Tosin und Pollero die produktivsten Torschützen, Ceesays Fehlen zum Start kein Nachteil – Halbzeitanalyse, Teil 7

Im heutigen Halbzeitanalyse-Artikel geht es um das Essentielle im Fussball: Tore, Torbeteiligungen, Abschlüsse und Abschlusseffizienz. YB war auch in dieser Vorrunde die Offensivmacht der Liga und hatte trotz einem grossen Lazarett mit Abstand am meisten Abschlüsse der Liga (37% mehr als der FCZ). Trotzdem erzielten beide Teams gleich viele Tore (43). Daran, dass die YB-Stürmer den Ball zu wenig aufs Tor gebracht hätten, lag es nicht. Der Prozentsatz der Schüsse „on target“ war praktisch identisch mit dem FC Zürich. Und prozentual haben die Berner auch nicht viel mehr aus der Distanz geschossen (YB: 40%, FCZ: 38%).

Auch bei den Aluminiumtreffern lief alles für den FCZ

Der eine Aluminiumtreffer mehr (5 statt 4) macht auch nicht den grossen Unterschied bezüglich erzielten Toren aus. Allerdings sehr wohl bezüglich Punkteverteilung! Der FC Zürich hat wegen seinen vier Aluminiumtreffern nämlich keinen einzigen Punkt verloren (alle Pfosten- und Lattenschüsse gab es entweder bei trotzdem gewonnenen Spielen oder Niederlagen mit mindestens zwei Toren Differenz). YB hat hingegen je einmal durch Aluminiumtreffer in den Spitzenspielen gegen den FCZ und den FCB Punkte verloren. Dem FC Basel hätten sogar sechs der neun Aluminiumtreffer zu mehr Punkten verholfen! Immer natürlich hypothetisch davon ausgehend, es hätte sich sonst am Spiel nichts geändert. Darunter ebenfalls je einmal in Spitzenkämpfen gegen den FCZ und YB. Die beiden Fälle FCB vs. YB und YB vs. FCB heben sich nicht gegenseitig auf, denn mit je einem Sieg an Stelle von zwei Unentschieden hätten beide Mannschaften je einen Punkt mehr.

Pollero mit den meisten Abschlüssen pro 90 Minuten

Kommen wir zu den einzelnen Spielern. Welche hatten die meisten Abschlüsse und Abschlussbeteiligungen? Rodrigo Pollero steht mit 5,36 Abschlüssen pro 90 Minuten in dieser Wertung klar an der Spitze. Zu berücksichtigen ist dabei, dass er in Cupspielen gegen Unterklassige mehr Minuten gespielt hat, als in der Meisterschaft. Allerdings würde er auch ohne den Cup mit seinen acht Liga-Abschlüssen (4,42 pro 90 Minuten) ebenfalls an der Spitze stehen. Auch der vor Weihnachten wieder ins Geschehen eingreifende Tosin liegt mit beinahe vier Abschlüssen pro 90 Minuten noch weit vor dem ersten Feld, welches von Antonio Marchesano und Wilfried Gnonto angeführt wird. Ein Assan Ceesay oder Blaz Kramer kommen auf weniger Abschlüsse pro 90 Minuten. Blerim Dzemaili, Fabian Rohner oder Mirlind Kryeziu kommen im Vergleich mit den Kollegen auf ihren jeweiligen Positionen am meisten zum Abschluss.

Am meisten Zuspiele zu Abschlüssen pro 90 Minuten kommen von Adrian Guerrero und Wilfried Gnonto. Der junge Italiener produziert dabei gleich viele direkte Zuspiele wie Abschlüsse. Im Aufbau der Torchancen vor dem letzten Zuspiel sind die drei Deutschen Moritz Leitner, Marc Hornschuh und „Andy“ Gogia besonders häufig involviert, wenn sie zum Einsatz kommen. Stephan Seiler und Silvan Wallner hingegen haben so wenig gespielt, dass ihre hohen Zahlen auch etwas Zufallscharakter haben. Trotzdem ist es ein Zeichen für das offensive Engagement der beiden Jungen bei ihren Kurzeinsätzen. Insgesamt waren Wilfried Gnonto, Tosin und Andy Gogia an durchschnittlich über acht Abschlüssen pro 90 Minuten beteiligt. Auch in dieser Gesamtstatistik fällt auf, dass Assan Ceesay und Blaz Kramer im Vergleich an relativ wenigen Abschlüssen beteiligt sind. Der stark defensiv ausgerichtete Lindrit Kamberi ist sogar pro 90 Minuten an weniger FCZ-Abschlüssen beteiligt, als Torhüter Yanick Brecher. Ante Coric hat weniger Abschlüsse und Zuspiele pro 90 Minuten als Antonio Marchesano, ist aber insgesamt trotzdem an etwas mehr Abschlüssen beteiligt.

Guerrero und Marchesano bei Abschlussbeteiligungen deutlich vorne

In absoluten Zahlen waren die beiden Compagnons Adrian Guerrero (141) und Antonio Marchesano (140) deutlich am meisten an FCZ-Abschlüssen der Vorrunde beteiligt. Der Vorsprung auf die nächstplatzierten Boranijasevic (93) und Kryeziu (91) beträgt mehr als 50%. Eine typische FCZ-Torchance wird von Kryeziu und Doumbia eingeleitet, Guerrero gibt den entscheidenden Pass oder Flanke und Marchesano schliesst ab. Aussenläufer Adrian Guerrero ist sowohl bei den Abschlüssen wie bei den Zuspielen und in der Vorbereitung dazu unter den Top 3. Der mit den Füssen starke Yanick Brecher war an der Vorbereitung von 38 Abschlüssen beteiligt, davon bei dreien mit dem letzten Pass. In der Schlussphase des Heimspiels gegen den FCB wäre er sogar um ein Haar zum Abschluss gekommen. Er hatte sich bei einem Standard mit idealem Timing zum Kopfball hochgeschraubt, als der Ball gerade noch knapp vor Brecher befreit werden konnte.

Tosin an zweieinhalb Toren pro 90 Minuten beteiligt

Tosin und Pollero haben in der Vorrunde jeweils beinahe ein Tor pro 90 Minuten Einsatzzeit erzielt. In der Super League war es bei letzterem mit seinen beiden Derby-Toren umgerechnet gar mehr als ein Tor pro Volleinsatz. Ceesay, Gnonto, Marchesano und Gogia haben alle mehr als ein Tor pro zwei Volleinsätze erzielt, Verteidiger Kamberi ist nahe dran an dieser Quote. Der beste Assistgeber ist Wilfried Gnonto vor Fabian Rohner, gefolgt von Bledian Krasniqi, Tosin, Ceesay und Pollero. Auffällig, dass in dieser Kategorie ein junges Trio am stärksten ist. Silvan Wallners Einsatzzeit beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Halbzeit gegen ein zum damaligen Zeitpunkt inferiores Solothurn (10:0). Die Spitzenposition bei Torbeteiligungen pro 90 Minuten ist dadurch erklärbar. Weit aussagekräftiger, dass Gnonto und Gogia pro Volleinsatz an zwei Toren beteiligt waren, Tosin gar an zweieinhalb! Darauf folgen die beiden besten Zürcher Torschützen Marchesano und Ceesay. Bei den Zentrumsspielern liegen bei Torbeteiligungen Hornschuh und Leitner an der Spitze, bei den Aussenläufern Boranijasevic knapp vor Rohner und bei den Innenverteidigern Kryeziu mit beinahe einer Torbeteiligung pro 90 Minuten! An dieser Stelle muss betont werden, dass jeder beteiligte Spieler pro Tor wirklich nur einmal gezählt wurde, auch wenn er in der Entstehung mehrmals am Ball war oder sein eigenes Tor selbst mit eingeleitet hatte. Tosin war also wirklich an zweieinhalb Toren pro 90 Minuten beteiligt. Unter anderem hatte er wohl den grössten Anteil am Siegtreffer Gnontos im Heimspiel gegen YB.

Fast alle in den letzten zweieinhalb Jahren in der 1. Mannschaft aktiven FCZ-Akteure haben in dieser Vorrunde ihre Torbeteiligungen pro 90 Minuten gesteigert, am stärksten Tosin und im Vergleich mit der letzten Rückrunde auch Marchesano. Einzig Blaz Kramer hat sich im Vergleich zur Rückrunde 20/21 nicht gesteigert. Damals hatte er den gleichen Torbeteiligungsanteil wie Tosin und einen höheren als Ceesay und Marchesano zusammengezählt.

Genauso wie der typische Abschluss insgesamt wurde auch das typische Tor von Adrian Guerrero aufgelegt, mit dem Torschützen Ceesay und Kryeziu, Boranijasevic sowie Doumbia in der Vorbereitung involviert. Insgesamt hatte Antonio Marchesano am meisten Torbeteiligungen, wobei sich der Tessiner als Torschütze am meisten hervorgetan hat. Er war an rund der Hälfte der 56 Zürcher Treffer (inklusive Cup) beteiligt.

Kamberi, Tosin, Ceesay und Gogia mit höchster Abschlusseffizienz

Tosin und Ceesay zeigten eine hohe Abschlusseffizienz und verwerteten je einen Drittel ihrer Abschlüsse. Gogia verwertete 30% seiner Abschlusschancen, Hornschuh, Gnonto und Marchesano einen Viertel. An der einsamen Spitzenposition steht Lindrit Kamberi, der seinen bisher einzigen Abschluss auch verwertete. Auch Kryeziu hat eine bessere Abschlussquote als die meisten Akteure aus dem Mittelfeldzentrum. Blaz Kramer war mit seinen Zuspielen sehr effizient – die Hälfte davon führte zu einem Tor. Auch wenn Ceesay oder Krasniqi einen letzten Pass spielen, ist die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolges sehr hoch. Sind Kramer oder Krasniqi hingegen in der Abschlussvorbereitung vor dem letzten Zuspiel involviert, wird die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolges vergleichsweise klein, rund 10%. Insgesamt gingen 36% der Abschlüsse, an denen Tosin in irgendeiner Form beteiligt war, rein. Bei Yanick Brecher sind es 22%. Die tiefste Wahrscheinlichkeit eines Torerfolges ergibt sich von den einigermassen regelmässig eingesetzten Spielern bei einer Abschlussbeteiligung von Ante Coric.

Die Abschlusseffizienz von Assan Ceesay war in der Vorrunde sicherlich so hoch wie noch nie. Tosin war hingegen bereits in der Vorrunde 19/20 diesbezüglich auf dem heutigen Niveau und hatte letzte Saison eine massive Flaute. Marchesano und Kramer haben sich bezüglich Effizienz saisonübergreifend zuletzt kontinuierlich leicht gesteigert. Mirlind Kyeziu war in der Rückrunde 19/20 (mit einer Phase von einem Monat mit starken Kololli-Standards direkt nach dem Lockdown) noch leicht effizienter als heute.

Brecher über weite Strecken in jedem zweiten Spiel an einem Tor beteiligt

Zivko Kostadinovic war in der ganzen Vorrunde an keinem Tor beteiligt. Die Abschlussbeteiligungen von Yanick Brecher stiegen nach der Mitte der Vorrunde auf zeitweise über 2,5 pro Spiel und die Torbeteiligungen gegen Weihnachten auf 0,6 pro Partie.

Kamberi trotz Kopfballtor offensiv wenig produktiv

Die Abschluss- und Torbeteiligungen der Innenverteidiger, vor allem von Mirlind Kryeziu, waren in der Phase auf das Cupspiel in Yverdon und die anschliessende Heimpartie gegen Basel hin am höchsten. Der Zentrale Verteidiger war im Peak an 1,6 erzielten Toren pro Partie beteiligt. Lindrit Kamberi hatte hingegen bisher trotz seines Kopfballtores gegen St. Gallen vergleichsweise wenig Abschlussbeteiligungen pro 90 Minuten. Er bewegt sich im Spielaufbau nicht auf dem Niveau der anderen drei Innenverteidiger und fokussierte sich in erster Linie auf seine Defensivaufgaben. Fidan Aliti hat nach einem offensiv wenig produktiven Start ab Mitte Vorrunde Becir Omeragic vor allem bezüglich Torbeteiligungen überholt.

Rohners engagierte Teileinsätze vs. Boranijasevics Spielintelligenz

Fabian Rohner schraubte zum Ende der Vorrunde mit seinen Teileinsätzen gegen Luzern und in Lausanne seine Quote an Abschlussbeteiligungen auf über 20 pro 90 Minuten, auch bezüglich Torbeteiligungen war er eine Zeit lang unter den Aussenläufern vorne. Dass Guerrero an mehr Abschlüssen beteiligt war als Boranijasevic erklärt sich durch die vielen Standards. Boranijasevic hatte aber trotzdem über weite Strecken eine höhere Torbeteiligung pro 90 Minuten als der Spanier. Der Serbe bringt ein gewisses Gespür und Spielintelligenz für die entscheidenen Situationen mit.

Dzemaili bei Teileinsätzen offensiv produktiver

Leitner und Hornschuh waren in der Phase rund um die ersten beiden Cuppartien an vielen Toren und Abschlüssen beteiligt. Blerim Dzemaili hatte seine offensiv produktivste Phase bei seinen Teileinsätzen zu Beginn nach seinem Comeback. Als seine Spielzeit zunahm, nahmen seine Abschluss- und Torbeteiligungen ab. Moritz Leitners Abschlussbeteiligungen nahmen gegen Ende der Vorrunde wieder stark zu, aber diese Abschlüsse führten selten zu Toren. Doumbias und Krasniqis Kurven verlaufen konstant bei rund fünf Abschlussbeteiligungen und einer Torbeteiligung pro 90 Minuten.

Ante Coric nach “Jump-Start“ mit klarer Abwärtstendenz

Am besten aus den Startlöchern bezüglich offensive Produktivität kamen Marchesano und Ceesay. Ihre Abschluss- und Torbeteiligungen nahmen aber im Laufe der Vorrunde ab. Rund um die beiden ersten Cupspiele war Wilfried Gnonto besonders produktiv. Trotzdem war seine Form eigentlich am Ende der Vorrunde am besten. In dieser letzten Phase vor Weihnachten hatten Tosin und Pollero am meisten Abschlussbeteiligungen pro 90 Minuten – beim Uruguayer nahmen allerdings gleichzeitig die Torbeteiligungen ab. Ähnlich bei Blaz Kramer, der gegen die letzte Runde hin einen starken Anstieg an Abschlussbeteiligungen bei gleichzeitigem Rückgang der Torbeteiligungen aufwies. Ante Coric hatte schon bald nach seinem “Jump-Start“ im Cup in Kriens und seinem Traumtor bei seinem ersten Liga-Spiel gegen Servette nach einigen Spielen wieder eine klare Abwärtstendenz bezüglich offensiver Produktivität aufzuweisen und wurde in der Folge dann von Trainer André Breitenreiter auch immer weniger eingesetzt.

Wie schon letztes Jahr festgestellt, ist Assan Ceesay in den Sommermonaten, speziell zum Saisonstart, bezüglich Toren und Assists deutlich produktiver als im Winter und Frühling. Er hat im ersten Saisonviertel mehr Skorerpunkte erzielt, als in den drei folgenden Saisonvierteln zusammengezählt. Diese Bilanz hat sich in dieser Vorrunde natürlich noch weiter akzentuiert. In seiner gesamten Profikarriere bei Chiasso, Lugano, FCZ und Osnabrück hat Ceesay im dritten Saisonviertel ganze drei Skorerpunkte realisiert. Aus dieser historischen Perspektive scheint es für den FCZ kein Nachteil zu sein, dass der Gambier zum Rückrundenauftakt fehlt, zumal er auch am Afrika-Cup trotz grossem Team-Erfolg bisher keinen Skorerpunkt erzielen konnte.

Halbzeitanalyse, Teil 1 – Erfolgsfaktoren, Folgerungen und Ausblick

Halbzeitanalyse, Teil 2 – Mehr Gegentore auf Konter und Weitschüsse

Ceesay defensiv schon vor zwei Jahren mit Quantensprung / Halbzeitbilanz 21/22, Teil 3

Für welchen Gegner welche Taktik? – Halbzeitanalyse 21/22, Teil 4

Tosin, Marchesano und Gnonto die Offensivstützen – Halbzeitanalyse 21/22, Teil 5

Ende Flaute: Boranijasevic effektiv über rechts – Halbzeitanalyse 21/22, Teil 6

FCZ-Saisonanalyse 20/21: Stark verbessertes Pressing, Problemseite Links gelöst – aber auch ein zweiter Fall „Popovic“

Letztendlich geht es im Fussball um zwei Dinge: Tore schiessen und Gegentore verhindern. Darum ist es höchste Zeit, im Zuge der Saisonanalyse 20/21 schon vor der letzten Partie gegen Vaduz dieses Thema einmal detailliert zu beleuchten. Und zwar aus der Perspektive des Teams insgesamt. Züri Live hat dazu alle Tore und Gegentore der Saisons 20/21 und 19/20 nochmal angeschaut und klassifiziert. Wie sind die Tore entstanden? Wie die Gegentore? Was für Entwicklungen sind über den Zeitraum der letzten zwei Saisons zu beobachten? Die Cup-Partien wurden dabei ebenfalls mitberücksichtigt.

FCZ folgt dem Umschaltspiel-Trend

Trotz einer leicht kleineren Anzahl an gespielten Partien hat die Anzahl erzielter Tore 20/21 im Vergleich zu 19/20 etwas zugenommen. Dramatisch abgenommen hat die Anzahl Gegentore. Die Entwicklung ist also in beiden Fällen positiv. Aus der Züri Live-Statistik geht wenig überraschend hervor, dass der FCZ viele Tore im (schnellen) Umschaltspiel erzielt und relativ wenige aus einem (vergleichsweise langsamen) Aufbauspiel heraus. Zum Umschaltspiel gehören Konter von hinten heraus, aber auch Hohes Pressing und Gegenpressing mit Ballgewinnen meist in der gegnerischen Platzhälfte. Man versucht in beiden Fällen durch schnelles Umschalten auszunutzen, dass der sich gerade eben noch in Ballbesitz befindliche Gegner umittelbar nach Ballverlust einzeln und als Mannschaft in einer schlechten Defensivposition befindet. Wer den Ball hat, will Chaos, wer den Ball nicht hat, will Ordnung. Unmittelbar nach Ballverlust herrscht in der Regel Chaos.

Im letzten Jahrzehnt hat das Umschaltspiel im internationalen und nationalen Spitzenfussball nicht zuletzt dank der Vorreiterrolle innovativer Trainer und Klubs wieder stark an Bedeutung gewonnen. Während es das Konterspiel im Fussball schon immer gegeben hat und Pressing seit den 90er Jahren immer mehr zum Standardrepertoire nicht nur im Profibereich wurde, ist die Systematik des Pressings in den letzten 10-20 Jahren stark verfeinert worden. Heute spielen selbst Amateur- und Juniorenteams taktisch auf viel höherem Niveau als noch vor nicht allzu langer Zeit die besten Mannschaften der Welt. Während sich früher das Pressing auf die Abwehrzone und später vermehrt auf das Mittelfeld fokussierte, wird heute viel häufiger als früher hoch in der Angriffszone gepresst. Neu ist vor allem aber auch die systematische Umsetzung des Gegenpressings unmittelbar nach eigenem Ballverlust.

Pressing und Gegenpressing unter Rizzo stark verbessert

Letzterer Punkt ist ein grosser Unterschied zwischen den Saisons 19/20 und 20/21 beim FCZ. Letzte Saison war das Gegenpressing beim FCZ praktisch inexistent: man hat auf diese Art und Weise kein einziges Tor erzielt – diese Saison waren es hingegen sechs! Auch die Anzahl erzielter Tore nach einem Hohen Pressing ist gestiegen. Dies bestätigt den allgemeinen Eindruck, dass Pressing / Gegenpressing unter Massimo Rizzo deutlich besser geworden sind. Der Unterschied beim Umschalten in die Defensive im Vergleich zur Magnin-Ära ist auch optisch frappant. Der FCZ der Saison 20/21 sieht viel stärker nach modernem Fussball aus, während derjenige von 19/20 noch etwas an die 90er-Jahre erinnerte: an Stelle eines kompakten nach vorne pressen oder nach hinten zurückziehen ein Mittelding an eher passivem Zurückverschieben mit grossen Distanzen zwischen den Linien. Dementsprechend kassierte man sieben Gegentore, bei welchen die Abwehrreihe zwar relativ tief stand, der Gegner aber trotzdem einfach durch einen entblössten FCZ durchkombinieren konnte. Solche Gegentore gab es unter Trainer Rizzo überhaupt nicht mehr. Auch die Anzahl Konter-Gegentore ging stark zurück. Standardgegentore wurden unter dem aktuellen FCZ-Trainer in praktisch allen Kategorien reduziert, zumal wenn man berücksichtigt, dass die Hälfte der acht Eckball-Gegentore der laufenden Saison aus den ersten drei Saisonpartien (noch unter Magnin) stammen. Wie stark der FCZ nach der „Quarantäne“ im Vierten Quartal der letzten Saison im Vergleich mit den anderen Teams überfordert war und hintenrein gedrängt wurde, zeigt der damalige steile Anstieg der Gegentore aus einer tiefen Position.

Unter Magnin versuchte der FCZ häufig mit Aufbauspiel zum Erfolg zu kommen. Das gelang aber nicht, weil man speziell vorne nicht die Spieler dazu hatte. Kramer, Ceesay, Tosin oder Khelifi sind typische Umschaltstürmer und ein Benjamin Kololli oder Denis Popovic für erfolgreiches Aufbauspiel auf heutigem Super League-Niveau zu wenig handlungsschnell. Massimo Rizzo unternahm im Zweiten Quartal der Saison einen neuerlichen Versuch, die von vielen Seiten geforderte stärkere Fokussierung aufs Aufbauspiel umzusetzen. Das Resultat: die Torproduktion rasselte in den Keller. Daher besann sich Rizzo ab dem Dritten Quartal wieder auf die Umschaltqualitäten seines Teams. Diese Einsicht war sicherlich einer der wichtigsten Faktoren, welche schlussendlich den Klassenerhalt überhaupt erst ermöglicht haben. Schon unter Ludovic Magnin hatte der FCZ gegen Gegner wie St. Gallen oder den FCB eher aus einer sicheren Deckung heraus mit Konterfussball agiert – und dies erfolgreich. Auch in der aktuellen Saison hat der FCZ am meisten Tore (12) auf Konter erzielt. Dazu kommen vier aus Kontern heraus entstandene Penaltys (drei davon von Assan Ceesay herausgeholt).

Kolollis Eckbälle nur zwei Wochen lang überzeugend

Die im Vergleich zur letzten Saison fünf zusätzlichen Penaltys (acht statt drei) kann man zusammensetzen aus den drei Ceesay-Kontern und den zwei Penaltys aus Schönbächler-Freistössen beim 3:0-Heimsieg gegen Lugano. Aus Freistössen an und für sich wurden zwei Tore mehr erzielt, als letzte Saison (vier statt zwei). Nach der Winterpause waren dies zwei Dzemaili-Freistösse in Basel und St. Gallen (wobei der zweite eigentlich misslungen war, aber von Quintilla und Zigi mit Schleifchen dran Marchesano als Geschenk aufgelegt wurde), ein direkt verwandelter Schönbächlers in Lugano und der von Marchesano verwertete Kololli Freistoss-Abpraller in Lausanne. Im Gegensatz zu letzter Saison erzielte der FCZ zudem je ein Tor aus einem Abstoss und einem Anstoss. Bei den Cornern hingegen hat man diese Saison deutlich weniger Tore erzielt (drei statt acht). Den Unterschied diesbezüglich machen zwei Wochen Ende Juni / Anfangs Juli 2020 aus, als der FCZ nach dem Restart in fünf Partien hintereinander immer ein Eckball-Tor erzielte (mehrheitlich jeweils der erste Eckball der Partie). Die drei Corner-Tore in der aktuellen Saison wurden alle zu Beginn der Saison realisiert, zwei davon im ersten Spiel mit Rizzo als Trainer in Vaduz. Der verletzungsbedingte Ausfall von Lasse Sobiech hat diesbezüglich natürlich eine wichtige Rolle gespielt – aber vor allem auch, dass Benjamin Kololli keine so guten und variantenreichen Eckbälle mehr hinkriegte wie in den erwähnten zwei Wochen der letzten Spielzeit welche die besten seiner ganzen FCZ-Episode waren.

Weitschüsse waren ein wesentlicher Problemkreis der Saison 19/20: kein anderes Super League-Team musste damals so viele Weitschussgegentore hinnehmen (sieben). Ausserdem erzielte der FCZ selbst keinen einzigen Treffer aus der Distanz. Unter Rizzo hat sich die Bilanz gedreht: nur noch ein einziges Weitschussgegentor bei nun vier selbst erzielten Treffern von ausserhalb des Strafraumes. Die defensive Verbesserung ist sicherlich der grösseren Kompaktheit des Teams insgesamt geschuldet, während in der Offensive vor allem die individuelle Entwicklung 20/21 der seit den Junioren zusammen spielenden Toni Domgjoni und Fabian Rohner eine wichtige Rolle gespielt hat. Angriffe gegen hoch stehende Gegner waren 20/21 erfolgreicher, als in der Saison davor – auch weil man die erste gegnerische Linie im Gegensatz zur Magnin-Zeit häufig hoch überspielt.

Problemseite Links endlich gelöst

Der FCZ erzielte zudem 20/21 mehr Tore auf Flanken, als letzte Saison – und kassierte gleichzeitig weniger Gegentreffer mit hohen Bällen von der Seite aus dem Spiel heraus. Die klare Negativbilanz von letzter Saison in dieser Kategorie hat sich deutlich verringert. Die räumliche Entstehung der Tore und Gegentore im Aufbauspiel bringt die enorme Verbesserung der linken Zürcher Seite plastisch zutage. Fidan Aliti (der sich gut mit Assan Ceesay verstand) ermöglichte mit seinem hervorragenden Passspiel deutlich mehr Tore über links als letzte Saison – und man kassierte aus dem Aufbauspiel nur noch ein einziges Gegentor über die langjährige Problemzone des FCZ (rechte Seite des Gegners). Die rechte Zürcher Seite kassiert hingegen immer noch mehr Tore aus dem Aufbauspiel heraus, als selbst erzielt werden. Ausserdem hat der FCZ seine Vorteile im Spiel durch die Mitte verloren.

Zusammenfassend hat sich der FCZ in der Saison 20/21 unter Trainer Massimo Rizzo noch stärker als davor dem internationalen und nationalen Trend folgend auf Umschaltspiel fokussiert. Speziell im Pressing und Gegenpressing hat man (allerdings von einem tiefen Niveau aus) klare Fortschritte gemacht. Es hat sich sowohl unter Magnin wie unter Rizzo gezeigt, dass mit dem Stärke- / Schwäche-Profil der von extern verpflichteten Spieler etwas anderes auf Super League-Niveau auch gar nicht möglich ist. Auch St. Gallen setzt auf Umschaltspiel genauso wie neuerdings wieder der FCB unter Patrick Rahmen oder beispielsweise Lugano. Bei YB sind aufgrund ihrer Dominanz die Anteile von Aufbau- und Umschaltspiel etwa ausgeglichen. Es geht aber auch anders: über weite Strecken erfolgreich auf Aufbauspiel setzten in den letzten Jahren Servette unter Alain Geiger oder der FC Thun unter Marc Schneider. Der FCZ ist von der Spielerselektion und -ausbildung in der Academy her eigentlich auch eher auf Aufbauspiel ausgerichtet und man scheint dies eigentlich für das Profiteam grundsätzlich zu bevorzugen. Für einen Weg à la Servette hätte man die richtigen Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, aber es bräuchte ein komplett anderes Profil bei den von extern verpflichteten Profis. Dies kann man kaum innerhalb einer Transferperiode gänzlich umstellen.

Blerim Dzemaili = Denis Popovic 2.0

Das Innenleben der Mannschaft ist insgesamt intakt. Man hat es in den letzten Wochen und Monaten erkennen können. Und dies obwohl die in der Hierarchie weit oben anzusiedelnden Benjamin Kololli und Blerim Dzemaili in den Wettbewerbspartien regelmässig mit schlechtem Beispiel voran gingen. Kololli spielte wie schon in der Vergangenheit zu häufig „Badi-Fussball“, Dzemaili überschätzte sich immer wieder – und flüchtete sich in kontraproduktives Lamentieren mit Schiedsrichtern und Mitspielern. Die UEFA Nations League und Vergrösserung der Teilnehmerfelder von grossen internationalen Turnieren führen zu (vermeintlich) mehr Erfolgen und Teilerfolgen von „kleinen“ Nationalteams – und damit wohl auch etwas zu einer Selbstüberschätzung von beim FCZ engagierten Spielern solcher Nationalmannschaften.

Mit Dzemaili wiederholte der FCZ in der Folgesaison den Popovic-Fehler gleich noch einmal: mit einem für die Super League zu langsamen Spieler eine zentrale „Achse“ aufbauen zu wollen. Das Missverständnis sollte man im Sommer im beiderseitigen Interesse vorzeitig beenden. Der Begriff der „zentralen Achse“ ist speziell unter älteren Fussball-Experten und -Kommentatoren in der deutschsprachigen Schweiz ein beliebtes Sujet. Nur: kein Klub hat in den letzten Jahren dieses Konzept so konsequent umgesetzt wie GC in ihrer Abstiegssaison 18/19 mit der lohntechnisch teuren zentralen Achse Lindner – Basic – Holzhauser – Andersen – Djuricin und vielen günstigen Talenten darum herum. Das Resultat: mit zwölf Punkten Rückstand auf den Barrageplatz einer der sportlich schwächsten Absteiger der Super League-Geschichte. Das Beispiel zeigt plastisch das Problem einer „Achse“: wenn ein oder zwei wichtige Achsenteile nicht halten, was sie versprechen, kracht alles in sich zusammen. Es ist ein grosses Klumpenrisiko. Eine komplett andere Strategie fährt beispielsweise Servette: die Verantwortung ist auf deutlich mehr Schultern verteilt – und die spielbestimmenden Akteure Miroslav Stevanovic und Gaël Clichy spielen Rechter Flügel und Linksverteidiger.

Transferbilanz des letzten Sommers: gut bis sehr gut

Dass die Mannschaft trotz dieser negativen Faktoren nicht auseinandergefallen ist, ist sicherlich unter anderem Antonio Marchesano zu verdanken, der sich noch einmal weiter zu einem Team-Leader entwickelt, und mit Spielern unterschiedlichster Herkunft einen guten Draht hat. Fidan Aliti und Nathan waren über weite Strecken der Saison die Lebensversicherung des Teams – in den letzten Wochen ging aber beiden kräfteintensiv agierenden Mentalitätsspielern der Schnauf aus. Genau gegenläufig die Enwicklung beim über weite Strecken seiner bisherigen FCZ-Zeit die Super League-Tauglichkeit vermissen lassenden Blaz Kramer, welcher just zum aktuellen Saisonende hin sich deutlich gesteigert hat und erstmals seit seiner Ankunft in Zürich ligareife Auftritte hinlegt. Tosins Qualitäten im Abschluss und Antritt müssten in Zukunft noch mehr zum Tragen kommen. Auffällig beim Nigerianer: im Sturmzentrum bringt er die deutlich besseren Leistungen, als wenn er über den Flügel kommt. Im Zentrum kann er seine Explosivität und Vertikalität sowohl offensiv wie defensiv in die Waagschale werfen, während er mit dem taktischen Verhalten auf der Seite immer noch seine liebe Mühe hat – in der Saison 20/21 steht für ihn zudem kein einziges Assist zu Buche: auf dem Flügel ein „No-Go“.

Fidan Aliti Audio-Highlights

An der Transferfront ist letzte Saison beim FCZ sicherlich gut bis sehr gut gearbeitet worden. Aliti, Doumbia und Sobiech waren allesamt sehr gelungene Verpflichtungen, wie es sie in dieser Dichte beim FCZ schon lange nicht mehr gegeben hat. Dazu konnten mit den Verkäufen von Sohm und Rüegg wichtige Einnahmen generiert, sowie gleich acht junge Spieler für mehr Spielpraxis grösstenteils in die Challenge League verliehen werden – was keine Selbstverständlichkeit darstellt. Ein Fehler war aber die Winter-Verpflichtung und kontinuierliche Bevorzugung Blerim Dzemailis (34, mittlerweile 35). Nachdem dieser sich über Jahre hinweg geziert hatte, zu seinem Stammklub zurückzukehren, tat er dies dann schlussendlich erst in einem Moment, als er dem FCZ mehr Schaden zufügte, als Nutzen brachte. Vor der Winterpause hatte der FCZ ein gut funktionierendes Zentrum etabliert, welches durch den selbst für Promotion League-Verhältnisse zu langsamen Dzemaili gesprengt wurde: ein wesentlicher Grund für die Leistungs- und Punkte-Baisse des FCZ nach der Winterpause. Zum Vergleich: YB holte Steve Von Bergen (30), Fabian Lustenberger (31) und Christoph Spycher (32) in einem noch deutlich leistungsfähigerenen Alter in die Super League zurück. Alain Nef kam mit 31 und konnte in diesem Alter seinem Stammklub noch helfen. Die Basler Beispiele: Alex Frei (30), Benjamin Huggel (30), Fabian Frei (29), Valentin Stocker (28) oder Marco Streller (26).

Bei Transfers darf man keinen Fehler machen.

Lucien Favre

Genfer Jungs bringens in Zürich nicht

Mit vielversprechenden Akteuren wie Krasniqi, Seiler, den Reichmuth-Brüdern oder Janjicic in der Hinterhand sollten neben den Teamstützen Marchesano und Doumbia die Talente aus dem eigenen Nachwuchs im Zentralen Mittelfeld weiterhin die wichtigste Rolle spielen. Sturm, Flügel, Rechtsverteidiger und Innenverteidiger sind sicherlich die grösseren Baustellen für allfällige Transfers. Während „Nesthäkchen“ Wilfried Gnonto bereits in seiner ersten Super League-Saison einen grossen Schritt nach vorne machte, war die Entwicklung der anderen beiden Teenager Silvan Wallner und Becir Omeragic eine Enttäuschung. Wallner gelang zu Beginn der Saison ein toller Match in Bern, aber dann zeigten sich schnell wieder die Schwächen, die ihn schon seine ganze Juniorenzeit hindurch begleiten.

Von Becir Omeragic hat man sich bei seiner sensationellen Verpflichtung im Sommer 2018 auch mehr erhofft. Über viele Jahre hinweg gelang es dem FC Zürich immer wieder, vielversprechende Talente aus der Region Genf zu verpflichten. Und allesamt hätten sie sich wohl besser entwickelt, wenn sie in Genf geblieben wären (die Voraussetzung dafür wäre allerdings zuletzt ein jugendfreundlicherer Coach der 1. Mannschaft als der konservative Alain Geiger gewesen). André Ribeiro, Guillaume Furrer, Maxime Dominguez, Kilian Pagliuca, Yassin Maouche, dazu der Waadtländer Dimitri Oberlin – die Liste ist lang. Nur Kevin Bua hat sich halbwegs durchgesetzt. Genauso wie zu früh ins Ausland wechselnde Zürcher Talente wie Angha, Muheim oder Burkart dort dann jeweils in ihrer Entwicklung stark stagnieren, passiert den Genfer Jungs in Zürich dasselbe. Zu grossen Teilen handelt es sich dabei um eine „Kopfsache“. Becir halten sein aussergewöhnliches Talent und möglicherweise auch Bruder Nedim an seiner Seite in Zürich über Wasser – aber er müsste im Normalfall mit 19 schon deutlich weiter in seiner Entwicklung sein, als er es nun tatsächlich ist – da können auch die Nationalteam-Aufgebote nicht darüber hinweg täuschen.

(Daten und Fotos: Züri Live)