Stadion-Hammer: Ende einer Ära im Schweizer Fussball

Im ganzen Trubel um die Modus-Diskussion haben der FC Winterthur, der FC Wil und der FC Vaduz mit ihrem erfolgreichen Antrag um eine drastische Reduktion der Stadionanforderungen für die Super League still und heimlich für eine kleine Revolution gesorgt. Es ist eine viel weitreichendere Entscheidung als der Modus. Ohne Übertreibung ist damit an der GV der Swiss Football League vom Freitag im Schweizer Fussball eine Ära zu Ende gegangen.

Dank Stadionkatalog der SFL: Europacup in Thun, Frauen-Länderspiele in Schaffhausen

Die Denkmäler dieser Ära sind die gebauten Stadien neue Maladière in Neuenburg, Stockhorn Arena in Thun, wefox Arena in Schaffhausen, die Tissot Arena in Biel und die Tuilière in Lausanne. Dazu kommen die sich immer noch in Planung befindlichen Projekte in Aarau und Lugano. Ausserdem wurde auch der Um- und Ausbau der Stadien in Vaduz, Winterthur und Wil durch diese Ära geprägt. Diese Stadien sind alle Kinder eines Blatt Papiers (beziehungsweise PDF). Nämlich des in den letzten rund zwei Jahrzehnten gültigen Stadionkataloges (Kategorie A) der Swiss Football League. Um diese Kriterien erfüllen zu können, und damit in der obersten Schweizer Fussball-Liga mitspielen zu dürfen, haben mittelgrosse Schweizer Klubs enorme finanzielle und zeitliche Aufwände geschultert, etliche Abstimmungskämpfe geführt, den Standort gewechselt, die eigene Organisation angepasst und zusätzliche Eigentümer, teilweise aus dem Ausland, mit ins Boot geholt. Und um das Ganze finanziell überhaupt realisieren zu können, wurden zur Querfinanzierung und wegen der tieferen Bodenpreise in Thun, Schaffhausen oder Biel Stadien mit Mantelnutzung an der Peripherie gebaut.

Neue Maladière, Neuchâtel (Eröffnung: 2007)

Alles wurde dafür getan, um ein modernes Stadion errichten zu können, welches die Minimalanforderungen der Liga erfüllt. Und damit auch einen Vorteil gegenüber denjenigen Konkurrenzstädten zu haben, die dies nicht zu Stande brachten. Der Komfort, die Sicherheit und die Zuschauerzahlen wurden dank diesen neuen Stadien erhöht. Es kommen mehr Frauen und Kinder zu den Spielen. Der FC Thun konnte 13 Europacuppartien im eigenen Stadion mit echtem Heimvorteil spielen (unter anderem mit Siegen gegen Partizan und Rapid), statt nach Bern ausweichen zu müssen. Die Stockhorn Arena und die wefox Arena sind zu populären Heimstätten für die Spiele der Frauen-Nati geworden. In Biel werden viele Junioren- und Frauen-Cupfinals und Junioren-Länderspiele ausgetragen. Der ausgebaute Vaduzer Rheinpark hat einige ausverkaufte Länderspiele gegen grosse Fussball-Nationen gesehen. Die Winterthurer Schützenwiese erhielt eine schöne, neue Gegentribüne – als Teil eines umfassenden Ausbauprojektes, dessen Dringlichkeit sich nun aber stark reduziert hat.

Administrative Aufstiegshürden neu für alle stemmbar

Die bisherigen hohen Anforderungen haben für den Schweizer Fussball viel Gutes getan. Trotzdem ist der nun von Winterthur, Wil und Vaduz beantragte und von den Klubs der Swiss Football League beschlossene Rückschritt in Sachen Infrastruktur zum jetzigen Zeitpunkt positiv zu werten, speziell für den sportlichen Wettbewerb und für „die Kleinen“. Bei der Gesamtkapazität wurde eine Halbierung von 10’000 auf 5’000 Plätze beschlossen, bei den Sitzplätzen gar eine von 6’500 auf nur noch 1’000 Plätze. Dazu kommt eine Einjahresfrist zur Erfüllung dieser Anforderungen für Aufsteiger. Nur die Anforderungen für die Sicherheit und TV-Übertragungen müssen von Anfang an erfüllt werden (wobei wie diese Saison beim FC Winterthur dabei je nach Umständen eine Kulanzfrist von ein paar Wochen oder Monaten sicherlich gewährt wird).

Stockhorn Arena, Thun (2011)

Dies ändert die Situation fundamental. Die administrativen Aufstiegshürden werden wesentlich reduziert. Bis zu diesem Entscheid gab es mit Thun, Xamax, Schaffhausen und Lausanne-Sport nur vier Challenge League-Klubs, welche die Infrastrukturvoraussetzungen für die Super League mitbrachten. Winterthur durfte diesen Sommer überhaupt nur dank einer Sonderregelung aufsteigen. Nun sollte grundsätzlich jeder Challenge League-Klub aufsteigen können. Selbst ein Klub, der die reduzierten Anforderungen nicht erfüllt, kann erst mal aufsteigen und sich dann im Verlauf der Vorrunde immer noch überlegen, einen Stadionausbau im vernünftigen Rahmen in Angriff zu nehmen und / oder bei Klassenerhalt für eine gewisse Zeit in ein grösseres Stadion im Umkreis umzuziehen.

Brügglifeld olé?

Winterthur ist ein Paradebeispiel sowohl für einerseits die positive Wirkung des Druckes, den der bisherige Stadionkatalog erzeugt hat, und der gleichzeitig aber auch etwas überzogenen Standards, die darin formuliert wurden. Der aktuelle Rückschritt in den Anforderungen ist massiv. Kurzfristig ist das kein Problem. Es hilft sogar, speziell im Zuge der Super League-Vergrösserung das Wettbewerbsprinzip Aufrecht zu erhalten. Langfristig könnte es aber schon wieder zu einer Situation führen wie in den 80er und frühen 90er-Jahren, wo verfallende und nicht mehr zeitgemässe Infrastrukturen zum damaligen Zuschauerschwund beigetragen haben.

Tissot Arena, Biel-Bienne (2015)

Der FC Aarau gehörte wohl nicht ganz ohne Hintergedanken nicht zu den Promotoren des Antrages. Während andere Klubs bei einem Standortwechsel fast immer mit einer zentrumsferneren Location vorlieb nehmen müssen, will der FCA mit seinem im Grunde schon seit den 90er-Jahren pendenten Stadionprojekt vom in der Gemeinde Suhr gelegenen Brügglifeld ins deutlich zentrumsnähere Torfeld Süd umziehen. Macht der Entscheid der Swiss Football League vom Freitag den Aarauern im letzten Moment noch einen Strich durch die Rechnung, weil ein Verbleib im Brügglifeld plötzlich wieder eine Option werden könnte? Auch der Neubau des Cornaredo in Lugano ist durch diesen Entscheid nicht mehr wirklich zwingend. Anders sieht die Situation in Zürich aus. Wie in Genf, Basel oder Bern gehen die Anforderungen an ein Fussballstadion in einer Stadt wie Zürich sowieso über die SFL-Mindestanforderungen für Super League-Stadien hinaus – egal ob bisherige oder neue.

Eröffnung wefox Arena (damals LIPO Park), Schaffhausen (2017)
Tuilière, Lausanne (2020)

Ligaaufstockung plus Schottenmodus: Die «Kleinen» sind die Verlierer

Nach der Liga-Generalversammlung diese Woche kommt nun also letztendlich die bereits vorher beschlossene Ligaaufstockung auf 12 Teams zusammen mit dem «Schottenmodus». Diese beiden Neuerungen haben einen gemeinsamen Nenner: die «Kleinen» sind die Verlierer.

Die «Grossen» profitieren vom «Schottenmodus»

Es ist kein Zufall, dass mit YB die Nr.1 der letzten Jahre am meisten gegen die Playoffs geweibelt hat und die in der Meisterschaft seit Jahrzehnten chronisch erfolglosen Welschen und Tessiner Klubs fast geschlossen dafür waren. Playoffs hätten den «Kleinen» eine grössere Chance im Kampf um Meisterschaft und Europacup-Plätze gegeben. Auch der FCZ hätte vom Playoff-Modus sicherlich profitiert. In einzelnen wichtigen Spielen ist man in den letzten Jahren immer wieder über sich hinausgewachsen – und hatte mit Ausnahme der Zaubersaison 21/22 über eine volle Meisterschaft mit 36 Runden jeweils keine Chance auf Erfolg. Schottland wird seit Jahrzehnten, sicherlich nicht nur, aber auch wegen dem «Schottenmodus» von Celtic und Rangers dominiert.

Mit dem «Schottenmodus» werden die bestehenden Machtverhältnisse also tendenziell zementiert. Trotzdem war Züri Live genauso wie der FCZ und alle Fankurven gegen die Playoffs. Denn diese hätten uns eine extrem lange praktisch bedeutungslose «Aufwärmphase» von Juli bis April gebracht. Im Gegensatz zum Eishockey mit seinem «Best of 7» über drei Monate hätte die entscheidende Meisterschaftsphase im Schweizer Fussball nur ein paar wenige Tage gedauert. Sehr löblich zu erwähnen: FCZ-Präsident Ancillo Canepa hat wie schon zu seiner Zeit im Ligakomitee als einer von ganz wenigen Klubvertretern zu jedem Zeitpunkt in erster Linie an den Schweizer Fussball als Ganzes gedacht, und nicht an die Interessen des eigenen Klubs.

Nach Nati A-Aufstockung steht im Eishockey die Nati B vor dem Kollaps!

Bei der Frage der Playoffs auf der Seite der «Grossen» zu stehen war aus Züri Live-Sicht richtig. Bei der Ligagrösse hingegen nicht! Mit der Aufstockung auf 12 Teams wollen grössere Klubs wie FCZ, GC, St. Gallen, Luzern oder Sion die Abstiegsgefahr verkleinern. Die Super League «klaut» dafür der Challenge League ihre zwei besten Teams. Dadurch sinken Qualität, Zuschauerzahlen und Einnahmen in der zuletzt immer attraktiver werdenden zweithöchsten Liga. Im schlimmsten Fall bricht dem Schweizer Fussball so ein wettbewerbsfähiges Unterhaus weg, wo sich Nationalspieler wie Sommer, Akanji, Zakaria oder Freuler den letzten Schliff vor ihrem Durchbruch in der Super League holten. Zudem sind mehrere Spitzen-Juniorenorganisationen von Challenge League-Klubs so deutlich schwieriger zu finanzieren.

In welche Richtung es nach einer Super League-Aufstockung gehen kann, führt aktuell das Schweizer Eishockey plastisch vor Augen, wo nach Aufstockungen der obersten Liga auf 14 Teams die Nationalliga B (Swiss League, 10 Mannschaften) vor dem sportlichen und finanziellen Kollaps steht! Traditionsklubs wie SC Langenthal oder EHC Winterthur überlegen sich einen Rückzug. Ähnlich könnte es im Fussball bald Thun, Xamax, Aarau, Bellinzona oder Schaffhausen ergehen.  

Die «Kleinen» Profiklubs schneiden sich ins eigene Fleisch

Leider haben Schweizer Klubvertreter, Journalisten und Fans in den letzten Jahren bei all den Diskussionen um eher kosmetische Modusfragen viel zu wenig Zeit investiert, um die viel tiefgreifenderen Folgen einer Ligaaufstockung ernsthaft und ganzheitlich zu analysieren. Hätten sie dies getan, hätten viele kleine Profiklubs mit der Ligaaufstockung nicht eine Idee unterstützen können, die ihnen selbst letztendlich am meisten schaden wird.

Der Köder für die «Kleinen» sind die zwei zusätzlichen Plätze in der Super League. Der dafür zu bezahlende Preis einer Schwächung der Challenge League ist aber viel zu gross! Denn die meisten dieser kleinen Teams werden weiterhin mehr Zeit in der Challenge League, als in der Super League verbringen. Für 24 Profiklubs im Eishockey und 22 im Fussball (insgesamt 46) ist die Schweiz wahrscheinlich zu klein. Dass die Grenze im Fussball wohl bei 20 liegt, wurde in einer früheren von der Swiss Football League in Auftrag gegebenen Studie bereits einmal festgestellt. Und bei 20 ist die Formel 10+10 ideal.

Erhöhung Challenge League-Anteil an zentralen TV- und Marketing-Geldern auf 30-40% jetzt eine Notwendigkeit!

Man kann nur hoffen, dass die Klubvertreter auch mit dem Beispiel des Eishockeys vor Augen den Fehler einsehen und mittelfristig zum erfolgreichen 10+10 zurückkehren. Ansonsten sind schmerzhafte Einschnitte bei Qualität, Nationalmannschaft, Zuschauerzahlen, Arbeitsplätzen, Wettbewerbsfähigkeit und Juniorenförderung unvermeidlich. Um den Super-GAU zu vermeiden, sollten die Super League-Klubs als kurzfristige Massnahme ihre Kollegen in der Challenge League dafür entschädigen, dass sie ihnen ihre zwei besten Teams und damit wichtige Einnahmen «klauen».

Als Kompensation muss daher der prozentuale Anteil der Challenge League-Klubs an den TV- und Marketing-Geldern der Swiss Football League möglichst rasch von aktuell rund 20% auf 30-40% erhöht werden! Den Super League-Klubs bricht damit kein wesentlicher Einnahmenblock weg. Zumal für die Super League der «Schottenmodus» kommerziell deutlich attraktiver ist, als der zuvor im Raum stehende «Playoff-Modus» mit weniger Spielen, verringerter Planbarkeit und erhöhter Langeweile während den 10 Monaten bis zu den Playoffs. Für die durch die Super League-Aufstockung benachteiligten Challenge League-Klubs wäre es hingegen eine willkommene Entlastung.

Züri Live-Artikel vom 10.Mai 2022: SWISS FOOTBALL LEAGUE – 23 GRÜNDE GEGEN LIGA-AUFSTOCKUNG UND PLAYOFFS