Beispielloser Bundesliga-Höhenflug: wie viel FCZ-Henriksen steckt in Mainz 05?

Aktuell sind wieder zwei ehemalige FCZ-Trainer erfolgreich in der Bundesliga tätig. Der Vfl Bochum mit Murat Ural als Co-Trainer schlägt sich wacker im Abstiegskampf. Mainz 05 mit Bo Henriksen am Ruder liegt zur Zeit sensationell auf einem Champions League-Platz – und steht so gut da wie noch nie in der Vereinsgeschichte. Dies nachdem Henriksen Mainz im letzten Frühling noch vor dem Abstieg bewahren musste (wie ein Jahr zuvor den FCZ). Mit seinem neuen Verein hat der Dänische Coach bisher im Schnitt 1,78 Punkte pro Partie geholt, was nochmal deutlich über dem Wert beim FCZ liegt (1,60). Natürlich ist das nun der Zeitpunkt, in welchem die Nachfrage nach Analysen der bisherigen Erfolgsgeschichte sich grosser Nachfrage erfreut. Was ist das Erfolgsgeheimnis? Wie wird die Geschichte erzählt? „Football Meta“ hat sich des Themas angenommen und einen informativen Beitrag dazu kreiert (siehe Video unten, in Englisch).

Henriksen vermittelt Afriyie die Freude am Verteidigen

Hier an dieser Stelle interessiert uns die Frage inwiefern Henriksens Ansatz in Mainz mit demjenigen seiner Zürcher Zeit vergleichbar ist. Was ist gleich? Was ist anders? Und weshalb?

Von den Grundprinzipien her gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Henriksens FCZ- und Mainz-Equipen. Da wäre erstens mal das „Defense First“-Prinzip. Der erste Schritt und die Grundlage ist für den Dänen jeweils die defensive Stabilität herzustellen – gerade zu Beginn bei einem neuen Klub. Sowohl der FCZ wie auch Mainz kassier(t)en unter Henriksen wenig Gegentore. Um dies zu erreichen, arbeitet Henriksen viel über die emotionale Schiene. Er versucht so erfolgreich die Intensität des Verteidigens zu erhöhen. Ein wichtiges Element ist dabei aber auch ein effektives Pressing, vor allem das Hohe Pressing – allerdings in der Regel ohne jeweils den ballführenden gegnerischen Torhüter anzugreifen. Beim FCZ achtete Henriksen zudem darauf, genug Spieler mit einem defensiven Gewissen auf dem Platz zu haben, gerade auch in den vordersten Reihen, wo es galt, hohe Ballgewinne zu erzielen. So hielt er über weite Strecken an Daniel Afriyie auf der 10er-Position fest, obwohl dieser praktisch keine Tore erzielte. Dem Ghanaer hatte Henriksen die Freude am Verteidigen und Manndecken beibringen können.

„Wenn der Ball in eurer Platzhälfte ist, könnt ihr kein Tor schiessen“

Ein Grund für die Forcierung von Afriyie lag allerdings auch darin, dass nach dem Abgang von Aiyegun Tosin im Sommer 2023 der einzige klassische Neuner im Kader Ivan Santini war. Der unter Henriksen zu seinem Super League-Début gekommene Junior Ligue wirkte ausgelaugt, nachdem er am Ende einer intensiven Saison noch in den U18-Playoffs aushelfen musste und es dann ohne Pause mit der Sommervorbereitung der 1. Mannschaft weiterging. Er wurde daher vorläufig nur noch in der U21 eingesetzt und Stand als Alternative für die 1. Mannschaft im Herbst 2023 nicht zur Verfügung. Die Art und Weise wie Ligue im März 2023 in seinem dritten Kurzeinsatz gegen Servette gleich sein erstes Tor erzielt hatte, war aber typisch für Offensivspieler unter Bo Henriksen. Auch bei Mainz fallen Jonathan Burkardt oder Paul Nebel durch eine grosse Unbekümmertheit auf.

Mittelstürmer Burkardt ist bei Henriksens Mainz ein wichtiges Puzzleteil der Spielweise. Der grossgewachsene, kräftige, aber auch technisch starke Stürmer kann lange hohe Bälle von Torhüter Zentner für die auf den Zweiten Ball lauernden Mittelfeldspieler ablegen. Es gibt im Fussball unterschiedliche Defensivphilosophien. Diejenige eines Pep Guardiola ist: „Wenn wir den Ball haben, könnt ihr kein Tor schiessen“. Andere Trainer schwören auf: „Wenn wir uns gut hinten verbarrikadieren, könnt ihr kein Tor schiessen“. Die Philosophie von Bo Henriksen ist: „Wenn der Ball in eurer Platzhälfte ist, könnt ihr kein Tor schiessen“. Den Ball möglichst schnell aus der eigenen Platzhälfte rauszubringen war in Zürich und ist jetzt auch in Mainz ein wichtiges Grundprinzip. Wenn dies gut gemacht wird, dann demotiviert dies Gegner, die Hohes Pressing spielen wollen. Der Ball soll also möglichst schnell in die gegnerische Platzhälfte gebracht werden. Erst dort kommt dann ein kontrollierter Spielaufbau zum Tragen – und mit intensivem Gegenpressing sowie Hohem Pressing soll der Ball auch nach Ballverlust möglichst in der gegnerischen Platzhälfte gehalten werden.

Ohne komplette Bundesligaspieler im Kader muss Henriksen in Zürich improvisieren

Beim FCZ hatte Henriksen allerdings keinen Jonathan Burkardt zur Verfügung. Marchesano, Afriyie und zu Beginn Tosin können keine Luftkämpfe gewinnen. Okita wäre eigentlich geeignet für Kopfballablagen, aber er flüchtete meist vor jedem hohen Ball. Mit dem ebenfalls grossgewachsenen Roko Simic funktionierte es im Frühling 2023 auch nur halbwegs. Dabei hatte Henriksen in Zürich mit Yanick Brecher durchaus einen hervorragenden Verteiler von langen Bällen zur Verfügung. Als der FCZ sich zu Beginn der Saison 23/24 überraschend lange mit YB zusammen vorne an der Spitze halten konnte, funktionierte hingegen der Plan B lange gut. Dieser bestand aus einem langen hohen Ball Brechers nach rechts vorne an die Seitenlinie auf Höhe der Mittellinie, wo der mittelgrosse Lindrit Kamberi (1,83m) den Ball per Kopf weiterleitete. Dafür tauschte Kamberi in der Spieleröffnung mit dem eigentlichen Wingback Nikola Boranijasevic jeweils die Position.

Heute bei Mainz muss Henriksen nicht auf solche Improvisationen zurückgreifen, denn er hat beim Bundesligaklub natürlich ein Kader mit besseren und vor allem kompletteren Spielern zur Verfügung. Der rechte Wingback Caci ist daher selbst ein häufiger Zielspieler für lange hohe Bälle hinten heraus. Wie in Zürich werden auch in Mainz unter Henriksen sehr viele Angriffe über rechts ausgelöst. Der vielleicht grösste Unterschied neben der Mittelstürmerposition besteht aber wohl beim Umschalten in die Defensive. Henriksens Mainzer Mannschaft schafft es in sehr kurzer Zeit (mit Ausnahme manchmal des Mittelstürmers) komplett hinter den Ball zu kommen, wenn dies nötig ist. Dies klappte mit den beim FCZ zur Verfügung stehenden Spielern auch für den Motivationskünstlicher und Fussballerflüsterer Henriksen bei weitem nicht im gleichen Stil.

Wechsel zu Mainz 05 vor einem Jahr für alle Seiten eine gute Sache

Typisch für das Henriksen-Spiel sowohl in Zürich wie in Mainz ist schnelles Spiel durch die Mitte gegen einen wenn möglich noch vertikal gedehnten Gegner mit dem Einbezug der Wingback-Flankengeber Boranijasevic / Guerrero oder Caci / Mwene über die Seiten sobald man in Strafraumnähe gelangt. In Zürich hatte Henriksen aber natürlich für das Spiel durch die Mitte keinen spielerisch so starken Spieler wie Nadiem Amiri zur Verfügung, der in dieser Saison den Weg zurück in die Deutsche Nationalmannschaft geschafft hat. Das 3-4-2-1 in Mainz war beim FCZ eher ein 3-4-1-2. In Mainz sind die Rollen vorne klarer definiert, wohingegen in Zürich mit dem Sturmduo Okita / Marchesano und dahinter Afriyie oder Krasniqi aufgrund den spezifischeren individuellen Qualitäten eher etwas improvisiert wurde. Und auf der Bank gab es für Einwechslungen wenig Alternativen. Mit Offensivstandards war Henriksen mit dem FCZ hingegen deutlich erfolgreicher als jetzt Mainz – und dies obwohl die Rheinhessen mit Mikkel Jespersen einen Standardspezialisten im Trainerteam haben.

Für eine Mannschaft, die in der Bundesliga auf dem 3. Platz liegt, hat Mainz erstaunlich wenig Ballbesitz. Ein noch extremeres aktuelles Beispiel ist Nottingham Forest mit Coach Nuno Espirito Santo in der Premier League. Dieses Team versucht wie Mainz den Ball mit langen Bällen möglichst schnell in die gegnerische Hälfte zu spielen, steht defensiv aber deutlich tiefer. Auch der FC Zürich hatte unter Bo Henriksen keine hohen Ballbesitzwerte. Dies hat sich stark geändert. Seit etwas mehr als einem Jahr wird beim FCZ im ganzen Klub eine proaktivere und anspruchsvollere Spielphilosophie implementiert, welche gerade auch die Junioren in ihrer Entwicklung stärker herausfordert und reifen lässt. Man macht damit auch in der 1. Mannschaft laufend Fortschritte. Da passte Henriksen (und die meisten unter ihm wichtigen Spieler) trotz unbestrittenen Qualitäten nicht mehr rein. Deshalb war das Angebot des abstiegsgefährdeten Mainz 05 vor rund einem Jahr für alle Seiten eine gute Sache.