Vom Segen und Fluch der Euphorie / Sion – FCZ in der Züri Live-Analyse

Ein typisches Tourbillon-Spiel entwickelte sich im Rückrundenduell zwischen dem FC Sion und dem FC Zürich bei schönem Wetter, zahlreich mitgereisten Zürchern und Walliser Fans, die sich nach dem guten Rückrundenstart ihres Teams etwas ausrechneten und sich freuten, wieder mal ohne Restriktionen ins Stadion zu pilgern. Die Partie kann man in vier sehr unterschiedliche Phasen aufteilen:

  • 1. bis 12. Minute (Auswechslung Bua)
  • 12. bis 60. Minute (erste Sion-Torchance)
  • 60. bis 67. Minute (Platzverweis Cipriano)
  • 67. bis 99. Minute (Schlusspfiff)

Sion spiegelt den FCZ – Teams verzahnen sich ineinander

In dem Teil der ersten zwölf Minuten, in dem effektiv gespielt wurde, war es eine relativ offene Partie mit Vorteilen für den FCZ, aber einem potentiell auf Konter gefährlichen Sion. Die Walliser zogen sich in der eigenen Platzhälfte in ein 5-3-2 zurück. In Ballbesitz wurde daraus ein 3-4-3 mit dem Brasilianer Wesley, der je nach Spielsituation zwischen Achterposition und Rechtem Flügel hin- und herswitschte. Nachdem Itaitinga für den angeschlagenen Bua eingewechselt worden war, begann Sion sowohl mit wie auch ohne Ball in einem 3-3-2-2 mit der vordersten Linie höher zu stehen und die Formation des FCZ auf dem ganzen Platz zu spiegeln. Dies trug dazu bei, dass sich die beiden Teams ineinander verzahnten mit vielen Zweikämpfen und Fouls. Der FCZ kam nicht mehr so gut ins Pressing und Dzemaili musste sich tiefer positionieren. Auch in dieser längsten Phase der Partie lagen die Vorteile auf Seiten des FCZ. Sions Sechser Anto Grgic hatte dabei Antonio Marchesano aber recht gut im Griff und die Walliser Dreierabwehr liess Assan Ceesay nicht aus den Augen.

Zweites Pressinggegentor der Saison

In der 60. Minute erhöhte Sion dann von einem Moment auf den anderen das Tempo. Der FCZ wurde davon etwas auf dem falschen Fuss erwischt. Die Walliser kamen zu drei Chancen im Minutentakt, wovon die dritte durch Wesley im Netz landete. Gnonto versprang nach einer Kopfballverlängerung Ceesays der Ball, Bamert reagierte sofort und Wesley kann gegen einen sich in der Vorwärtsbewegung befindlichen FC Zürich mit einem Diagonallauf und Abschluss zwischen Kryeziu und Aliti hindurch in die entfernte Ecke davon profitieren. Es war nach dem 1:0-Führungstreffer Dominik Schmids im letzten Derby (Ballverlust Guerrero gegen Bolla) erst das zweite aus einem Pressing des Gegners entstandenes Gegentor. Eine immer noch unglaublich starke Bilanz in Sachen Pressingresistenz!

Von Euphorie über Hektik zur Unterzahl in zweieinhalb Minuten

Was danach folgte, war wieder mal ein Sion-Lehrstück, wie man sich mit überbordender Euphorie und Emotionen selbst im Weg stehen kann. Beim Jubeln über den Führungstreffer riss Dimitri Cavaré unvermittelt mit Blick in Richtung Spielerbank den rechten Arm zur Jubelgeste hoch und bemerkte dabei gar nicht, dass er seinem seitlich daneben stehenden Mitspieler Anto Grgic einen schmerzhaften Nasenhaken verpasste. Der blutende Grgic musste an der Seitenlinie gepflegt werden, was auf und neben dem Platz bei den Wallisern grosse Hektik auslöste. Die Feldspieler wurden immer wieder frenetisch angewiesen, irgendetwas zu tun, um das Spiel zu unterbrechen. Die Angst vor zwei, drei Minuten Unterzahlspiel führte schlussendlich zur Unterzahl für den Rest der Partie. Nach einem normal scheinenden Zweikampf im Mittelfeld zwischen Boranijasevic und Itaitinga blieb der Brasilianer liegen. Das fruchtete aber nicht. Der nahe des Geschehens postierte Schiedsrichter Schärer liess richtigerweise weiterlaufen, was Sion in doppelte Unterzahl brachte. Nun explodierte die Walliser Bank, Trainer Tramezzani rannte bei laufendem Spiel mehrere Meter in den Platz hinein. Und Cipriano foulte Becir Omeragic rotwürdig von hinten, was nach VAR-Konsultation den Platzverweis gegen den Sion-Aussenläufer zur Folge hatte.

Eingewechseltes Trio Coric / Gogia / Rohner mit wichtigem Beitrag zum Punktgewinn

Gäbe es den VAR nicht, hätte die Rote Karte die Walliser wohl noch mehr emotionalisiert. Stattdessen beruhigte die ganz offensichtlich vorliegende Beweislage die Gemüter wieder und Becir Omeragic kam glücklicherweise ohne Verletzung aus der heissen Situation heraus. Es folgte die vierte Phase der Partie, in welcher der FCZ fast pausenlos auf den Ausgleich drückte, welcher in der 97. Minute durch den verwandelten Penalty Antonio Marchesanos schlussendlich auch gelang. Vor allem das in der 71. Minute eingewechselte Trio Coric / Gogia / Rohner hatte am verdienten Punktgewinn entscheidenden Anteil. Gogia macht als Einwechselspieler auf der linken Aussenbahn in der Rückrunde einen guten Eindruck mit deutlich weniger Fehlern als noch in der Vorrunde. Der Deutsche holte nach einem Coric-Eckball mit seinem generösen Einsatz im Kampf mit Cavaré um den Abpraller im Strafraum den Penalty heraus. Er musste für das eingegangene Risiko dabei mit einer Fussverletzung bezahlen. Daran sollte man sich erinnern, speziell falls dieser Punkt im Tourbillon in der Endabrechnung noch entscheidend sein sollte. Ermöglicht wurde diese und viele andere gefährliche Situationen im Sion-Strafraum vor allem auch durch Ante Coric. Die Standards und Flanken des Kroaten sind in dieser Saisonphase fast ausschliesslich hochkarätig. Sion kam so nicht zum Verschnaufen.

Antonio Marchesano beim Penalty in der Nachspielzeit

Schlechter Rückrundenstart von Tosin

Ousmane Doumbia spielte speziell in der 1. Halbzeit eine starke Partie. Dies kann man von Tosin auf der anderen Seite überhaupt nicht behaupten. Der Nigerianer nimmt in Umschaltsituationen immer wieder unnötig Tempo raus, investiert in Eins gegen Eins-Situationen viel zu wenig und fällt durch schlechte Zuspiele und Ballannahmen auf. Seine ersten drei Rückrundeneinsätze wurden alle mit einer ungenügenden Noten bewertet. Auch Boranijasevic, Dzemaili und Kramer hatten im Wallis nicht einen guten Tag. Dzemaili beispielsweise liess in der heissen Sion-Phase um die 60. Minute seinem Gegenspieler Wesley zu viele Freiheiten. Bei Berardis Zweikampf mit Tosin an der Seitenlinie in der 45. Minute erzürnten sich im Nachhinein mehrere Journalisten, dass es keinen Platzverweis gegen den Tessiner gab. Gelb war in der Szene aber korrekt. Berardi kam mit etwas viel Tempo, stiess aber nur im Hüftbereich mit dem sich in Rücklage befindlichen und etwas theatralisch sich windenden Tosin zusammen. Eine Attacke auf die Beine war in dieser Szene überhaupt nicht vorhanden.

Telegramm

Sion – FCZ 1:1 (0:0)
Tore: 62. Wesley (Bamert) 1:0, 90.+7 Marchesano (Penalty, Gogia) 1:1.
Sion – Fickentscher; Berardi, Bamert, Benito (85. Schmied); Cavaré, Grgic, Cipriano; Wesley, Baltazar; Stojilkovic (76. Kabashi), Bua (12. Itaitinga, 76. Sio).
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Aliti (88. Kramer); Boranijasevic (71. Rohner), Doumbia (71. Coric), Dzemaili, Guerrero (71, Gogia); Marchesano; Tosin (46. Gnonto), Ceesay.

(Standbild: blue)



Dzemaili startet im Wallis / Sion – FCZ Vorschau und Aufstellungen unter der Lupe

Der Blätterwald rauscht und die Fahne dreht wild von einer Seite auf die andere, je nach Richtung der aktuellen Windböe. Noch vor ein oder zwei Wochen waren die meisten Fussballjournalisten der Meinung, dass der FCZ bestimmt noch einbrechen werde und ein 3. Platz auch schon sehr gut wäre. Je ein Sieg gegen GC und ein durch das wichtige Cupspiel unter der Woche müde Lugano – und der FCZ wird bereits vorzeitig auf den Helvetiaplatz geschrieben. Und schon in zwei Wochen kann alles bereits wieder total anders sein – und die Journalisten kehren wieder zu ihrer ursprünglichen Prognose zurück.

Sion mit gutem Rückrundenauftakt

Bis das dritte Saisonviertel vorbei ist, muss wirklich gar nicht erst mit Rechnen begonnen werden. Man hat unter anderem noch je zwei Duelle gegen den FCB, YB, das sehr formstarke St. Gallen und das wiedererstarkte Powerhouse Luzern. Nun steht sowieso die Auswärtspartie im Wallis an! Sion hat sich unter Trainer Tramezzani stabilisiert. Dies hat der Rückrundenauftakt (2:0 gegen GC, 3:3 in Basel) gezeigt. In Basel hätten die Walliser bei einem Expected Goals-Verhältnis von 2,77 : 0,99 die Partie sogar klar gewinnen müssen. Letztes Wochenende gab es eine 0:1-Niederlage in Luzern. Nicht ohne Grund, denn Luzern war von den drei Auftakt-Gegnern der stärkste. Sion wurde von den pausenlos Druck ausübenden Innerschweizern weitgehend überrollt.

Grgic in der Form seines Lebens

Beim Team von Paolo Tramezzani gilt es vor allem die individuelle Qualität hervorzuheben. Anto Grgic ist aktuell in der Form seines bisherigen Fussballerlebens. Nicht nur, weil er gegen GC und Basel alle fünf Tore entweder selbst erzielt oder per schönem Assist vorbereitet hat. Der Zürcher scheint im Team von Paolo Tramezzani seine Rolle gefunden zu haben und spürt die Rückendeckung des Coaches. Jan Bamert spielt wieder im Abwehrzentrum mit Nathanaël Saintini und befindet sich ebenfalls in guter Form. Birama Ndoye rückte dadurch auf die Sechserposition und verdrängte Luca Zuffi auf die Bank. Diese Rochade hat den Wallisern die notwendige Balance zwischen Offensive und Defensive zurückgebracht. Saintini ist allerdings gegen den FCZ gesperrt. Als Ersatz kommen Kabashi, Schmied oder Benito in Frage. Rückt Benito ins Zentrum, spielt wohl Cipriano links.

Ausser Zuffi sind von den Krankgemeldeten alle genesen. Sion startet gleich mit sechs (!) gelernten Aussenspielern in die Partie gegen den FCZ. Aufgrund der aufgebotenen Spieler würde sich am ehesten ein 3-4-3 anbieten. Wir lassen uns überraschen – wie immer bei Tramezzani.

Wenig Ballbesitz und Umschaltspiel

Im Mittelfeldzentrum läuft neben Ndoye und Grgic in der Regel der Brasilianer Baltazar auf. Er kann genauso wie Ndoye etwas fehleranfällig sein, wenn man ihn unter Druck setzt. Ndoye ist zudem trotz seiner Körpergrösse ein möglicher Schwachpunkt bei Defensivstandards, den man ausnutzen kann. Er ist ab und zu nahe dran, einen Penalty zu verursachen oder verliert seinen Gegenspieler aus den Augen. Im Sturmzentrum ist Sion zudem fürs Aufbauspiel im Ligavergleich nicht optimal besetzt. Deshalb setzen die Walliser weitgehend auf Gegenstösse, auch wenn sie in Basel im Gegensatz zum Heimspiel gegen GC ins Pressing gingen. Es gibt Teams in der Super League, die schneller umschalten als Sion, aber die Brasilianer Wesley und Itaitinga bringen in Strafraumnähe Bissigkeit ins Spiel und Grgic oder auch Bamert spielen die präzisen Bälle bei Seitenwechseln oder in die Tiefe. In Luzern wurde dann allerdings gar nicht wirklich ersichtlich, wie Sion hätte spielen wollen. Der Gegner übernahm von Anfang an das Spieldiktat, so dass die Walliser nur reagieren konnten.

Neuverpflichtung Benito motiviert

Die neu verpflichteten Loris Benito und Gaetano Berardi bringen zusätzliche Routine und Breite in ein sowieso schon grosses Kader. Benito hat natürlich für die Super League überdurchschnittliche Qualität. Ihm merkt man an, dass er sich bei Murat Yakin wieder für die Nati empfehlen will. Der Aargauer tritt sehr motiviert auf, teilweise übermotiviert. Berardi scheint bisher noch etwas mehr Probleme zu haben, wieder in den Rhythmus zu kommen. Zuletzt in Luzern fehlten Zuffi, Bua, Itaitinga und Hoarau wegen COVID. Falls Bua und Itaitinga wieder gesund sein sollten, sind sie Startelfkandidaten auf dem Flügel. Zumindest Tosetti würde dann wohl nicht von Anfang an auflaufen.

Pressing und taktische Flexibilität wichtig für den FCZ im Wallis

Wie wird Sion taktisch auftreten? Zuletzt haben sie vorwiegend mit wenig Ballbesitz gespielt, teilweise gewollt, teilweise gezwungenermassen. Die taktische Formation wechselt Tramezzani häufiger als andere Menschen die Unterwäsche, nämlich immer wieder auch mehrmals während eines Spiels. In die Partien gestartet ist er zuletzt aber jeweils mit einem 4-1-2-3. Auch gegen GC, welches dasselbe System wie der FCZ spielt. Vor genau drei Monaten im Wallis (knapper 1:0-Sieg des FCZ) begann Sion im gleichen System wie der FCZ, stellte zur Pause dann aber auf ein 4-2-3-1 um. Dadurch verlor der FCZ in der Folge im Pressing den Zugriff auf den Gegner. Daher ist gegen das Tramezzani-Team wie gegen keinen anderen Kontrahenten der Super League wichtig, dass der FCZ während dem Spiel auch mal die taktische Formation wechseln kann, falls dies nötig sein sollte. Denn gleichzeitig scheint der FC Sion auch wegen der erwähnten Fehleranfälligkeit derjenige Gegner zu sein, gegen welchen sich ein Hohes Pressing aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre am meisten lohnt.

Beim FCZ gibt es nur eine Änderung zur letzten Partie: Blerim Dzemaili beginnt für Bledian Krasniqi. Tosin erhält vorne im Sturm erneut den Vorzug vor Wilfried Gnonto.

Platz schaffen für Rohner / Sion – FCZ 2:2 in der Züri Live-Analyse

Spiel, Gegner und Taktik

Erneut baut der FC Zürich im Abstiegskampf einen Gegner auf, der verunsichert ist und nach der 0:3-Klatsche im Direktduell in Vaduz gleich auf sechs Positionen wechselt. Guillaume Hoarau steht erstmals seit fünf Monaten wieder in der Startformation. Léo Lacroix spielt zum ersten Mal in dieser Saison über 90 Minuten. Und Christian Zock ist nach zwei Monaten wieder mal dabei. Sion-Trainer Marco Walker setzt auf den zentralen Positionen mit Karlen, Hoarau, Zock, Araz, Ndoye und Lacroix voll auf Kampfgeist und hohe Bälle. Die häufig etwas fragilen Zürcher Techniker Grgic und Bamert bleiben zu Beginn draussen. Zock übernimmt die Rolle des Abräumers und die des Regisseurs in Personalunion.

Setzt man auf hohe Bälle, lässt Grgic aber draussen, dann hängt sehr viel an Matteo Tosetti. Dessen Standards sind aber gegen den FCZ nicht so konstant gut getreten wie gewohnt: womöglich ein entscheidender Faktor für den Zürcher Punktgewinn im Wallis. Trotzdem kassiert man zwei Gegentore. Erst mal aber startet der FCZ trotz in der Anfangsphase hart einsteigenden Wallisern dank effektivem Mittelfeldpressing gut in die Partie – ohne allerdings zu vielen Torchancen zu kommen. Trotzdem nicht ganz überraschend kommt die Auswärtsführung in der 14. Minute: nach einem Ballgewinn von Ousmane Doumbia vor dem gegnerischen Strafraum gegen Christian Zock (Überraschungseffekt durch plötzliches hohes Pressing) durch einen abgefälschten Tosin-Schuss.

Derselbe Tosin leitet dann aber vor der Pause mit einem unnötigen Aussenristpässchen in der eigenen Platzhälfte den Ausgleich durch Guillaume Hoaraus erstes Saisontor ein. Omeragic vergisst dabei gedankenverloren, die Flanke Iapichinos zu verhindern. Sion war zuvor in der 19. Minute nach einer Fehlerkette von Marchesano, Doumbia über vor allem Omeragic und Hekuran Kryeziu mit einer grossen Doppelchance des von Hellas Verona ausgeliehenen Lubomir Tupta im Spiel angekommen. In der 27. Minute vergibt Karlen vor dem praktisch leeren Tor, nachdem zuerst Doumbias Kopfball im Mittelfeld ungewollt rückwärts fliegt, sowie anschliessend Yanick Brecher sich mit dem Herauslaufen verschätzt und von Tupta umspielen lässt.

Wie so häufig in letzter Zeit kommt der FCZ schlecht aus der Pause. Beim Führungstreffer zum 2:1 nach sechs Minuten profitiert Sion erneut von einem unkonzentrierten Becir Omeragic: Musa Araz kommt deshalb alleine vor Yanick Brecher gleich zwei Mal in Folge ungedeckt zum Abschluss, nachdem Ousmane Doumbia mit einem Ballverlust vor dem eigenen Strafraum gegen Gaëtan Karlen dasselbe Missgeschick unterlaufen war, von welchem er gegen Christian Zock vor dem 0:1 noch selbst profitiert hatte. Yanick Brecher macht zudem in der Aktion zu viel Show. Der erste Ball von Araz fliegt direkt auf seinen linken Fuss. Anstatt ruhig stehenzubleiben und mit der richtigen Fussstellung den Ball möglichst weit wegspicken zu lassen, lässt er seine Körperteile in alle Richtungen fliegen, wehrt den Ball so nur ungenügend ab und liegt machtlos am Boden, als der zweite Abschluss kommt. Das Tor hätte allerdings wohl nicht zählen dürfen: Guillaume Hoarau steht im Offside und greift in die Aktion ein, indem er seinem Gegenspieler Hekuran Kryeziu, der eine Chance zur Klärung des Balles hätte, den Weg versperrt.

Vor allem dem eingewechselten Fabian Rohner ist es zu verdanken, dass am Ende dieser Partie die Walliser keine (drei) Punkte auf den Stadtclub gut machen können. Sein 2:2-Ausgleich in der 85. Minute steht exemplarisch für seine Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit, die er zusätzlich zu seiner Schnelligkeit in den Beinen mitbringt. Er profitiert dabei allerdings auch vom nicht optimalen Verhalten des aktuell grössten Sion-Schwachpunktes Sandro Theler. Sofort mit der Einwechslung von Rohner kommt Zug ins Zürcher Spiel. Schon in seiner ersten Einsatzminute holt er zwei Einwürfe heraus und kommt zu einer Abschlusschance im gegnerischen Strafraum. Nach drei Minuten kann er mit einem Lauf über die rechte Seite nach Steilpass Omeragic an Ndoye vorbei für noch mehr Gefahr im Walliser 16er sorgen. Nach fünf Minuten kommt Rohner zu einer Grosschance nach Vorarbeit von Toni Domgjoni – Iapichino rettet für den bereits geschlagenen Fickentscher. Diese Aktionen des Zürcher Einwechselspielers verunsichern Sion. Es häufen sich beim Heimteam die unnötigen Ballverluste und die Offsidelinie steht schlecht.

Neben der Personalie Rohner (und Gnonto) bringt der FCZ Sion aber auch mit zwei taktischen Umstellungen in kurzer Folge aus der Balance, zu denen sich zusätzlich auch noch eine individuell hohe Agilität und viele Positionswechsel gesellen. Die Schlussphase in Sion erinnerte von der Spielweise her mit vielen fliessenden Positionswechseln etwas an den „Total Voetbal“ der Holländer in den 70er-Jahren. Die Einwechslungen und die Veränderung der taktischen Formation hatten einen Zusammenhang, denn durch den Shift vom 4-2-3-1 erst auf ein 3-4-1-2 und dann vor allem auch noch auf ein 4-4-2 mit Rhombus wurden die Sion-Flügel durch die Zürcher Überzahl im Zentrum in die Mitte gezogen, was den Zürcher Aussenläufern / Aussenverteidigern, vor allem Rohner, viel Platz über die Seiten ermöglichte. Gleich nach dem 2:2 durch Rohner kommt durch eine Unaufmerksamkeit von Hekuran Kryeziu (und davor Seiler) Karlen zu einer guten Kopfballchance. In den letzten Minuten der Partie ist dann aber der FCZ näher dran am Sieg. Erst vergibt Kramer nach guter Tosin-Flanke eine „Hundertprozentige“ am linken Pfosten und dann macht Kololli aus einem von Seiler herausgeholten Freistoss zentral direkt vor dem Strafraum zu wenig.

Statistisch kommt der FCZ in Sion zu vielen Freistössen in Strafraumnähe (7) und wie in der letzten Begegnung mit den Wallisern zu einer grossen Anzahl an Flanken (17). Die FCZ-Startformation hat eine ungenügende Züri Live-Durchschnittsnote. Zwar resultieren aus der Partie eine saisonrekordhohe Anzahl an Top-Offensivaktionen sowie Top-Defensivaktionen im dreistelligen Bereich. Gleichzeitig sind aber auch die Fehler und Negativaktionen äusserst zahlreich. Gegen YB in Top-Verfassung reicht üblicherweise ein einzelner Fehler für ein Gegentor. Sion in ihrem Zustand nach dem Vaduz-Spiel ist hingegen nur in der Lage zu treffen, wenn mehrere Spieler des Gegners eine Fehlerkette aneinanderreihen. Und dies dürfte dem FCZ nicht passieren – schon gar so häufig. Die Einwechselspieler (vor allem Rohner und Gnonto) machen den Gesamtschnitt letztlich noch genügend. Die Probleme in der Abwehrreihe setzen sich fort und Kololli bewegt sich wieder stark in seinen üblichen teilnahmslosen Mustern.

Personalien

Becir Omeragic (2) – Rutscht immer tiefer in die Krise. Das sechste Spiel in Folge mit einer ungenügenden Note – davon die letzten drei mit einer „1“ oder „2“. Hat durchaus seine guten Aktionen nach hinten und vorne, aber die negativ zu bewertenden Situationen sind viel zu zahlreich. Schon in der 19. Minute agiert er gegen Tupta viel zu zögerlich, was diesem eine grosse Doppelchance zur Walliser Führung eröffnet. Omeragic verliert zudem beim Eckball seinen Gegenspieler Lacroix aus den Augen und ist vor allem an beiden Gegentoren entscheidend beteiligt. Nach Tosins Ballverlust ist er mit dem Kopf nicht bei der Sache und trabt gedankenverloren auf eine Position im Niemandsland und lässt Doumbia auf der Seite alleine gegen zwei Sittener verteidigen. Ausgerechnet gegen ein Sion, das in dieser Partie auf Körpergrösse und Hohe Bälle gesetzt hat, lässt Omeragic Iapichino unbedrängt flanken, was Guillaume Hoarau sein erstes Saisontor ermöglicht und dem FC Sion nicht nur in diesem Spiel, sondern im Abstiegskampf insgesamt neue Moral verleiht. Auch beim zweiten Gegentor herrscht nach Doumbias Ballverlust vor dem eigenen Strafraum Alarmstufe Rot, aber Omeragic joggt wie zuletzt häufig selbst in einer solchen Situation gemächlich in den eigenen Strafraum zurück, als ob ihn die Sache nichts anginge, und lässt so Musa Araz gleich zwei Mal hintereinander zum Abschluss kommen – beim zweiten Mal trifft der Sion-Mittelfeldmann. Die Ursprungsfehler haben zwei Mitspieler gemacht, aber ohne Omeragics geistiger Abwesenheit wären beide Gegentore ziemlich sicher nicht gefallen.

Hekuran Kryeziu (2) – Nach zwei guten Leistungen gegen St. Gallen und Servette gibt es in Sion wieder mal einen „Abschiffer“ von Heki. Sein Auftritt während der ganzen Partie war grossen Schwankungen unterworfen mit sich abwechselnden besseren und schlechten Phasen. In entscheidenden Situationen im eigenen Strafraum nicht so fokussiert wie zuletzt. Macht zeitkostende Schlenker und hat wieder eine brenzlige Situation bei einem Standard, als er Gaëtan Karlen leicht zurückhält – allerdings eher nicht penaltyreif. Verschätzt sich gleich im Gegenzug nach dem 2:2-Ausgleich Rohners und lässt Karlen völlig frei zum Kopfball kommen.

Nathan (6) – Am Brasilianer müssten sich beim FCZ viele ein Vorbild nehmen. Zu Beginn der Partie gelingt ihm nichts. Die Bälle fliegen weit entfernt von den Orten hin, wo er sie hinhaben will. Seine beste Phase der Saison ist es nicht. Und obwohl der Paulista nicht so spritzig wie in anderen Phasen der Saison wirkt, findet er trotzdem über den Kampf ins Spiel – und dreht gegen Ende der Partie sogar noch auf, ist überall anzutreffen. Mit einem energischen Sprint im Laufduell in der 78. Minute kauft er dem eingewechselten Sion-Hoffnungsträger Jared Khasa gleich zu Beginn von dessen Einsatz den Schneid ab.

Fidan Aliti (10) – Gegen Servette mal einen schlechten Tag erwischt, aber in Sion ist Aliti wieder voll da! Hat sowohl am drittmeisten Top-Offensivaktionen als auch am drittmeisten Top-Defensivaktionen der Mannschaft und macht praktisch keine Fehler. Vor allem auch dank Aliti kann sich Ceesay auf der linken Seite steigern. Kololli nutzt die guten Ansätze seines Nationalteamkollegen hingegen zu wenig aus.

Toni Domgjoni (6) – Am meisten Top-Offensivaktionen aller FCZ-ler, unter anderem mit einem präzisen 40 Meter-Diagonalball direkt nach dem ersten Gegentor und der ausgezeichneten Vorarbeit zu Fabian Rohners Grosschance in der 69. Minute. Versteht sich erneut hervorragend mit seinem schon in Juniorenzeiten langjährigen Teamkollegen Rohner. Ist aber in dieser Partie ebenfalls nicht vor Leistungsschwankungen gefeit.

Ousmane Doumbia (5) – In der Startphase der beste Zürcher, gibt es ab der 27. Minute einen Bruch im Spiel des Ivorers, als dieser sich bei einem hohen Ball im Mittelfeld verschätzt und gefährlich rückwärts köpft, was Gaëtan Karlen nach Vorarbeit von Lubomir Tupta zu einer Top-Chance vor dem verwaisten leeren Zürcher Kasten verhilft. Ab diesem Moment verliert Doumbia mehrere Bälle zu einfach, darunter denjenigen in der 51. Minute gegen Karlen, welcher zum 2:1-Führungstreffer Sions führt. Kann sich im Verlauf der 2. Halbzeit wieder steigern, als Sion sich hinten reindrängen lässt und Doumbia im Gegenpressing einige gute Aktionen hat.

Aiyegun Tosin (5) – Startete bei seinem Comeback in St. Gallen mit einer „1“, dann gegen Servette eine „3“ und nun erstmals eine genügende Note. Überzeugt auch in dieser Partie in der Sturmspitze deutlich mehr, als auf dem Flügel – unter anderem auch mit seinem Forechecking an vorderster Front. Schiesst sein viertes Saisontor und gewinnt im Abschluss wieder an Selbstvertrauen.

Assan Ceesay (5) – Fängt gerade in der Anfangsphase mehrmals vor dem eigenen Strafraum wichtige Zweite Bälle ab und leitet den Gegenangriff ein. Profitiert auf Links von Alitis Steigerung im Vergleich zum Servette-Spiel.

Benjamin Kololli (1) – Hat den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt! Schon die Erste Halbzeit war schlecht. Vielleicht dachte er, dass nach seiner Ablage auf Tosin zum 0:1 seine Arbeit erledigt sei. Die Zweite Halbzeit grenzte dann an Arbeitsverweigerung. Kommt den Bällen nicht entgegen, ist gedanklich nicht präsent, hält sich aus Zweikämpfen weitgehend raus und seine Standards sowie Weitschüsse wirken unmotiviert. Beginnt in der Sturmspitze, spielt nach der Einwechslung Rohners in der 64. Minute zehn Minuten lang als sein Pendant am Linken Flügel, um dann die Partie sowohl im 3-4-1-2, als auch im 4-1-2-1-2 auf der Zehnerposition zu beenden. Seine Konzentrationsprobleme bleiben während der ganzen Partie positionsunabhängig die gleichen.

Fabian Rohner (10) – Genau das Gegenteil von Kololli. Kommt in der Minute seiner Einwechslung mit guter Deckungsarbeit gegen Hoarau sofort zu einem Ballgewinn und noch in derselben Minute bereits zu seinem ersten Abschluss. Zwei Mal mit Ballgewinnen am eigenen Strafraum und anschliessendem schnellen Gegenstoss. Kippt so das Spiel wieder mehr auf die Seite des FCZ. Nach einer durch Iapichino für den bereits geschlagenen Fickentscher geklärten Topchance Rohners, nutzt der junge Zürcher durch Entschlossenheit und Handlungsschnelligkeit mit seinem schwächeren linken Fuss seine zweite gute Chance zum Ausgleich. Beginnt seinen Einsatz in der 64. Minute auf dem Rechten Flügel im 4-2-3-1, spielt dann ab der 74. Minute nach der Umstellung auf Dreierabwehr als Rechter Aussenläufer und erzielt sein Tor schlussendlich als hoch stehender Linker Aussenverteidiger in einem Rhombussystem. In letzteren beiden Rollen findet er relativ viel Platz über die Seiten vor, weil Sions Flügel durch die Massierung des FCZ im Zentrum in die Mitte gezogen werden.

Telegramm

Sion – FC Zürich 2:2 (1:1)
Tore: 14. Tosin (Kololli) 0:1, 41. Hoarau (Iapichino) 1:1; 52. Araz (Theler) 2:1, 85. Rohner (Omeragic) 2:2.
Sion – Fickentscher; Theler, Lacroix, Ndoye, Iapichino; Tosetti, Zock (75. Grgic), Araz, Tupta (84. Bamert); Karlen, Hoarau (71. Khasa).
FCZ – Brecher; Omeragic, H. Kryeziu, Nathan, Aliti (83. Gnonto); Domgjoni (74. Seiler), Doumbia; Tosin, Marchesano (74. Kramer), Ceesay (64. Rohner); Kololli.

Weiter harmlos bei Standards, irreguläres Tor zum 1:2 / FCZ – Sion Analyse und Highlights

Der FCZ verliert nach acht Monaten erstmals wieder ein Heimspiel – und dies gegen Murat Yakins FC Sion. Damit ist die Bilanz von FCZ-Trainer Magnin gegen den Ex GC-Trainer nach den drei Derbies im März/April und dem dank Einwechselspieler Assan Ceesay spät errungenen 2:1-Erfolg im Tourbillon wieder ausgeglichen. In der Startaufstellung fehlen Umaru Bangura und Toni Domgjoni, welcher zuletzt in seinen Leistungen etwas stagniert hatte. Das 1:0 durch Antonio Marchesano in der 62. Minute schien der späte Lohn für eine gute 1. Halbzeit und mehrere Topchancen zu sein. Andreas Maxsö hatte das Tor mit einem magistralen Pass auf den eben eingewechselten Salim Khelifi eingeleitet. Nach den drei Assists in Luzern war Khelifi damit erneut in der Meisterschaft Assistgeber.

Allerdings kam vom Waadtländer danach nicht mehr viel. Stattdessen gelang in der 71. Minute Pajtim Kasami nach einem Sion-Konter der Ausgleich zum 1:1. Dieser Gegentreffer war beinahe eine Kopie des 1:1-Gegentreffers in Luzern und deshalb speziell ärgerlich. Der FCZ agiert im Anschluss an einen eigenen Eckball erneut überaus risikoreich. Sechs Zürcher stehen annähernd auf einer Linie vor dem Sion-Strafraum, als Hekuran Kryeziu zu einem hohen Ball ansetzt. Kommt Kryezius Ball gut und zügig nach ganz rechts aussen, wo die «Weissen» eine klare Überzahl haben, dann kann daraus eine weitere Topchance auf das 2:0 entstehen (siehe untenstehenden Screenshot).

Kryeziu spielt den Ball aber nicht ideal in den linken Bereich des Strafraumes, wo Verteidiger Ndoye keine Probleme hat, vor Maxsö an den Ball zu kommen. Weil Khelifi zu wenig energisch eingreift, kommt der Sion-Gegenangriff ins Rollen. Palsson nimmt sich mit einer erfolglosen Grätsche gegen Kasami selbst aus dem Spiel und kann dadurch nachher nicht mehr eingreifen. Pa Modou macht den Raum für Lenjani auf, indem er ebenfalls erfolglos vorrückt, um Kasami anzugreifen. Dieser könnte nun den Ball steil auf Lenjani spielen, welcher damit alleine vor Torhüter Brecher auftauchen würde. Da Kasami aber das Tor selbst erzielen will, zieht er den Pass auf Lenjani nach aussen und sprintet selbst in die Abschlussposition im Zentrum.

Genauso wie vor anderthalb Monaten im Tourbillon der eingewechselte Assan Ceesay für den FCZ-Sieg gesorgt hatte, war diesmal mit Adryan für Sion ebenfalls ein Joker für den entscheidenden Schwung zum Auswärtssieg im Letzigrund verantwortlich. Der Brasilianer leitete mit einem schnellen Antritt über links das 1:2 ein. Ein Tor, welches allerdings auf irreguläre Weise zustandekam und für den FCZ weitere schmerzhafte Folgen mit sich bringt. Kevin Rüegg hat im eigenen Strafraum einen kurzen Moment die Möglichkeit, den Ball über die Grundlinie zu klären – lässt diese aber verstreichen. Im nächsten Moment rauscht Adryan heran und streckt Rüegg mit der Sohle voran nieder (siehe untenstehenden Screenshot).

Aufgrund dieses Fouls fällt Rüegg nun mit Teilriss des Innenbandes im Rechten Knie mehrere Wochen aus! Damit nicht genug: Im Anschluss an diese Szene stiess Pajtim Kasami Andreas Maxsö in Alain Nef hinein und setzte damit gleich zwei weitere Zürcher aufs Mal ausser Gefecht (siehe untenstehenden Screenshot). Mit drei Zürcher Verteidigern am Boden war der Weg nun frei für den eingewechselten Yassin Fortune, den 2:1-Siegtreffer zu erzielen. Dass der ansonsten gut pfeifende griechische Referee Anastasios Papapetrou gleich beide regelwidrigen Aktionen im Getümmel übersah, ist die eine Geschichte. Weit weniger entschuldbar ist, dass die übertragenden TV-Stationen (und damit auch alle anderen Medien) trotz eindeutiger Bilder, Zeitlupen und mehreren Blickwinkeln einmal mehr so taten, als sei nichts passiert.

Kurz nach dem Gegentor wechselte Ludo Magnin als dritten Einwechselspieler Adrian Winter für Züri Live-MVP Roberto Rodriguez ein, der sich auch diesmal auf der Rechten Seite gut mit Rüegg ergänzt und eine Saisonrekordzahl von sieben Flanken in den Strafraum gebracht hatte – darunter die Idealvorlage für Ceesay bei dessen Pfostenschuss aus spitzem Winkel. Offenbar hatte Rüegg eine Minute nach Adryans Foul noch das Gefühl, weiterspielen zu können oder zu müssen und blieb auf dem Feld – mit zunehmender Spieldauer in der Schlussphase aber mehr und mehr humpelnd. Rüegg blieb nicht das einzige Verletzungsopfer der Partie. Schon in der 50. Minute hatte der Medizinische Masseur Rolf Schumann Stephen Odey nach dessen Zusammenprall mit Sion-Keeper Kevin Fickentscher auf der Schulter in die Kabine tragen müssen.  

Dem FCZ nützt es am Ende der Partie nichts, dass er gegen Sion ausnahmsweise mal das zweikampfstärkere Team stellt und mehrmals von groben Schnitzern des Ex GC-Verteidigers Jan Bamert profitieren kann. Weiterhin zu ungefährlich ist das Letzigrund-Team bei Standards. Benjamin Kolollis Freistoss- und Cornerbälle sehen zwar meist ästhetisch hübsch aus, sind aber wenig effektiv. Nach dem FC Thun hat der FCZ in dieser Saison bisher am zweitwenigsten Kopfballtore aller Super League-isten erzielt. In den letzten Jahren hat in solchen Situationen ein Wechsel des Standardspezialisten meist kurzfristig einen positiven Effekt gehabt, auch weil die Gegner dann jeweils nicht auf dessen Stil eingestellt sind. Ausserdem spielt Kololli seine Standards gerne direkt – mit kurz gespielten Cornern und Freistössen schien der FCZ in den letzten Jahren aber mehr Erfolg zu haben. Eines der raren Beispiele eines kurz gespielten Standards in der jüngeren Vergangenheit war der Eckball zum 1:0-Siegtreffer von Victor Palsson gegen Ludogorets, wo Kololli kurz angespielt aus einer besseren Position flanken konnte, als bei einem direkt ausgeführten Corner.

 FCZ – Sion 1:2 (0:0)

Tore: 62. Marchesano (Khelifi) 1:0, 71. Kasami (Lenjani) 1:1, 82. Fortune (Adryan) 1:2.

FCZ: Brecher; Rüegg, Nef, Maxsö, Pa Modou; Palsson; Marchesano, H. Kryeziu; Rodriguez (84. Winter), Kololli (59. Khelifi); Odey (50. Ceesay).

Sion: Fickentscher; Maceiras (63. Abdellaoui), Ndoye, Bamert, Morgado; Mveng, Neitzke, Kouassi; Kasami, Lenjani (77. Fortune); Philippe (63. Adryan).

 

(Screenshots: Teleclub)

Alte Fehler, zu viel Selbstsicherheit – aber dank kluger Taktik trotzdem ein Punkt in Unterzahl / FCZ – Sion 3:3 Spielanalyse und Interviews

Nach dem 3:3 im Letzigrund ist die Konsternation bei Spielern, Trainerstaff und Journalisten aus Sion gross. Aufgrund der Überzahl, der verspielten 2:0-Führung, der Tabellensituation und vor allem auch dem Auftreten der Mannschaft. Es war wahrlich ein insgesamt schlechter Auftritt von beiden Teams, welcher am Ende auch keinen Sieger verdient hatte. Ganz anders, als noch bei der FCZ-Auswärtspartie vor Wochenfrist in Luzern, wo die Zuschauer ein packendes Spiel mit hohem Tempo, über weite Strecken kompakten Defensivleistungen und kreativen Offensivaktionen beider Mannschaften gesehen hatten. Im Letzigrund spielten der FCZ und Sion beide von Beginn weg pomadig. Es fehlte das Feuer. Bezüglich der sich im “Überlebenskampf“ befindlichen Walliser noch eine Spur erstaunlicher, als beim erneut mit vielen jungen Eigengewächsen antretenden FCZ.

Trainer Ludo Magnin stellte sein Team wieder mal mit einer Dreierabwehr auf (welche aber von Beginn weg eher wie eine Fünferkette agierte). Dies auch im Nachhinein gesehen zu Recht, weil er diesmal Sion aufgrund der Absenzen von Kasami und Carlitos  mit einer stark veränderten Spielanlage erwartete. Die Walliser griffen tatsächlich deutlich weniger über die Seiten an und spielten nicht mehr die noch beim 1:1 im Tourbillon praktizierten gefährlichen scharfen Diagonalbälle. Der wie immer agile Maceiras zog in der gegnerischen Hälfte meist Richtung Mitte und von Lenjani auf der anderen Seite war kaum etwas zu sehen. Ein weiterer Grund für die taktische Umstellung auf Zürcher Seite mag auch die Absenz der aktuell zwei besten Innenverteidiger Bangura und Nef gewesen sein.

Mit einem dritten Mann wurde hinten das Zentrum quantitativ gestärkt. Wichtiger als Quantität ist in der Regel aber die Qualität. Captain Victor Palsson konnte im Abwehrzentrum einmal mehr nicht verbergen, dass er auf dieser Position auf Niveau Super League nicht genügt. Cédric Brunner lieferte wenige Tage nach seiner Vertragsunterschrift in Bielefeld einen der schlechtesten Auftritte der aktuellen Saison ab, und der zuletzt wenig berücksichtigte Rasmus Thelander vermochte ebenfalls nicht Werbung in eigener Sache machen. In den Anfangsminuten war der FCZ klar die «weniger schlechte Mannschaft» auf dem Platz und hatte dadurch ein Übergewicht.

Es war dann aber Sion, welches mit seiner ersten «Halbchance» in der 7. Minute gleich in Front ging. Dies mit einem kleinen Cornertrick, der über die Jahre hinweg bei unterschiedlichstem Personal und unter den unterschiedlichsten Trainern gegen den FCZ immer wieder gut zu funktionieren scheint: dem Überkreuzen. Diesmal praktizierten dies Schneuwly (Gegenspieler: Brunner) und Bamert (Gegenspieler: Pa Modou) beim Eckball des ehemaligen FCZ-Juniors Anto Grgic wieder einmal erfolgreich. Pa Modou verlor seinen Gegenspieler komplett aus den Augen und der ehemalige GC-Junior konnte ziemlich freistehend einköpfen, weil Brunner in Unterzahl die Situation auch nicht mehr zu retten vermochte.

https://soundcloud.com/fcz-radio/rasmus-thelander-hatte-das-gefuhl-rot-war-ein-fehlentscheid

In der 29. Minute unterlief dann Aliu mit einem nach hinten losgehenden «Blindgänger» ein Missgeschick im Mittelfeld. Thelander hätte allerdings genug Zeit gehabt, die Situation zu klären, zögerte aber zu lange. Den Platzverweis nach dem Foul Thelanders am flinken Cunha mehr als 25 Meter vor dem Tor hätten die meisten Schiedsrichter in derselben Situation aber wohl nicht ausgesprochen, denn der ohne Ball im Normalfall schnellere Palsson stand auf gleicher Höhe und eine klare Torchance für Cunha damit eher nicht vorhanden. Die Positionen im Zürcher Spiel wurden nicht gross geändert. Ohne Thelander wurde aus der Fünferkette einfach eine Viererkette. Das im Schnitt 18,7 Jahre alte Mittelfeld mit Rüegg, Domgjoni und Aliu blieb intakt und vorne agierte mit Frey und Dwamena weiterhin ein Zweimannsturm.

Zur Pause konnte man aus FCZ-Sicht ganz und gar nicht zufrieden sein: Resultat und Auftritt waren nicht genügend und dazu war man noch in Unterzahl. Antonio Marchesano ersetzte Adrian Winter – Kevin Rüegg rückte auf die rechte Seite. Wie schon in Luzern wirkte die Mannschaft aber schon bald nach der Pause müde und liess sich auch unter Berücksichtigung der Unterzahlsituation zu stark einschnüren. Aus so einer Situation entstand dann auch das 0:2. Bei diesem Gegentreffer spazierte der unter dem Strich durchaus wieder eine gute Partie abliefernde Izer Aliu etwas gedankenverloren an der Strafraumgrenze herum, war zu wenig aufmerksam und liess so Bastien Toma frei zum Abschluss kommen. Davor hatte Kevin Rüegg Cunha nicht an der Hereingabe im Strafraum hindern können. Einerseits lag dies an der Qualität von Cunha im Eins-gegen-Eins, andererseits aber auch am jugendlichen Optimismus Rüeggs, der in vielen Szenen „zu viel“ will: auch noch den zweiten oder dritten Gegenspieler umdribbeln, statt den einfachen Querpass spielen – oder den Ball sofort zurückerobern wollen, statt einfach mitlaufen und die Flanke verhindern. Ob Rüeggs Risiko aufgeht, oder nicht, hängt jeweils in erster Linie von der Qualität des Gegenspielers ab. In der Defensive gegen einen Cunha in Form geht es meistens schief. Später vor dem 2:2-Ausgleichstreffer hingegen konnte Rüegg die Sion-Abwehr aus den Angeln heben, weil er sich gegen den wenig überzeugenden Lenjani trotz zu weitem Vorlegen des Balles seitlich des gegnerischen Strafraumes durchsetzen konnte. In der 78. Minute wiederum überschätzte Rüegg seine Kräfte und konnte nur noch schleppenden Schrittes zurücktraben, was Aimery Pinga die goldene Sion-Chance zum 3:4 alleine vor Yanick Brecher ermöglichte.

Der Zürcher Torhüter zeigt weiterhin aufsteigende Tendenz. Der Lapsus beim 3:3 war dann aber eine Aktion, wie sie von Brecher auch in der aktuellen Saison in Promotion League, Cup und Super League schon mehrmals zu sehen war. Ähnlich wie Rüegg überschätzte er sich – und bei einem Torhüter führt so etwas häufig gleich zu einem Gegentor. Selbstsicherheit ist gut, aber ein Quentchen mehr Vorsicht ist für die Mischung dieser Torhüter-Suppe vonnöten. Dies könnte sich Brecher bei seinem Torhüterkollegen Vanins oder auch einem seiner Vorgänger, Johnny Leoni (mittlerweile übrigens mit Tochigi von der Dritten in die Zweite Japanische Liga aufgestiegen) abschauen. Vanins spielte unter Trainer Forte sehr solide. Mit den Vorgaben des Trainerduos Magnin/Van Eck hätte der Lette aber sicherlich noch mehr Probleme als Brecher und würde wohl mehr Fehler begehen als dieser.

Genau fünf Monate nach seinem Doppelpack im Cup-Viertelfinal gegen Thun fand Stürmer Michael Frey endlich  wieder mal das Tornetz. Nach dem 0:2 durch Toma in der 56. Minute zeigte sich Sion etwas zu sorglos und der FCZ konnte sich endlich zu einer Reaktion aufraffen, was in der Summe zu zwei Treffern innert zwei Minuten zum 2:2-Ausgleich führte. Es dauerte noch etwa fünf weitere Minuten bis Trainer Magnin Stürmer Dwamena links ins Mittelfeld zurückbeorderte und aus einem 4-1-2-2 ein 4-4-1 wurde. Dem verbliebenen Stürmer Frey gab Magnin die Anweisung, seine Defensivarbeit zu reduzieren und seine Kräfte stattdessen für Konterangriffe aufzusparen, was dieser dann auch eindrücklich umsetzte, und mit einer Energieleistung im gerade noch tolerablen Zweikampf gegen den an diesem Nachmittag häufig indisponierten André Neitzke den 3:2-Führungstreffer und einen lupenreinen Hattrick realisierte.

https://soundcloud.com/fcz-radio/michi-frey-anweisung-von-magnin-krafte-fur-entscheidende-aktionen-zu-sparen

In der Schlussphase wurden weiter munter die Positionen rotiert. Als in der 79. Minute Mirlind Kryeziu für Raphael Dwamena eingewechselt wurde, stellte der FCZ wieder auf die anfängliche Fünferabwehr um und igelte sich weitgehend am eigenen Strafraum ein. Unter den Voraussetzungen des zuvor aufkommenden «Schlagabtausches» in welchem Sion Vorteile hatte, sicherlich eine vernünftige Massnahme. Fabian Rohner ersetzte dann in der 83. Minute Izer Aliu, wodurch Kevin Rüegg wieder zurück ins Zentrale Mittelfeld wechselte. Rohner war es dann auch, der sich von rechts von der Mittellinie startend mit seinem Antritt zwischen Succar und Neitzke hindurchzwängte und zu einer Topchance an der Strafraumgrenze kam – inklusive Nachsetzen von Frey direkt vor der Torlinie. Sion hatte aber mit Pinga und Bamert ebenfalls noch zwei sehr gute Möglichkeiten, das Spiel zu entscheiden.

https://soundcloud.com/fcz-radio/toni-domgjoni-kontertaktik-hat-in-2-halbzeit-geklappt

FCZ – Sion 3:3 (0:1)

Tore: 7. Bamert (Grgic) 0:1; 56. Toma 0:2, 59. Frey (Dwamena) 1:2, 61. Frey (Dwamena) 2:2, 72. Frey (Pa Modou) 3:2, 74. Grgic (Cunha) 3:3.

FC Zürich: Brecher; Thelander, Palsson, Brunner; Winter (46. Marchesano), Rüegg, Pa Modou; Domgjoni, Aliu (83. Rohner); Frey, Dwamena (79. Kryeziu).

Sion: Fickentscher; Maceiras, Bamert, Neitzke, Lenjani (88. Angha); Toma, Kouassi, Grgic (85. Succar); Schneuwly, Cunha, Adryan (71. Pinga).