«In der Champions League rennen wir zehn bis zwölf Kilometer»: Inka Grings und Julia Stierli vor dem Highlight gegen Arsenal

Es ist die abschliessende Pressekonferenz von Inka Grings nach zwei Jahren als Cheftrainerin das FC Zürich. Leider hat sich ausser Züri Live kein anderes Medium dafür interessiert. Zwischen 4. Advent und Weihnachtsfeier steht als Krönung im Adventskalender das abschliessende Champions League-Heimspiel gegen den Englischen Meister und Champions League-Mitfavoriten Arsenal an.

Nach dem historischen Double-Gewinn im Frühling konnten die FCZ Frauen sich diese Saison über den einfacheren «Meisterweg» souverän für die zum zweiten Mal ausgetragene Gruppenphase qualifizieren. Das Jahr zuvor war man auf dem schwierigeren «Ligaweg» im Letzigrund noch mit 1:2 an der AC Milan gescheitert. Insgesamt ist die Partie gegen Arsenal bereits die 63. Partie der FCZ Frauen in der UEFA Women’s Champions League. Und, wie fcz.ch weiss, war Rekordspielerin Fabienne Humm bei der grossen Mehrheit dieser Partien aktiv dabei, nämlich bei 54.  

Mit Inka Grings ist diesmal allerdings Julia Stierli zur Pressekonferenz gekommen. Die angehende Physiotherapeutin hat sich von einer Linksverteidigerin mit einzelnen guten Aktionen zu einer absoluten Leistungsträgerin in der Innenverteidigung sowohl ihres Klubs wie auch der Nationalmannschaft gemausert. Interessanterweise spielt die Linksfüsserin mittlerweile gar auf der Rechten Innenverteidigerposition. Die Entwicklung und Reifung als Spielerin sieht Stierli durchaus verbunden mit der Ankunft von Inka Grings als Cheftrainerin im Winter 20/21. Zuletzt spielten aber auch die Abgänge von erfahrenen Mitspielerinnen im Sommer eine wichtige Rolle, durch welche die 25-jährige in einem jüngeren Team noch mehr Verantwortung übernehmen konnte.

Die Rede kommt erstmal auf die Entwicklung der Mannschaft in der laufenden Champions League-Kampagne. Von Spiel zu Spiel gingen die FCZ Frauen mehr Risiko, kamen so auch zu mehr Torchancen, mussten gleichzeitig aber auch zunehmend mehr Gegentore zulassen. Wenns um Fussball und die Entwicklung ihres Teams geht, ist Inka Grings mit ihrer druckreifen Analyse wie so häufig kaum zu stoppen.

Inka Grings: Ja, wir sind mehr Risiko eingegangen. Wir versuchten, unser Spiel zu spielen. Wir hatten gegen jede Top-Mannschaft Top-Chancen. Wenn wir sie nicht nutzen, wird es natürlich schwierig. Im Gegenzug haben wir zu einfache Gegentore kassiert, was einen faden Beigeschmack mit sich bringt. Es gab nämlich kaum Gegentore, die gut herausgespielt waren, sondern es waren tendenziell eher Standards. Das missfällt sowohl dem Trainer-Team, als auch den Spielerinnen selbst, die zu Recht etwas angesäuert sind. Trotzdem können wir wahnsinnig stolz sein. Es war sehr intensiv, nicht zuletzt die Reisen aufgrund dessen, dass sie keine Profis sind. Das ist dann schon fast eine Drei- oder Vierfachbelastung. Vor diesem Hintergrund ein Riesenkompliment an die Spielerinnen, was sie abgeliefert haben. Wir haben in fast allen Spielen sehr lange mithalten können. Dass sich irgendwann dann aber die Qualität der Gegnerinnen durchsetzt, ist verständlich.

Es ist extrem interessant zu sehen, wie unsere Spielerinnen als Persönlichkeiten gewachsen sind. Für mich am wichtigsten aber war, dass sie als Mannschaft stärker zusammenwachsen. Auch in den Niederlagen sind sie  zusammengerückt und das stimmt mich positiv, vor allem im Hinblick auf die Rückrunde, wo sie viele und intensive Spiele haben werden und viel vorhaben. Diese Erfahrungen, die wir aus dieser Champions League-Kampagne herausnehmen, sind Gold wert für jede einzelne Spielerin – für mich als Trainerin aber auch. Daher bin ich sehr stolz auch auf alle drumherum, die wirklich sehr viel investiert haben. Das hat sehr viel Spass gemacht. Deshalb freue ich mich nochmal sehr auf die Partie gegen Arsenal.

Wenn Grings von ärgerlichen Gegentoren auf Standards redet, denkt sie wohl in erster Linie an die beiden frühen Gegentreffer auf Eckball zuletzt gegen Juve, bei denen jeweils die erfahrene Vanessa Bernauer am nahen Pfosten nicht aufgepasst hatte und noch in der 1. Halbzeit von Grings ausgewechselt wurde. Allerdings war wohl die Bezeichnung der jungen Stürmerin Alayah Pilgrim als Manndeckerin von Juves Toptorjägerin Cristiana Girelli in solchen Situationen auch nicht die beste Wahl. Beeindruckend im Zürcher Spiel war vor allem das hohe Pressing über lange Spielphasen gegen diese Top-Gegner. So etwas hat man international von einer Schweizer Frauenmannschaft so noch nie gesehen. In der UEFA-Statistik der Balleroberungen liegen die FCZ Frauen denn auch in der Gruppenphase auf dem 6. Platz von 16 Teams – nur die Gruppengegnerinnen Lyon und Arsenal liegen in dieser Wertung klar weiter vorne. Bezüglich Tacklings und Paraden liegt man noch weiter vorne in der Wertung.  

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Julia Stierli: Daran zeigt sich der grosse Wille, den wir im Team haben. Wir können nur etwas reissen, wenn wir eine Super-Mannschaftsleistung abrufen. Dafür braucht es alle. Wir müssen viel laufen, weil die Anderen so viel Qualität haben. Wir konnten zeigen, dass wir mit viel Willen und Überzeugung etwas herausholen können. Klar fehlt uns noch etwas. Zum Beispiel, dass wir nach den Balleroberungen unsere Gegenstösse schön und ohne Fehler zu Ende spielen.  Aber es ist überhaupt schon mal gut, dass wir diese Balleroberungen haben und dass wir zu Torchancen kommen. Wir hatten in gewissen Spielen recht viel Ballbesitz – das ist ein gutes Zeichen. Gerade auch im Vergleich mit früheren Spielen von Schweizer Frauenmannschaften gegen Top-Teams.

In welchen Bereichen haben die Spielerinnen in den Champions League-Gruppenphasenpartien gegen die Top-Gegnerinnen am meisten gelernt? Was können sie für ihre weitere Entwicklung mitnehmen?

Julia Stierli: Defensiv waren wir natürlich noch mehr gefordert als jeweils in der Meisterschaft. Die Champions League-Spiele haben uns gezeigt, dass wenn wir als Team kompakt verteidigen und den Matchplan umsetzen, es auch für ein Lyon oder Arsenal schwierig ist, Tore gegen uns zu erzielen. Offensiv sind wir in jeder Partie zu Chancen gekommen. Wir haben Qualität in der Offensive, Wir können in vielen Aktionen mit den Top-Gegnern mithalten. Der Unterschied zeigt sich dann aber über die vollen 90 Minuten.

Inka Grings: Die Erfahrung auf internationalem Niveau bestehen zu können. Im ersten Spiel gegen Juventus waren wir noch etwas passiv und entsprachen etwas dem Cliché der Schweizer Mentalität, erst mal abzuwarten. Wir haben dann aber gemerkt, dass wenn wir mutig und die Spielerinnen von sich selbst überzeugt sind, wir nicht nur über uns hinauswachsen, sondern sogar mithalten können. Wir haben selbst ebenfalls Top-Spielerinnen auf wirklich gutem Niveau.

Für mich war wichtig zu sehen, dass die Intensität in der wir in den zwei Jahren trainiert haben, mit all den Tests, die für die Spielerinnen sicherlich manchmal langweilig und nervig waren, auch funktionieren. Wir hatten (klopft auf den Tisch) bisher keine schweren Verletzungen, auch muskulär nicht. Wir können auf 90 Minuten hohe Intensität gehen. In der Liga haben wir in einem Top-Spiel vielleicht mal acht bis neun, höchstens zehn Kilometer zu laufen, je nach Position. Auf hohem Niveau kommen wir auf zehn bis zwölf Kilometer. Dass wir irgendwann auch mal den Faden verlieren, weil wir nicht ganz die Breite im Kader haben, das ist normal.

Aber zu sehen, dass die Spielerinnen erkennen, wenn sie mutig sind, an sich glauben, kompakt auftreten, sie wahnsinnig viel erreichen können: das ist Fussball. Man sieht das weltweit. Marokko kommt in den Halbfinal. Das sind alles Beispiele, die man als Spielerin aufnehmen muss. Es ist immer alles möglich. Ich versuche das auch immer wieder zu vermitteln. Und dass die Anstrengungen auch mal nicht von Erfolg gekrönt sind, so wie zuletzt, als wir bei Juve untergegangen sind, finde ich völlig normal. Auch dass man dann frustriert ist. Aber man kann auf Dauer auf diese Intensität aufbauen und stolz sein. Wir möchten im letzten Spiel nochmal alles abrufen. Ich bin davon überzeugt, dass wir es Arsenal so schwer wie möglich machen werden. Wir möchten zu Hause erhobenen Hauptes vom Platz gehen. Dann hat die Mannschaft wirklich viel richtig gemacht.

Arsenal muss in Schaffhausen auf ihre Weltklasse-Stürmerinnen Beth Mead und Vivianne Miedema verzichten, die kurz hintereinander beide einen Kreuzbandriss erlitten haben. Zuletzt kursierte eine Statistik, dass 25% aller Ballon d’Or-Kandidatinnen von dieser Verletzung betroffen seien. Kreuzbandriss ist allgemein im Fussball und speziell im Frauenfussball eine allzu häufige Verletzung. Dass es aber die Weltklasse-Profis, die im Vergleich zu einer in der Schweizer Liga engagierten Spielerin viel mehr Erholungszeit und sehr professionelle Bedingungen zur Verfügung haben, besonders häufig zu treffen scheint, erstaunt auf den ersten Blick.  

Inka Grings: Die Statistik kenne ich nicht, da kann ich nicht darauf eingehen. Aber es ist natürlich bitter für die beiden Spielerinnen und für Arsenal. Da leide ich ein bisschen mit. Das hat immer auch mit Belastungssteuerung zu tun. Wie die Top-Vereine genau trainieren, kann ich nicht beurteilen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, dass der präventive Bereich wichtig ist. Dazu gehört einerseits Erholung, aber auf der anderen Seite auch mehr Krafttraining. Das ist elementar für die Frauen, die auf hohem Niveau spielen. Das Niveau, die Ansprüche, die Leistungsdichte wird höher. Man muss noch mehr investieren. Jeder Verein, jede Mannschaft hat andere Prinzipien und Philosophien, wie man mit Reha, Prävention, Kraft und Belastungssteuerung umgeht. Es gibt in der Schweiz und auch in Deutschland immer noch sehr viele Kreuzbandverletzungen. Das ist ein allgemeines Thema im Frauenfussball. Anatomisch bedingt ist das bei uns Frauen halt einfach die grösste Gefahr. Ich hoffe natürlich für jede Spielerin, dass sie es nicht erfahren muss.  

Neben den Verletzungen ist die letzte Partie in Schaffhausen auch dadurch bestimmt, dass der FCZ bereits ausgeschieden und Arsenal wegen den Resultaten in den Direktbegegnungen mit Juventus und Lyon für die K.O.-Phase bereits qualifiziert ist. Hat dies einen Einfluss auf das Spiel?

Inka Grings: Nein, das hat keine Auswirkungen. Dass die beiden Spielerinnen ersetzt werden müssen, ist bitter, denn das sind Ausnahmespielerinnen. Miedema stand zwar nicht immer in der Startformation, hat aber zuletzt wieder eine wichtigere Rolle eingenommen und Tore geschossen. Mead ist natürlich auf einem noch höheren Niveau, was man an der EM gesehen hat. Aber Arsenal hat so einen starken Kader, dass wir einen Teufel tun würden, nur darauf zu setzen, dass es aufgrund der Tabellenkonstellation einfacher werden könnte. Im Gegenteil. Arsenal will sicherlich die Gruppenphase als Tabellenführer beenden. Für uns wird es keinen Deut einfacher.

Die vor rund einer Woche gerade erst 16 Jahre alt gewordene Stürmerin Leela Egli kam in dieser Champions League-Kampagne ebenfalls zu ihren Einsätzen. Wie sieht die angehende Nationaltrainerin Grings ihre Entwicklung?

Inka Grings: Ihre Entwicklung ist spannend. Sie bringt tolle Voraussetzungen mit, bindet sich auch gut ins Mannschaftsgefüge ein. Die Mannschaft macht es ihr auch leicht. Aber das fussballerische Potential sieht man mit jedem ihrer Einsätze. Hoffen wir, dass es fürs Arsenal-Spiel reicht, denn sie fällt gerade gesundheitlich aus. Sie hat einen Riesensprung gemacht, durfte in der Champions League spielen. Das hat sie nicht erhalten, weil ich nett bin oder sie nett ist, sondern weil sie die sportlichen Voraussetzungen mitbringt und der Mannschaft hilft.  Sie ist frech, dynamisch. Ihr wünsche ich natürlich ebenfalls, dass sie gesund bleibt. Und dass sie nun wie man so schön sagt, Blut geleckt hat und noch mehr will. Die Bühne ist da. Nun liegt es an ihr, da hochzugehen. Aber das bedingt natürlich dann immer, dass man arbeiten muss.

Sich für eine gute Leistung zu wenig belohnt – FCZ Frauen nach dem 0:3 gegen Lyon

Den FCZ Frauen gelingt auch im dritten Champions League-Spiel der Saison 22/23 eine gute und phasenweise sogar äusserst starke Leistung gegen ein weiteres europäisches Spitzenteam, diesmal die Langzeitdominatorinnen des europäischen Frauenfussballs, Olympique Lyonnais. Im Gegensatz zu den Duellen vor sechs Jahren, als der FCZ gegen die Französinnen bei einem 0:8 und 0:9 chancenlos geblieben war, hätte diesmal mit etwas mehr Abschlusskonsequenz und Wettkampfglück auch ein Unentschieden rausschauen können – wie schon gegen Juve und Arsenal.

Naomi Mégroz und Julia Stierli hatten schon vor sechs Jahren bei den hohen Niederlagen gegen Lyon gespielt. Gerade die formidable Entwicklung Stierlis in den letzten Jahren steht symbolhaft für das diesmal deutlich kompetitivere Auftreten des ganzen Teams. Zwar startete dieses gegen die Titelverteidigerinnen aus Lyon zum ersten Mal in dieser Champions League-Kampagne etwas indisponiert in die Partie, was auch das etwas zu schnelle 0:1 durch die aktuell beste Lyon-Champions League-Torschützin Melvine Malard zur Folge hatte. Die Frauen von Inka Grings konnten sich dann aber nach etwa einer Viertelstunde fangen und kamen besser ins Spiel. In der 2. Halbzeit zogen sie sogar immer wieder ein beeindruckendes Pressing und phasenweise Powerplay auf mit der hintersten Linie zuweilen weit in der gegnerischen Hälfte.

Die junge dänische Top-Stürmerin Signe Bruun entschied die Partie dann aber mit je einem Treffer vor und nach der Pause. Während die Zürcher Hintermannschaft den Gegner am Boden sehr gut verteidigte, hatten die Verteidigerinnen und Torhüterin Friedli manchmal etwas Mühe bei Flanken. Friedli konnte dafür ihre Stärken im Eins gegen Eins und auf der Linie ausspielen. Im Umschaltspiel brachten die Zürcherinnen immer wieder schnell eine hohe Präsenz von fünf, sechs Spielerinnen an und in den gegnerischen Strafraum, machten aus diesen Situationen aber zu wenig. Anstatt eines Abschlusses aufs Tor folgte oft noch ein (unpräziser) Letzter Pass zu viel.

Beide Teams konnten sich in der 2. Halbzeit über eine spezielle Einwechslung freuen. Bei Lyon griff nach halbjähriger Verletzungspause die langjährige Weltklassespielerin Dzsenifer Marozsan erstmals wieder ins Geschehen ein und beim FCZ kam die 15 Jahre junge Stürmerin Leela Egli (beste Spielerin und Torschützin am letzten Blue Stars / FIFA Youth Cup) zu ihrem Champions League-Début – und ersetzte dabei Fabienne Humm. Die junge Stürmerin konnte in der Schlussphase ein, zwei Akzente in einem jungen Sturm mit Alayah Pilgrim (19) setzen. Akzente setzte zudem einmal mehr ein Teil der Südkurve, der eine für die Frauen Champions League aussergewöhnliche Stimmung in die zu einem Viertel gefüllte wefox Arena brachte.

Stadion-Hammer: Ende einer Ära im Schweizer Fussball

Im ganzen Trubel um die Modus-Diskussion haben der FC Winterthur, der FC Wil und der FC Vaduz mit ihrem erfolgreichen Antrag um eine drastische Reduktion der Stadionanforderungen für die Super League still und heimlich für eine kleine Revolution gesorgt. Es ist eine viel weitreichendere Entscheidung als der Modus. Ohne Übertreibung ist damit an der GV der Swiss Football League vom Freitag im Schweizer Fussball eine Ära zu Ende gegangen.

Dank Stadionkatalog der SFL: Europacup in Thun, Frauen-Länderspiele in Schaffhausen

Die Denkmäler dieser Ära sind die gebauten Stadien neue Maladière in Neuenburg, Stockhorn Arena in Thun, wefox Arena in Schaffhausen, die Tissot Arena in Biel und die Tuilière in Lausanne. Dazu kommen die sich immer noch in Planung befindlichen Projekte in Aarau und Lugano. Ausserdem wurde auch der Um- und Ausbau der Stadien in Vaduz, Winterthur und Wil durch diese Ära geprägt. Diese Stadien sind alle Kinder eines Blatt Papiers (beziehungsweise PDF). Nämlich des in den letzten rund zwei Jahrzehnten gültigen Stadionkataloges (Kategorie A) der Swiss Football League. Um diese Kriterien erfüllen zu können, und damit in der obersten Schweizer Fussball-Liga mitspielen zu dürfen, haben mittelgrosse Schweizer Klubs enorme finanzielle und zeitliche Aufwände geschultert, etliche Abstimmungskämpfe geführt, den Standort gewechselt, die eigene Organisation angepasst und zusätzliche Eigentümer, teilweise aus dem Ausland, mit ins Boot geholt. Und um das Ganze finanziell überhaupt realisieren zu können, wurden zur Querfinanzierung und wegen der tieferen Bodenpreise in Thun, Schaffhausen oder Biel Stadien mit Mantelnutzung an der Peripherie gebaut.

Neue Maladière, Neuchâtel (Eröffnung: 2007)

Alles wurde dafür getan, um ein modernes Stadion errichten zu können, welches die Minimalanforderungen der Liga erfüllt. Und damit auch einen Vorteil gegenüber denjenigen Konkurrenzstädten zu haben, die dies nicht zu Stande brachten. Der Komfort, die Sicherheit und die Zuschauerzahlen wurden dank diesen neuen Stadien erhöht. Es kommen mehr Frauen und Kinder zu den Spielen. Der FC Thun konnte 13 Europacuppartien im eigenen Stadion mit echtem Heimvorteil spielen (unter anderem mit Siegen gegen Partizan und Rapid), statt nach Bern ausweichen zu müssen. Die Stockhorn Arena und die wefox Arena sind zu populären Heimstätten für die Spiele der Frauen-Nati geworden. In Biel werden viele Junioren- und Frauen-Cupfinals und Junioren-Länderspiele ausgetragen. Der ausgebaute Vaduzer Rheinpark hat einige ausverkaufte Länderspiele gegen grosse Fussball-Nationen gesehen. Die Winterthurer Schützenwiese erhielt eine schöne, neue Gegentribüne – als Teil eines umfassenden Ausbauprojektes, dessen Dringlichkeit sich nun aber stark reduziert hat.

Administrative Aufstiegshürden neu für alle stemmbar

Die bisherigen hohen Anforderungen haben für den Schweizer Fussball viel Gutes getan. Trotzdem ist der nun von Winterthur, Wil und Vaduz beantragte und von den Klubs der Swiss Football League beschlossene Rückschritt in Sachen Infrastruktur zum jetzigen Zeitpunkt positiv zu werten, speziell für den sportlichen Wettbewerb und für „die Kleinen“. Bei der Gesamtkapazität wurde eine Halbierung von 10’000 auf 5’000 Plätze beschlossen, bei den Sitzplätzen gar eine von 6’500 auf nur noch 1’000 Plätze. Dazu kommt eine Einjahresfrist zur Erfüllung dieser Anforderungen für Aufsteiger. Nur die Anforderungen für die Sicherheit und TV-Übertragungen müssen von Anfang an erfüllt werden (wobei wie diese Saison beim FC Winterthur dabei je nach Umständen eine Kulanzfrist von ein paar Wochen oder Monaten sicherlich gewährt wird).

Stockhorn Arena, Thun (2011)

Dies ändert die Situation fundamental. Die administrativen Aufstiegshürden werden wesentlich reduziert. Bis zu diesem Entscheid gab es mit Thun, Xamax, Schaffhausen und Lausanne-Sport nur vier Challenge League-Klubs, welche die Infrastrukturvoraussetzungen für die Super League mitbrachten. Winterthur durfte diesen Sommer überhaupt nur dank einer Sonderregelung aufsteigen. Nun sollte grundsätzlich jeder Challenge League-Klub aufsteigen können. Selbst ein Klub, der die reduzierten Anforderungen nicht erfüllt, kann erst mal aufsteigen und sich dann im Verlauf der Vorrunde immer noch überlegen, einen Stadionausbau im vernünftigen Rahmen in Angriff zu nehmen und / oder bei Klassenerhalt für eine gewisse Zeit in ein grösseres Stadion im Umkreis umzuziehen.

Brügglifeld olé?

Winterthur ist ein Paradebeispiel sowohl für einerseits die positive Wirkung des Druckes, den der bisherige Stadionkatalog erzeugt hat, und der gleichzeitig aber auch etwas überzogenen Standards, die darin formuliert wurden. Der aktuelle Rückschritt in den Anforderungen ist massiv. Kurzfristig ist das kein Problem. Es hilft sogar, speziell im Zuge der Super League-Vergrösserung das Wettbewerbsprinzip Aufrecht zu erhalten. Langfristig könnte es aber schon wieder zu einer Situation führen wie in den 80er und frühen 90er-Jahren, wo verfallende und nicht mehr zeitgemässe Infrastrukturen zum damaligen Zuschauerschwund beigetragen haben.

Tissot Arena, Biel-Bienne (2015)

Der FC Aarau gehörte wohl nicht ganz ohne Hintergedanken nicht zu den Promotoren des Antrages. Während andere Klubs bei einem Standortwechsel fast immer mit einer zentrumsferneren Location vorlieb nehmen müssen, will der FCA mit seinem im Grunde schon seit den 90er-Jahren pendenten Stadionprojekt vom in der Gemeinde Suhr gelegenen Brügglifeld ins deutlich zentrumsnähere Torfeld Süd umziehen. Macht der Entscheid der Swiss Football League vom Freitag den Aarauern im letzten Moment noch einen Strich durch die Rechnung, weil ein Verbleib im Brügglifeld plötzlich wieder eine Option werden könnte? Auch der Neubau des Cornaredo in Lugano ist durch diesen Entscheid nicht mehr wirklich zwingend. Anders sieht die Situation in Zürich aus. Wie in Genf, Basel oder Bern gehen die Anforderungen an ein Fussballstadion in einer Stadt wie Zürich sowieso über die SFL-Mindestanforderungen für Super League-Stadien hinaus – egal ob bisherige oder neue.

Eröffnung wefox Arena (damals LIPO Park), Schaffhausen (2017)
Tuilière, Lausanne (2020)