Aufgrund des (knappen) Verpassens der Championship Group wird die Zeit von Ricardo Moniz als Cheftrainer des FC Zürich von vielen Seiten als erfolglos bewertet. Tatsächlich weist der Holländer allerdings einen Punkteschnitt von 1,51 auf und liegt damit in den Top Ten der 57 Super League-Trainer seit Sommer 2017 (Wiederaufstieg FCZ) – nur knapp hinter Mattia Croci-Torti, Bo Henriksen und René Weiler – und vor Patrick Rahmen, Peter Zeidler, Alain Geiger, Fabio Celestini oder Giorgio Contini.
Moniz schon zwei Mal Nachfolger von Van der Gaag
Mit André Breitenreiter, Bo Henriksen und Ricardo Moniz hat der FCZ drei Trainer unter den vom Punkteschnitt her erfolgreichsten zehn Super League-Trainern der letzten acht Jahre und mit diesen drei offensichtlich ein gutes Händchen in der Trainerwahl gehabt. Henriksen ist nach Klublegende Urs Fischer der zweite ehemalige FCZ-Trainer, der innert kürzester Zeit zum Bundesliga-Trainer der Saison gewählt wurde. Ricardo Moniz erreichte seinen Punkteschnitt bei gleichzeitigem grossem Neuaufbau bezüglich Personal und Spielweise. Viele junge Spieler haben unter ihm in der Saison 24/25 eine gute Basis für ihren künftigen Werdegang legen können. Der gute Punkteschnitt lebt allerdings stark vom ersten Halbjahr (Mai bis Oktober 2024), in welchem das Team von Moniz 14 von 23 Partien gewinnen konnte. Zum Abschluss der Saison 24/25 gab es hingegen fünf Niederlagen in sieben Partien – immerhin wurden die beiden Derbys gewonnen und man blieb die Nummer Eins der Stadt.
Daten: transfermarkt.ch, Punkteschnitt Super League-Trainer 2017 – 2025 mit mindestens fünf Partien
Moniz war übrigens schon zwei Mal direkter oder indirekter Nachfolger seines jetzigen Nachfolgers Mitchell Van der Gaag. Im Juli 2016 folgte er in der zweithöchsten Holländischen Liga beim FC Eindhoven auf Van der Gaag (Punkteschnitt Van der Gaag: 1,69, Moniz: 1,40). Und nachdem Van der Gaag das kleine Excelsior zwei Saisons in der Eredivisie hatte halten können, lief nach seinem Abgang die Folgesaison 18/19 weniger gut. Ricardo Moniz war im April bereits der dritte Trainer in Rotterdam, konnte den Abstieg aber in der Barrage gegen Waalwijk nicht verhindern.
Nur ein Punkte-Flop beim FCZ
Massimo Rizzo, Uli Forte, Ludovic Magnin und Murat Ural befinden sich vom Punkteschnitt her im Mittelfeld der Tabelle der 54 Super League-Trainer seit 2017 – im gleichen Bereich wie ein Mario Frick, Tomas Oral, Murat Yakin, Alex Frei oder Didier Tholot. Rizzo liegt nur 0,08 Punkte hinter FCB-Meistertrainer Fabio Celestini, der davor in dieser Zeitperiode schon bei vier anderen Super League-isten tätig gewesen war. Franco Foda liegt hingegen mit einem Schnitt von 0,25 Punkten an zweitletzter Stelle, nur noch unterboten von Boro Kuzmanovic.
Der neue Trainer Franco Foda folgt beim FCZ auf eine historische Saison: vielleicht sogar die beste der Vereinsgeschichte? Zumindest kann man mit Fug und Recht Trainer André Breitenreiter die beste Meisterschafts-Bilanz eines FCZ-Trainers attestieren. Bei den ersten zwei Meistertiteln 1902 und 1924 gab es noch keine Spitzenliga im eigentlichen Sinn. Alle anderen Meistertitel folgten ab den 60er-Jahren. Seit 1960 hat nur ein FCZ-Coach umgerechnet nach Dreipunkteregel einen besseren Punkteschnitt als Breitenreiter erreicht: der Basler René Brodmann, welcher zum Ende seiner fünfjährigen Aktivzeit beim FCZ in der Rückrunde 1967 als Spielertrainer waltete (trotz der Top-Rückrunde blieb damals am Ende der FCB einen Punkt vor dem FCZ und Lugano). Brodmann kam gemäss FCZ-Biographie „Eine Stadt, Ein Verein, Eine Geschichte“ im Jahr 2000 auf tragische Art und Weise bei einem Unfall ausgerechnet direkt vor dem Letzigrund-Stadion ums Leben.
Lehren aus der Geschichte
Breitenreiter ist trotz zweitbestem Punkteschnitt in unserem Trainer-Ranking an erster Position, denn wir haben den Punkteschnitt mit der Qualität der Gegner gewichtet, gegen welche diese Punkte geholt wurden. So liegt beispielsweise Albert Sing, der 1980 durchschnittlich 1,3 Punkte in der Finalrunde gegen die Top 6-Mannschaften der Schweiz geholt hat, vor Uli Forte mit dessen 1,99 Punkten vorwiegend gegen die Nummern 11 bis 20 des Schweizer Fussballs und in zweiter Linie gegen die besten 10. Oder Gilbert Gress mit 1,31 Punkten gegen vorwiegend die besten 12, teilweise die besten 8 und die Nummern 9 bis 16 liegt vor Herbert Neumann mit 1,40 Punkten zu grossen Teilen gegen die Nummern 9 bis 24 der Schweiz. Und so werden die 2,10 Punkte Breitenreiters gegen die Top 10 etwas höher gewichtet, als Brodmanns 2,23 Punkte gegen die Top 14.
Die beiden grossen Figuren sind Breitenreiter und Favre – gefolgt von den erfolgreichen Coaches zuerst der 70er- (Cajkovski, Konietzka) und dann der 60er-Jahre (Gawliczek, Maurer, Mantula). Eine aufschlussreiche Lehre ergibt sich aus der Geschichte, wenn die Zeit nach den „Überfliegern“ Favre und Konietzka / Cajkovski betrachtet wird. Die Nachfolger (Jeandupeux sowie Challandes / Fischer / Meier) erreichten nicht mehr die Top-Punktzahlen von zuvor, arbeiteten aber trotzdem immer noch ziemlich erfolgreich. Jeandupeux und Challandes vermochten gar in Sachen Meistertitel nachzudoppeln. Mit Challandes, Fischer und Meier schien vor dem Hintergrund der Favre-Zeit jeweils die Geduld etwas zu fehlen. Eine kleine Resultatbaisse führte in den jeweiligen Fällen zur Freistellung. Besser wurde es danach aber nicht – im Gegenteil. Die Gefahr besteht, dass man an die Nachfolgetrainer zu hohe Ansprüche stellt und dadurch vom Regen in die Traufe gerät.
Kommt eine Mannschaft nicht ins Spiel, wie der FCZ in Thun, dann sind die Erklärungen in der Live-Berichterstattung schnell zur Hand: „Sie sind nicht wach“, „Es fehlt der Biss“, „Mit den Gedanken irgendwo anders“. Die Züri Live-Übertragungen sind da keine Ausnahme. Da keiner von uns Lucien Favre heisst, erkennen wir manchmal nicht auf den ersten Blick, was tatsächlich falsch läuft. Dazu ist dann die ausführliche Match-Analyse da, für die wir uns nach jedem Spiel die nötige Zeit nehmen. Diese fördert immer interessante Aspekte zutage: manchmal sind es Details, manchmal stellt sie die LIve-Einschätzung des Spiels aber auch so ziemlich auf den Kopf.
Dass der FC Thun in den ersten 20 Minuten scheinbar mühelos gleich mit 3:0 in Führung gehen konnte, hatte zu grossen Teilen taktische Gründe, wobei „Taktik“ nicht nur die entsprechenden Vorgaben, sondern auch deren Umsetzung auf dem Platz beinhaltet. In der 29. Minute reagierte der FCZ und stellte seine ursprüngliche Taktik um. Ab da bekam man die Partie sofort deutlich besser in den Griff. Schon zwei Minuten später führte dies zum ersten Eckball, ersten Torschuss und Tor zum 1:3. Was war also das Problem der ersten 28 Minuten?
Dafür muss man erstmal etwas Ausholen: Kompakt stehen und dem Gegner wenig Raum zum Spielaufbau geben ist schon seit Jahrzehnten das A und O des modernen Defensivfussballs.Gewisse Abweichungen davon gibt es seit ein paar Jahren mit dem ultraschnellen Umschaltfussball à la St. Gallen und dessen Vorbildern, bei welchem die Reihen automatisch weiter auseinanderrücken, als dies in Partien mit Beteiligung von anderen Teams der Fall ist. Diese grösseren Räume kommen speziell dem FCZ und dessen Qualitäten entgegen, was mit ein Grund ist, warum das Magnin-Team zur Zeit gegen St. Gallen so viele positive Resultate liefert. Unabhängig davon, ob man das Pressing hoch, im Mittelfeld oder tief ansetzt, und ob man schnell in die Offensive umschaltet oder nicht (wie schnell man in die Defensive umschalten muss, hängt im Wesentlichen vom Gegner ab), ist schon seit langer Zeit das Essenzielle jeder Defensivarbeit, den jeweils ballführenden Gegner mit unterschiedlichen Mitteln so unter Druck zu setzen, dass dieser keine gefährlichen Pässe spielen kann, eben, zu „pressen“. Freies Spiel lassen kann man gegnerischen Verteidigern und dem Torhüter höchstens in einer Zone, in welcher unmittelbar gefährliche Pässe in die Tiefe, auf welche die eigenen Verteidiger allenfalls nicht mehr schnell genug reagieren können, nicht möglich oder zumindest sehr unwahrscheinlich sind.
„Die Verteidigung beginnt vorne“ ist nicht nur ein Spruch. Qualitätsunterschiede zwischen der Verteidigungsarbeit der Stürmer sind heutzutage in einer Liga beispielsweise im Vergleich der Mittelfeldteams häufig wegweisender für die defensive Stabilität, als die meist etwa ähnlich guten Verteidigungsreihen. Der FCZ hatte hier lange ein grosses Problem. Kaum ein anderes Team der Liga hatte so schwach verteidigende Vorderleute wie Kramer, Ceesay, Mahi, Kololli, Schönbächler oder Marchesano. Nun ist der FC Zürich auch heute in dieser Kategorie noch nicht top, es ist aber in dieser Saison eine klare Verbesserung festzustellen – angeführt vom sich enorm entwickelnden Antonio Marchesano, welcher das Pressing im 4-4-2 vorne (abgesehen von ein, zwei Momenten pro Spiel) mittlerweile sehr gut steuert. Marchesano sorgt dafür, dass der Zweierblock gut funktioniert, wobei es da je nach Partner noch Unterschiede gibt. Blaz Kramer hat sich zwar auch etwas entwickelt, nimmt sich aber immer noch zu viele defensive Auszeiten. Marchesanos Copain aus Bieler Zeiten Benjamin Kololli erweist sich hingegen speziell seit der Corona-Pause wie ein umgekehrter Handschuh.
Foto: Moritz Wolf
In Thun hatte der FCZ in der ersten halben Stunde nun in der vorderen Reihe zwei entscheidende Probleme. Erstens: Marchesano war abwesend. Die Personaldecke speziell in den vorderen Reihen ist zur Zeit dünn. So kam Adrian Winter im offensiven Zentrum neben Benjamin Kololli zu seinem Startelf-Comeback ausgerechnet in dem Stadion, wo er sich vor mehr als einem Jahr seinen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Winter vorne zentral einzusetzen, ist grundsätzlich ein logischer Schritt, denn die auf dem Flügel so entscheidende Antrittsschnelligkeit hat er altersbedingt auf Super League-Niveau nicht mehr in entscheidendem Masse. Im Offensivzentrum für Unberechenbarkeit sorgen, ist hingegen eine Rolle, die ihm auch als Charakter liegt und in der er der Mannschaft immer noch helfen kann, wie dies die Tessiner TV-Kommentatoren Cerone / Tarchini (Ex-FCZ) zuletzt richtigerweise bemerkt haben.
Zweitens wurde gegen den FC Thun von der bisherigen standardmässigen Verteidigungsformation des flachen 4-4-2 leicht, aber entscheidend abgewichen. Thun spielt wie der FC St. Gallen mit einer Raute im Mittelfeld, dies aber mit mehr Präzision / langsamerem Umschalten. In diesem Zusammenhang wurde offenbar vom FCZ der auf der Sechserposition spielende Thun-Captain Leonardo Bertone als entscheidende Relais-Station im Spielaufbau ausgemacht. Adrian Winter und Benjamin Kololli standen daher nicht auf der gleichen Höhe, um auf der ganzen Breite des Spielfeldes Störarbeit verrichten zu können, sondern einer von beiden nahm jeweils auf der 10er-Position Bertone in Deckung und diesen somit aus dem Spiel. Dies bedeutete für den jeweils Anderen (in der Regel Kololli) lange Laufwege, ohne die beiden Innenverteidiger Stillhart und Havenaar wirklich entscheidend beim Spielaufbau behindern zu können. Der Gedankengang aus FCZ-Sicht lässt sich nachvollziehen. Bertone gilt als einer der Liga-Spezialisten für lange Bälle auf der Sechserposition, während die Innenverteidiger Stillhart und Havenaar nicht den gleichen Ruf geniessen. Allerdings: beide haben sich in letzter Zeit in spielerischer Hinsicht klar verbessert und Stillhart, welcher durchaus das Potential hat, zumindest teilweise in die grossen Fussstapfen des zurückgetretenen Thuner Captains Dennis Hediger zu treten, gelang zudem just gegen den FCZ eine der besten Halbzeiten seiner bisherigen Karriere. Aus diesem Grund ging die Rechnung des FCZ trotz Unterzahl in der vordersten Pressing-Reihe gleichzeitig mit der Viererabwehr relativ hoch stehen zu können, nicht auf.
Nikki Havenaar kann ungehindert mit Ball in die Zürcher Hälfte vordringen und hat mit Aussenverteidiger Sven Joss und dem Achter Matteo Tosetti zwei Anspielstationen in kurzer Passdistanz, um einen gefährlichen Angriff über die rechte Seite zu lancieren.
Den Schuss vor den Bug bezüglich der taktischen Marschroute gab es für den FCZ in der 6. Minute. Weil Winter strikt bei Bertone blieb, musste der fleissige Kololli einen sehr langen Weg gehen und konnte Havenaar nicht hindern, mit Ball am Fuss mehr als fünf Meter in die Zürcher Hälfte vorzudringen (siehe Standbild oben). Dies brachte aufgrund der nun kurzen Passwege des Gegners die kompakt im Raum stehenden beiden Zürcher Viererreihen in Verlegenheit und verschärfte zwei zusätzliche Probleme. Einerseits das geschickte sequentielle Positionsspiel Thuns, in welchem die „Achter“ Tosetti und Hasler in der Angriffszone auf den Flügel ausweichen und dann beim Zurücklaufen den gegnerischen Aussenverteidiger Richtung Mitte mitziehen, um dem eigenen Aussenverteidiger Raum nach vorne zu verschaffen. Andererseits die in Thun nach längerer Zeit wieder aufgetretenen Probleme einer hoch stehenden Zürcher Viererabwehrkette mit der Offsidefalle. Das Duo Mirlind Kryeziu / Kempter stand mehrmals deutlich höher als auf rechts Nathan / Britto.
Die Szene endete mit einer gefährlichen scharfen Hereingabe von Joss von der rechten Seite, die Brecher knapp vor Hassane Bandé am nahen Pfosten wegfausten konnte. Die Zürcher Forwards lernten daraus: über Havenaar kann Thun gefährliche Vorstösse lancieren. Fünf Minuten später lief Adi Winter daher den ballführenden Basil Stillhart von der Mitte an, um den Pass zu Havenaar zu verhindern oder zumindest zu erschweren – und gleichzeitig machte sich sogar Kololli noch zusätzlich für den Fall eines Querpasses auf den Weg Richtung Havenaar und liess dafür sogar Bertone vorläufig stehen (siehe Standbild unten).
Adrian Winter läuft Basil Stillhart von der Mitte aus an, um den Querpass auf Nikki Havenaar zu erschweren. Stillhart nutzt den Raum und Platz, um den Angriff über links selbst zu lancieren.
Stillharts Reaktion darauf ist logisch: er macht rechtsumkehrt, nutzt den sich durch die Fokussierung der Zürcher auf Havenaar bietenden Raum selbst und spielt unbedrängt auf seiner Seite einen Traumpass in die Tiefe für Nias Hefti. Der Ball driftet dabei auf seiner Bahn auf dem Thuner Kunstrasen stabil und präzise wie eine Bowlingkugel in den Lauf des offensiven linken Aussenverteidigers. Rapp verwertet dessen ideale Hereingabe zum Thuner 1:0.
Ein Bild des Grauens: Winter und Kololli kriegen vorne in Unterzahl keinen Zugriff auf die Angriffsauslösung, Britto lässt sich von Hasler zu stark nach innen ziehen, Mirlind Kryeziu und Kempter stehen zu weit vorne, um gegen Rapp und allenfalls Bandé noch effektiv eingreifen zu können.
Man kann in der ganzen Szene Willie Britto nicht zum Vorwurf machen, dass er sich in der Nähe von Nicolas Hasler aufhält und nach innen ziehen lässt, aber er müsste aufgrund der Angriffsauslösung auf seiner Seite sich mindestens zwei bis drei Meter weiter nach rechts begeben, um die Distanz zur Aussenbahn nicht zu gross werden zu lassen. Wohlgemerkt: Thun macht es in dieser Situation richtig gut. Die Spielsituation ändert sich enorm schnell. Zu behaupten, Britto würde „schlafen“, wäre ungerechtfertigt. Er ist durchaus aufmerksam und bemerkt Heftis Lauf nur eine Zehntelssekunde nach obigem Standbild. Das Problem des Ivorers wie auch einiger anderer Zürcher Spieler in ähnlichen Situationen ist aber: er ist noch am „bouncen“. Der trabende, leicht hüpfende Schritt hilft Energie und Kräfte sparen, ist aber komplett ungeeignet, wenn Gefahr im Verzug ist, und verhindert die notwendige ultraschnelle Richtungsänderung. Da muss man stattdessen „auf den Zehenspitzen stehen“.
Stillhart leitet mit ähnlichen weiten Bällen auch das zweite und das dritte Tor ein, wobei er bei letzterem den Ball tief aus der eigenen Hälfte in Bedrängnis durch Kololli mit dem linken Fuss spielt – sein Meisterstück. An diesem Abend schien dem Ostschweizer bis zu seinem Ausschluss alles zu gelingen. In der 29. Minute dann die taktische Änderung des FCZ auf eine Dreierkette, die das Spiel veränderte. Man wollte dabei weiterhin Bertone aus dem Spiel nehmen und stellte daher auf ein 3-4-1-2 um. Nun waren die Zürcher vorne im Dreieck des Thuner Spielaufbaus zwischen Havenaar, Stillhart und Bertone nicht mehr die ewig zu spät kommenden Unterzahlspieler. Der linke (Mirlind Kryeziu) und rechte Innenverteidiger (Willie Britto) vermochten zudem sowohl das Mittelfeld gegen die beiden Thuner Achter Tosetti und Hasler, als auch die Aussenspieler besser zu unterstützen. Vorne führte die Präsenz des zentralen Offensivtrios Kololli – Schönbächler – Winter sofort zum ersten Corner und Tor. In der Zweiten Halbzeit rückte Hekuran Kryeziu zurück auf die mittlere Position der Dreierabwehrkette, was für ihn durchaus eine Position mit Zukunft sein könnte.
Sieht viel besser aus! Durch das Pressing im 3-4-1-2 wird der Thuner Spielaufbau empfindlich gestört.
Leider griff das 3-4-1-2 Pressing auch nicht immer ganz reibungslos, dies aber nicht aus taktischen, sondern aus personellen Gründen – Marco Schönbächler erwischte nach einigen guten Leistungen in Thun einen schlechten Tag. Ganz anders Benjamin Kololli, dem trotz Niederlage möglicherweise gar seine bisher beste Leistung im FCZ-Dress gelang. Zu seiner allgemeinen Aufwärtstendenz nach der Coronapause (bisher in jedem Einsatz ein Tor und ein Assist, wichtige Rolle in der Sturmspitze, deutlich verbesserte Defensivleistung) kam die Erholungspause gegen Lugano und der Fakt hinzu, dass die Berner Oberländer sein klarer Lieblingsgegner zu sein scheinen – bei bisher schon sieben Treffern und zwei Assists in elf Begegnungen.
Mirlind Kryeziu gelang in der Stockhorn Arena per Kopf endlich sein erstes Super League-Tor. Auch dies hatte seine Vorgeschichte in den Testspielen, wo er in Schaffhausen ein identisches Tor nach Corner Kolollis von rechts erzielt hatte – ebenfalls via Lattenunterkante. Nathan und Kempter spielten in Thun zwar immer noch solide, aber nicht mehr so zwingend, wie noch in den Partien davor. Rüegg und Winter zeigten grosses Kämpferherz, begingen aber auch viele Fehler. Willie Britto fühlte sich in der Viertelstunde vor der Pause in der Dreierabwehr deutlich wohler als zuvor und war für wichtige Spielauslösungen über rechts zuständig, die über Standards zu den beiden Anschlusstreffern führten. Die Erste Halbzeit bestätigte die aktuell hohe Effizienz und Standardstärke des Letzigrund-Clubs. In der Zweiten Halbzeit war die Mentalität der Mannschaft stark und man spielte deutlich besser, als in vielen Überzahlsituationen der gleichen Saison. Dass man in extremer Weise aufs Tempo drückte und den Gegner kaum noch verschnaufen liess, war richtig, aber es fehlte ein Quäntchen mehr Ruhe und Geduld zwischendurch. Auf jeden Fall bleibt wie schon in den vorangegangenen Partien die halbe Stunde nach der Pause die beste Phase im Zürcher Spiel. Der Energiehaushalt ist auf diese Phase ausgerichtet, während beispielsweise ein Team wie St. Gallen die Entscheidung in der Regel bereits in den ersten 30 Minuten der Partie sucht – und danach abbaut.
Vor der Pause hatte der FCZ etwas Glück, dass Ref Tschudi nach einem Tackling von Basil Stillhart gegen den ballführenden Benjamin Kololli auf Freistoss und Gelb entschied. Das hätten nicht alle Schiedsrichter so gesehen. Der anschliessende Penaltyentscheid und die zweite Gelbe Karte gegen Stillhart war dann aber korrekt. Bei einem leichten Halten von Kempter gegen Bandé und auf der anderen Seite einem unabsichtlichen Ellbogenschlag von Havenaar gegen Kololli im Strafraum war es zudem jeweils nachvollziehbar, dass nicht auf Penalty entschieden wurde.
Der ehemalige FCZ- und Thun-Trainer sowie FCZ-Legende Urs Fischer will heute in der Stockhorn Arena ein spannendes Duell seiner beiden Ex-Klubs geniessen. Der aktuelle FCZ-Trainer Ludovic Magnin hat für die heutige Partie in der Stockhorn Arena eine begrenzte Personalauswahl in den vorderen Reihen. Benjamin Kololli kehrt zwar wieder zurück, aber dafür ist Blaz Kramer gesperrt – wegen eines „Fouls“ in der Anfangsphase der Partie gegen Lugano, das keines war. Dazu fallen die vom Platz gefahrenen / getragenen Tosin und Omeragic verletzt aus. Mahi und Marchesano sind ebenfalls nicht fit. Neu in die Startformation rücken Adi Winter, Mirlind Kryeziu, Hekuran Kryeziu und Willie Britto. Es ist sowohl eine Variante mit Dreierabwehr, als auch mit Viererabwehr denkbar.
Beim FC Thun hat Stürmer Ridge Munsy einen Lauf und seit seinem ersten Rückrundeneinsatz gegen Lugano in sechs Partien jedes Mal getroffen! Mit Hassane Bandé hat Thun-Trainer und FCZ-Gott Marc Schneider eine zusätzliche Option im Sturm, was Simone Rapp zu motivieren scheint, der zuletzt in St. Gallen nach seiner Einwechslung zur Halbzeit stark dazu beigetragen hat, dass die Berner Oberländer beinahe noch einen Punkt aus der Gallusstadt entführt hätten. Gegen den FCZ beginnt etwas überraschend das Duo Rapp / Bandé und Munsy sitzt als Joker auf der Bank. Seit einiger Zeit lässt Marc Schneider im Mittelfeld mit einer Raute spielen, wodurch die Position des Top-Assistgebers Tosetti auf dem offensiven Flügel normalerweise aus dem System rausfällt. Der FCZ hat in den letzten Jahren aber immer wieder Mühe mit Tosetti gehabt, daher bringt ihn Schneider heute trotzdem von Anfang an, ob als Achter in der Raute oder in einem flachen Vierermittelfeld wird sich noch zeigen. Grégory Karlen könnte in Abwesenheit von Miguel Castroman auf die 10er-Position rücken und der offensiv orientierte Nias Hefti ersetzt links hinten Chris Kablan.
Aktuelle Daten des „CIES Football Observatory“ in Neuenburg zeigen, dass der FCZ aktuell zu den konsequentesten Talentförderern Europas gehört. In der Rangliste des Anteils der Spielminuten von Spielern aus dem eigenen Nachwuchs liegt der FC Zürich mit 38,6% an 24. Stelle von 464 untersuchten europäischen Erstligisten. Ganz vorne liegen Sigma Olomouc (Tschechische Republik) und Zilina (Slowakei) mit beinahe zwei Drittel Spielzeit für eigene Junioren. Nur neun Mannschaften liegen über 50%, darunter Dynamo Kyiv und Celta Vigo. Ebenfalls noch vor dem FCZ liegen unter anderem Athletic Bilbao, als einziges Schweizer Team Basel (14., 46,8%), Dinamo Minsk, Anderlecht und Espanyol. Die Zahlen führen die sich unter Deutschschweizer Fussballjournalisten (Print und TV) hartnäckig haltende Behauptung, unter Trainer Ludo Magnin würde gar nicht wie versprochen auf die eigene Jugend gesetzt, oder es handle sich beim aktuellen FCZ gar um eine „Söldnertruppe“, einmal mehr komplett ad absurdum. Zu den Junioren aus der eigenen Academy dazu kommen Talente wie der 17-jährige Becir Omeragic, der zuletzt über die U21 an die Super League herangeführt wurde und in den 38,6% nicht mit enthalten ist, da er dem Servette-Nachwuchs entstammt.
Die Super League als Ganzes liegt in Bezug auf die Einsatzzeiten von im eigenen Klub ausgebildeten Spielern mit im Durchschnitt 24,8% der Spielzeit europaweit gar an der Spitze! Über mangelndes Identifikationspotential mit der Mannschaft können sich die Fans in der Schweiz im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht beklagen. Über der Marke von 20% liegen ansonsten nur noch die Slowakei, Norwegen, Slowenien, Tschechische Republik und Dänemark. Unter 10% liegen Schlusslicht Türkei (3,7%), Zypern, Italien (5,4%), Portugal (!), Griechenland, Bulgarien und auch Deutschland (8,8%). Bemerkenswert, dass die Premier League-Klubs (12%) mittlerweile mehr als die Bundesliga-Teams auf Spieler aus dem klubeigenen Nachwuchs setzen. Die Super League ist zudem mit 25,7 Jahren die fünftjüngste Erste Liga Europas – nach der Slowakei, den Niederlanden, Slowenien und Kroatien. Am anderen Ende der Skala befinden sich wiederum die Türkei und Zypern. Dabei sticht der FC St. Gallen als mit durchschnittlich 23,0 Jahren europaweit sechstjüngstes Team hervor: jünger sind nur noch Nordsjaelland (Dänemark, 22,3), Energetik-BGU (Weissrussland, 22,3), DAC (Slowakei, 22,8), Heerenveen (Niederlande, 22,8) und Anderlecht (Belgien, 22,9). Trainer Peter Zeidler liegt damit nochmal deutlich unter den Werten seiner ehemaligen Klubs Salzburg und Hoffenheim, welche als Inspiration für St. Gallens laufintensiven Fussball dienen, für welchen möglichst viele junge Spieler benötigt werden. Der FCZ ist mit Durchschnittsalter 25,1 knapp hinter YB und Luzern aktuell das viertjüngste Team der Liga und europaweit an 67. Position der 464 untersuchten Erstligisten.
Ebenfalls im europaweiten Vergleich hoch ist die Klubtreue bzw. die „Stabilität“, wie dies vom CIES genannt wird, der eingesetzten FCZ-Spieler. Im Durchschnitt sind diese bereits 29,2 Monate in der 1. Mannschaft des FC Zürich engagiert. Im schweizerischen Vergleich sind nur bei Xamax die eingesetzten Spieler noch länger mit dabei. In Bezug auf den Ausländeranteil und die prozentuale Spielzeit der Einwechselspieler liegt der FCZ im europäischen Durchschnitt. Recht hoch ist hingegen mit 182,9 cm die durchschnittliche Körpergrösse der eingesetzten Spieler. Zu berücksichtigen ist am Beispiel von Assan Ceesay, dass Körpergrösse nicht immer automatisch auch eine grosse „Wasserverdrängung“ bedeutet. Bei YB ist das etwas anders. Die Berner sind mit durchschnittlich 183,6 cm das „grösste“ Team der Super League. Am meisten nach oben gucken müssen die Gegenspieler, wenn sie gegen Union Berlin antreten – Urs Fischer trainiert mit durchschnittlich 187,1 cm das „grösste“ Team Europas.
(Archivbild, von links nach rechts: FCZ-Junioren Nicolas Stettler, Kevin Rüegg und Nils Von Niederhäusern bei einem SFV-Zusammenzug)
Cédric Brunner war beim Saisonauftakt im Letzigrund als Fan mit dabei und im Pauseninterview bei Züri Live! Der 24-jährige verrät dabei wie er sich gegen den FC Thun auf der Tribüne fühlte, die wichtigsten Gründe für seinen Wechsel nach Bielefeld, woran er sich dort noch anpassen muss und worauf er sich freut…nicht ohne sich auch nochmal mit glühendem Herzen an den Cuptitel im Mai zurückzuerinnern…