anderen das Tempo. Der FCZ wurde davon etwas auf dem falschen Fuss erwischt. Die Walliser kamen zu drei Chancen im Minutentakt, wovon die dritte durch Wesley im Netz landete. Gnonto versprang nach einer Kopfballverlängerung Ceesays der Ball, Bamert reagierte sofort und Wesley kann gegen einen sich in der Vorwärtsbewegung befindlichen FC Zürich mit einem Diagonallauf und Abschluss zwischen Kryeziu und Aliti hindurch in die entfernte Ecke davon profitieren. Es war nach dem 1:0-Führungstreffer Dominik Schmids im letzten Derby (Ballverlust Guerrero gegen Bolla) erst das zweite aus einem Pressing des Gegners entstandenes Gegentor. Eine immer noch unglaublich starke Bilanz in Sachen Pressingresistenz!

Von Euphorie über Hektik zur Unterzahl in zweieinhalb Minuten

Was danach folgte, war wieder mal ein Sion-Lehrstück, wie man sich mit überbordender Euphorie und Emotionen selbst im Weg stehen kann. Beim Jubeln über den Führungstreffer riss Dimitri Cavaré unvermittelt mit Blick in Richtung Spielerbank den rechten Arm zur Jubelgeste hoch und bemerkte dabei gar nicht, dass er seinem seitlich daneben stehenden Mitspieler Anto Grgic einen schmerzhaften Nasenhaken verpasste. Der blutende Grgic musste an der Seitenlinie gepflegt werden, was auf und neben dem Platz bei den Wallisern grosse Hektik auslöste. Die Feldspieler wurden immer wieder frenetisch angewiesen, irgendetwas zu tun, um das Spiel zu unterbrechen. Die Angst vor zwei, drei Minuten Unterzahlspiel führte schlussendlich zur Unterzahl für den Rest der Partie. Nach einem normal scheinenden Zweikampf im Mittelfeld zwischen Boranijasevic und Itaitinga blieb der Brasilianer liegen. Das fruchtete aber nicht. Der nahe des Geschehens postierte Schiedsrichter Schärer liess richtigerweise weiterlaufen, was Sion in doppelte Unterzahl brachte. Nun explodierte die Walliser Bank, Trainer Tramezzani rannte bei laufendem Spiel mehrere Meter in den Platz hinein. Und Cipriano foulte Becir Omeragic rotwürdig von hinten, was nach VAR-Konsultation den Platzverweis gegen den Sion-Aussenläufer zur Folge hatte.

Eingewechseltes Trio Coric / Gogia / Rohner mit wichtigem Beitrag zum Punktgewinn

Gäbe es den VAR nicht, hätte die Rote Karte die Walliser wohl noch mehr emotionalisiert. Stattdessen beruhigte die ganz offensichtlich vorliegende Beweislage die Gemüter wieder und Becir Omeragic kam glücklicherweise ohne Verletzung aus der heissen Situation heraus. Es folgte die vierte Phase der Partie, in welcher der FCZ fast pausenlos auf den Ausgleich drückte, welcher in der 97. Minute durch den verwandelten Penalty Antonio Marchesanos schlussendlich auch gelang. Vor allem das in der 71. Minute eingewechselte Trio Coric / Gogia / Rohner hatte am verdienten Punktgewinn entscheidenden Anteil. Gogia macht als Einwechselspieler auf der linken Aussenbahn in der Rückrunde einen guten Eindruck mit deutlich weniger Fehlern als noch in der Vorrunde. Der Deutsche holte nach einem Coric-Eckball mit seinem generösen Einsatz im Kampf mit Cavaré um den Abpraller im Strafraum den Penalty heraus. Er musste für das eingegangene Risiko dabei mit einer Fussverletzung bezahlen. Daran sollte man sich erinnern, speziell falls dieser Punkt im Tourbillon in der Endabrechnung noch entscheidend sein sollte. Ermöglicht wurde diese und viele andere gefährliche Situationen im Sion-Strafraum vor allem auch durch Ante Coric. Die Standards und Flanken des Kroaten sind in dieser Saisonphase fast ausschliesslich hochkarätig. Sion kam so nicht zum Verschnaufen.

Antonio Marchesano beim Penalty in der Nachspielzeit

Schlechter Rückrundenstart von Tosin

Ousmane Doumbia spielte speziell in der 1. Halbzeit eine starke Partie. Dies kann man von Tosin auf der anderen Seite überhaupt nicht behaupten. Der Nigerianer nimmt in Umschaltsituationen immer wieder unnötig Tempo raus, investiert in Eins gegen Eins-Situationen viel zu wenig und fällt durch schlechte Zuspiele und Ballannahmen auf. Seine ersten drei Rückrundeneinsätze wurden alle mit einer ungenügenden Noten bewertet. Auch Boranijasevic, Dzemaili und Kramer hatten im Wallis nicht einen guten Tag. Dzemaili beispielsweise liess in der heissen Sion-Phase um die 60. Minute seinem Gegenspieler Wesley zu viele Freiheiten. Bei Berardis Zweikampf mit Tosin an der Seitenlinie in der 45. Minute erzürnten sich im Nachhinein mehrere Journalisten, dass es keinen Platzverweis gegen den Tessiner gab. Gelb war in der Szene aber korrekt. Berardi kam mit etwas viel Tempo, stiess aber nur im Hüftbereich mit dem sich in Rücklage befindlichen und etwas theatralisch sich windenden Tosin zusammen. Eine Attacke auf die Beine war in dieser Szene überhaupt nicht vorhanden.

Telegramm

Sion – FCZ 1:1 (0:0)
Tore: 62. Wesley (Bamert) 1:0, 90.+7 Marchesano (Penalty, Gogia) 1:1.
Sion – Fickentscher; Berardi, Bamert, Benito (85. Schmied); Cavaré, Grgic, Cipriano; Wesley, Baltazar; Stojilkovic (76. Kabashi), Bua (12. Itaitinga, 76. Sio).
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Aliti (88. Kramer); Boranijasevic (71. Rohner), Doumbia (71. Coric), Dzemaili, Guerrero (71, Gogia); Marchesano; Tosin (46. Gnonto), Ceesay.

(Standbild: blue)