Iulian Filipescu: wer ist der Mensch hinter der Kult-Figur?
Es gibt Menschen, die cool sind. Es gibt Menschen, die cool sein wollen. Und es gibt Iulian Filipescu. «Ich bin Hausfrau» meint der Rumäne schelmisch zur versammelten Journalistenschar auf die Nachfrage nach seiner aktuellen Tätigkeit. Welcher gestandene Mann, und noch viel mehr: welcher ehemalige Fussballprofi würde mit einer solchen Selbstverständlichkeit so über sich selbst reden? Jeder hat doch seine Projekte am Laufen! Nicht Filipescu… Er lebt, wie er Fussball spielte – fokussiert aufs Wesentliche. Auf dem Platz bedeutete dies, mit möglichst wenig Laufen möglichst viele Tore zu verhindern, und in der letzten Sekunde der Saison erstmals aus dem Spiel heraus im gegnerischen Strafraum aufzutauchen, um das entscheidende Tor zum Meistertitel zu erzielen. Heute ist das Wesentliche die Familie.
Sich Filipescu zum Vorbild nehmen, bedeutet: bereit sein, wenns wirklich drauf ankommt – im Gegensatz zu sich in Hyperaktivität verlieren. Iulian kann es sich leisten, zusammen mit seiner Frau in der Nähe von Oviedo in Asturien, sich um Kinder, Haus und Garten zu kümmern. «Oviedo ist ein bisschen wie Zürich, auch das Wetter ist vergleichbar». Wenn die Kinder dann einmal gross sind, wird er sich wieder eine Beschäftigung suchen. Oldtimer reparieren ist eine Variante. Ein Stück aus seiner Sammlung, einen Alpha Spider, hatte er damals in seiner Zürcher Zeit gekauft.
Sein letzter Job war Juniorentrainer von Oviedo. Bis man ihn dort nicht mehr haben wollte. Filipescu sind die Gründe nicht klar. Ähnlich spricht er über den Abgang beim FCZ gleich nach dem Titel. Er wäre gerne geblieben, und forderte den gleichen Lohn wie bis anhin. Aus seiner subjektiven Sicht war dies nach der erfolgreichen Saison nicht zu viel verlangt. Verständlich für einen Spieler, der sich die Lohngefüge von Galatasaray und Betis Sevilla gewohnt war. Für FCZ-Verhältnisse verdiente Filipescu aber viel Geld – und auch der Meistertreffer konnte nicht verbergen, dass er von Jahr zu Jahr immer langsamer wurde. Dank dem Abgang von Filipescu war der FCZ in der Lage, Hannu Tihinen zu verpflichten – ein exzellenter Deal. Der drei Jahre jüngere Finne trug als Top-Verteidiger, Captain und Integrationsfigur sehr viel zu den Meistertiteln 2007 und 2009 bei. Filipescu hätte dasselbe wohl nicht mehr geschafft.
Filipescu ist Kult nicht nur wegen seines Tores, sondern auch wegen seiner Art. Er biedert sich bei niemandem an und gibt nicht vor, etwas anderes zu wollen, als einfach ein schönes Leben. Auf die Frage nach der Bedeutung der Zahl «93» in seinem heutigen Leben antwortet der Rumäne denn auch: «Ich möchte 93 Jahre alt werden». Auch wenn er äusserlich gewisse Ähnlichkeiten mit dem archetypischen Hooligan der 80-er Jahre hat, wäre Filipescu ein miserabler Ultra. Zum Fussball schauen geht er nicht ins Stadion. Ihm gefällt es in den eigenen vier Wänden besser. Im Stadion vermisst der 42-jährige zum Beispiel die Replay-Funktion auf der Fernbedienung. Seine Lebensqualität ist ihm wichtig, sein Status hingegen nicht. Gerade deshalb gibt er die ideale Kult-Figur ab – denn Kult kann nur jemand sein, der dies eigentlich gar nicht sein will. Wer Kult ist, bestimmen die Fans, nicht der Star.
Filipescu gibt zwar zu, dass die 93.Minute der aussergewöhnlichste Moment seiner Karriere und wegen der Dramaturgie überhaupt einer der aussergewöhnlichsten Momente im internationalen Fussball war. Gleichzeitig ist er überzeugt davon, dass für den FCZ die aktuellen Spiele gegen den Abstieg wichtiger seien, als der damalige Meistertitel in Basel. Gerade auch seine Erfahrungen mit Betis in Sevilla haben ihn zur Erkenntnis gebracht, dass Abstieg in die Zweite Liga schlimm ist – weil es nicht einfach ist, wieder hochzukommen.
Iulian Filipescu ist mit seiner Familie drei Tage in Zürich und darf heute am 93.Minute-Fest im Volkshaus als Personifikation dieses Momentes natürlich nicht fehlen. Zusammen mit Südkurven-Bands, die seinen Namen in Liedtexten verewigt haben…