Dzemaili und Tosin mit der Spielweise überfordert / FCZ – St. Gallen in der Züri Live-Analyse

Der FCZ verliert gegen einen starken FC St. Gallen in der Höhe sicherlich etwas zu hoch aber trotzdem sehr verdient mit 0:3. Es war etwas eine Revanche des Duells im Kybunpark im Dezember 2019, als der FCZ den Ostchweizern die Wintermeisterschaft vermasselte. Dies war auch eines von nur drei in der dbfcz erfassten Duelle in der Historie der beiden Klubs, welche mehr Zuschauer anzogen, als die animierte Rückrundenspitzenpartie des Samstags.

  • 19’000 in der angesprochenen Partie am 14.12.2019, als der FCZ den Gegner 3:1 auskonterte und vom 1. Platz stiess – ein aus FCZ-Sicht damals versöhnliches Vorrundenende eines Steigerungslaufs auf den 4. Platz nach einem Fehlstart in die Saison.
  • 17’500 am 16.05.2016 (davon rund 3’000 FCZ-Anhänger) – Abstiegskampf in Reinkultur. Der FCZ hatte die ganze Saison im Tabellenkeller zugebracht, St. Gallen fiel im Verlauf der Rückrunde zurück und wäre mit einer Niederlage in dieser Partie noch in grosse Abstiegsgefahr geraten (nur noch zwei Punkte Vorsprung zwei Runden vor Schluss). St. Gallen war bis in die Haarspitzen motiviert und gewann 3:0, einzelne Grünweisse wie Mario Mutsch spielten das Spiel ihres Lebens. Der FCZ wechselte den Trainer (Forte für Hyypiä), die Taktik und die Startformation – und trat lamentabel auf.
  • 19’500 am 25.10.2009 – 3:1-Auswärtssieg im damals AFG Arena genannten Stadion ein paar Tage nach dem Champions League-Heimspiel gegen Olympique Marseille.

Für Heimspiele gegen St. Gallen sind die 17’300 Fans vom Samstag klarer Rekord. Die bisher höchste Heimzuschauerzahl gegen den FCSG gemäss dbfcz waren 13’600 im Hardturm am 10.08.2007.

Spielanalyse

Die Gesamtleistung des FCZ war trotz des 0:3 ordentlich bis gut. Aber das reichte gegen diesen FCSG nicht. Auch weil die Partie diesmal nicht für den FCZ lief. Die personelle Konstanz und das Selbstvertrauen sind Faktoren, die dem FC Zürich helfen und das wird weiter so bleiben. Was waren daher die Hauptfaktoren, welche am Samstag den Unterschied machten?

  • Der FCZ hat zwar personell diese Saison eine hohe Konstanz entwickelt, die Spielweise aber im Verlauf der Saison sukzessive verändert. Mittlerweile spielt man einen ähnlichen Fussball wie St. Gallen. Allerdings tut man dies bisher mit relativ einfachen Mitteln. Die Ostschweizer hingegen haben über die letzten Jahre viel an taktischen Spielformen, Automatismen und Prinzipien gearbeitet und agieren dadurch deutlich variabler und in den Details zwingender.
  • Dank den Wintertransfers hat der FCSG wieder die Qualität im Kader, um seine Spielweise auf Super League-Niveau durchsetzen zu können.
  • Der taktisch prinzipientreue Trainer Peter Zeidler hat sich zuletzt in mehreren Bereichen zunehmend Kompromissen geöffnet wie es scheint: zum Beispiel mit der Verpflichtung von Matej Maglica, dem vermehrten Zulassen von Rückpässen oder der Rückkehr zur 4-3-3 Formation.
  • Die (sprint-)intensive Spielweise, die mittlerweile beide Mannschaften betreiben, begünstigt junge Mannschaften. Das Durchschnittsalter der St. Galler Startformation im Letzigrund war mehr als drei Jahre jünger.
  • Vor drei Wochen hatte der FCZ in Sion die ersten Punktverluste der Rückrunde erlitten. Auffällig: sowohl in Sion als auch gegen St. Gallen waren die beiden Starter Dzemaili und Tosin überfordert. Zwar spielt Sion nicht genau gleich wie St. Gallen, aber in beiden Partien gabs über weite Strecken wenig Zeit und Raum für die ballführenden Spieler. In solchen Spielen sind Dzemaili und Tosin bezüglich Handlungs-, Bewegungs- und Antrittschnelligkeit sowie Technik unter Druck zu langsam. Dazwischen in den Partien gegen Basel, Luzern und Lausanne waren Dzemaili (2x) und Tosin (3x) hingegen jeweils mindestens ordentlich.
  • Mit einer Top-Einstellung kann man in jedes Spiel steigen, aber in manchen Partien ist es möglich, aufgrund der Konstellation mental noch eine extra Schippe draufzulegen. Für den FCZ war das Heimspiel gegen Basel so eine Partie, für St. Gallen nun die Auswärtspartie beim Leader Zürich.
  • Beim Duell FCZ – St. Gallen gibt es häufig Standardtreffer. Zürich hat diese Saison zwei seiner sechs Liga-Eckballtore gegen die Grün-Weissen erzielt. Diesmal war St. Gallen wieder dran – mit dem bereits dritten Tor gegen den FC Zürich nach einem Eckball – im dritten Duell 21/22. Ausser gegen das Zeidler-Team hat der FCZ diese Saison nur gegen GC (2x) Eckballgegentreffer erhalten.
  • Beim 0:3 am Samstag bleibt der FC Zürich erst zum zweiten Mal in der 29. Wettbewerbspartie der Saison 21/22 ohne Treffer. Von einem Sturmproblem zu sprechen wäre daher übertrieben, zumal Ceesay und Coric auch noch zwei Offsidetore erzielten (ersteres wohl zu Unrecht aberkannt). Trotzdem ist die Situation in der vordersten Reihe nicht ganz so komfortabel wie viele Beobachter zur Winterpause gedacht haben. Zwar hat Ceesay sofort nach dem Afrika-Cup geliefert, aktuell fehlt ihm aber ein klein bisschen etwas von seiner bisherigen Zielstrebigkeit. Zuversicht ist aber durchaus angebracht. Tosin hingegen zeigt schwankende Leistungen und Kramer ist trotz einer herausragenden Punktebilanz in dieser Saison noch nicht richtig angekommen. Der formstarke Gnonto wiederum wird nur als Joker eingesetzt.

Performance & Stats

Notizen

  • Becir Omeragic ist erstmals in dieser Saison MVP: der Nationalspieler agiert viel aufmerksamer als sonst. Es ist endlich wieder mal eine Partie, in welcher er seine Spielintelligenz voll ausspielen kann. Anspruchsvolle Aufgaben wie gegen St. Gallen tun ihm gut. Es ist kein Zufall, dass besonders junge Spieler wie Gnonto und Omeragic bei Tempofussball aufblühen. Nur bei gegnerischen Eckbällen war Omeragic gegen Stergiou weiterhin etwas zu wenig fokussiert.
  • Da die Gegner vermehrt ein spezielles Augenmerk auf Antonio Marchesano richten, hat sich in den letzten Partien Nikola Boranijasevic zum Mann für die “tödlichen“ Pässe in die Tiefe entwickelt. Auch Ousmane Doumbia tritt zunehmend als Spielgestalter auf. Zudem ist Boranijasevic bei Ballverlusten genauso wie Adrian Guerrero unverzichtbar als Unterstützung für das in der Rückwärtsbewegung etwas langsame Zürcher Mittelfeldzentrum. Die beiden hochproduktiven Aussenläufer kümmern sich einfach um alles…
  • Blerim Dzemaili sieht in den Spielphasen, in welchen St. Gallen eine hohe Intensität auf den Platz bringt, kein Land. Er vergibt zudem mehrere ausgezeichnete Konterchancen mit Fehlpässen. Immer wenn er den entscheidenden Pass oder Abschluss anbringen sollte, scheinen seine Beine zu zittern wie bei einem ängstlichen Junior. Dies ist aber nicht ganz eine akkurate Beschreibung des Problems. Tatsächlich hat Dzemaili sich im Höhepunkt seiner Karriere spezielle Pass- und Schusstechniken angeeignet, die für den Gegner schwierig zu verteidigen waren. Diese Pass- und Schusstechniken, häufig in Rücklage, erforderten aber ein an die menschliche Leistungsgrenze reichendes Höchstmass an Schnellkraft und Koordination, welche Dzemaili in diesem Ausmass heute nicht mehr zur Verfügung hat. Wenn er weiterhin mit dem Kopf gegen die Wand rennt und genauso zu spielen versucht wie in seiner Peak-Zeit, wird das den FCZ weitere Punkte kosten und sein Ärger und übertriebenes Lamentieren die Schiedsrichter negativ beeinflussen. Demut, Realismus und einfacher spielen heisst das Gebot der Stunde. Den Ball zu stoppen und einen einfachen, graden Fünfmeter-Innenristpass zu spielen, bricht niemandem einen Zacken aus der Krone. Und gegen intensiv pressende Gegner sollte er vielleicht besser ganz die Jungen (beispielsweise Stephan Seiler) ranlassen.
  • Aiyegun Tosin denkt in vielen Aktionen nicht proaktiv mit, sondern wartet erstmal ab, was passiert. Speziell gegen Gegner wie St. Gallen kann man sich dies nicht erlauben. Der Reaktionsmodus ist keine Option, zumal Tosin gegen Super League-Verteidiger regelmässig die Mehrheit der Laufduelle verliert. Zudem geriert sich der Nigerianer bei Umschaltsituationen zu wenig handlungsschnell und läuft / spielt vorzugsweise nach aussen, anstatt direkt die Tiefe zu suchen – was es dem Gegner erlaubt, sich zu formieren.
  • Fabian Rohner ist mit Ball in der Vorwärtsbewegung zusammen mit Assan Ceesay wohl der schnellste Spieler der Super League, ausserdem stark im Abschluss. Defensiv fehlt aber weiterhin der “Mörtel“, um die rechte Seite zumindest ein bisschen zuzumauern. Deshalb stellte sich schon vor der Saison die Frage, ob die Position als Rechter Aussenläufer wirklich die optimale für ihn ist, auch wenn der Raum auf der Seite ihm entgegenkommt. Raum kann man aber auch hinter der Abwehr finden. In der Sommervorbereitung hatte Rohner als Sturmspitze und hängende Spitze gute Ansätze gezeigt. Man könnte ihn als Ersatz von Assan Ceesay sehen – einfach mit dem Unterschied, dass die Option von häufigen ersten Hohen Bällen in Rohners Fall weniger Sinn macht.
  • Wilfried Gnonto in neuer Rolle: nach der Einwechslung von Blaz Kramer für Ousmane Doumbia rückte wie üblich Blerim Dzemaili auf Doumbias Sechserposition zurück – nicht wie üblich hingegen agierte Gnonto fortan auf Dzemailis Achterposition im Zentralen Mittelfeld, verteilte Bälle und riss mit seinem Engagement und seiner Beweglichkeit Löcher beim Gegner auf.

Szenen

Telegramm

FCZ – St. Gallen 0:3 (0:2)
Tore: 7. Maglica (Ruiz) 0:1, 34. Von Moos (Schmidt) 0:2, 89. Lungoyi (Schubert) 0:3.
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Aliti; Boranijasevic (64. Rohner), Doumbia (78. Kramer), Dzemaili, Guerrero (78. Khelifi); Marchesano (52. Coric); Tosin (64. Gnonto), Ceesay.
St. Gallen – Zigi; Cabral, Stergiou, Maglica, Schmidt; Quintilla; Görtler (90.+1 Stillhart), Ruiz (82. Jankewitz); Von Moos (72. Lungoyi), Duah (72. Schubert), Guillemenot (72. Toma).

(Standbilder: blue)