Im klassischen Theater oder in Filmen tauchen immer wieder dieselben Figuren auf, einzig in Frisur und Kleidung an die aktuelle Mode angepasst – und manchmal nicht einmal das. So auch beim FCZ. Da gibt es die Figur des soliden Büezers, der Fussball als Arbeit versteht und es nur dank dieser Einstellung auch in die oberste Spielklasse geschafft hat. Er kommt über den Kampf ins Spiel und regt sich manchmal darüber auf, dass einige der Teamkollegen zu wenig laufen. Und da der Fussballgott manchmal gerecht ist, gelingt ausgerechnet dem Büezer die entscheidende Flanke in der letzten Sekunde einer 36 Runden dauernden Meisterschaft, die den ersten Titel seit 25 Jahren bringt. Oder er schiesst das einzige Tor seiner Karriere in seinem letzten Spiel. Oder er trifft in der Scala des Fussballs artistisch per finnischem Volkstanz-Schritt.
Mit dieser Figur kann sich der Fan identifizieren, der seit seinem 17. Lebensjahr jeden Werktag zwischen fünf und sechs Uhr aufsteht und zwei Mal wöchentlich mit viel Engagement und Herzblut eine Juniorenmannschaft trainiert. Sie taucht in jeder Spielergeneration wieder auf unter Namen wie Urs Fischer, Florian Stahel, Hannu Tihinen oder Alain Nef. Die zweite Figur ist diejenige des Künstlers, des erkannten, noch häufiger aber auch verkannten Genies. Sie liegt all denjenigen FCZ-Anhängern am Herzen, die wissen, dass es für echten Fortschritt und Innovation mehr braucht, als einzig an der Seitenlinie rauf- und runterzuhetzen. Die davon überzeugt sind, dass ein Pass von Zinedine Zidane oder ein Dribbling von Diego Armando Maradona die Welt verändern können, und die von der Schönheit der Ballbehandlung eines Roberto Baggio fasziniert sind. Die wissen, dass Künstler einen Leidensweg durchschreiten müssen, um überhaupt zu Künstlern zu werden – und es dazu Geduld und künstlerische Pausen braucht. Von Köbi Kuhn über Jure Jerkovic, Marcel Raducanu, Gocha Jamarauli und Raffael bis zu Yassine Chikhaoui durfte auch diese Figur nie fehlen.
Eine dritte Figur ist der Typ «durchgeknallter Stürmer». Wer emotional ist, instinktive Entscheidungen fällt, und in seiner Biographie schon manchen Bruch erlebt hat, der fühlt sich seelenverwandt mit einem John Linford, Fredy Chassot, Alhassane Keita, Eric Hassli oder Michi Frey. Die aufgezählten Interpreten der klassischen Figuren sind alles Fussballer aus der wilden Jugend-Ära des Fussballs. Die «Kindheitsära» war die Pionierzeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Es war die Zeit der «Unschuld», der improvisierten Fussballfelder und der Geldknappheit, in welcher Mäzenatentum bedeutete, den jungen Burschen einen Matchball zu spenden. In der «Jugend-Ära» (zweite Hälfte 20. Jahrhundert und noch ein paar Jahre darüber hinaus) geschah der grosse Aufbruch. Fussball wird globaler Volkssport, mit Live-Übertragungen zuerst im Radio, dann im TV, sowie eine drastische Zunahme der Anzahl Profispieler.
Mittlerweile ist der Fussball aber in eine neue Ära eingetreten. Er ist erwachsen geworden. Fertig lustig! In den Jugendjahren des Fussballs konnte ein Spieler mit viel Talent noch einen ungesunden Lebenswandel pflegen oder neben dem Fussball Vollzeit arbeiten und trotzdem international mithalten. Da wurden Nationalspieler ohne einen Schimmer von Didaktik Kraft ihres grossen Namens nach Beendigung ihrer Karriere automatisch Trainer in der höchsten Liga. Und auf dem Platz waren die Rollen klar verteilt: es gab die Wasserträger, Haudegen, Knipser und Regisseure mit dem Bewegungsradius eines imaginären Bierdeckels. Ganz unterschiedliche Typen, Charaktere, Figuren – wie im klassischen griechischen Theater.
Der Fussball hat sich professionalisiert und globalisiert. Das Niveau ist gestiegen. Die breit angelegte SFV-Ausbildungsphilosophie seit den 90-er Jahren bringt es mit sich, dass in Super League und Challenge League alle Gegenspieler taktisch und technisch gut ausgebildet sind. Weltweit bieten sich zehntausende Spieler und mindestens ebenso viele Spezialisten drumherum wie Trainer, Medizinisches Personal, Scouts, Analytiker, Ausbildner und so weiter den Klubs an, sorgen für Konkurrenz und können von diesem Sport zu 100% leben. Um nur schon auf dem Niveau einer Super League mithalten zu können, muss jeder Profispieler, vom Torhüter bis zum Mittelstürmer, heutzutage ein Mindestmass an Technik, Spielverständnis, Kraft, mentalen Qualitäten und Laufleistung mitbringen.
Bei dem Tempo, in welchem heute Fussball gespielt wird, geht es erstmal nicht darum, mit dem Ball irgendwelche Wunderdinge zu vollbringen – das können bei dieser Geschwindigkeit sowieso nur ganz wenige. Viel wichtiger ist eine solide erste Ballberührung bei hohem Tempo – und dies vor allem konstant in mindestens 90% der Fälle, dazu Beweglichkeit und Handlungsschnelligkeit. Der moderne Fussball ist besser, aber in vielen Dingen auch gleichförmiger geworden. Um mithalten zu können, darf man heute keine echten Schwachpunkte mehr haben. Gerade die Schwachpunkte waren es jeweils gewesen, die in der Vergangenheit eine Figur, einen Typen charakterisierten.
Der FCZ war immer ein Team der Typen und Charakterköpfe. Die meisten Fans, Journalisten und auch Vereinsverantwortlichen sind in der «Jugend-Ära des Fussballs» aufgewachsen und von dieser geprägt worden. Bis heute werden von allen Seiten in der 1. Mannschaft Figuren gerne gesehen, die etwas aus der Zeit gefallen scheinen. Auch gegnerische Spieler und Trainer haben die letzten Jahre wiederholt von den technischen Finessen von FCZ-Spielern geschwärmt, und gleichzeitig gerne die drei Punkte mit nach Hause genommen. Ein Mimoun Mahi beispielsweise oder ein Benjamin Kololli streicheln zwar den Ball so sanft wie einen Hundewelpen, verschleppen aber auch das Spiel wie ein Spielmacher aus den 80er-Jahren und verursachen gegen heutige laufstarke Gegner viele Ballverluste. Ein Denis Popovic ist so langsam, dass er nur in einem Team mit neun sehr laufstarken Mitspielern funktionieren kann, wie das bei seinem Ex-Klub Orenburg der Fall war. Ein Salim Khelifi oder Antonio Marchesano müssen hart kämpfen, um auf Super League-Niveau physisch und von der Reichweite her bestehen zu können.
YB beispielsweise hat im Jahr 2013 aufgehört, Spieler wie Silberbauer, Ojala oder Jemal zu verpflichten, die den Anforderungen des modernen Fussballs auf Super League-Niveau in einem oder mehreren Bereichen nicht gewachsen sind. Als einzige Ausnahme fand zwischendurch wegen der finanziellen Probleme des FC Biel Benjamin Kololli ein halbes Jahr per Leihe Unterschlupf, wurde dann aber wenig überraschend nicht weiter verpflichtet. Servette hat nach dem Aufstieg schnell gemerkt, dass ein «Bierdeckel-Fussballer» wie Sébastien Wüthrich zwar immer wieder für ein paar Skorerpunkte gut sein kann, aber die Entwicklung des Teams in Richtung modernen Super League-Fussballs behindert. Luzern hat sich aus ähnlichen Gründen von Valeriane Gvilia getrennt. Beim FCZ finden solche Spieler weiterhin Unterschlupf. Ein Grégory Sertic beispielsweise schlurfte jeweils über den Platz, als ob er am Sonntagmorgen in den Hausschuhen durchs Wohnzimmer watscheln würde. Yassin Maouche begriff nicht, dass man in der Super League keinen lockeren Plauschfussball wie mit den Copains in der Badi spielen kann.
Umso schwerer wiegt darum, dass viele dieser Künstler nicht nur ineffizient und wenig teamorientiert spielen, sondern obendrein auch noch teuer sind. Es fehlt dadurch das Geld für beispielsweise einen treffsicheren und gleichzeitig laufstarken Stürmer. Eines der Paradebeispiele ist Yassine Chikhaoui, der acht Jahre lang da und meist eben doch nicht da war, und wenn er zwischendurch wieder mal zurückkam, das Teamgefüge eher störte, als befruchtete. Es gab durchaus auch Künstler, die sich in ihrer Zürcher Zeit entwickelten, wie zum Beispiel Davide Chiumiento, der wieder lernte aufs Tor zu schiessen und sogar Kopfballduelle gegen Verteidiger wie Grégory Wüthrich zu gewinnen begann – für ein paar Monate. Es ist jedem Super League-Klub freigestellt, langsame Techniker wie Asmir Kajevic oder Andres Vasquez zu verpflichten, aber man darf dann nicht erwarten, dass man sicher in der Super League bleibt. Und selbst in der Challenge League ist es auch mit grossen Investitionen nicht einfach, mit Spielmachern alter Schule wie Markus Neumayr, die in der Defensiven Phase praktisch inexistent sind, aufzusteigen.
Wie man Wochenende für Wochenende sieht, reicht es nicht, nur acht Spieler aufs Feld zu schicken, die in allen wichtigen Bereichen auf Super League-Niveau bestehen können. Es müssen elf sein, die in allen Bereichen ein gewisses Mindestniveau mitbringen. Denn die anderen Mannschaften, auch die «Kleinen» der Liga, bringen mittlerweile meistens elf solche Spieler auf den Platz. Und, das ist mehr als nur eine Phrase: ein Team ist immer nur so gut wie ihr schwächstes Glied. Bisher war es häufig so, dass das pure Talent aus dem eigenen Nachwuchs und die Fähigkeit, sich häufig für wichtige Spiele speziell zu motivieren, immer wieder gewisse Schwachpunkte übertüncht haben. Aber der FCZ sollte sich nun langsam aber sicher von Spielern trennen, die an die gute, alte Jugend-Zeit des Fussballs erinnern – und im modernen, erwachsenen Fussball ankommen – mit elf Spielern auf dem Platz, die als Einzelspieler und im Team in der Lage sind, läuferisch, technisch, mental, physisch sowie bezüglich Geschwindigkeit gegen jedes andere Super League-Team zu bestehen.