In einem hochstehenden und attraktiven Derby am Sonntag konnte der FCZ die über weite Strecken ausgezeichnete Leistung nicht in einen Sieg ummünzen. Einerseits sündigte man im Abschluss, andererseits spekulierte GC auf einen im Verlauf der 2. Halbzeit nachlassenden FCZ und stellte mit der Einwechslung von Schürpf und Babunski seine Spielweise und Taktik um. Lausanne-Sport musste ebenfalls nach einer 1:0-Führung eine 1:2-Niederlage hinnehmen – und dies mit beinahe 90 Minuten in Überzahl! Die Waadtländer leiden aktuell wie der FCZ unter einer schlechten Chancenverwertung. Zudem haben die Waadtländer saisonübergreifend in der Super League in den letzten 21 Auswärtspartien nur einmal gewinnen können (in Basel).
Olivier Custodio als Magnins “Schweizer Sackmesser“
Lausanne-Sport mit Trainer Ludovic Magnin hat von den Einzelspielern her ein Kader, das gut ist für einen Europacupplatz. Olivier Custodio fungiert dabei als “Schweizer Sackmesser“ und wird von Magnin beinahe auf allen Positionen eingesetzt. Alternativ zum 4-4-2 könnten die Waadtländer auch in einem 4-2-3-1 antreten, mit Custodio an Stelle von Stürmer Labeau auf der 10er-Position und Raoul Giger als Rechtsverteidiger. Nicht auszuschliessen ist ein Kurzeinsatz in den Schlussminuten von Lausanne-Sports neuer “Perle “Simone Pafundi.
Cheick Condé erneut auf der Bank?
Der FCZ stellte mit der Einwechslung von Ivan Santini in der Schlusssphase des Derbys wie bereits vor der Winterpause im Verlauf der 2. Halbzeit in St. Gallen auf ein 4-3-3 um. Gegen Lausanne-Sport ist aber von Beginn weg wohl das übliche Spielystem zu erwarten. Jonathan Okita iwrd wohl wieder in die Startformaton zurückkehren, bei Cheick Condé ist dies hingegen weniger sicher.
Lausanne ist der Trainerfriedhof des FC Zürich. Sowohl der jetzige Lausanne-Sport Trainer Ludovic Magnin als auch Franco Foda (im Duell mit Magnin) mussten nach einer schmerzlichen Auswärtsniederlage bei den Waadtländern den Trainerstuhl räumen. Magnin ist bei seinem jetzigen Arbeitgeber seit mehr als einem Jahr nicht nur Trainer, sondern de facto auch Sportchef in einer dreiköpfigen Sportkommission mit dem Präsidenten und dem Scouting-Verantwortlichen – ein Modell, das der FCZ-Coach Bo Henriksen beim FCZ nach den letzten Wochen baldmöglichst wieder beenden möchte. Nachdem Lausannes neuer Abwehrchef Noë Dussène gegen den FCZ gesperrt ist, wird die Aufstellung des Magnin-Teams derjenigen des 3:2-Sieges nach Verlängerung vor einem Jahrnicht unähnlich sein.
Wer beackert beim FCZ die linke Seite?
Bei der unglücklichen 1:2-Niederlage zuletzt in St. Gallen hatte Magnin mit Simone Grippo sowie dem Schweden Jamie Roche zwei zusätzliche Zentrumsspieler aufgestellt und dafür die zwei offensiven Flügel geopfert. Dies obwohl St. Gallen diese Saison nicht mehr so extrem aufs Spiel durchs Zentrum fokussiert ist, wie in der Vergangenheit. Gegen den FCZ ist tendenziell zu erwarten, dass Lausanne wieder mit offensiven Flügeln spielen wird. Auf der linken Seite ist Rares Ilie seit Saisonbeginn gesetzt, Dominik Schwizer hat dementsprechend einen schweren Stand. Rechts wird wohl der von Partizan verpflichtete Franzose Fousseni Diabaté (Ex-Leicester City) zu seinem ersten Meisterschaftseinsatz kommen. Er ersetzt den nach Nizza transferierten Top-Flügel Aliou Baldé. Der langjährige Lausanne-Offensivspieler Toichi Suzuki steht als Alternative bereit. Brighton Labeau oder Trae Coyle werden den ebenfalls gesperrten Kaly Sène ersetzen. Im Abwehrzentrum wird wohl der routinierte Berkay Dabanli neben Anel Husic auflaufen, der in St. Gallen wie vor Jahresfrist gegen den FCZ wieder mal eines seiner obligaten Eigentore erzielt hat.
Beim FCZ stellt sich vor allem die Frage, wer den weiterhin angeschlagenen Adrian Guerrero ersetzt. Sowohl Rodrigo Conceição als auch Selmin Hodza haben in Bezug auf ihre letzten Einsätze etwas gut zu machen. Startet Antonio Marchesano oder Fabian Rohner auf dem Rechten Flügel? Kommt der in Tuggen überzeugende Bledian Krasniqi für den etwas formschwachen Ifeanyi Mathew zum Zug? Sind Fabio Daprelà und Ivan Santini wirklich wieder im Matchkader dabei? Daprelà war bisher ein wichtiges Element im FCZ-Spiel und Santini zeigte vor einem Jahr im Tuilières-Stadion eine seiner bisher besten Leistungen im FCZ-Dress. Und er weiss aktuell ganz offensichtlich “wo das Tor steht“.
In Lausanne fand wieder das Schicksalsspiel für den FCZ-Trainer statt. Genau vor zwei Jahren wurde die Zeit des heutigen Lausanne-Coaches Ludovic Magnin als FCZ-Cheftrainer nach einer 0:4-Niederlage auf der Pontaise beendet. Schon damals unter den Torschützen: Aldin Turkes. Nikola Boranijasevic erzielte ebenfalls ein Tor für Lausanne-Sport. Auf Seiten des FCZ standen damals ebenfalls schon Brecher, Omeragic und Marchesano in der Startaufstellung. Eine weitere Parallele: ein FCZ-Verteidiger, der im Verlauf der 1. Halbzeit verletzungsbedingt ausgewechselt werden musste – damals Silvan Wallner, diesmal Becir Omeragic.
Warum war es die “dümmste“ Niederlage?
Die letzte Niederlage unter Coach Franco Foda war aus verschiedenen Gründen die “dümmste‘:
Der FCZ war dominant, konnte diese Dominanz aber nicht ausnutzen
Franco Foda hatte mit seiner Aufstellung und den Wechseln kein gutes Händchen
Mehreren Spielern unterliefen entscheidende Blackouts
Für einmal wurden gute Standards getreten – aber im Abschluss nicht verwertet
Wie so häufig, wenn er ein Spiel in der Liga oder im Cup pfeift, hatte Schiedsrichter Alain Bieri auch diesmal Einfluss auf den Verlauf der Partie
Die Partie begann eher chaotisch. Die ersten beiden Tore waren dafür bezeichnend: ein Eigentor von Lausanne-Verteidiger Anel Husic nach Avdijaj-Hereingabe beim ersten gefährlichen FCZ-Konter und der Ausgleich Brighton Labeaus mit der ersten Lausanne-Torchance. Das Heimteam nutzte dabei unter anderem aus, dass der soeben für den angeschlagenen Becir Omeragic eingewechselte Lindrit Kamberi seine Position noch nicht ganz gefunden hatte. Omeragics Nomination in der Startaufstellung war einer von mehreren unglücklichen Personalentscheiden auf Seiten des FCZ gewesen. Ausgerechnet auf der Tuilière, an welche Omeragic gesundheitlich schlechte Erinnerungen hat, sollte er nach einer Pause von drei Partien sein Comeback feiern.
Coyle bereitet dem FCZ Probleme
Dass Omeragic nicht mehr auf dem Platz war, war grundsätzlich gut für den FCZ, denn er hatte seinen Einsatz katastrophal begonnen und speziell gegen den jungen Sanches grosse Probleme. Kamberi war nach Anlaufschwierigkeiten etwas besser als Omeragic, allerdings in der defensiven Phase auf einem für seine Verhältnisse ebenfalls sehr tiefen Niveau. Es war ganz generell mit einer Durchschnittsnote von bloss 4,3 die bisher klar schlechteste Defensivleistung der Saison. Auch Fidan Aliti, der später eingewechselte Cheick Condé oder Yanick Brecher waren defensiv schlecht. Der Unterschied zwischen Lausanne-Sport und dem FCZ bezüglich Einwechselspieler war frappant. Während bei den Waadtländern Schwizer, Turkes und Koyalipou zur Entscheidung wesentlich beitrugen, hatten auf Zürcher Seite Kamberi, Condé, Okita und Vyunnik nach ihrer Einwechslung längere Anlaufschwierigkeiten zu bewältigen oder waren gar in der Entstehung der Gegentore entscheidend beteiligt. Condé und Vyunnik vermochten sich zumindest in der Verlängerung zu steigern. In dieser war wie schon gegen Qarabag Nikola Boranijasevic auf Zürcher Seite der Beste. Wenn eine Partie mehr als 90 Minuten dauert, dreht der Dauerläufer auf der rechten Seite erst so richtig auf!
Die Führung des FCZ in der 8. Minute ging auf einen Ballverlust des jungen Stammspielers aus dem eigenen Nachwuchs Alvyn Sanches gegen Ole Selnaes zurück. Beim LS-Ausgleich in der 24. Minute ist entscheidend, dass sich Stürmer Trae Coyle wie so häufig ins Mittelfeld zurückfallen lässt, damit Kryeziu und Guerrero aus der Abwehrreihe herauslockt, und dann am Boden liegend mit viel Willen den Dreikampf gegen gleich beide Gegenspieler gewinnt. Wenn Lausanne sich im Spiel nach vorne mal durchsetzen kann, dann fast immer dank des agilen und zielstrebigen Coyle.
Magnins Joker stechen
Die Führung des FCZ in der 36. Minute erzielt wieder mal Antonio Marchesano per Kopf: sein erstes Saisontor, nach Massflanke des offensiv starken und gleichzeitig defensiv ungenügend auftretenden Fidan Aliti. Der 2:2-Ausgleich fällt durch den eingewechselten ehemaligen FCZ-Stürmer Aldin Turkes in der letzten Nachspielminute. Der zuletzt verletzungsgeplagte Turkes hatte zu Beginn seiner Profikarriere seinen Anteil an den Abstiegen des FCZ 15/16 und des FC Vaduz in der Folgesaison. Drei Jahre später wurde er zu einem guten Challenge League-Stürmer und reifte mit der Zeit in Richtung Super League-Niveau, hat aber mit 26 Jahren trotzdem erst 44 Partien in der höchsten Spielklasse auf seinem Palmarès.
Lausanne-Coach Magnin hatte in der 68. Minute mit Dominik Schwizer für Toichi Suzuki die offensivere Variante auf der linken Seite eingewechselt und der Flankenspezialist bereitete den Ausgleich nach einem Blackout von Condé und Boranijasevic denn auch mustergültig vor. Zwei Minuten davor hatte bereits Gaudino den vermeintlichen Lausanner Ausgleich erzielt gehabt. Dieser wurde aber zu Recht aberkannt, weil der im Offside stehende Brighton Labeau Torhüter Yanick Brecher eindeutig die Sicht verdeckte und dieser deshalb erst spät auf den Weitschuss reagieren konnte.
FCZ spielt in einem Hybrid-System
Der Siegtreffer von Turkes in der 114. Minute ging von einem missglückten Freistoss des ansonsten seine Leistungssteigerung im Vergleich zum Anfang der Saison bestätigenden Ole Selnaes aus. Aliti verpasste am gegnerischen Strafraum gegen Giger den entscheidenden Moment, den sich anbahnenden Konter mit einem Tackling zu unterbinden: er hatte noch nicht Gelb gesehen. In der Rückwärtsbewegung agierten Guerrero und Boranijasevic zu ballorientiert. Die eingewechselten Kamberi und Condé bewegten sich viel zu langsam zurück, gaben sich nicht wirklich Mühe, mitzuhelfen. Und Torhüter Yanick Brecher positionierte sich in der schlechtestmöglichen Distanz auf halbem Weg zum Tor. Nicht nahe genug am Stürmer, um wirklich den Winkel verkürzen zu können – und nicht weit genug, um Zeit zu haben, den Schuss zu parieren.
Taktisch verwandelte sich das 4-2-3-1 mit Ball häufig in die von Franco Foda präferierte Raumdeckung im 3-4-3 gegen den Ball. Der Linke Flügel Guerrero orientierte sich dementsprechend defensiv nach hinten und Fidan Aliti rückte nach innen. Die drei Spieler der vordersten Defensivlinie Avdijaj – Santini – Marchesano arrangierten sich flexibel basierend auf der Spielsituation. In den ersten sieben Wettbewerbspartien der Saison hatte der FCZ vier Mal kein Tor erzielt. Danach konnte aber seit dem 0:3 gegen Sion im Letzigrund in jeder der elf letzten Spielen mindestens ein Treffer bejubelt werden.
Personalien
Fidan Aliti: Drittes Assist in vier Spielen (darunter ein herausgeholter Penalty gegen Arsenal). Einer der besten Passspieler im Team. Wird in Bezug auf seine Offensivqualitäten von vielen unterschätzt. Sein begrenzter Speed ist defensiv ein grösseres Handicap als offensiv.
Nikola Boranijasevic: Der “Duracell-Hase“ des FCZ. Kommt wie schon im Rückspiel gegen Qarabag in der Verlängerung, wo alle anderen in der Startaufstellung stehenden Spieler beider Teams abbauen, erst so richtig in Fahrt.
Donis Avdijaj: Wirkt oft etwas unauffällig, lässt aber immer wieder seine Qualität aufblitzen und arbeitet viel. Wie in Norwegen das erste Tor erzielt beziehungsweise provoziert.
Ole Selnaes: Bestätigt den Aufwärtstrend. Dank Selnaes und Marchesano gab es in dieser Partie so viele gute FCZ-Standards wie wohl noch nie in dieser Saison – mit der grossen Ausnahme des völlig verunglückten Freistosses, der in der 114. Minute zum entscheidenden Gegentor zum 2:3 führte.
Ivan Santini: Sein bisher bestes Spiel, wirkt wie verwandelt. Legt in der Luft und am Boden gut für die Mitspieler ab. Übertrifft seine bisher besten Leistungen gegen Luzern und Linfield. Muss von Gegenspieler Husic extrem viel einstecken, weil dieser von Schiedsrichter Bieri eine Carte Blanche erhält. Dass Santini in diesem Duell eine frühe Gelbe Karte sieht und Husic keine, kann nur als Witz bezeichnet werden. In der Folge bleibt Santini trotz aller Widrigkeiten bis zu seiner Auswechslung in der 85. Minute beim Stand von 2:1 für den FCZ erstaunlich cool. Leider macht in der Folge das Beispiel Husic Schule und Santini wird auch in den kommenden Einsätzen Zielscheibe von Mätzchen und Provokationen von Gegenspielern.
Jonathan Okita: Die Gelb-Rote Karte in der 117. Minute ist hart, aber nicht falsch. Der zweite Platzverweis in Folge. Muss sich unbedingt die Plauschfussball-Routine abgewöhnen, bei der Annahme den Ball unnötig weit vom Fuss prallen zu lassen – eine Frage der technischen Qualität ist das bei ihm nicht, es ist Gewohnheit.
Lindrit Kamberi: Vier Abschlüsse, die meisten im Team – alle bei Standards. Früh für den angeschlagenen Omeragic eingewechselt, ist es defensiv einer seiner schwächsten Auftritte.
Cheick Condé: Agiert erneut zu Beginn nach seiner Einwechslung zu wenig fokussiert und engagiert. Steigert sich in der Verlängerung. Nach starkem Saisonstart zuletzt fünf ungenügende Noten in sechs Einsätzen.
Neuanfang beim FCZ mitten im Herbst. Mit Bo Henriksen trainiert erstmals ein Däne den FC Zürich. Mit Brönshöj und Horsens stieg er auf, mit Midtjylland erreichte Henriksen den 2. Platz und gewann den Cup. Im Juli musste er nach wenigen Partien der neuen Saison den Hut nehmen. Nicht in erster Linie wegen der Resultate – sein in den Entscheidungen stark datengetriebener Klub sah in den “Smartdaten“, die in Zusammenarbeit mit dem englischen Anbieter Smartodds erhoben und ausgewertet wurden, eine negative Entwicklung des Teams.
Taktisch näher bei Foda als bei Breitenreiter
Was die defensive Grundausrichtung betrifft, ist Henriksens präferierte Spielweise praktisch identisch mit derjenigen Franco Fodas. Beide präferieren Raumdeckung – während André Breitenreiter auf Manndeckung auf dem ganzen Feld schwor. Das Gleiche gilt für die bevorzugte taktische Grundformation: 3-4-3. Der taktisch variable Foda wandte diese erstmals nach der Halbzeitpause in Baku an. Der FCZ trat damals in den zweiten 45 Minuten deutlich dominanter auf, als noch vor der Pause. Dies lag in erster Linie daran, dass Gegner Qarabag nach zu Spielbeginn extremem Energieeinsatz keine Kraft mehr hatte. Aber Foda sah wohl auch seinen taktischen Wechsel für den deutlich verbesserten Auftritt seines Teams verantwortlich und bevorzugte in der Folge dieses System, auch wenn dadurch der FCZ gegen Mannschaften, die bevorzugt über ihren “Sechser“ das Spiel aufbauten, vermehrt Probleme bekam.
Offensiv liegt Henriksen in der Mitte zwischen Breitenreiter (Konterfussball) und Foda (Ballbesitz). Unter Breitenreiter waren sowohl System wie Spielweise für die Gegner vorhersehbar. Foda versuchte bezüglich System immer wieder Überraschungsmomente in die Waagschale zu werfen. Bei Henriksen liegen die Überraschungsmomente eher bei den Rhythmuswechseln als beim System – mal hält man den Ball in den eigenen Reihen, mal schaltet man schnell um. Insgesamt ist Henriksen von der Grundtaktik her näher bei Foda als bei Breitenreiter, auch wenn in den Details natürlich Unterschiede bestehen.
Spielphilosophie vs. Erfolg – die Tragikomik des letzten FCZ-Jahrzehnts
Das Thema Spielphilosophie & FCZ entbehrt seit vielen Jahren nicht einer gewissen Tragikomik. Klar ist: der FCZ will dominanten Ballbesitzfussball spielen. Nur ist er damit chronisch erfolglos. Er gibt aber nicht auf, und versucht es immer wieder. Erfolgreich war der FC Zürich seit Beginn der 10er-Jahre immer dann, wenn er aufgrund von Umständen oder gar Missverständnissen zwischendurch auf Umschaltfussball im Speziellen und eine pragmatisch-konservative Spielweise im Allgemeinen wechselte.
Mit dem konservativen, immer auf Absicherung bedachten Urs Fischer schrammte man in einer tollen Saison 10/11 knapp am Meistertitel vorbei. Urs Meiers Philosophie war stärker auf Ballbesitz ausgerichtet und er hatte eine ganze Reihe von hervorragenden Technikern zur Verfügung. Ein Meisterkandidat war man aber nur in den kurzen Phasen als Kukeli und Yapi in einigermassen fittem Zustand für die entscheidende Balance im Team sorgen konnten. Nach dem Abstieg war die Spielphilosophie kurzzeitig sekundär. „Aufstieg um jeden Preis“ hiess das Motto. Und dieser wurde mit einem für Trainer Forte typisch physisch orientierten Fussball bewerkstelligt. Aufgestellt wurde hauptsächlich nach Muskelmasse und Körpergrösse.
Magnin und Rizzo zogen erfolgreichen Umschaltfussball nicht durch
Nach gutem Saisonstart zurück in der Super League kehrte man mit dem Trainerwechsel von Forte zu Magnin dann wieder zur eigentlich bevorzugten Spielphilosophie zurück. Und bewegte sich damit tendenziell in unteren Tabellengefilden. Als Magnin gegen Ende der Vorrunde 19/20 kurzzeitig von der Vorgabe abwich und Umschaltfussball spielen liess, lief es sofort deutlich besser – sechs Siege in sieben Meisterschaftspartien und Vorstoss auf den 4. Platz. Nach der Winterpause wollte oder musste Magnin dann wieder zum Ballbesitzfussball zurückkehren – mit dem Resultat von gerade mal zwei Punkten aus fünf Spielen bis zur Corona-Pause. Erfolgreich spielte Magnins Team dann, wenn es wie im Cupfinal mit YB oder gegen Bayer Leverkusen durch einen qualitativ deutlich stärkeren Gegner zu weniger Ballbesitz geradezu gezwungen wurde.
Unter Magnins Nachfolger Massimo Rizzo wiederholte sich die Geschichte. Er setzte zunächst auf defensive Stabilität sowie Umschaltfussball und hatte damit sofort Erfolg. Bis zur Winterpause kletterte der FCZ vom 10. auf den 4. Platz. Wie ein Jahr zuvor unter Magnin wechselte Rizzo dann aber in der Winterpause ohne Not die Ausrichtung und setzte mehr auf Ballbesitzfussball – mit den entsprechend erneut wieder einsetzenden negativeren Resultaten in der Rückrunde.
Der FCZ ändert sich nicht
Vorhang auf: André Breitenreiter. Wieder ein Trainer konträr zur FCZ-Spielphilosophie. Das hat zum Glück lange Zeit (fast) niemand gemerkt, weil er sich sehr gut verkaufen konnte und ständig von „Offensivfussball“ seiner Mannschaft sprach, während in der Realität der FCZ in der Meistersaison so stark von Zweikämpfen, defensiver Kompaktheit und Konterfussball lebte wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Gegensatz zu Magnin und Rizzo hatte Breitenreiter den Rückhalt und Willen, um diese pragmatische Weise bis Ende Saison durchzuziehen. In den Jahren davor war eine erfolgreiche Phase mit pragmatischem Fussball immer der Grund gewesen, um wieder zum erfolglosen Ballbesitzfussball zurückzukehren. Der Klassenerhalt war ja gesichert. Breitenreiter hingegen war in allem, was er tat, zu 100% erfolgsorientiert ausgerichtet – und nicht an einer Spielphilosophie.
Aber der FCZ ändert sich nicht. Trotz des riesengrossen Ausrufezeichens mit dem Meistertitel 2022 denkt er nicht über eine Änderung der Spielphilosophie nach. Erfolg zu haben, scheint weiterhin nicht das oberste Ziel zu sein. Mit Franco Foda wurde wieder ein Trainer für Ballbesitzfussball geholt – und auch das dazu passende Spielermaterial. Das Resultat war wie immer seit mehr als einem Jahrzehnt: Misserfolg. Auf die Frage eines Journalisten, ob Henriksen ein „Breitenreiter 2.0“ sei, antwortete Ancillo Canepa, dass zwischen den beiden schon Unterschiede bestünden in Bereichen auf die er nicht eingehen wolle, und dass man bewusst keinen zweiten Breitenreiter geholt habe. Die Spielweise unter Breitenreiter mag noch so erfolgreich gewesen sein – sie bleibt beim FCZ grundsätzlich unerwünscht.
Henriksen wie Breitenreiter mit „Verkäufer-Gen“
Warum kommt der FCZ mit hohem Ballbesitz einfach nie auf die Erfolgsschiene? Ein wichtiger Grund dafür ist fehlende Qualität. YB kann sich Spieler leisten, mit denen dominanter Fussball auf Super League-Niveau möglich ist. Dem FCZ fehlen dafür die finanziellen Mittel. Ausserdem verpflichtet und entwickelt der FC Zürich immer wieder „Schönwetterfussballer“, die technisch zu den Besten der Liga gehören, deren Konstanz, Laufleistung und defensiver Beitrag über 36 Runden aber nicht genügt. Allerdings: der FC Thun (unter anderem mit Marc Schneider als Trainer) hat über Jahre gezeigt, dass erfolgreicher Ballbesitzfussball in Ausnahmefällen auch mit geringen Mitteln möglich ist. Der FCZ vermochte das Erfolgsrezept der Berner Oberländer aber nie zu entschlüsseln oder kopieren.
Während der neue Trainer Bo Henriksen taktisch näher bei Foda als bei Breitenreiter liegt, hat er mit letzterem das „Verkäufer-Gen“ gemeinsam. Der Däne sagt das, was Vereinsführung, Fans und Journalisten hören wollen. Und will bei den Spielern den Glauben an sich selbst und das Team zurückbringen. Der Begriff „Laptop-Trainer“ ist im deutschsprachigen Raum in der Fussballöffentlichkeit zu einem Schimpfwort geworden. Henriksen ist sich dessen bewusst und spielt die Wichtigkeit von Daten und Analysen herunter, obwohl er nicht erst seit seiner Zeit bei Midtjylland dafür ein besonderes Flair hat. Henriksen profitierte bei der rundum sehr wohlwollend aufgenommenen Präsentation auch von einem „Ausländerbonus“. Sein Selbstbewusstsein und Eigenlob wird ihm nicht krumm genommen, was bei aus der Schweiz stammenden Coaches wie Uli Forte oder Ludovic Magnin jeweils komplett anders war.
Henriksen wird seine Spieler anweisen, Dinge zu tun, die in der Schweiz jeder Juniorentrainer seinen Jungs und Mädels verbietet: als hinterster Mann riskant spielen oder aus spitzem Winkel schiessen beispielsweise. Dank der Analyse von Daten haben sich in den letzten Jahren viele alte Fussballweisheiten des einzeltaktischen und gesamttaktischen Verhaltens als Mythos herausgestellt. Der analytische Ansatz kann dem FCZ nur gut tun. Genauso wie der Fokus auf die Stärken und das Vermitteln von Vertrauen in die Spieler. Schafft so Henriksen die Quadratur des Kreises? Ein erfolgreicher FCZ, der gleichzeitig auch noch die von der Klubführung so lange herbeigesehnte Dominanz auf den Platz bringt?
Vor Jahresfrist ist der FCZ im Cup gegen einen durch einen Ex-Trainer trainierten Waadtländer Challenge League-Vertreter im Achtelfinal aus dem Schweizer Cup ausgeschieden. Trainer Breitenreiter experimentierte damals personell und taktisch. Eine Saison später erlebt der Eine oder Andere beim FCZ somit vor dem Cup-Sechzehntelfinal wohl kleine Déjà Vu-Flashs. Im Unterschied zu damals kann Lausanne-Sport seinen Kunstrasen auf das Duell mit dem Favoriten hin nicht speziell präparieren, wie das mit dem Yverdoner Naturrasen gemacht wurde.
Brighton Labeau trifft aus allen Lagen
Die Frage stellt sich zudem, ob der FCZ gegen das Team von Ludovic Magnin überhaupt Favorit ist. Lausanne-Sport führt die Challenge League-Tabelle punktgleich mit dem FC Wil an und hat sich im Sommer trotz Abstiegs eher verstärkt. Der FCZ reist hingegen nach fünf Niederlagen in Folge mit tiefem Selbstvertrauen und einer Mannschaft, die sich noch immer nicht richtig gefunden hat, an den Lac Léman.
Magnins Team zeichnet sich aktuell durch eine grosse personelle und taktische Konstanz aus. Ähnlich wie bei Breitenreiters FCZ letzte Saison spielen fast immer die gleichen Spieler und immer im gleichen 3-5-2. Mit Custodio, Sanches und Gaudino läuft jeweils ein spielstarkes Zentrum auf. Vor allem profitiert Lausanne von einem grossen Vorteil, den viele Gegner aktuell gegen den FCZ haben – im Vergleich deutlich treffsicherere Stürmer. Speziell Brighton Labeau ist ein Stürmer, welcher dem FCZ in der aktuellen Situation sicherlich helfen würde. Der Nationalspieler von Martinique verbindet Physis mit guter Technik und trifft mit Links, Rechts und auch mit dem Kopf. Lausanne erzielt seine Tore auf unterschiedliche Weise – Aufbauspiel, Umschaltspiel, von der Seite oder auch durch die Mitte – und ist deshalb schwierig ausrechenbar.
Lässt Magnin Wintis Aufstiegsheld Spiegel auch gegen den FCZ ran?
Die Gegentore gleichen sich hingegen und erinnern stark an Magnins Zeit als FCZ-Coach. Seine Mannschaft arbeitet etwas zu légère gegen den Ball und ist in der Rückwärtsbewegung zu langsam. Die Phase, in welcher seine Mannschaft weder vorne im Pressing Druck macht, noch hinten kompakt steht, dauert zu lange. In der Kombination gibt es so für die Gegner immer wieder die Möglichkeit ohne Druck die Waadtländer mit einem langen Ball hinter die Abwehr zu überspielen – oder vor dem Strafraum viel Platz vorzufinden und mit Weitschüssen zu reüssieren, mit denen Torhüter Thomas Castella seine Mühe hat.
In der 1. Cuprunde in Gland spielte allerdings der aus dem Solothurn- und GC-Nachwuchs stammende Raphael Spiegel. Dieser stieg als Nr.1-Torhüter mit Winterthur auf, wählte aber den Transfer zu Absteiger Lausanne und sitzt dort auf der Bank – während Winterthur im Oberhaus Torhüterprobleme hat und während der jungen Saison bereits einen Wechsel von Pukaj zu Fayulu vollzogen hat. Da Spiegel bei Lausanne sicherlich nicht den Status als „klassische Nummer 2“, sondern eher als „1B“-Torhüter hat, kann es gut sein, dass er auch gegen den FCZ im Sechzehntelfinal aufläuft. Nassim Zoukit fehlt gesperrt. Der Mittelfeldspieler ist allerdings nicht Stamm. Kukuruzovic, Grippo und Spielmann fehlen längere Zeit, Ex-FCZ-Stürmer Aldin Turkes wurde zuletzt nach langer Verletzungspause zuletzt wieder als Joker eingesetzt. Wegen eines Kreuzbandrisses ist der Zuger beinahe zwei Jahre ausgefallen.
Mehr Konstanz und starke Schlussphasen zuletzt beim FCZ
Der FCZ hat zuletzt trotz Niederlagenserie etwas mehr Konstanz in seiner Spielweise gezeigt. In Norwegen konnte er in beiden Halbzeiten in der Schlussphase zulegen. Wichtig wird sein, Standards und Flanken des Gegners so weit es geht zu vermeiden und gut zu verteidigen – und im Angriffsdrittel kaltblütig zu agieren. Da Franco Foda darauf schaut, wer zuletzt Tore erzielt hat, kann sich Donis Avdijaj gute Chancen auf die Startformation in Lausanne ausrechnen. Ivan Santini kommt langsam auch besser in Schwung, was zumindest die Dauer seiner Teileinsätze verlängern kann. Obs aber bereits für eine gute Leistung über 60 Minuten und mehr reicht? Bei der Aufstellung muss zudem sicherlich auch eine bei den herrschenden Kräfteverhältnissen nicht unwahrscheinliche Verlängerung mitberücksichtigt werden.
Lausanne-Sport spielt tatsächlich genau wie in der Vorschau vermutet. Ludo Magnin setzt also weiter auf Konstanz.
Beim FCZ hingegen gibt es einige Änderungen. Trainer Foda vertraut darauf, dass Ivan Santini schon so weit ist, dass er von Anfang an für Wirkung sorgen kann. Dzemaili und Omeragic spielen trotz Kunstrasen ebenfalls von Anfang an. Und Cup-Torhüter Kostadinovic wird “degradiert“. Yanick Brecher steht auch in Lausanne zwischen den Zürcher Pfosten. Der FCZ wechselt zudem wohl wieder zurück zum 3-4-1-2 System und würde damit mit der gleichen taktischen Formation auflaufen wie der Gegner.
Zum Abschluss der Super League-Vorrundenanalyse werfen wir traditionellerweise einen Blick auf die Integration des Nachwuchses in die jeweiligen 1. Mannschaften. Es gibt dabei einige neue Entwicklungen zu beobachten. So hat neuerdings Servette eigenen Nachwuchsspielern im U21-Alter am meisten Einsatzzeit gegeben! Die Genfer waren lange Zeit in dieser Hinsicht eines der grössten Sorgenkinder gewesen. Eigene Nachwuchskräfte wanderten auch deshalb reihenweise ab – unter anderem zum FC Zürich. Nun haben sie reagiert. Der sich immer noch im U21-Alter befindliche Kastriot Imeri schaffte nach langer Anlaufzeit (viereinhalb Jahre, mittlerweile 138 Spiele für die 1. Mannschaft) den Durchbruch zum Leistungsträger und steht nun praktisch immer in der Startaufstellung. Daneben erhielten auch Nicolas Vouilloz, Alexis Antunes und Edin Omeragic jeweils hunderte von Einsatzminuten. Ausserdem kamen Azevedo, Nyakossi und Sawadogo (mittlerweile leider verletzt) zu Super League-Spielzeit. Die Einsatzzeit eigener junger Spieler in der 1. Mannschaft, die seit der Übernahme durch die neue Klubführung um Didier Fischer und zu Beginn auch unter Trainer Alain Geiger in den Keller gerasselt war, zeigt nun nach oben.
Dicht dahinter folgt an 2. Position Lausanne-Sport. Die aus dem eigenen Nachwuchs stammenden Anel Husic (20) und Karim Sow (18) waren über weite Strecken der Vorrunde Stammspieler. Husic legte einen raketenhaften Aufstieg praktisch aus dem Nichts zum Stammspieler der U21-Nationalmannschaft hin und stand diesen Herbst kurzzeitig gar nahe an einem Aufgebot für die A-Nationalmannschaft Murat Yakins. Ebenfalls sowohl in seinem Stammklub und in der U21-Nationalmannschaft profilieren konnte sich Gabriel Barès (21, in der Winterpause Transfer zu Montpellier in die Ligue 1) und der aus der See-Region, aber nicht aus dem Lausanne-Nachwuchs stammende Zeki Amdouni (21). Mehrere Chancen, sich zu zeigen, erhielt auch der aus dem eigenen Nachwuchs stammende Alvyn Sanches (19). Dazu kam der ebenfalls aus dem eigenen Nachwuchs stammende Marc Tsoungui. Und dabei ist ein Cameron Puertas gar nicht mitgerechnet, weil er erstens schon 23 ist und zweitens im Team Vaud nur in der “U21“ (2. Mannschaft) gespielt hat, welche zum Erwachsenenfussball zählt.
Nachdem Lausanne über Jahrzehnte in den Schweizer Nachwuchsauswahlen meist untervertreten war, bildeten diesen Herbst auf einmal Husic, Barès und Amdouni die “Achse“ von Mauro Lustrinellis neuer U21-Nati. Die grosse Mehrheit der Super League-Konkurrenten hat nicht annähernd so viel auf den eigenen Nachwuchs gesetzt, wie die Waadtländer unter Ilija Borenovic. Zusammen mit nicht aus dem eigenen Nachwuchs stammenden jungen Spielern wie den Ivorern N’Guessan, Zohouri oder Ouattara setzte Lausanne mit Abstand am meisten Spieler im U21-Alter ein. Das Beispiel Lausanne zeigt, dass in Klubs mit ausländischen Besitzern nicht automatisch weniger auf den eigenen Nachwuchs gesetzt wird.
Keine einzige Einsatzminute für den Basler Nachwuchs
Im Super League-Mittelfeld bezüglich Einsatz eigener Nachwuchsspieler befinden sich in dieser Vorrunde Luzern, St. Gallen und YB mit Talenten wie Burch, Rupp, Stergiou, Besio, Mambimbi und Rieder. Der FCZ führt hingegen in dieser Wertung nur die hintere Tabellenregion an. Die unter Massimo Rizzo eingesetzte Abwärtstendenz hat sich unter André Breitenreiter noch weiter akzentuiert – nachdem zuvor unter Magnin der FCZ am meisten eigene Junioren eingesetzt hatte. Nur Bledian Krasniqi kam diesen Herbst regelmässig zum Einsatz. Dazu gesellten sich sehr knapp bemessene Kurzeinsätze von Silvan Wallner und Stephan Seiler. Hinter dem FCZ folgt Sion mit Theler und Berdayes. GC (Hoxha, Kacuri) und Lugano (Nikolas Muci) gaben diesen Herbst eigenen Nachwuchsspielern so gut wie keine Einsatzzeit. Noch schlimmer wars beim FC Basel: Null. Nada. Keine einzige Einsatzminute für den eigenen Nachwuchs beim zwischenzeitlichen Vorzeigeverein bezüglich Nachwuchsausbildung der Schweiz! Schaut man hingegen auf die Einsatzzeit von Spielern im U21-Alter ingesamt, dann liegt der FCB hinter Lausanne an zweiter Position.
Freipass für eigenen Nachwuchs wie unter Magnin vorbei
Der FCZ ist in dieser Hinsicht an fünfter Postion. Nur 28% der Einsatzzeit von U21-Spielern ging an Spieler aus der eigenen Academy. Mit den jungen Grgic, Buff, Brunner und Brecher aus dem eigenen Nachwuchs als Stammspieler ist der FCZ 15/16 abgestiegen. Unter Ludovic Magnin kamen jeweils rund ein Dutzend Academy-Spieler zu ihren Wettbewerbs-Einsätzen – in der Corona-geprägten Saison 19/20 waren es gar deren 19. In der aktuellen Saison unter Breitenreiter hingegen bisher erst drei. Über die letzten 10 Jahre gesehen liegt der FCZ bezüglich Einsatzminuten eigener Nachwuchsspieler im Vergleich mit den anderen Vetretern der „Big6“ YB, FCB, GC, Lausanne und Servette immer noch klar vorne. Aber die Zeiten, wo Academy-Spieler einfach weil sie jung sind und in der U21 zwei, drei ansprechende Spiele gemacht haben, zu Super League-Einsatzminuten kommen, sind wohl vorbei.
Wer auf Junge setzt, muss Vollgas-Fussball spielen lassen
Leider ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein Ausbau von Einsatzzeiten für junge Spieler, speziell solche aus dem eigenen Nachwuchs, in den letzten Jahren tendenziell zu Rückschlägen in der Tabelle und anschliessenden Trainerentlassungen geführt haben. Magnin (FCZ) und Borenovic (Lausanne) sind zwei der klarsten Beispiele dafür. Aber auch YB und Basel haben mehr Probleme, eine gewisse Konstanz zu erreichen, wenn sie mehr junge Spieler einsetzen. Die Wende zum Erfolg bei den Bernern kam, als unter Christoph Spycher und Adi Hütter die Einsatzzeiten der eigenen Nachwuchsspieler nach der Bickel-Ära drastisch zurückgefahren wurden. Eine Ausnahme bildet der FC St. Gallen in der Saison 19/20, aber auch dieser konnte seinen zwischenzeitlichen Höhenflug mit einer jungen Mannschaft noch nicht bestätigen. Bezeichnend auch, dass dieses Beispiel vor allem darum funktionierte, weil die Spielweise stark auf die Qualitäten von jungen Spielern (körperliche Belastbarkeit, Schnelligkeit, Aggressivität) ausgerichtet war. Dem gleichen Prinzip folgen auch Klubs wie Salzburg oder Leipzig.
Wilfried Gnonto und Becir Omeragic statt Matteo Di Giusto und Arbenit Xhemajli
Talent ist nicht gleich Talent. Aussschlaggebend ist ein hohes Potential in allen wichtigen Bereichen wie Technik, Physis, Schnelligkeit, Mentalität und Spielverständnis. Nachwuchsspieler vom Level eines künftigen Nati-Stammspielers wie Nico Elvedi oder Ricardo Rodriguez erhöhen die Qualität einer Super League-Mannschaft schon mit 17 oder 18 Jahren. Jeder Trainer, der ein Auge für Qualität hat, setzt sofort auf solche Spieler – nicht nur wenn er ein Herz für den Nachwuchs hat, sondern auch wenn er nichts anderes als Erfolg will. Nur: Talente von diesem Schlage gibt es in den meisten Jahrgängen nicht. Zusätzlich auch weil in der Vergangenheit die Mehrzahl von Talenten, die dem Niveau eines Elvedi oder Rodriguez nahe kamen, zu früh in eine Nachwuchsakademie nach England oder Italien gewechselt sind, und dort dann stagniert haben. Einige von ihnen haben dank ihrem Talent später immer noch einen ordentlichen Werdegang, aber nicht mehr die Top-Karriere, die möglich gewesen wäre.
Zur nächsten Talentstufe könnte man einen Bledian Krasniqi zählen. Talente, die nicht ganz die Voraussetzungen mitbringen, schon mit 17, 18 Jahren in der Super League einzuschlagen, danach aber schon – vorausgesetzt, sie erhalten genug Spielzeit in einer Liga, die von der Qualität her nahe an der Super League anzusiedeln ist. Das könnte beispielsweise die oberste Liga Schwedens oder Polens sein. Oder eben die Challenge League. Dank dem Modus mit zwei Zehnerligen, hat die Challenge League eine Qualität nahe der Super League. Es spielen da die Teams Nummer 11 bis 20 des Schweizer Fussballs. Von Gegenspielern von der Qualität eines Fatkic, Hasler oder Njie werden Talente vom Schlage eines Krasniqi genügend gefordert, ohne dass sie überfordert werden, wie dies mit 17 gegen einen Fabian Frei oder Théo Valls der Fall gewesen ist / wäre. Einem Anto Grgic beispielsweise, der in der Abstiegssaison Stammspieler war, hätten zu dem Zeitpunkt zuerst mal ein bis zwei Jahre Challenge League von denen ein Manuel Akanji (BVB) oder Denis Zakaria (Juve) profitieren durften, für seine Entwicklung wohl gut getan.
Bei allem, was talentmässig hingegen darunter anzusiedeln ist, macht es letztendlich wenig Sinn, Spielzeit in der obersten Liga zu gewähren – ausser man richtet wie St. Gallen die Spielweise voll auf die Jungen aus. Ein wichtiger Faktor dabei ist, dass in der Schweiz und anderswo die Toptalente und deren Umfeld im Vergleich zu vor 10 Jahren deutlich vernünftiger geworden sind und ihre Karriere Step by Step aufbauen. Genauso wie ein Krasniqi zwei Jahre Aufbau in der Challenge League bei Wil gebraucht hat, sind ein Wilfried Gnonto oder Becir Omeragic trotz vieler Angebote von reicheren Klubs aus grösseren Ligen schon früh einen Vertrag in einer Top 5-Liga zu erhalten, den Schritt zum FC Zürich gegangen. Sie nehmen nun die entsprechenden Plätze im Kader der 1. Mannschaft ein. An Stelle von etwas weniger talentierten Spielern aus dem eigenen Nachwuchs wie beispielsweise Arbenit Xhemajli oder Matteo Di Giusto. Für das Niveau und den Erfolg der 1. Mannschaft ist dies positiv. Die Hürde für den Schritt in die 1. Mannschaft ist anspruchsvoller geworden. Das heisst auch: wenn einer jetzt den Schritt schafft, hat dies eine grössere Bedeutung. Man kann es bei weitem nicht mehr einfach „erwarten“.