FC Zürich im Clinch zwischen attraktivem Kulturwandel und alten Erfolgsrezepten
In der Winterpause hat der FC Zürich einen ambitionierten Kurswechsel vorgenommen, welcher den ganzen Klub betrifft. Der Zeitpunkt, das Tempo und die Radikalität der Änderungen sind dabei für Schweizer Verhältnisse aussergewöhnlich.
Eigene Jungs bringen Qualität und Emotionen – der Überflieger fehlt aber
Wie sah der bisherige Status Quo aus? Über die FCZ Academy haben im letzten Jahrzehnt überdurchschnittlich viele Talente den Schritt zum Profifussballer im In- und Ausland geschafft. Dies vor allem auch dank der vorbildlichen Zusammenarbeit mit Challenge League-Klubs, an erster Stelle dem FC Wil. Im Gegensatz zu früher leiht der FC Zürich heute nur noch Talente in die Challenge League aus, auf die man wirklich setzt – und gibt ihnen in der zweithöchsten Liga in der Regel zwei Jahre Zeit zu reifen. Allerdings: ein richtiges Top-Talent von welchem man eine langfristig entscheidende Rolle im A-Nationalteam erwarten kann, gab es aus dem Heerenschürli wohl schon lange keines mehr – möglicherweise mit Ausnahme des heute bei Hoffenheim aktiven Zidan Tairi. Dies ist ein Phänomen, welches nicht nur den FCZ betrifft.
Mit den Resultaten der Nachwuchsteams war es in den letzten Jahren ähnlich: gut, aber nicht überragend. Man spielte häufig um die Juniorentitel mit – und gewann sie gelegentlich auch. Das Reserve-Team (U21) zeigte zusammen mit demjenigen des FCB die grösste Konstanz in der Promotion League. In der 1. Mannschaft sind zudem überdurchschnittlich viele Profis anzutreffen, die aus dem eigenen Nachwuchs stammen. Yanick Brecher, Lindrit Kamberi, Mirlind Kryeziu oder Bledian Krasniqi bringen nicht nur Qualität, sondern auch Emotionen ins Zürcher Spiel. Allerdings lief der Einbau der neuesten Jahrgänge zuletzt harzig – speziell seit der Meistersaison unter dem die 1. Mannschaft eher konservativ ein- und aufstellenden André Breitenreiter. Ob dies allerdings nur an den Trainern der 1. Mannschaft lag, ist fraglich. Auf jeden Fall war die U18 der Saison 17/18 die letzte richtig produktive in Sachen Talent-Output: Matteo Di Giusto, Bledian Krasniqi, Simon Sohm, Ilan Sauter, Filip Stojilkovic, Henri Koide, Stephan Seiler, Guillaume Furrer, Sayfallah Ltaief. Danach folgten drei schlechtere Jahrgänge. Vom Team der Saison 18/19 beispielsweise scheinen ein Filip Frei, Silvan Wallner, Soheil Arghandewall, Nils Reichmuth, Kedus Haile-Selassie & Co. unter dem Strich nicht auf dem gleichen Entwicklungskurs zu sein.
Zwischen neuem Konzept und erfolgreichem „Meister-System“
In der Academy wurde über viele Jahre vorwiegend im in der Schweizer Nachwuchsausbildung allgemein vorherrschenden 4-3-3 gespielt – in einer klassischen Spielweise. In gewissen Altersstufen wurden zudem als Teil der Ausbildung wochenweise andere Systeme und Spielweisen ausprobiert. Die U21 trat in der Zeit unter Genesio Colatrella hingegen in einem eher abwartenden und resultatorientierten 4-1-4-1 auf. Die 1. Mannschaft wiederum präferierte spätestens seit der Meistersaison das damals so erfolgreiche schnelle Umschaltspiel durch die Mitte im 3-4-1-2. Dass dieses System und diese Spielweise am besten zum Kader passt, zeigt sich bis heute immer wieder. Bo Henriksen konnte so auf die Erfolgsspur zurückkehren – und auch unter dem Duo Ural / Romano holte man zuletzt mit diesem System und dieser Spielweise in Basel und Genf vier Punkte.
Man wich also in der 1. Mannschaft aufgrund des Resultatdruckes zuletzt in gewissen Partien von der eigentlich angestrebten dominanten Spielweise ab. Diese hatte man davor am ausgeprägtesten in den Auswärtspartien in Luzern, Lugano und Yverdon mal mehr und mal weniger erfolgreich umgesetzt gehabt. Aufgrund dieser aktuell wechselhaften Spielweise liegt die 1. Mannschaft unter dem neuen Trainer-Duo in Sachen Ballbesitz „nur“ an 3. Stelle hinter YB und Lugano. Dies sind aber trotz allem fünf Prozentpunkte mehr als der eigene Saisonschnitt. Die Ballbesitzzahlen der U21 haben sich unter dem neuen Coach Ricardo Moniz bisher noch etwas weniger stark gesteigert. In den zahlreichen Testpartien agiert dieses Team allerdings bereits sehr dominant. In der Academy wird die neue Spielweise hingegen bereits ohne Kompromisse durchgezogen. Von den vier Elite-Teams stehen drei beim Ballbesitz teils mit grossem Vorsprung an der Spitze ihrer Liga. Und die Team-Resultate sind gut.
Im Pressing nun vor YB und St. Gallen
Beim Hohen Pressing sieht es ähnlich aus. Von der U15 bis zur U19 liegt der PPDA-Wert durchs Band zwischen fünf und leicht über sechs. Zum Vergleich: kein Super League-Team bewegt sich in diesem Bereich! Unter dem Trainerduo Ural / Romano steht der FC Zürich neu mit einem Durchschnittswert von 6,64 für das intensivste Pressing der Liga – vor YB und dem FC St. Gallen. Die U21 liegt diesbezüglich in der Promotion League an Zweiter Position hinter St. Gallen. FCZ-Teams erreichen zudem seit Jahresbeginn 2024 hohe Werte bei Leistungsindikatoren wie „Anzahl Pässe“, „Anzahl Pässe ins Angriffsdrittel“, „Vorwärtspässe“, „Vorstösse mit Ball“, „Schüsse“, „Flanken“, „Eckbälle“, „Erlittene Foulspiele“ – und dies mit auf mehreren Altersstufen bereits ziemlich verjüngten Equipen. Das Frauen-Team von Trainerin Jacqueline Dünker hat seit der Winterpause vor allem beim Pressing zugelegt, tut sich aber in Ballbesitz mit dem neuen Konzept noch etwas schwer. Alles in allem ist der neue FCZ-Stil intensiv, modern und attraktiv. Ein Fragezeichen gibt es bezüglich der Eignung des aktuellen Kaders der 1. Mannschaft für diesen Spielstil. Ausserdem muss man auf Sicht auf jeden Fall auch das Energie-Management über eine ganze Saison hinweg im Auge behalten.
Vor etwa zehn Jahren war das dominante „Juego de posicion“ in der damaligen Form unter der etwas abschätzigen Bezeichnung „Tiki-Taka“ in unseren Breitengraden verpönt, und galt als eine seltsame sowie überholte katalanisch-spanische Spezialität. Heute scheint es, kommt auf dem Niveau des internationalen Klub-Fussballs niemand mehr am Erbe und den Prinzipien des einflussreichsten Trainers der heutigen Zeit, Pep Guardiola, vorbei. Speziell die Premier League als beste Liga der Welt ist davon durchdrungen. Alle einigermassen erfolgreichen Teams inklusive Aussenseiter wie der ehemalige Hyypiä-Klub Brighton & Hove Albion basieren ihr Spiel darauf. Selbst „Gegenpressing-Papst“ Jürgen Klopp wurde mit Liverpool erst dann richtig erfolgreich, als er vermehrt “Guardiola-Prinzipien“ in sein Spiel einfliessen liess. In der Bundesliga ist Bayer Leverkusen unter Xabi Alonso aktuell das leuchtende Beispiel für den Erfolg des Positionsspiels.
Ein FCZ in der Übergangsphase ist schwierig auszurechnen
Der Kulturwandel sorgt für Konfliktstoff bis in die Schweizer Nationalmannschaft, in welcher die von Coaches wie Guardiola, Arteta und Alonso geprägten Granit Xhaka und Manuel Akanji ihre im Klub gewohnte Spielweise entgegen der ursprünglichen Ausrichtung unter Murat Yakin auch in der Landesauswahl implementiert sehen wollen. Dabei stellt sich in der SFV-Auswahl eine ähnliche Fragestellung wie beim FC Zürich: ist das aktuelle Kader dafür geeignet? Sind beispielsweise die Innenverteidiger technisch stark und schnell genug? Wie sieht es mit dem Torhüter aus? Ausserdem ist die Qualität der für die im Positionsspiel nötige Breite sorgenden Flügelspieler entscheidend. Die beiden etablierten FCZ-Stürmer Marchesano und Okita fühlen sich an der Seitenlinie nicht wohl, sind im Umschaltspiel im 3-4-1-2 am stärksten. Oko-Flex und Rohner können auf dem Flügel spielen, stehen aber im zweiten Glied – und werden wohl beide als zu wenig zuverlässig gesehen.
So ist es aktuell in der 1. Mannschaft ein Hin und Her zwischen Partien in denen der FCZ im 4-3-3 oder 4-2-3-1 mit Dominanz auftritt – und anderen wo man dann wiederum das Direktspiel und die langen Bälle präferiert wie beispielsweise beim 1:0-Sieg bei Servette. Positiv formuliert ist es aktuell für die gegnerischen Trainer schwierig den FCZ auszurechnen. Selbst das eine Stunde vor Spielbeginn publizierte Matchblatt gibt dem gegnerischen Coach aktuell keine Auskunft über die vorgesehene FCZ-Spielweise, denn Nikola Boranijasevic beispielsweise hat zuletzt alles gespielt: Rechtsverteidiger in einer Viererabwehr, Aussenläufer im 3-4-1-2 – oder sogar als Aussenverteidiger einer Fünferabwehr (defensiv) und gleichzeitig Flügelstürmer (offensiv) in einem hybriden 4-3-3 / 5-3-2 wie im Liga-Heimspiel gegen Winterthur. Der FCZ tritt mit demselben Personal sehr unterschiedlich auf und ist daher für alle Seiten eine Wundertüte. Das wird sich aber ziemlich sicher auf nächste Saison hin ändern.
Daten: Wyscout, Liga, Saison 23-24, FCZ (N) = FCZ unter Ural / Romano bzw. Moniz.