In Zeiten von Netflix, Youtube und Snapchat entdecken nun auch in der Schweiz die klassischen TV-Sender den Sport und speziell den Fussball als eine der letzten Bastionen, in denen sie potentiell noch eine gewisse Relevanz bewahren können. Das Angebot in diesem Bereich wurde daher diesen Sommer ausgebaut. Teleclub nimmt dabei mit der Sendung „Heimspiel“ einen neuen Anlauf mit einer Fussballdiskussionssendung, wie es sie auf kleineren Sendern schon mehrere gegeben hat. Diese Sendungen sind jeweils mit viel Elan, gutem Willen und dem Aufbau einer langen Liste an potentiellen Studiogästen im Contact Management-System gestartet worden, und endeten dann irgendwann de facto in einem Tête-à-tête zwischen beispielsweise Claudia Lässer und wahlweise Rolf Fringer oder Erich Vogel. Das sind die zwei, die so eloquent und abwechslungsreich reden können, dass man gerne darüber hinwegsieht, dass sie in der letzten Sendung noch genau das Gegenteil behauptet hatten.
In der aktuellen Sendung waren neben Claudia Lässer der obligate Fringer, „Schweiz-Versteher“ Marcel Reif, Felix Bingesser („Blick-Sportchef“) und Ancillo Canepa dabei. Anschliessend an die Sendung rühmte sich „Teleclub“ auf dem Partnermedium „Blick“, dass man es angeblich geschafft habe, Ancillo Canepa und Rolf Fringer zu versöhnen. Die beiden verweigerten sich nicht, gemeinsam für den Studiophotographen zu posieren, und hätten sich sogar off camera die Hand geschüttelt! Wahnsinn!
On camera war dann aber von Versöhnung wenig zu sehen. Voraussehbar wie dass Limmat-Wasser irgendwann in die Nordsee fliesst, nutzte Joetex Asamoah Frimpong-Fan Fringer die Gelegenheit, zum wiederholten Male einen Angriff auf Ancillo Canepa zu starten. Und natürlich hatte er die Runde im Sack. Man ist ja sonst nicht so im Detail über den Schweizer Fussball informiert, aber dass Ancillo Canepa kein Fussballexperte sei, branchenfremd und nicht teamfähig, davon hatten alle schon vor Jahren mal von irgendeinem Fussballexperten gehört. Wie hiess der noch gleich? Irgendetwas mit Fringer oder so… Und so wurde zum 147.Mal in einem Schweizer Sportmedium die gleiche Sau durchs Dorf getrieben. Ein Beitrag zur Beilegung eines Streites war es eher nicht, wenn man sich die schnoddrige Überheblichkeit mit welcher Canepa von den sogenannten Experten wie ein kleiner Primarschüler behandelt wurde („er muss noch lernen“, „brav gemacht“) vor Augen führt.
Der einzige, der sich zum Unmut der Runde dem undifferenzierten Canepa-Bashing etwas entzog, war Marcel Reif. Er verwies darauf, dass „Cillo“ durchaus etwas von Fussball verstehe. Seit mehr als 10 Jahren führt Canepa nun den FCZ als Präsident und ist zusätzlich in der Liga-Exekutive aktiv. Er kennt den aktuellen Schweizer Fussball deutlich besser, als viele Ex-Nationalspieler, die nicht täglich voll im Geschehen drin sind, aber gerne als Experten zu den verschiedenen TV-Sendern eingeladen werden. Man kann über einzelne Entscheide immer diskutieren. Mit Sicherheit hat Ancillo Canepa in der Vergangenheit den ein oder anderen Fehlentscheid getroffen – wie jeder andere Sportliche Verantwortliche auch. Im Gegensatz zu den meisten anderen, auch solche mit deutlich mehr Geld in der Kasse, hat Canepa mit seinem Klub aber auch ein paar Titel gewonnen. Nach 10 Jahren intensiver Tätigkeit in verschiedenen Nahtstellen des Schweizer Fussballs (Klub, Liga, zudem einer der Vorreiter im Junioren- und Frauenbereich) den FCZ-Präsidenten aufgrund seiner Vergangenheit als Leiter Wirtschaftsprüfung Schweiz bei Ernst&Young immer noch als „branchenfremd“ zu betiteln, ist mehr als absurd und entspringt einem ziemlich eindimensionalen Denken und fehlendem BLICK über den Tellerrand.
Natürlich gibt es Klubbesitzer, die tatsächlich wenig von Fussball verstehen. Es gibt aber noch viel mehr Ex-Fussballer, die wenig von Menschenführung, analytischem Denken, Verhandlungsgeschick oder Projektorganisation verstehen. Und das sind die entscheidenden Qualitäten in der sportlichen Führung eines Fussballklubs. Denn der Fussball an sich ist keine Raketenwissenschaft, wie dies die Americanos so schön auszudrücken vermögen. Nur aufgrund des Werdeganges lässt sich unmöglich voraussagen, ob jemand ein guter Sportchef sein kann oder nicht. Die beiden Journalisten Fredy Bickel und Georg Heitz betitelt in den Schweizer Medien interessanterweise niemand im negativen Sinne als „branchenfremd“. Ebenso wenig den Dolmetscher José Mourinho. Und im Wallis trauern noch heute viele dem Französischlehrer Peter Zeidler nach („das war endlich mal jemand, der etwas von Fussball versteht“). Die ehemaligen Top-Spieler Sami Hyypiä, Gennaro Gattuso und Gianluca Zambrotta gehörten hingegen zu den erfolglosesten Trainern im Schweizer Fussball der letzten Jahre.
Mit zunehmender Professionalisierung hat die Anzahl „branchenfremder“ Sportlicher Verantwortlicher gerade in den europäischen Topligen immer mehr zugenommen. Weil diese Erfahrungen und Qualitäten mitbringen, die innerhalb des früheren Profifussballklüngels rar waren. Das Indische Kastensystem oder das mittelalterliche Zunftwesen, wo jeder Mensch ein Leben lang in seinem angestammten Beruf definiert bleibt, haben sich nicht wirklich als erfolgreiche Wirtschaftsmodelle herauskristallisiert. Das Mittelalter bleibt aber trotzdem bis heute lebendig in Sportjournalisten wie Felix Bingesser („Fussballfans an den Pranger“).
Es ist ja nicht so, dass Bingessers Blick & Co. jeweils den Eindruck erwecken, als seien sie voll in der Branche und im Thema drin. Ob Fabian Rohner oder Fabian Rohrer, ob Cédric oder Maurice Brunner – wer weiss das schon, wie diese Fussballer alle heissen…? Wie heisst der neue YB-Stürmer? „„Schaaa-Pier Än Saaamä!“ – …“Aha!“. Eine leicht ketzerische Frage: Kann man von einem bezahlten Fussballjournalisten verlangen, einen Spieler zu kennen, der noch nie ins Sportpanorama eingeladen wurde? Scheint nicht der Fall zu sein. Und muss man es als Normalzustand hinnehmen, wenn die „Experten“ in den Deutschschweizer Fussballredaktionen plötzlich einen jungen Schweizer Fussballer in der Bundesliga oder Serie A entdecken, von dem sie noch nie zuvor gehört hatten („der kam aus dem Nichts“)? Wer kommt hier tatsächlich aus dem Nichts? Das über viele Jahre in der Schweiz auf hohem Niveau ausgebildete Fussballtalent – oder doch eher der Fussballredakteur?
Jeder Mensch ist an seinem ersten Lebenstag planetfremd, an seinem ersten Schultag schulfremd und an seinem ersten Arbeitstag branchenfremd. Völlig normal. Die entscheidende Frage ist, ob man an seinem 100. oder 1000. Arbeitstag immer noch branchenfremd ist. Bei einem Ancillo Canepa ist dies definitiv nicht der Fall. Mutet man sich hingegen seit Jahren immer wieder mal eine Kolumne von „Blick-Sportchef“ Bingesser zu, dann drängt sich der Schluss auf, dass dieser im Sportjournalismus ganz offensichtlich seit 1987 branchenfremd war, und es seither immer geblieben ist. Unwahrscheinlich, dass sich daran noch etwas ändert.