Rückrundenstart: zur Lage der Liga

Nicht dass es noch irgendjemanden erstaunen würde: als FCZ Sommer-Neuverpflichtung Benjamin Kololli sein Tor im Auswärtsspiel gegen AEK Larnaka mit einem unvermittelten Sprung in den drei Meter tiefen Stadiongraben vor den mitgereisten Fans feierte, setzte der Waadtländer nichts weiter als eine Tradition fort. Wenn im Schweizer Fussball irgendetwas verrücktes, unvorhergesehenes passiert, ist der FCZ nicht weit. Von unmöglichen Meisterschaftsentscheidungen in letzter Sekunde über Stiere und Marder, die aufs Spielfeld rennen bis zu Stromausfällen… – der Stadtclub scheint die Aura des Abnormalen und Unberechenbaren mit sich herumzutragen wo immer er auch hinreist. Pazzo. Wohl kein Zufall daher das Motto der Choreo im ersten Derby zum Saisonstart: «All Irr» – mit den Konterfeis von Ludo Magnin, Ancillo Canepa und Michi Frey im Zentrum.

Die sportlichen Verantwortlichen des Klubs haben das Ziel, mittel- bis langfristig wieder Richtung nationale Spitze vorzustossen. Dass dies noch ein langer Weg werden kann, ist klar. Der YB-Meistertitel wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Die Qualität und vor allem Mentalität in einzelnen Spielen über sich hinauszuwachsen hatte der FCZ in den letzten Jahren aber immer und sie wurde unter Trainer Ludo Magnin gar noch verstärkt. Als im Cupfinal, den man mit irren Last Minute-Wendungen gegen Thun und GC erreicht hatte, gleich eine ganze Reihe von Spielern besser agierten, als sie es eigentlich können, musste man sich schon die Augen reiben. Weiter gings im Jahr 2018 mit zwei hochverdienten Derbysiegen, drei gewonnenen Europa League-Duellen in Serie in der ersten Hälfte der Gruppenphase und einer starken Leistung im Heimspiel gegen YB (3:3), nachdem man zu Saisonbeginn in Bern (0:4) noch zu viel Risiko gegangen war.

Ähnlich verliefen die beiden Duelle mit dem FCB – zuerst überraschte und kontrollierte man die Rot-Blauen beim 1:1 im Letzigrund mit einer ungewohnten Taktik und hätte das Spiel unter normalen Umständen gewinnen müssen. Dann baute man Basel auswärts aber auch einmal mehr mit einer schlechten Halbzeit im St. Jakob Park wieder auf. Zudem ging dem Letzigrund-Team zum Ende der Vorrunde hin die Energie aus. Diese und ähnliche Entwicklungen wurden auf Züri Live bereits beim traditionellen Vorrundenrückblick im Anschluss an die letzte Partie gegen Lugano durchgekäut und haben von ihrer Aktualität auch anderthalb Monate später nichts eingebüsst – so wie auch die Diskussion einiger aus unterschiedlichen Gründen interessanter FCZ-Protagonisten des Herbstes wie Alain Nef, Benjamin Kololli, Victor Palsson oder Marco Schönbächler:

Und sonst so in der Liga? Nachdem der alte Basler Trick der «Wegbeförderung» von YB-Sportchef Christoph Spycher zur Nationalmannschaft nicht geklappt hat, müssen sich die Rot-Blauen wohl mehr denn je in den nächsten Jahren mit YB als ernsthaftem Konkurrenten herumschlagen – zumal die Zuschauerzahlen, welche die Basis der Potenz eines (Schweizer) Klubs bilden, sich immer mehr angleichen. In dieser Hinsicht hat sich übrigens auch der FCZ dem Rückrundenauftaktgeber St. Gallen angenähert, dessen Umsatz im Vergleich zu den Zürchern in den letzten Jahren immer etwa 7-10 Mio CHF höher gewesen war.

Aus anderen Gründen noch etwas höher liegt das geschätzte Budget des FC Sion, wo Spieler- und Trainerberater Donato Blasucci einmal mehr für seine Klienten Murat Yakin und Marcos Otero mit Verhandlungen und den daraus resultierenden langfristigen Vertragsverlängerungen sehr erfolgreich war. Im Wallis fiebert man bereits dem Cup-Viertelfinal am 27. Februar gegen Yakins Ex-Klub Basel entgegen. Neben Titelverteidiger FCZ und Meister YB sollte man den drittplatzierten FC Thun im Cup-Rennen nicht ausser Acht lassen. Die Berner Oberländer sind, nachdem sie ihr Team im Sommer zusammenhalten konnten, ambitioniert und träumen schon lange von der zweiten Cupfinalteilnahme nach 1955. Bei Luzern hängt vieles vom erfahrenen Offensivspieler Pascal Schürpf ab, bei GC von der jungen Entdeckung Djibril Diani. Lugano versucht, Vorteile aus den Spielerhändeln mit Juve zu ziehen.

Eine ähnliche Strategie, nur noch etwas akzentuierter, fährt eine Stufe tiefer das mittlerweile eng mit dem FC Lugano verflochtene Chiasso, welches alle sechs Monate die (sehr junge) Mannschaft jeweils komplett umbaut. Ganz anders der SC Kriens in seinem umgebauten Kleinfeld, der weitgehend auf seine seit Promotion League-Zeiten eingespielte Mannschaft setzt, zu der diesen Winter mit Albin Sadrijaj und Liridon Berisha zwei weitere Spieler aus dem FCZ-Nachwuchs gestossen sind. Rapperswil-Jona hat junge Spieler von praktisch allen grossen Super League-Klubs übernommen – als Partnerklub von GC, der eine Kooperation mit YB und einen ehemaligen FCZ (Academy)-Trainer in seinen Reihen hat.

Schaffhausen hat keine einfachen Wochen und Monate vor sich und muss neben dem Hinschied des langjährigen Präsidenten Aniello Fontana auch dem schleichenden Zuschauerschwund  entgegenwirken. Solche Probleme hat Rivale Winterthur nicht. Vor allem auch dank Rückkehrer Davide Callà spielen die Winterthurer Löwen wieder einmal an der Tabellenspitze mit. Dies ist keine Überraschung für jemanden, der Callà im Frühling im Kreise der FCB U21-Equipe beobachten durfte. Wil holt seit dem Amtsantritt von Trainer Konrad Fünfstück überdurchschnittlich viel aus seinen Möglichkeiten heraus. Im ersten Halbjahr von dessen Amtszeit konnten die Früchte der taktisch und läuferisch hervorragenden Arbeit seiner Equipe noch nicht geerntet werden, weil die Stürmer jegliche Torgefährlichkeit vermissen liessen. Seit Cortelezzi, Savic und Co. aber das gegnerische Gehäuse ab und zu wieder treffen, geht es auch in der Tabelle mit den Ostschweizern aufwärts.

Vaduz setzt wieder vermehrt auf Spieler aus dem Rheintal, sei es aus dem Liechtensteinischen, dem St. Gallischen oder dem Vorarlbergischen. Der frühere Züri Live-Experte Mario Frick baut vermehrt eigene Nachwuchskräfte ein, darunter seinen 17-jährigen Sohn Noah. Trotzdem bleibt Vaduz ambitioniert – wenn auch nicht im gleichen Masse wie der FC Aarau, welcher diesen Winter mit der Verpflichtung von Markus Neumayr das Kader mit einem weiteren langjährigen Super League-Routinier verstärkt hat. Zum Auftakt gegen den FC Wil gelang dem zuletzt beim Iranischen Traditionsklub Esteghlal engagierten Deutschen gleich ein Freistosstor aus sehr spitzem Winkel. Seine Laufleistung in dieser Partie war überschaubar, aber das wurde von mehreren seiner Mitspieler kompensiert.

Die weiteren Aufstiegsfavoriten neben Aarau sind und bleiben aber natürlich die beiden ewigen Rivalen Lausanne-Sport und vor allem Servette. Die Genfer haben die Mannschaft, welche letzte Saison im Aufstiegsrennen gegen ein immer wieder effizientes Xamax gescheitert war, zusammengehalten und weiter verstärkt. Seinen Teil zur Servette-Tabellenführung nach der Vorrunde beigetragen hat auch Stürmer Alexandre Alphonse (36), welcher einiges fitter und robuster wirkt, als er es selbst zu seinen besten FCZ-Zeiten (211 Wettbewerbspartien für den Stadtclub) je war.

Die drittklassige Promotion League hat sich mittlerweile ganz klar etabliert und bewährt. Das Niveau ist deutlich höher als es in der dreigleisigen 1. Liga je war – und es nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu. Ambitionierte 1.Liga-Teams wollen unbedingt in die Promotion League aufsteigen und in dieser Liga wiederum gibt es eine Reihe von Klubs, die das Ziel Challenge League haben. Zu letzteren gehört aber ursprünglich nicht zwingend der aktuelle Tabellenleader Stade Lausanne-Ouchy. Dieser spielt seit Jahren mit mehr oder weniger derselben Mannschaft und hat mit dieser den FCZ im Cup schon zwei Mal fordern können. Nun haben die Waadtländer mit dieser nur punktuell verstärkten Equipe in der Vorrunde deutlich ambitionierteren Klubs wie Yverdon, Stade Nyonnais oder Bellinzona den Garaus gemacht.

Würde «SLO» überhaupt aufsteigen wollen, und wenn ja, wo würden sie spielen? Auf der Pontaise beziehungsweise im neuen Stadion auf den Tuilières? Auf Anfrage von Züri Live geben sich die Verantwortlichen zuversichtlich, dass sie (wohl mit ein paar infrastrukturellen Anpassungen) auch in ihrem direkt am See in Vidy gelegenen Kleinstadion «Juan Antonio Samaranch»  in der Challenge League spielen dürften. Zumindest ist die Anfrage bei der Liga deponiert. Die Reserve-Equipe des FCZ profitiert enorm vom stetig steigenden Niveau der Promotion League mit vielen ambitionierten Equipen, muss sich gleichzeitig aber auch etwas einfallen lassen, um die Liga halten zu können. Für die Rückrunde wird die Equipe von Trainer Marinko Jurendic daher in der Abwehr wohl mit Routinier José Gonçalves (Ex-Winterthur und -Thun) verstärkt werden, genauso wie durch Einsätze der jungen neu verpflichteten Stürmer Binous, Andereggen und Kasai.

 

Beendet die Challenge League die Saison mit 10 Teams?

Die Züri Live-Experten Toni Gassmann und Ronny Bien waren sich schon im Dezember uneinig. Was ist Deine Meinung?

Beendet die Challenge League die Saison 2016/17 mit allen 10 Teams?

View Results

Wird geladen ... Wird geladen ...

Chiasso ist in finanziellen Schwierigkeiten und muss in der Winterpause mit Lurati und Milosavljevic sein Tafelsilber nach Sion verkaufen. Schaffhausen bewegt sich gleichzeitig durch die Krankheit des langjährigen Präsidenten und Eigentümers Aniello Fontana ausgerechnet kurz vor der Eröffnung des neuen Stadions wochenlang in ein Führungsvakuum. In Winterthur sucht man fieberhaft nach einem neuen finanziellen Standbein für die Ära nach Mäzen Hannes W. Keller. Der Saudi Monquez Alyousef gibt beim FC Wohlen die Aktienmehrheit wieder ab. Le Mont-Präsident Serge Duperret hat Sorgen, weil er ab nächster Saison nicht mehr in Baulmes spielen kann, und droht über die Medien mit dem Rückzug seines Klubs aus der Challenge League, wenn die Gemeinde ab nächster Saison nicht die Hälfte der Stadionmiete auf der deutlich teureren Lausanner Pontaise übernimmt.

In Aarau und Genf, wo im Herbst bei manchen Spielen das Zuschauerinteresse gross war, herrscht zum Rückrundenauftakt gähnende Leere auf den Tribünen. Schliesslich verlässt mit Mehmet Nazif Günal der grösste Mäzen („Investor“ ist im Fussball der falsche Begriff) des Schweizer Fussballs den FC Wil Knall auf Fall und ohne Adieu zu sagen. Der finanzielle Liga-Krösus der Challenge League muss innert kürzester Frist gewaltig abspecken und ist in erster Linie wegen der Abruptheit des Abgangs und der fehlenden Zeit für einen geordneten Übergang konkursgefährdet. Noch aber besteht die Challenge League aus 10 Teams, und dass alle die Saison zu Ende spielen, ist immer noch realistisch.

Würde dies eintreffen, würde der Winterthurer Züri Live-Experte Toni Gassmann Recht mit seinem Tipp behalten, den er im Dezember auf einen Steilpass des Schaffhausers Ronny Bien gegeben hat, welcher schon damals diesbezüglich skeptischer war:

1 2