Die heutigen Messungsmöglichkeiten bringen eine Fussballweisheit nach der anderen auf welchen früher ganze Trainerkarrieren aufbauten und an welche Fans, Medien und auch die Spieler selbst ganz fest glaubten, ins Wanken oder gar zu Fall! Dass die Ballbesitzquote zwar viel über den Spielstil und allenfalls auch allgemeine Qualitätsunterschiede zwischen zwei Teams aussagt, aber wenig über den Erfolg, ist mittlerweile unbestritten. Dies bestätigt sich auch bei der Analyse der FCZ-Daten der letzten Saison. Der durchschnittliche Ballbesitz scheint im Verlauf der Saison eher etwas zufällig zu schwanken, war aber vor allem zu Beginn eher im negativen Bereich. Einen Zusammenhang zwischen der Schwankung des Ballbesitzes und der Expected Goals-Differenz kann man nicht herstellen. Der FCZ konnte mit viel Ballbesitz offensiv genauso zwingend oder auch weniger zwingend agieren, wie mit wenig Ballbesitz.
Zuletzt haben Daten aus Topligen nun aber sogar die Aussagekraft der Zweikampfwerte für den Mannschafts-Erfolg in Zweifel gezogen: vor allem im nördlichen Nachbarland der Schweiz über Jahrzehnte hinweg regelrecht eine «heilige Kuh»! Dazu gibt es allerdings noch zu wenig breit angelegte Untersuchungen und daher muss diese Erkenntnis nicht jederzeit und für jede Liga stimmen. Zudem wird man mit zunehmendem Detaillierungsgrad der Messungen sicherlich herausfiltern können, dass es durchaus wichtig ist, die sogenannt «entscheidenden Zweikämpfe» in bestimmten Situationen / Zonen zu gewinnen.
Wenn man sich die Saison 18/19 des FCZ anschaut, scheint zudem selbst bei den vergleichsweise banalen allgemeinen Zweikampfwerten ein Zusammenhang mit dem Erfolg zu bestehen. Im Vorfeld des Europa League-Startes auf Zypern begannen sich beim FCZ mit dem starken Heimspiel gegen Basel (1:1) die Zweikampfwerte positiv zu entwickeln. Vom 1:0-Auswärtssieg bei AEK Larnaca bis und mit dem 5:2-Auswärtssieg in Luzern waren diese gut und dementsprechend die Resultate: sieben Siege, drei Unentschieden und nur eine Niederlage (in St. Gallen).
Dann folgte die 0:1-Niederlage in Leverkusen, wo sich die Mannschaft anschliessend an die Partie von den zahlreich mitgereisten Fans trotzdem für die Sechzehntelfinalqualifikation feiern lassen konnte. Gleich anschliessend sank die Zweikampfquote zuerst auf ein durchschnittliches Niveau (unter anderem knapp negative Bilanz in den Heimspielen gegen Sion und GC) und ab dem Ludogorets-Auswärtsspiel wurde sie vor und nach der Winterpause sogar relativ schlecht.
Schon in der Aufstiegssaison 16/17 hatte die Freude auf die Europa League-Gruppenphase die Mannschaft auch in der Meisterschaft in der Vorrunde von Sieg zu Sieg getragen – und danach die Leistung merklich nachgelassen. Auch 18/19 spielte das Letzigrund-Team so lange auch national gut, wie man dem Ziel im Europacup zu überwintern nachjagte. Fast die ganze Rückrunde hindurch hatte der FCZ dann eine negative Zweikampfquote. Im entscheidenden Spiel in Neuenburg war diese gar die schlechteste der ganzen Saison mit nur 61 gewonnenen bei 97 verlorenen Zweikämpfen. Mit Michel Decastel bei Xamax am Ruder hatte der FCZ zuvor noch eine positive Zweikampfbilanz gegen die «Rouge et Noir» gehabt. Das sich im Verlauf der Saison immer besser findende ungleiche Duo Ceesay / Marchesano zusammen mit Bangura, Mirlind Kryeziu und «Doppelpacker» Kevin Rüegg vermochten die Partie aber trotzdem noch zu drehen.
Die positivste Zweikampfbilanz hatte der FCZ gegen die unterklassigen Teams (ausser Breitenrain). Die häufig von Amateur-Trainern im Cup gestellte Forderung an ihr Team, «über den Kampf ins Spiel» zu finden, muss nicht unbedingt die beste Strategie sein, denn bezüglich Cleverness im Zweikampfverhalten sind die Vollprofis stärker. Das Weiterkommen gegen AEK Larnaca sowie die positiven Saisonbilanzen gegen Luzern und Thun sind sicherlich auch dank der guten Zweikampfbilanz gegen diese Teams zustandegekommen. Gerade im Direktvergleich mit den physisch starken Luzernern erstaunt die Statistik auf den ersten Blick schon etwas. Am negativsten war die Zweikampfbilanz gegen Ludogorets mit den zweikampfstarken Nedyalkov, Terziev oder Moti in den Reihen. In der Super League war die Quote gegen YB und GC am schlechtesten. Im gleichen Bereich von etwa 10 mehr verlorenen als gewonnenen Zweikämpfen pro Spiel bewegten sich die Partien gegen Napoli und Leverkusen, was gegen solche Mannschaften keine schlechte Bilanz ist.
Gegen Ludogorets Razgrad führte die schlechteste FCZ-Zweikampfbilanz der Saison dazu, dass man von Zürcher Seite offensiv so gut wie nichts zustande brachte – mit einem durchschnittlichen Expected Goals-Wert von nur 0,37! Trotzdem holte man gegen diesen Gegner vier von sechs möglichen Punkten. Dies weil das Magnin-Team in den chancenarmen Partien gegen die Bulgaren je ein Mal deren defensive Schwachstelle (hohe Bälle) gezielt auszunutzen vermochte. Am meisten Expected Goals erspielte sich das Letzigrund-Team am anderen Ende der Skala in der Liga gegen den FC Thun und Xamax, sowie in den Cuppartien mit Red Star und Concordia. Lugano und YB waren diejenigen Teams, welche für den FCZ nach Ludogorets an zweitschwierigsten zu knacken waren – null Tore gegen die Tessiner und nur drei gegen YB in der ganzen Saison – sowie gegen beide ein durchschnittlicher Expected Goals-Wert pro Spiel von weniger als Eins. Etwas erstaunlich angesichts der schlechten Saison von GC ist, dass der Expected Goals-Wert des FCZ in den Derbies nur durchschnittlich war. Es zeigt, dass GC sich in den Stadtduellen jeweils noch am meisten zusammenreissen und eine ansprechende Leistung auf den Platz bringen konnte.
Die FCZ-Defensive liess ihrerseits gegen AEK Larnaca am wenigsten zu, gefolgt von den Partien gegen Red Star, sowie Leverkusen, Ludogorets, Xamax, GC und Concordia. All diese Gegner hatten gegen den FCZ einen Expected Goals-Wert pro Spiel von Eins und tiefer. Durchaus bemerkenswert also, dass man gegen die drei Europa League-Gruppenphasengegner defensiv weniger zuliess, als gegen die meisten Super League-Kontrahenten! Die Qualifikation für die Sechzehntelfinals hatte das Team von Ludo Magnin also wesentlich der defensiven Disziplin zu verdanken. In der Liga kassierte man im Herbst und Frühling etwa gleich viele Gegentore – das unterschiedliche Abschneiden (Vorrundenvierter vs. Rückrundenachter) lag an der veränderten offensiven Ausbeute. Die meisten und besten Torchancen musste man im Schnitt Basel zugestehen – vor YB und Napoli, wobei die fünf Begegnungen mit dem FCB in der Saison 18/19 defensiv sehr unterschiedlich verliefen.
Die durchschnittliche Anzahl Top-Offensivaktionen pro Spiel nahmen ab Anfang November laufend zu. Speziell im Dezember, Februar und April schaute verglichen mit dem von den Spielern geleisteten Effort in Sachen «Expected Goals» aber zu wenig raus. Auch andere Offensivstatistiken verbesserten sich im Verlauf der Rückrunde, die Basisarbeit wurde gemacht, aber die Gefährlichkeit im «letzten Drittel» liess nach. Man kam zu gleich vielen Abschlüssen, aber aus weniger guten Positionen.
Zu Beginn der Saison spielte der FCZ gemessen an der Anzahl Flanken relativ viel über Flügel. Der Einluss der Anzahl Flanken und Steilpässe auf die Entwicklung der Expected Goals ist nur teilweise gegeben. Das vertikale Spiel (Anzahl Steilpässe) hatte aber einen etwas stärkeren Einfluss auf die Offensivpower des FCZ als das Flügelspiel.
Der klare Steilpass-Leader beim FCZ ist Antonio Marchesano, und dessen Gesundheits- sowie Formkurve der letzten Saison ist tatsächlich ziemlich deckungsgleich mit der allgemeinen Formkurve des Teams. Ebenso scheint sich ein ausgeglichenes Verhältnis von Steilpässen und Flanken (mit anderen Worten: ein variables Spiel) positiv auf die Expected Goals ausgewirkt zu haben.
Bei der Statistik der Differenz der Anzahl gespielten Pässe sowie dem Vergleich der Passgenauigkeit zwischen FCZ und den jeweiligen Gegnern ist durchaus ein Zusammenhang mit der resultierenden Expected Goals-Differenz festzustellen. Und zwar hatte dabei eine gute Passgenauigkeit einen noch höheren positiven Einfluss als die Anzahl gespielter Pässe. Konkret verliefen die Kurven der Passgenauigkeits-Differenz und der Expected Goals-Differenz 12 von 15 Mal in die gleiche Richtung.
Die Passgenauigkeit schwankte im Verlauf der abgelaufenen Saison beim FCZ im Durchschnitt zwischen 73% und 84%. Der Ballbesitz wird zwar von der Passgenauigkeit beeinflusst, aber nur teilweise. Wichtiger dafür ist wohl die Ballrückeroberungsgeschwindigkeit. In der Premier League haben West Ham, Wolverhampton Wanderers oder FCZ-Partnerklub Bournemouth eine ähnliche Passquote wie der FC Zürich und liegen dort diesbezüglich im Mittelfeld der Liga. In der Bundesliga wird weniger schnell und direkt gespielt, hier sind die Passquoten im Durchschnitt höher als in der Premier League – Teams im Bereich des FCZ gehören da zu den am wenigsten präzise (bzw. am risikovollsten) spielenden und zwar sind dies Eintracht, RB Leipzig und Augsburg.
Die durchschnittliche Differenz der Anzahl gespielten Pässe im Vergleich zu den Gegnern schwankte im Saisonverlauf relativ stark zwischen +100 und -100. Vergleicht man grobschlächtig einfach nur die Hinrunde mit der Rückrunde, so fiel die Expected Goals-Differenz auf den Frühling hin vom positiven in den negativen Bereich obwohl die Passzahl-Differenz etwa auf dem gleichen Niveau blieb und die Passgenauigkeit sogar zunahm. Die Expected Goals-Differenz reagierte auch in der Rückrunde auf kurzfristige Verbesserungen bei den Pass-Statistiken, aber der gleiche Effort hatte eine viel kleinere Wirkung, als noch im Herbst. In fünf von sieben Zeitperioden war die Passgenauigkeit im Vergleich zu den jeweiligen Gegnern im Durchschnitt 1 – 5% höher.
Differenziert man die Passgenauigkeits-Differenz anhand der Gegner ergibt sich eine hohe Übereinstimmung mit der entsprechenden Statistik bezüglich Passanzahl-Differenz. Diejenige Mannschaft, welche einen geordneten Spielaufbau betreibt, spielt mehr Pässe und diese kommen auch häufiger an. Gegen die Unterklassigen Red Star, Concordia und Kriens war die Passgenauigkeitsdifferenz zugunsten des FCZ 14 – 20%. Gegen Leverkusen und Napoli war sie 7 – 11% geringer. Im Europacup hatte der FCZ gegen alle Gegner eine negative Bilanz bezüglich Passgenauigkeit. In der Super League war sie gegen die Umschaltmannschaften Xamax und Luzern am positivsten und gegen Basel sowie YB in dieser Reihenfolge am negativsten.
Gegen Red Star spielte der FCZ deutlich über 300 Pässe mehr als der Gegner – gegen Kriens bekundete man im Letzigrund erhebliche Probleme, obwohl mehr als 200 Pässe zusätzlich gespielt wurden. Auch in den Duellen mit Xamax verzeichnete der FCZ jeweils ein deutliches «Pass-Plus» – gefolgt von St. Gallen, Lugano und Breitenrain. Das mit Abstand grösste Pass-Minus war gegen Napoli und Leverkusen zu konstatieren. Der Vergleich mit den Super League-Gegnern zeigt, dass die höhere Anzahl gespielter Pässe kein Vorteil, tendenziell sogar eher ein leichter Nachteil darzustellen scheint. Gegen St. Gallen und Lugano hatte der FCZ in dieser Saison eine klar negative Punktebilanz bei durchschnittlich 100 mehr gespielten Pässen. Auf der anderen Seite spielte der FCZ gegen Thun und GC weniger Pässe als der Gegner, holte aber mehr Punkte. Auch in den Duellen mit YB und Basel spielte das Magnin-Team weniger Pässe, aber die negative Punktebilanz gegen diese Teams ist offensichtlich nicht in der Passstatistik begründet.
Die Ballbesitzstatistik zeigt teilweise ein ähnliches Bild wie die Statistiken bezüglich Anzahl Pässen und Passgenauigkeit: gegen die unterklassigen Teams (abgesehen von Breitenrain) lag der Ballbesitz des FCZ jeweils bei rund 70% – gegen Napoli und Leverkusen eher in der Region von 40%. Gegen Super League-Gegner reichte der FCZ-Ballbesitz im Schnitt von rund 45% (YB, Basel, Thun, GC) bis zu rund 60% (Xamax). Am zweitmeisten Super League-Ballbesitz notierte der FCZ gegen St. Gallen gefolgt von Lugano. Gewisse Differenzen sind trotzdem interessant: in den Partien mit Luzern war der Ballbesitz beinahe ausgeglichen und auch bei den Anzahl Pässen hat der FCZ keinen grossen Vorteil gegenüber den Innerschweizern, bei der Passgenauigkeit hingegen schon. Ebenfalls interessant, dass der FCZ gegen St. Gallen ausser in der ersten Begegnung im Letzigrund immer gegen die 60% Ballbesitz hatte, obwohl die Ostschweizer gegen alle anderen Super League-Gegner abgesehen von YB, Basel und teilweise GC praktisch immer einen höheren Ballbesitz aufwiesen. Vermutlich hat St. Gallen-Trainer Peter Zeidler sich nach den Erkenntnissen der ersten Partie entschieden, gegen den FCZ in der Folge anders als normal aufzutreten.
(Daten: Züri Live, Wyscout)