Das Ende der Tunesischen Ära
Der Abgang von Amine Chermiti zur Winterpause ist mehr als nur der Abschied von einem langjährigen Spieler – es ist das Ende der Tunesischen Ära im FC Zürich. Die wie das Präsidenten-Ehepaar in Kilchberg wohnenden Tunesier waren der rote Faden der bisherigen Präsidentschaft von Ancillo Canepa. Frisch im Amt reiste er zusammen mit dem damaligen Sportchef Fredy Bickel im Mai 2007 nach Tunesien und sicherte sich die Dienste des dort bereits zum Star erhobenen 20-jährigen Jungspundes Yassine Chikhaoui.
Auf guten Start folgt jeweils das Mittelmass
Chikhaoui kam nach Zürich und realisierte in den ersten zwei Monaten vom 26.Juli bis 29.September 2007 sagenhafte dreizehn Super League-Skorerpunkte (7 Tore und 6 Assists in 10 Partien). Die Krönung war sein Sololauf zur Eröffnung des neuen Letzigrundstadions – nach zwei weiteren Chikhaoui-Assists hatte der FCZ das Derby 4:0 gewonnen. Hätte der FCZ zu jenem Zeitpunkt einen guten Wahrsager in seinem Staff beschäftigt gehabt, hätte dieser empfohlen, den Tunesier nach diesem Startfurioso gleich wieder ziehen zu lassen. Denn in den folgenden acht langen Jahren kam nüchtern betrachtet vom Hoffnungsträger nichts wesentliches mehr. Für die nächsten 13 Skorerpunkte beispielsweise benötigte Chikhaoui volle fünfeinhalb Jahre! Die Mannschaft und der Klub verbrachte Jahr um Jahr entweder mit dem Warten auf die baldige Rückkehr des immer wieder verletzten „Fussball-Messias“ oder dann mit der Anpassung an seine gerade auch für die Mitspieler nicht immer einfach zu durchschauenden Spielweise, wenn er doch mal wieder auf dem Platz stand.
Auch Amine Chermiti war zu Beginn seiner FCZ-Zeit mit Abstand am wirkungsvollsten, und fiel danach für die folgenden fünf Jahre ins Mittelmass zurück. Der Stürmer konnte in der Folge nie zu einem echten Leistungsträger werden. In seiner ersten Saison 10/11 sah das noch anders aus: Chermiti war zwar häufig verletzt, aber wenn er spielte, agierte er schnell, spritzig und zielstrebig. Trotz nur 17 Einsätzen kam er auf 9 Tore und 6 Assists. In jener Saison war der FCZ nahe am Meistertitel dran, was unter anderem auch das Verdienst von Tunesier Nummer drei, Chaker Zouaghi, war. Der häufig verkannte Defensivmann war in seiner ersten von zwei FCZ-Saisons ein wichtiges Element des starken Jahrgangs rund um Djuric, Aegerter, Koch, Teixeira, Schönbächler, Mehmedi und Alphonse. Chikhaoui hingegen hatte in jener Saison durch seinen Schienbeinbruch und eine spätere Knieverletzung kaum einen Einsatz.
Generation mit viel Vorschusslorbeeren – und wenig Biss
Erfolgsgaranten waren die Tunesier in ihrer langen FCZ-Ära nie. In der Meistersaison 08/09 hatte Chikhaoui ganze 6 Einsätze vorzuweisen gehabt, und zum Cuptitel 13/14 trugen Chikhaoui und Chermiti kein einziges Tor bei. Die Schlüsselspieler beim Meistertitel waren Tihinen, Abdi, Hassli, Alphonse, Aegerter und Leoni – und beim Cupsieg Da Costa, Gavranovic, Etoundi, Chiumiento, Buff und Schönbächler – aber nicht die beiden Tunesier. Sie sind damit sinnbildlich für eine ganze Generation von im Heimatland mit viel Vorschusslorbeeren bedachten jungen Spielern, von denen sich aber kaum einer in Europa richtig hat durchsetzen können. Wer kann sich noch an weitere Tunesische Nationalspieler in der Super League wie Oussama Darragi, Saïf Ghezal oder Ammar Jemal erinnern? Kleine Ausnahmen bilden einzig die beiden Innenverteidiger Aymen Abdennour (Valencia) und Karim Haggui (heute Düsseldorf). Es ist eine Generation von Spielern, die zuhause von Fans und Medien allzuschnell in den Himmel gehoben wurde, im Ausland dann aber zu wenig Biss zeigte. Das höchste der Gefühle für die meisten Tunesischen Nationalspieler war in den letzten Jahren schlussendlich ein lukrativer Vertrag auf der Arabischen Halbinsel.
2004 gewann Tunesien zum ersten und bisher einzigen Mal den Afrika Cup und nahm 2006 letztmals an einer WM teil. Seither haben die „Adler von Karthago“ an der alle zwei Jahre stattfindenden Kontinentalmeisterschaft nie mehr den Viertelfinal überstanden. Der einzige Sieg an einem WM-Turnier ereignete sich vor grauer Urzeit am 2.Juni 1978 im argentinischen Rosario bei einem 3:1 gegen Mexiko. Teil des 2004 Afrika Cup-Siegerteams war der eingebürgerte Brasilianer Francileudo Santos gewesen. Dieser stand vor genau 9 Jahren am Anfang der Tunesischen Ära im FCZ. Für gerade mal ein paar Monate von Toulouse zum FCZ ausgeliehen, zeichnete sich Santos im Gegensatz zu den auf ihn folgenden gebürtigen Tunesiern durch eine ausgeprägte Winnermentalität aus. In den letzten drei Partien der Saison 06/07 trug er mit je einem Tor bei jedem seiner Teileinsätze viel zur Sicherung des zweiten Zürcher Meistertitels der Neuzeit bei. Seit Juli 2015 ist der heute 36-jährige übrigens wieder auf Schweizer Fussballplätzen unterwegs. Für den jurassischen FC Porrentruy hat er im Oktober in der 2.Liga Interregional gegen Allschwil und Muttenz je ein Tor erzielen können. Seine Mannschaft liegt aber trotzdem mit nur 6 Punkten zur Winterpause auf dem letzten Platz.
Mit Kind, Kegel und Plastiksack: als am 29.Mai nach dem 4:3 im Derby zum versöhnlichen Abschluss der Saison alle schon weg waren, genoss Yassine Chikhaoui mit seiner Familie die Ruhe und Musse, um sich vor einer damals noch ungewissen Zukunft schon mal vom Letzigrund zu verabschieden. Der Ort, wo acht Jahre zuvor alles so kometenhaft begonnen hatte, war zu einer Arena der Hoffnung und des Leidens – und gerade deshalb zu einem Stück Heimat geworden.
Au revoir, nos aigles de Carthage! Et merci pour vos émotions et pour vivre avec nous le FC Zurich! Une fois Zurichois, toujours Zurichois…