Trends der Vorrunde setzen sich fort – FCZ-Testspielbilanz Winter 21/22

Nur drei Testspiele hat der FCZ in der Wintervorbereitung 21/22 absolviert und dabei gegen den Wuppertaler SV und das polnische Spitzenteam Pogon Szczecin (Spitzname: „Hafenarbeiter“) in Belek unentschieden gespielt – und eine Woche vor Rückrundenstart den FC Wil im Heerenschürli 1:0 geschlagen. Erstmals konnte dabei die 1. Mannschaft direkt aus der frisch bezogenen Kabine im neuen „Home of FCZ“ direkt hinaus auf den Platz zum Testspiel laufen. Auch die Büro-Crew ist bereits weitgehend in Schwamendingen eingerichtet. DIe eigentlichen FCZ-Trainingsplätze sind allerdings immer noch im Umbau.

Viel Pressing in den ersten beiden Testspielen

Gegen Wuppertal liess Trainer Breitenreiter in den zwei Mal 60 Minuten jeweils mit Viererabwehr spielen – zuerst mit einem Rhombus im Mittelfeld, dann in einem 4-3-3 (präziser: 4-1-2-3) wie in den Cuppartien in Solothurn und Yverdon. In den anderen beiden Partien formierte sich die Mannschaft dann wieder im üblichen 3-4-1-2. Beim 3:3 gegen Wuppertal agierte der FCZ viel im Pressing – sowohl die eigenen wie auch die gegnerischen Tore entstanden aus FCZ-Pressingsituationen. Ähnlich agierte man 35 Minuten auch gegen Pogon und ging durch einen Marchesano-Ablenker am nahen Pfosten nach einem Dzemaili-Freistoss von der Seite zwischenzeitlich mit 1:0 in Führung.

Déjà Vu bei Standards

Dzemaili trat im letzten Testspiel gegen den FC Wil auch die Mehrzahl der Eckbälle. Aus einem solchen von der rechten Seite entstand das einzige Tor der Partie. Es war praktisch eine Kopie des 3:3-Ausgleichstreffers im August in St. Gallen mit einem schönen Aliti-Ablenker auf Höhe des nahen Pfostens und Gnonto, der den Ball am entfernten Pfosten auf oder vielleicht auch bereits etwas hinter der Torlinie ins Netz lenkte – nur wurde diesmal der Ball eher flach statt hoch gespielt. In einer weiteren Szene hätte Gnonto das Skore erhöhen können. Diese war sozusagen eine Kopie seines 2:0-Führungstreffers vor der Winterpause in Lausanne. Diesmal lenkte Kamberi nach einem Eckball den Ball an die Fünfergrenze, wo Gnonto mit seinem Abschluss aus einer 180 Grad-Drehung an Wils Torhüter Marvin Keller scheiterte. Viele Torchancen liess auch Blaz Kramer liegen, worüber sich der Slowene ärgerte. Gleichzeitig hat sich sein Engagement in der Defensive und im Spielaufbau seit seiner Rückkehr vor der Winterpause im Vergleich zu vorher stark verbessert.

Im 4-1-2-3 über die Seiten anfällig

Im 4-1-2-3 hatte der FCZ defensiv Probleme. Die Aussenverteidiger hatten bei einem so hoch stehenden Flügel zu wenig Unterstützung, wurden über beide Seiten überspielt und im eigenen Strafraum stand nach der Flanke gleichzeitig immer wieder ein Gegenspieler frei. Das erinnerte an eine Reihe von Gegentoren in den letzten Saisons. Die Kombination von äusserem Innenverteidiger plus weit nach hinten arbeitendem Aussenläufer zusammen mit den aussen helfenden Mittelfeldspielern im 3-4-1-2 hat sich zur Abdeckung der Seiten in der Vorrunde und auch der Wintervorbereitung deutlich besser bewährt.

Mets trotz „Wacklern“ ein Startelfkandidat

Auch personell hat sich über den Wintermonat wenig geändert. Die Hierarchie im Tor ist klar. Mirlind Kryeziu wird weiterhin die zentrale Position in der Dreierabwehr einnehmen. Gerade gegen Wil wurde der FCZ in erster Linie über Spieleröffnungen Kryezius nach vorne gefährlich. Neben den Standards. Auf diesen Erfolgsfaktor baut man auch in der Rückrunde. Und diesbezüglich hat man eine hohe Variabilität im Kader. Guerrero, Marchesano, Coric nicht dabei? Dann tritt halt Dzemaili oder Khelifi an – die können das auch sehr gut. Und die Automatismen bei den Standards werden mit zunehmendem Saisonverlauf eher noch besser.

In der Sommervorbereitung war Becir Omeragic am letzten Testspieltag gegen Kriens und Xamax im Heerenschürli zumindest noch zwei Mal zu einem Teileinsatz gekommen. Diesmal reichte es nicht mal dafür. In allen Testpartien dieser Saison zusammengezählt lief der Genfer ganze 74 Minuten auf. Auf der einen Seite hat Trainer Breitenreiter sicherlich das Vertrauen in ihn, auch ohne Testspielminuten in den Beinen. Falls er aber in einer Woche gegen seinen Stammklub noch nicht bereit wäre, dann könnte es zu einer Dreierabwehr mit drei Linksfüssern Mets, Kryeziu und Aliti kommen – mit Mets auf der rechten Seite. Der Este hat wohl einen leichten Vorteil gegenüber Kamberi, auch wenn er gegen Pogon das Gegentor verursacht und einen identischen Fehler (diesmal ohne Folgen) gleich nochmal gegen Wil begangen hat.

Gogia in Zukunft vermehrt auf der linken Aussenbahn?

Auf den Aussenbahnen ist die Situation ebenfalls klar. Bornijasevic und Guerrero sind eine Bank und haben sich ihren erspielten und vor allem erlaufenen Status verdient. Rohner ist der Ersatz auf rechts. Links hat Fidan Aliti gute Ansätze gezeigt, auch wenn er speziell gegen Wil auch etwas unglücklich agiert hat. Andy Gogia gibt sich Mühe, sich defensiv zu verbessern, wenn er als Aussenläufer eingesetzt wird. Ob er mittlerweile wirklich über 90 Minuten auf Super League-Niveau auf dieser Position solide genug auftreten könnte, ist noch eine offene Frage. Aber eine solche Variante scheint zumindest die deutlich bessere Option zu sein, als das System auf zwei offensive Flügel zu ändern. In einer solchen Formation hat Gogia in Wettbewerbsspielen und Tests jeweils enttäuscht. Defensiv gefordert zu werden, tut Gogia und seinem Spiel besser, als wenn er zu viel (vermeintliche) Pausen und Zeit zum Nachdenken hat.

Gnonto und Dzemaili im Aufschwung, Khelifi eine Alternative im Sturm

Im Zentrum scheint alles auf ein Duo Doumbia / Dzemaili herauszulaufen. Dzemaili versucht noch einmal auf ein höheres Niveau zu kommen, was natürlich ein Wettkampf gegen die Zeit ist. Man hat es bei Servette’s ehemaligem Weltklassemann Gaël Clichy gesehen, der zuletzt altersbedingt nicht mehr so dominant aufgetreten ist, wie noch zu Beginn seiner Servette-Zeit. Oder Christian Gentner – der Musterprofi hat nach Manuel Neuer von allen Aktiven am zweitmeisten Bundesligaeinsätze und konnte in der Vorrunde bei Luzern zwar noch mithalten, aber keine wesentlichen Impulse setzen. Auf jeden Fall scheint die Formkurve Dzemailis aktuell nach oben zu zeigen. Wie weit und lange dies in der Super League noch reicht, wird sich zeigen. Bledian Krasniqi zeigte ein paar gute Ansätze, aber von ihm muss sicherlich noch mehr kommen, wenn er einen Stammplatz erobern will. Antonio Marchesano stand gegen Wil nicht im Einsatz. Im letzten Sommer schafften er und andere Zürcher Akteure es genau auf den Saisonstart in Lugano in die beste Verfassung zu kommen. Auch aktuell wieder gegen Servette in einer Woche?

Ante Coric und Moritz Leitner sind zur Zeit etwas aussen vor. Stephan Seiler scheint einen kleinen Schritt nach vorne gemacht haben und wirkte etwas reifer. Von den beiden aus der U21 ins Trainingslager mitgenommenen Jungs wurde Rechtsverteidiger Selmin Hodza auf verschiedenen Positionen eingesetzt, vorwiegend als „Achter“ im Zentralen Mittelfeld. Er bekundete sowohl mit dem Niveau bei den Profis wie auch mit der Position Mühe. Anders der flinke Techniker Miguel Reichmuth, welcher als Alternative für die 10-er oder 8-er Position durchaus einen gewissen Eindruck beim Trainerteam hinterlassen haben dürfte. Auch Henri Koide ist definitiv wieder zurück von seiner Verletzung und hätte dem FCZ als Alternative im Sturm durchaus helfen können. Der Fokus liegt aber auf seiner Entwicklung und Spielpraxis – und die holt er sich in der Rückrunde in der Challenge League bei Xamax auf einem höheren Niveau als der Promotion League. Kramer hat in der Vorbereitung ein Mal getroffen – trotzdem scheinen ihm noch etwas weitere Erfolgserlebnisse zu fehlen. Ob Tosin zum Rückrundenstart fit ist, ist noch unsicher. Eine Bank ist hingegen seit der Schlussphase der Vorrunde Wilfried Gnonto. Der Italiener scheint seine gute Form über den Winter konserviert zu haben. Salim Khelifi ist am ehesten eine Alternative im Sturm und hat da mehr überzeugt, als auf der Achterposition. Khelifi steht da in Konkurrenz zu Rodrigo Pollero. Einer von beiden könnte aufgrund der möglichen Abwesenden zum Auftakt die Chance auf einen Teileinsatz haben.

Seiler und Koide drängen sich auf / zweiter “Corona-Testspielsieg“ / Wil – FCZ 1:4

Nach dem 5:0 in Luzern gewinnt der FCZ auch den zweiten “Corona-Test“ – diesmal 4:1 beim FC Wil. Der Stadtclub ging diesmal im Gegensatz zur Partie in der Innerschweiz nicht mehr beinahe ein “Super League-Tempo“. Die Partie im Bergholz gegen den Challenge League-Sechsten gestaltete sich in der Ersten Halbzeit ausgeglichen, mit wenig Torchancen auf beiden Seiten, wobei der FCZ hauptsächlich mit Konterangriffen für Gefahr sorgte. Kurz nach der Pause schnappte sich Blaz Kramer vom zu wenig handlungsschnellen ehemaligen FCB-Junior Dominik Schmid den Ball, umspielte Torhüter Zivko Kostadinovic und schob zur erstmaligen Zürcher Führung ein. Schon in der 18. Minute war es Schmid gewesen, der nach einem lautstarken Protest von FCZ-Trainer Magnin wegen eines falsch angezeigten Einwurfes nicht bei der Sache war und den Ball in der eigenen Spielhälfte an Kololli verlor, welcher in der Mitte den freistehenden Tosin bediente.

In der 12. Minute hatte Valon Fazliu den FC Wil in Führung gebracht. Schon im Cup war dem 24-jährigen ehemaligen GC-Junior in der 16. Minute auf der gleichen Seite der 1:0-Führungstreffer gegen den FCZ gelungen. Umaru Bangura hatte in der Situation für Adi Winter auf der rechten Zürcher Abwehrseite aushelfen müssen, die Hereingabe von Kwadwo Duah aber nicht mehr verhindern können. Winter bekam den aus dem YB-Nachwuchs stammenden Wiler Offensivmann während der Ersten Halbzeit nicht in den Griff. Statistik am Rande: der FCZ hat in dieser Saison in Testspielen bereits 21 Spieler auf den beiden Aussenverteidigerpositionen eingesetzt! Benjamin Kololli agierte in den ersten 45 Minuten erneut auf der Mittelstürmerposition und machte da seine Sache besser, als nach der Pause, als der Waadtländer wieder auf den Flügel wechselte. Vasilije Janjicic hatte hier in Wil Mitte September seinen ersten Wettbewerbseinsatz seit seiner Rückkehr zum Stadtclub gehabt, vermochte sich an gleicher Stätte im Test aber trotz 90 Minuten-Chance nicht aufzudrängen.

Einen positiven Eindruck hinterliessen auf der Rechten Seite Stephan Seiler (19) und Henri Koide (18). Seiler war der zielstrebigste Spieler beim FCZ und Koide zeigt schon seit Monaten eine hohe Konstanz. Spieler, die wie Koide nie unter ein gewisses Niveau fallen, gibt es ansonsten beim FCZ zur Zeit kaum. Und falls Trainer Magnin Kevin Rüegg weiterhin im Mittelfeld einplant, wäre zum aktuellen Zeitpunkt Seiler wohl im Vergleich mit Winter die bessere und vielseitigere Option auf der Bank. In den letzten 30 Minuten liess der FC Wil aufgrund der Wechsel stärker nach, als der FCZ und so kamen die Gäste aus der Limmatstadt bei Kontern noch zu zwei weiteren Treffern. Kramer lenkte knapp nicht in Offsideposition einen zweiten Abschlussversuch Kempters nach Zumberi-Vorarbeit ins Netz, und Kempter setzte sich gut ab und traf per Kopf, nachdem mit Seiler endlich mal ein Zürcher eine präzise Flanke in den Strafraum gebracht hatte. Der 25-jährige Linksfuss Kempter hatte trotz seiner zwei Skorerpunkte einen durchzogenen Einsatz auf dem linken Flügel.

FC Wil – FCZ 1:4 (1:1)

Tore: 12. Fazliu (Duah) 1:0, 18. Tosin (Kololli) 1:1; 46. Kramer 1:2, 87. Kramer (Kempter) 1:3, 90.+1 Kempter (Seiler) 1:4.

FC Wil: Kostadinovic; Rohner (46. Celant), Dimitriou, Schmid (59. Wörnhard), Schäppi (46. Kamberi); Ismaili (46. Abedini), Muntwiler (46. Ndau); Bosic, Fazliu (59. Ismaili), Duah (59. Paunescu); Silvio (46. Padula).

FCZ: Vanins (46. Brecher); Winter (46. Seiler), Bangura, M. Kryeziu, Pa Modou (46. Pedersen); H. Kryeziu (46. Domgjoni), Janjicic; Tosin (46. Kramer), Marchesano (61. Zumberi), Schönbächler (71. Koide); Kololli (71. Kempter).

 

 

Wir sind FC Wil! Die andere Seite der Story

„Gaht’s no?“, „Nöd ganz bachä?“, „Geschter ztüüf id Guttere glueget?“. So und ähnlich stelle ich mir die Reaktion auf den Titel dieses Artikels in Teilen meines Fussballumfeldes in etwa vor. Ja, der FC Wil ist nicht das Schätzli der Nation und in der Ostschweizer Beliebtheitsskala gegenüber dem alles beherrschenden FC St. Gallen weit im Hintertreffen – sogar in Wil selbst! Auch in den Fankurven des Landes haben die Wiler keine Freunde – mit Ausnahme ein paar treuer Nasen in der Schaffhauser Bierkurve. Kein Wunder lässt sich einfach und folgenlos auf dem Klub herumtrampeln – von Politikern, Journalisten und Fussballinteressierten landauf landab. Auf dieses Schwarze Schaf konnte man sich schnell einigen.

Kein Wunder, lassen sich von Seiten der Disziplinarkommission der Liga schnell mal Punktabzüge aussprechen. Und dies gleich doppelt! Einmal aufgrund von nicht vollständig bezahlten Januarlöhnen und einmal wegen entsprechend ebenfalls fehlendem Nachweis der dazugehörigen Sozialversicherungszahlungen. Also zwei Tatbestände, welche materiell eigentlich identisch sind. Es geht dabei um nicht komplette Nachweise bei drei Spielern. Das Strafmass wirkt aus neutraler Sicht willkürlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Liga das Strafmass auf der Basis der Anzahl BLICK-Schlagzeilen kalkuliert. Einen faden Beigeschmack erhält die Sache ausserdem dadurch, dass Heinrich Schifferle, Vizepräsident von Abstiegskonkurrent Winterthur, nach dem Rücktritt von Wil-Präsident Bigger in der Liga-Exekutive noch mehr Einfluss geltend machen kann, selbst wenn diese keine direkte Entscheidungsgewalt in Disziplinarfragen hat.

Dabei sollte für eine seriöse Rechtssprechung keine Rolle spielen, wie beliebt ein Klub ist, wie viele reisserische BLICK-Schlagzeilen produziert wurden, und ob direkte Konkurrenten in der Liga-Exekutive Einfluss haben. Es kann nicht sein, dass wie bei einer mittelalterlichen Hexenjagd einfach aufgrund schlechter Presse dem Instinkt bergholz-silhouette-hagelnachgegeben wird, „irgendetwas“ gegen das Schwarze Schaf unternehmen zu müssen. Fehler passieren überall. Würde die Disziplinarkommission in Zukunft bei den monatlichen Abrechnungen die Verschärfung des Lizenzreglements wirklich immer so streng bewerten wie aktuell beim FC Wil, dann würden die Super League und Challenge League zunehmend am Grünen Tisch entschieden. Es gewinnt der Klub mit den zuverlässigeren „Bürogummis“, und nicht derjenige mit der besseren Fussballmannschaft. Dazu kommt die ebenfalls völlig unsinnige Regel der Bestrafung eines Klubs bei „unbewilligtem Eigentümerwechsel“ welche gegen fundamentalste rechtsstaatliche Prinzipien verstösst. Denn für eine Bestrafung muss eine rechtswidrige Handlung gegeben sein. Ein Eigentümerwechsel hingegen kann gänzlich ohne Beteiligung und sogar ohne das Wissen des Klubs vonstatten gehen.

Das Klubbudget innerhalb von wenigen Wochen um rund das Fünffache zu kürzen, wie die Wiler Verantwortlichen dies im Februar unter enormem Zeitdruck bewerkstelligten, ist eine Parforceleistung, welche 99% der Besserwisser nicht hingekriegt hätten. Besserwisser sind auch in diesem Fall das Gegenteil von Bessermachern. Im Gegensatz zu allen Besserwissern hat das Team um Präsident Roger Bigger den Klub über ein Jahrzehnt mit bescheidenen Mitteln und grossem Einsatz erfolgreich geführt. Für heutige Bundesligaspieler wie Fabian Schär oder Dario Lezcano, aber auch erfolgreiche Schweizer Trainer wie Marcel Koller oder Uli Forte war der FC Wil in dieser Zeit der entscheidende Entwicklungsschritt.

Warum „sind wir FC Wil“? Weil Wil kein Spezialfall, sondern viel eher typisch für alle nicht mit Champions League-Millionen gesegneten Schweizer Profiklubs ist. Es wird schnell vergessen, dass vor zwei Jahren die langjährigen verdienstvollen gewerblichen Sponsoren des FC Wil zum Schluss kamen, dass aufgrund des damals neuen FIFA-Verbots der „Third Party Ownership“ an Spielern ein Engagement wie bisher für sie nicht mehr finanzierbar ist. Sie mussten den Klub so oder so abgeben. Es wurde händeringend nach einem neuen Besitzer für den Klub gesucht, so wie fast alle Klubs in der Schweiz aktuell, in der jüngeren Vergangenheit oder in baldiger Zukunft händeringend nach neuen Verantwortlichen suchen müssen. In der Region liess sich niemand finden. Mehmet Nazif Günal aus der Türkei war schlussendlich die beste konkrete Variante. Und es war mit Sicherheit eines der seriösesten Angebote für eine Übernahme, das ein Schweizer Verein in den letzten Jahren erhalten hat. Es wurden in der Folge dann auch tatsächlich Nägel mit Köpfen gemacht und die finanziellen Verpflichtungen immer pünktlich bezahlt.

Alle haben vom ambitionierten Projekt in Wil und dem frischen Geld aus der Türkei profitiert. Das lokale Gewerbe und vor allem natürlich die Spieler, deren Arbeitsbedingungen stark professionalisiert und die Löhne wesentlich angehoben wurden. Die Medien hatten eine interessante Story. Die ganze Challenge League hat sportlich einen Schritt nach vorne gemacht. Der FC Wil war der FCZ der Saison 2015/2016. Das Team mit Stars wie André Santos, Mert Nobre oder Egemen Korkmaz hat das Niveau der Liga angehoben und jeder wollte sie unbedingt besiegen. Viele Teams wurden aus einer gewissen Lethargie gerissen, allen voran Lausanne-Sport. Den Waadtländern taten die kompetitiven Duelle mit Wil gut. Die Mannschaft entwickelte sich weiter und hat nach dem Aufstieg Chancen, sich in der Super League zu behaupten. Lausanne, Aarau und Lugano profitierten zudem über lukrative Transfers auch direkt vom Geldsegen aus der Türkei.

Es ist ja nicht so, dass die Liga im Geld schwimmen würde. Zustupf von aussen ist grundsätzlich immer willkommen, denn die TV-, Sponsoring- und Zuschauereinnahmen bleiben nun mal auf einem vergleichsweise bescheidenen bergholz-habel-3Niveau. Die anderthalb Jahre, in welchen Mehmet Nazif Günal da war, hat er einen stark positiven Beitrag zum Schweizer Fussball geleistet. Und jetzt? Ohne Zweifel bleibt vor allem die Abruptheit des Abgangs des Türkischen Milliardärs höchst unbefriedigend. Aber sonst? Die Spieler müssen auf ihre finanziellen Privilegien wieder verzichten und sind zurück auf dem alten Niveau von vor der Günal-Ära. Der Stadionausbau, dem die Stadtverwaltung sowieso skeptisch gegenüberstand, wir nun doch nicht realisiert. Wil ist wieder dort, wo es vor der Günal-Ära war. Ein Klub, der finanziell eher zu den ärmeren Klubs der Challenge League gehört und auch mal zwischendurch mit einem Abstieg in die Promotion League rechnen muss, wo Wil eines der Top-Teams wäre.

Fussball ist ein Spiel – und es ist Unterhaltung. Natürlich sollte der Sport nicht zum Casino werden, aber ebensowenig zu einem langweiligen „Beamtenhalma“ auf Sparflamme verkommen. Die Besitzer von Fussballklubs riskieren ihr persönliches Geld, keine Pensionskassenvermögen braver Rentensparer. Wo liegt also genau das Problem? Das oberste Ziel im Spitzenfussball ist der sportliche Erfolg. Auch weltweit macht kaum ein Fussballklub Profit. Die Klubs geben alles Geld aus, das sie haben. Manchmal auch mehr. Aus diesem Grund leben fast alle Fussballklubs ständig am Rande der Insolvenz. Genauso wie auf dem Platz um jeden Meter gefightet wird, geht es auch neben dem Platz in der Schweiz bei allen nicht mit jahrelangen Champions League-Millionen gesegneten Klubs finanziell immer eng zu und her. Man kann und will keine wesentlichen Rücklagen für die Zukunft bilden, denn dies könnte die sportliche Wettbewerbsfähigkeit im Hier und Jetzt kompromittieren. Auch die Fans, Sponsoren und Medien messen die Klubs fast ausschliesslich am kurzfristigen sportlichen Erfolg.

Nach dem „französischen“ Abgang Günals, schlug in den Zeitungsspalten wieder die Stunde der populistischen Vorschläge. Zum Beispiel, dass Ausländern generell der Besitz von Schweizer Fussballklubs verboten werden soll. Oder dass von Eigentümern verlangt werden soll, die Löhne und Sozialleistungen für ein ganzes Jahr im voraus auf ein Sperrkonto einzuzahlen. Das Problem soll also mit immer mehr Restriktionen und Hürden gelöst werden. Diese Stossrichtung fusst allerdings auf einem fundamentalen Denkfehler. Das Grundproblem ist, dass die Klubs bei einem anstehenden Besitzerwechsel keine guten Kandidaten finden. Dies ist nicht wirklich überraschend, wie das Beispiel Wil plastisch vor Augen führt. Vereinsverantwortliche und Vereinsbesitzer erwartet von Seiten der Öffentlichkeit das ganze Spektrum von Skepsis über Undankbarkeit bis zu Beleidigungen und Hetzkampagnen und sogar offenem Hass oder wie im Fall Chagaev gar strafrechtlichen Konsequenzen für ihr Engagement.

Selbst Gigi Oeri und Bernhard Heusler (FCB) beim sportlich und finanziell erfolgreichsten Klub der Schweiz waren und sind davor nicht gefeit. Wer einen Fussballklub übernimmt, riskiert, alles zu verlieren: Zeit, Geld, Ruf, Sicherheit und Freiheit. Wer will sich und seinem unmittelbaren Umfeld so etwas noch antun? Die Antwort: nur Menschen, die entweder unwissend oder verrückt sind. Der bestmögliche Fall sind „positiv Verrückte“ à la Constantin, Canepa oder Rihs. Aber diese sind eine rare Spezies. Bernhard Heusler wollte direkt nach der Übernahme der Aktienmehrheit Gigi Oeris an der FC Basel Holding einen neuen Mehrheitsbesitzer finden – und schaffte es nicht! Selbst der äusserst erfolgreiche FCB mit einem enorm gut vernetzten Wirtschaftsanwalt an der Spitze benötigte geschlagene fünf Jahre, um mit Bernhard Burgener endlich den „Oeri-Nachfolger“ zu finden. Und nur dank dem mit der Champions League verbundenen Geldsegen musste man in der Zwischenzeit keinen Schnellschuss machen.

Im Interesse des Schweizer Fussballs sollte es sein, dass die Übernahme eines Fussballklubs so attraktiv ist, dass sich bei einer anstehenden Nachfolgeregelung mehrere valable Kandidaten dafür interessieren, so dass der Klub den besten Kandidaten hinsichtlich Nachhaltigkeit, Herzblut, Verwurzelung in der Region sowie finanzieller Unabhängigkeit auswählen kann. Es braucht also ganz sicher nicht noch zusätzliche Hürden für potentielle Interessenten. Stattdessen sollte die Eignerschaft an einem Schweizer Fussballklub für gute, einheimische Interessenten wieder attraktiver gemacht werden. Dazu gehört ein Abbau zu restriktiverer Regularien und eine fairere, ausgewogenere Presse für die aktuellen Verantwortlichen. Es muss sich wieder lohnen, einen Schweizer Fussballklub zu übernehmen und finanziell zu unterstützen.

(lst)

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