Transferspekulationen – die Kandidaten des FCZ Forums im Überblick

Vorfreude ist die schönste Freude. Und zur Zeit der Vorfreude gehören im Fussball unabdingbar die Transferperioden. Es wird über Zu- und Abgänge spekuliert, diskutiert. An diese personellen Rochaden knüpfen sich die Hoffnungen der Fans auf eine bessere Runde – diesmal die um zwei Spiele verlängerte Frühlingssaison. Zusätzlich befeuert wurde die Diskussion im FCZ-Umfeld durch Aussagen des Trainers und des Präsidenten nach dem Ende der in den nationalen Wettbewerben enttäuschenden Herbstrunde. 

Von Wohlen bis Hoffenheim – breite Palette an Wunschspielern

Es werden fortlaufend Namen in den Ring geworfen, so dass man sich manchmal an die noch vor ein paar Wochen heiss diskutierten Kandidaten kaum mehr erinnert. Züri Live schafft Abhilfe mit einem Überblick über alle vom 1. November bis heute im FCZ Forum diskutierten Transferkandidaten. Die Spekulationen und Vorschläge stammen dabei teilweise aus Drittquellen, teilweise aus dem Forum selbst. Auf Züri Live-Vorschläge oder vermutete Transferziele des Klubs soll dabei weitgehend verzichtet werden. Der Überblick fokussiert sich auf die Kandidaten aus dem FCZ Forum.

Das Feld der vorgeschlagenen Neuverpflichtungen ist breit gefächert. Es reicht von einem Spieler aus dem Schweizer Amateurbereich bis zu Bundesliga- und Serie A-Akteuren. Von einem Marktwert von Null bis vier Millionen Franken. Letzteren Betrag sind Jacob Bruun Larsen (Hoffenheim) sowie Josh Maja (Bordeaux, Ligue 2) gemäss “Transfermarkt“ wert. Der Amateurspieler ist der 17-jährige Alessandro Vogt vom FC Wohlen. Nur wenige der aufgeführten Kandidaten sind keine Offensivspieler, mehr als die Hälfte sind Mittelstürmer.

Eingrenzung des Kandidatenkreises durch die Kriterien „Kurzfristiger sportlicher Nutzen“ und „Realisierbarkeit“

Gruppiert werden die Kandidaten nach den Kriterien «Kurzfristiger sportlicher Nutzen» und «Realisierbarkeit». Das Kriterium «Realisierbarkeit» zeigt die Wahrscheinlichkeit nach Einschätzung von Züri Live, dass der FCZ oder ein mit dem FCZ vergleichbarer Klub den entsprechenden Spieler in dieser Winter-Transferperiode verpflichten könnte – vorausgesetzt der Spieler ist wechselwillig. Der Wechsel von Stephan Seiler von Winterthur zum FCZ wurde bereits bekannt gegeben. Daher liegt die Realisierbarkeit für Seiler bei 100%. Die vom FCZ in die Challenge League verliehenen Wallner, Koide und Nils Reichmuth haben mit 80% ebenfalls eine hohe Realisierbarkeit. Will der Spieler und will der FCZ, dann würde der Leihklub Wil oder Xamax einer vorzeitigen Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zustimmen – oder müsste möglicherweise sogar aufgrund einer Klausel.     

Eine Realisierbarkeit von 0% hat der Schwedische Mittelfeldspieler Darijan Bojanic von Hammarby, dessen Wechsel nach Südkorea bereits in trockenen Tüchern ist. Ebenfalls eine äusserst tiefe Realisierbarkeit sieht Züri Live bei Bruun Larsen, Dawid Kownacki (Düsseldorf) oder Maja. Stürmer dieses Kalibers würden in der Super League wie Formel 1-Maschinen bei einem Bergrennen auf einer Schweizer Passstrasse wirken. Sie sind für eine andere Umgebung gemacht und werden sich auch weiterhin auf Top-Niveau bewegen.

Neuverpflichtung, die im ersten Halbjahr nicht einschlägt, als Normalfall

Eine immer noch sehr tiefe, aber aufgrund von Sonderfaktoren trotzdem leicht höhere Realisierbarkeit haben Spieler wie Ricardo Rodriguez (Torino), Mark Uth (1. FC Köln), Smajl Prevljak (KAS Eupen), Simone Zaza (vereinslos), Andrea Compagno (FCSB) oder Yacine Brahimi (Al Gharafa). Prevljak und Compagno spielen bei Klubs, die nicht viel höher als der FCZ einzustufen sind, Brahimi in Saudi Arabien, Uth und Zaza hatten zuletzt Verletzungsprobleme und brauchen eventuell einen neuen Anlauf und Rodriguez möchte zum FCZ zurückkehren – wenn auch wahrscheinlich nicht schon jetzt. Würde Rodriguez seinen Platz in der Nationalmannschaft nicht mehr haben, wäre dies aber sicherlich ein Faktor, der die Rückkehr zum FCZ beschleunigen würde.

Das zweite Kriterium zeigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler dem FCZ kurzfristig (im Frühling) einen sportlichen Nutzen bringen würde. 100% beträgt diese Wahrscheinlichkeit bei keinem Spieler, Bruun Larsen oder Rodriguez erhielten einen sehr hohen Wert. Bei Uth ist nicht sicher, wie schnell er nach seinen körperlichen Problemen wieder in Form kommt. Und Kownacki hat ein paar wenige Schwachpunkte im Kurzpassspiel sowie in der Luft. Typischerweise sind diejenigen Spieler, die den FCZ praktisch sicher verstärken würden, für diesen kaum realisierbar. Alle Spieler, die mit mehr als 60% Wahrscheinlichkeit kurzfristig dem FCZ helfen können, sind zu höchstens 10% realisierbar. Dies offenbart die Schwierigkeit der Aufgabe des Sportchefs – und dass unter diesen Bedingungen ein Spieler, der im ersten Halbjahr nicht gleich einschlägt, eher der Normalfall, als ein Spezialfall ist. Dies gilt dementsprechend auch für die Neuverpflichtungen des Sommers 2022.

Moussa Konaté – abgetaucht nach Siegtor im Türkischen Cupfinal

Die Trendlinie ist in der Grafik gestrichelt eingezeichnet. Spieler, die sich oberhalb dieser Linie befinden, kommen für den FCZ zum jetzigen Zeitpunkt tendenziell in Frage. Diejenigen, die sich darunter befinden, tendenziell nicht.  In der linken unteren Ecke anzutreffen und damit am wenigsten in Frage kommt Yacine Brahimi. Er verdient in Saudi-Arabien sehr gut und hat gleichzeitig unter den dortigen Bedingungen bereits ziemlich stark an Qualität eingebüsst, so dass er dem FCZ kaum mehr helfen könnte. Ebenfalls kaum in Frage kommen Moussa Koné, Milan Pavkov, Christoffer Nyman, Moussa Konaté, Nikola Stulic, Nikola Krstovic, Matej Vydra, Mario Gavranovic und Simone Zaza. Gründe dafür gibt es verschiedene – beispielsweise finanzielle. Selbst der zur Zeit arbeitslose Vydra oder der in der Slowakei bei Dunajska Streda engagierte Krstovic könnten für den FCZ bereits zu teuer sein. Nyman hat beschränkte Fähigkeiten und lebt stark von seiner Mentalität und Captain-Rolle bei seinem Stammverein IFK Norrköping. Er würde in der Schweiz nicht so gut funktionieren. Vydra kommt zusätzlich aus einem Kreuzbandriss. Bei Zaza (ohne Klub) gibt es ebenfalls relativ grosse gesundheitliche Fragezeichen (Rücken, Knie). Stulic und Krstovic sind Vollblutstürmer mit Abschlussqualitäten, die mit ihrer etwas rudimentären Ballführung sowie Beweglichkeit aber gegen die relativ flinken und schnellen Super League-Verteidiger Probleme bekämen – speziell Stulic. Sie haben ihre Tore bisher gegen Gegner auf tieferem Niveau erzielt. 

Pavkov ist wie Brahimi in Saudi-Arabien sportlich in eine Negativspirale geraten. Koné (Nîmes) und Gavranovic (Kayserispor) sind Umschaltfussballer, die von ihren Qualitäten her nicht zum Fussball von Bo Henriksen passen. Moussa Konaté ist sowieso eine Story für sich: immer haarscharf an der Grenze zum Offside – auf dem Platz, und manchmal auch daneben. Beim für das Wallis legendären Cupfinal 2015 im St. JaKob Park hatte er so für Sion gegen den FCB das frühe 1:0 erzielt (Endresultat: 3:0). Im Mai dieses Jahres wurde Konaté nun zum zweiten Mal in seiner Karriere Cupsieger. Ausgeliehen zu Sivasspor hatte der Senegalese fast ausschliesslich Kurzeinsätze gehabt und dabei kein einziges Mal das Tor getroffen. Dann wird er im Türkischen Cupfinal iin der 111. Minute eingewechselt und erzielt auf Zuspiel des Ex-Luzerners Olarenwaju Kayode nur zwei Minuten später das Siegtor für Sivasspor zum 3:2. Mario Gavranovic (Kayseri) hatte nach einer Stunde mit einem Ballverlust im Mittelfeld Sivas zurück ins Spiel gebracht. Nach diesem Triumph sollte Konaté wieder zu seinem eigentlichen Arbeitgeber Dijon zurückkehren. Wie schon zuvor in Amiens wollte er aber auch in Dijon nicht in der Ligue 2 antreten und tauchte nach seinem Leihjahr in Tunesien und in der Türkei zum Trainingsstart einfach nicht mehr auf. Der 29-jährige Senegalese soll sich beim Sporting Club Gagnoa in der Elfenbeinküste aufhalten. Dijon überlegt sich rechtliche Schritte.        

Die Leistungsträger der Meistermannschaft 21/22 wurden alle in der Challenge League geformt

Generell kommen Kandidaten, die nicht einen höheren kurzfristigen sportlichen Nutzen als die FCZ-Leihspieler bringen, eher nicht in Frage. Matteo Di Giusto blüht bei Aussenseitern auf, die auf Umschaltspiel setzen. Er braucht Platz für sein Spiel und ist kein Ballbesitzfussballer. Linksfuss Sofian Bahloul (Wil) ist für die Super League wohl zu wenig widerstandsfähig. Das gleiche gilt noch stärker ausgeprägt für Camilo Mena (Valmiera). Die Durchsetzungsfähigkeit auf Super League-Niveau geht zumindest kurzfristig auch den beiden aus dem Rückraum torgefährlichen Mohamed Dhaoui (von Chikhaoui-Klub Etoile Sahel) und Shkelqim Vladi (Aarau) etwas ab, wobei beide sich mittel- bis langfristig diesbezüglich noch entwickeln können. Sie liegen auf jeden Fall knapp über der Trendlinie. Klar darüber liegen Alessandro Vogt (Wohlen) und Rayan Philippe (Hesperingen). Der 17-jährige Vogt ist ein Stürmertyp à la Cédric Itten und wäre sicherlich schon heute ein Spieler für die U21 in der Promotion League . Rayan Philippe ist bereits 22 und stärkt aktuell in Luxemburg mit mehr als zwei Skorerpunkten pro Spiel sein Selbstvertrauen. Dort kann der grossgewachsene Dribbler auch mit einer nicht allzu engen Ballführung reüssieren. Er wäre erstmal für einen (ambitionierten) Challenge League-Klub ein interessanter Mann. Natürlich wäre es grundsätzlich eine Option für den FCZ, einen Spieler wie Dhaoui oder Philippe erstmal zu übernehmen und in die Challenge League oder eine vergleichbare Liga auszuleihen. Das wäre aber ein finanzielles Risiko.

Die aus dem eigenen Nachwuchs stammenden Leihspieler Nils Reichmuth, Henri Koide und Silvan Wallner profitieren auf jeden Fall von ihren Einsätzen in der Challenge League. Die Leistungsträger der Meistermannschaft 21/22 haben gemeinsam, dass für sie alle die Challenge League ein wichtiger Entwicklungsschritt in ihrem Werdegang war: Yanick Brecher, Mirlind Kryeziu, Ousmane Doumbia, Antonio Marchesano, Assan Ceesay. Kryeziu, Doumbia und Marchesano hatten gar mehrere Stationen in der zweithöchsten Schweizer Liga. Auch Bledian Krasniqi und Lindrit Kamberi trugen einen wesentlichen Anteil zum Titel bei. Sie sind die aktuell positiven Beispiele des Challenge League- Werdegangs. Beide wurden zwei Jahre dahin ausgeliehen, bevor sie den Schritt in den erweiterten Kreis der Stammkräfte (erste 16 des Kaders) beim FCZ schafften. Rohner war ein Jahr in Wil. Kostadinovic bringt ausgiebig Challenge League-Erfahrung mit. Dass einen zwei Jahre in der Challenge League nicht automatisch in den engeren Kreis der 1. Mannschaft bringt, zeigt das Beispiel Ilan Sauter. Er wurde von Anfang an beim FCZ etwas überschätzt. Einzelne glanzvolle Auftritte bei den Junioren täuschten über seine allgemeinen Schwachpunkte hinweg.

Silvan Wallner und Nils Reichmuth brauchen noch Zeit

Stephan Seiler (22) wurde von Winterthur zurückgeholt. Mit seiner Explosivität kann er im Gegenpressing ein wichtiger Faktor werden. Allerdings muss er sich in der Rückwärtsbewegung und bezüglich Standfestigkeit noch steigern – so wie Bledian Krasniqi (21), der sich in dieser Hinsicht in den letzten ein, zwei Jahren deutlich verbessert hat. Nils Reichmuth (20), Henri Koide (21) oder Silvan Wallner (20) jetzt zurückzuholen, würde wenig Sinn ergeben. Sie können aktuell alle drei der Mannschaft wenig helfen.  Wallner spielt in Wil wieder auf seiner angestammten Innenverteidigerposition. Ob dies langfristig so bleiben wird, ist fraglich. Wallner war auch schon im Spitzenjuniorenbereich ein überdurchschnittlich fehleranfälliger und unkonstanter Spieler. Dies hat sich in seiner ersten Saison in Wil nicht geändert.

Die Äbtestädter profitieren neben der guten Arbeit des Trainerteams in dieser bisher erfolgreich verlaufenen Saison stark davon, dass neben Mittelfeldspieler Muntwiler und Stürmer Silvio mit dem Spanier Genis Montolio von der FCZ U21 nun auch noch ein Leader für die Hintermannschaft dazugekommen ist. Die Mischung stimmt. Wallner braucht für seine Entwicklung sicherlich nicht nur die folgende Rückrunde, sondern danach wie Krasniqi und Kamberi auch noch eine zweite Saison in der Challenge League. Bereits in seiner zweiten Saison in Wil befindet sich Nils Reichmuth. Die erste war durch die späte Ankunft und die Krankheit zum Ende der Saison faktisch auf ein halbes Jahr verkürzt. Er ist etwas weiter in seiner Entwicklung als Wallner. Aber auch Reichmuth benötigt im Minimum noch diese Frühlingsrunde im Bergholz.

Koide, Mehmedi, Sohm, Janko: Rückkehrer-Optionen mit Mankos

Der ältere der beiden Reichmuth-Brüder zeichnet sich durch sein gutes Raumverständnis, Positions- und präzises Passspiel aus – und ist im Strafraum torgefährlich, weshalb er in der Vergangenheit auch schon als hängende Sturmspitze eingesetzt wurde. Der Linksfuss muss aber analog Bledian Krasniqi in Wil noch zu einem kompletteren Spieler reifen. Denn auf den aktuellen Qualitäten alleine lässt sich noch keine Profikarriere aufbauen. Henri Koides Skorerpunkte pro Einsatzminuten sind gut, aber es unterlaufen ihm wie Silvan Wallner noch zu viele für sein Team schmerzhafte Fehler. Xamax läuft es diese Saison sportlich erneut nicht und Koide war an den beiden bisher einzigen Saisonsiegen nicht entscheidend beteiligt, was seine Position nicht stärkt.  Er ist zudem ein Umschaltspieler, der wohl nicht optimal zur aktuellen Spielweise des FCZ in der Nach-Breitenreiter-Ära passt.

Knapp unter dem Strich in der Züri Live-Grafik liegen auch Admir Mehmedi (Antalyaspor), Simon Sohm (Parma), Ivan Prtajin (SV Wehen) und Saidy Janko (Vfl Bochum). Mehmedi hat zuletzt zwar in einem Test gegen Napoli ein Tor erzielt, würde nach seinen vielen Verletzungspausen trotz seiner Erfahrung und dem FCZ-Herz dem Stadtclub wohl kurzfristig wenig helfen können. Die zuvor schon international unterdurchschnittliche Handlungsschnelligkeit ist noch weiter reduziert, was auf seiner Position ein entscheidender Faktor ist. Simon Sohm hat speziell im Spiel mit Ball herausragende Qualitäten, gerade in defensiver Hinsicht fehlt ihm aber wie schon zu seiner Zeit in der 1. Mannschaft des FCZ weiterhin die Konstanz. Janko ist ein kräftiger Rechtsverteidiger mit Schwächen im Passspiel. Er wäre die Variante mit stärkerem Fokus auf defensiven Qualitäten im Vergleich zu Boranijasevic. Es ist aber nicht die Position, auf der beim FCZ am meisten Bedarf herrscht. Der ehemalige Schaffhausen-Stürmer Prtajin schiesst in der 3. Liga Deutschlands viele Kopfballtore, ist beidfüssig und glänzt mit präzisen Weiterleitungen von hohen und tiefen Bällen im Spielaufbau. Gegen die taktisch gewiefteren und schnelleren Super League-Verteidiger würde er allerdings weniger häufig so frei zum Abschluss kommen, wie dies zur Zeit der Fall ist.

Der Favorit: Djibril Gueye

Nachdem wir die Kandidaten mit sehr tiefer Realisierbarkeit und zu tiefem kurzfristigem sportlichen Nutzen abgehakt haben, kommen wir nun zum Kreis der vielversprechendsten der FCZ Forum-Transferkandidaten. Als Favorit kristallisiert sich dabei Djibril Gueye vom Lettischen Überraschungsmeister Valmiera heraus. Die Mannschaft aus der Kleinstadt im Norden des Landes hat vor einem Monat zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den nationalen Titel geholt. Gueye machte dabei im Fernduell mit dem FC Riga am letzten Spieltag mit einem Kontertor zum 2:0 in der Nachspielzeit in Liepaja alles klar.

Gueye weist gewisse Ähnlichkeiten aber auch Unterschiede zu Assan Ceesay auf. Ebenfalls grossgewachsen und «schlaksig», kann der Senegalese mit seinen langen Beinen im Rücken einer gegnerischen Abwehr entwischen. Seine Abschlussqualitäten sind etwas schlechter als bei Ceesay in der Saison 21/22, aber besser als bei Ceesay in den Saisons davor. Im Gegensatz zu Ceesay bringt Gueye zusätzlich Defensivqualitäten mit. Er kann als Alternative auch im Zentralen Mittelfeld eingesetzt werden und ist in der Lage, gute lange Bälle zu spielen. Gueye ist bereits 26 Jahre alt, was viele potentielle Interessenten abschreckt und daher die Realisierbarkeit eines Transfers erhöht. Nach vier Jahren bei zwei Erstligisten aus Dakar hat er erst vor etwas mehr als zwei Jahren den Schritt nach Europa zu Valmiera gemacht. Er scheint mittlerweile gut adaptiert an den europäischen Fussball und bereit, den nächsten Schritt zu machen. Gueye wirkt wie ein reifer Spieler, der Verantwortung übernimmt und nun in seine beste Karrierephase kommt. Diese Aspekte erinnern wiederum an Ousmane Doumbia, der im noch reiferen Alter von 28 Jahren erst den Schritt in die Super League zum FCZ geschafft, und dann in der Meistermannschaft auch neben dem Platz eine wichtige Rolle eingenommen hat.  

Baltikum bleibt für den FCZ interessant

Bei Valmiera sind insgesamt vier Senegalesen engagiert. Als Ausnahme von der Regel nur im FCZ Forum erwähnte Spieler zu besprechen sei hier noch Linksverteidiger Pape Fall (22) erwähnt. Ebenfalls grossgewachsen, mit guter Technik und verwertbaren Flanken, aber auch diszipliniert in der Rückwärtsbewegung, scheint der Linksfuss als Alternative für Adrian Guerrero als Linker Aussenläufer fast ideal geeignet.  Einzig seine ungestümen Tacklings müsste Fall noch zu reduzieren und dosieren lernen. Bezüglich sportlichem Nutzen auf gleicher Stufe aber wohl schwieriger zu realisieren ist Gueye’s lettischer Teamkollege Raimonds Krollis. Mittelstürmer Krollis ist mit 21 Jahren Captain des neuen Lettischen Meisters und mit 2,5 Millionen Euro auf Transfermarkt aktuell der wertvollste Spieler aus dem Baltikum. Er wirkt nach aussen fast wie eine Kopie von Bohdan Vyunnik, ist aber etwas weniger lauffreudig, dafür eher ein typischer Strafraumstürmer. Krollis hat als erster Spieler überhaupt seines kleinen Stammklubs Metta den Sprung in die Lettische Nationalmannschaft geschafft. In der Liga hat Krollis in der abgelaufenen Saison 24 Tore erzielt. Allerdings muss dabei klar herausgestrichen werden, dass er weder im Nationalteam noch im Klub bisher jemals ein Tor gegen einen Gegner erzielt hat, der sich auf Super League-Niveau bewegt. Gelegenheiten dazu gab es auch noch kaum.

Ebenfalls mit 60% Wahrscheinlichkeit bezüglich sportlichem Nutzen für den FCZ und wohl ein klein bisschen einfacher zu realisieren als Krollis sind die Sturmkandidaten Mathias Oyewusi (23) und Nicolai Jörgensen (31). Oyewusi ist in der Schweiz bekannt durch seinen Doppelpack gegen Basel mit dem Oli Buff-Klub Zalgiris aus Litauen. Drei Monate vorher hatte Oyewusi in der Champions League-Qualifikation auch schon gegen Malmö getroffen (Zalgiris gewann 1:0 und 2:0), konnte dann aber gegen den späteren FCZ-Gegner Bodö/Glimt nicht nachlegen (0:5, 1:1). Seine zwei Treffer im St. Jakob Park täuschen ein wenig darüber hinweg, dass der grossgewachsene Nigerianer kein klassischer Vollstrecker ist, sondern auf Super League-Stufe wohl als Flügelstürmer besser aufgehoben wäre.

Teddy Okou – Schrittfrequenz wie eine Nähmaschine

Der 31-jährige Nicolai Jörgensen ist ein Landsmann von FCZ-Coach Henriksen. Dies und das Timing könnte dazu führen, dass der FCZ diesen normalerweise für die Zürcher nicht erschwinglichen Stürmer zumindest mal für das nächste Halbjahr engagieren könnte. Jörgensen ist seit ein paar Monaten vereinslos, weil der deutlich über dem FCZ einzustufende FC Kopenhagen keine Verwendung mehr für ihn hatte. Gespräche mit Ligakonkurrent OB hätten sich gemäss Jörgensen zerschlagen. Er tendiert zu einem Wechsel ins Ausland und wäre unter anderem offen für die USA. Jörgensen ist ein technisch und taktisch sehr gut ausgebildeter 1,90m-Mann mit Vergangenheit bei Leverkusen, Kaiserslautern und Feyenoord, wo er vor allem in der ersten von fünf Saisons seine beste Zeit hatte. Jörgensens Spiel kann auch etwas zu lehrbuchmässig daherkommen – es fehlen die für einen Mittelstürmer nicht unwichtigen Haken, Ösen und Überraschungsmomente. Für eine Mannschaft, die Ballbesitz haben will, aber sicherlich auf Super League-Niveau eine gute Lösung.

Teddy Okou ist ein kleingewachsener Forward aus der Region Paris mit der Schrittfrequenz einer Nähmaschine. Im FCZ Forum wurde über den Einsatz des Linksfusses als Aussenläufer und damit Alternative zu Adrian Guerrero debattiert. Auf dieser Position wäre Okou aber sicherlich Fehl am Platz. Er kann hingegen auf allen Positionen vorne eingesetzt werden, am ehesten Flügelstürmer oder Mittelstürmer. Nachdem der heute 24-jährige in Frankreich vom Talentkarussell abgeworfen worden ist, hat er im Januar bei Stade Lausanne-Ouchy unter den Coaches Meho Kodro und Anthony Braizat einen Neustart machen können. Die grosse Frage ist, ob Okou auch in der Super League reüssieren könnte, oder ob die körperlichen Nachteile zu schwer wiegen. Am Einsatzwillen würde es sicherlich nicht mangeln. Okou scheint bereits jetzt in der Challenge League seinen Körper immer wieder ans Limit zu treiben, was nach speziellen Sprints jeweils zu leichten muskulären Problemen auf dem Platz führt.

Iker Pozo – möglicher FCZ-Ergänzungsspieler von Manchester City

Ebenfalls über dem Strich liegt in der Züri Live-Grafik schliesslich Iker Pozo von Manchester City. Die Realisierbarkeit sollte bei ihm das kleinere Problem sein. Der Zentrale Mittelfeldspieler ist teilweise ein ähnlicher Fall wie Arnau Comas vom FC Basel. Im Alter von zwölf Jahren wechselte der 22-jährige Spanier von Real Madrid zu Manchester City und verbrachte dort fast das ganze letzte Jahrzehnt in der Akademie. Bei einer Leihe vorletzte Saison zum holländischen Zweitligisten FC Eindhoven spielte Pozo zum bisher einzigen Mal im Männerfussball. Technisch, taktisch und im Passspiel muss man Pozo sicherlich nicht viel erklären oder vormachen. Ob er sich allerdings auch auf Super League-Niveau durchsetzen könnte, ist unklar. Eine Leihe nach Rijeka ist dieses Jahr im Sand verlaufen. Im Zentralen Mittelfeld hat der FCZ mit Krasniqi / Condé bereits ein talentiertes Duo mit Potential, das sich auch gut ergänzt. Dazu möchte Ole Selnaes trotz bisher durchzogenen Leistungen eine wichtige Rolle einnehmen. Stephan Seiler ist zurück. Pozo könnte da erstmal allenfalls als zusätzliche Alternative fungieren. Zum Ballbesitzfussball würde er passen.

Keep it simple – FCZ beim ersten Test gegen Dornbirn (2:1)

Erster Schneefall beim ersten Test des FC Zürich nach der „Winterpause“ 22/23. Nicht mit von der Partie sind Marchesano, Kryeziu, Hornschuh, Dzemaili, Hodza, Reichmuth, Avdijaj, Kostadinovic und De Nitti. Der Gegner im Heerenschürli ist ein österreichischer Zweitligist aus dem nahen Dornbirn mit Sportdirektor Eric Orie und Coach Thomas Janeschitz (unter Marcel Koller Co-Trainer der Österreichischen Nationalmannschaft und des FC Basel). Bei Dornbirn wird auf dem Platz Schweizerdeutsch gesprochen. Beim FCZ Englisch. Der FCZ hat in der Vergangenheit immer gerne gegen vorarlbergische Zweitligisten getestet, vor allem Austria Lustenau (heute ein Erstligist). Seit den Ligavergrösserungen hat das Niveau der zweithöchsten Liga in Österreich allerdings deutlich abgenommen und das merkte man auch bei diesem Test.

Angriffsauslösung: einfach und vorhersehbar

Trotzdem hatte der FC Zürich Mühe mit dem Gegner. Das lag in erster Linie daran, dass Dornbirn sichtlich motivierter war, in diesem Test auch ein gutes Resultat zu holen. Nach wenigen Trainingstagen überwiegen beim FCZ im Vergleich zu vor der Winterpause die Konstanten. Bo Henriksen lässt seine Mannschaft weiterhin einen ähnlichen Fussball wie Vorgänger Foda spielen. Dazu gehört Ballbesitz und kontrollierter Spielaufbau mit punktuellen Tempoverschärfungen. Schnelles Umschaltspiel sah man nicht. Als „Breitenreiter-Element“ erkennbar war hingegen der Trend zu einer gewissen Einfachheit und Vorhersehbarkeit im Aufbauspiel. Mit der Idee: der Gegner weiss genau, was wir machen, aber wir machen es so gut, dass er es trotzdem nicht verteidigen kann. Man eruiert dabei einzelne hervorstechende Qualitäten von einzelnen Spielern und versucht diese repetitiv wieder und wieder auszunutzen.

Letzte Saison war das zum Beispiel die Aktion Steilpass Marchesano auf Ceesay, der mit dem richtigen Timing hinter die Abwehr in die Tiefe läuft. Gegen Dornbirn hatte der FCZ zwei Standard-Angriffsvarianten – eine für die Erste Halbzeit, die andere für die Zweite. In der Ersten Halbzeit wurde jeweils Linksfuss Selnaes am rechten Flügel angespielt und dieser schlug von dort eine Richtung Tor gezogene Flanke. In der Zweiten Halbzeit wurde Jonathan Okita auf der linken Seite angespielt. Dieser ging ins Eins-gegen-Eins gegen immer denselben Gegenspieler. Unterschiedlich war nur der Zeitpunkt in welchem Okita in die Mitte zieht – und ob er für einen Mitspieler ablegt oder (erfolglos) selber schiesst. Die Repetition immer gleicher Angriffszüge in einem Testspiel muss allerdings nicht zwingend darauf hindeuten, dass man es dann in der Meisterschaft ebenso macht – es kann auch eine in ein Testspiel integrierte Form von Training sein.

Geändertes Aufbauspiel in der 2. Halbzeit

Die taktische Formation war das übliche 3-3-2-2. In der Ersten Halbzeit tauschten die Achter mit den Aussenläufern jeweils die Position, sobald sie in die Angriffszone kamen: der Achter (Selnaes, Seiler) bewegte sich auf den Flügel, der Aussenläufer (Boranijasevic, Guerrero) zog nach innen. Dies ist nicht eine neue Angriffsform. Neu war aber, dass man es bei jedem Angriff so machte – mit Ausnahme ausgerechnet desjenigen, der zum 1:0-Führungstreffer führte. Da blieb Selnaes ausnahmsweise zentral und Boranijasevic lief über aussen durch und spielte mit seinem starken Rechten Fuss von rechts hinter die Abwehr, wo Okita freistehend einschieben konnte.

In der Zweiten Halbzeit wechselte Selnaes von der rechten Achter- auf die Sechserposition und Okita vom Sturm auf die linke Aussenbahn. Ob der 26-jährige auf dieser Position auch defensiv seine Aufgabe zufriedenstellend erledigen könnte, konnte gegen einen Gegner wie Dornbirn nicht getestet werden. Tosin musste im Verlauf der Ersten Halbzeit angeschlagen den Platz verlassen und wurde frühzeitig durch Bohdan Vyunnik ersetzt. Der Ukrainer gefällt wie gehabt durch Engagement und Laufbereitschaft – ebenso fehlt ihm weiterhin häufig noch etwas die Ruhe und das richtige Timing vor dem gegnerischen Gehäuse. Sein 2:1-Siegtreffer entstand eher zufällig als Santini am Ball ausrutschte und dieser so überraschend zu Vyunnik sprang.

Dreierabwehr noch eingerostet beim ersten Test

Santini selbst hat weiterhin grosse Mühe überhaupt ins Spiel zu finden. Fabian Rohner gelang auf der Rechten Seite in der Zweiten Halbzeit mit Ausnahme einer tollen Flanke ebenfalls wenig. Er sollte wie Okita über aussen selbst bis auf Strafraumhöhe vorstossen, was ihm selten gelang. Im Gegensatz zum ersten Durchgang wurde also nach der Pause der Positionstausch zwischen Achter und Aussenläufer nicht mehr vorgenommen: Seiler und Krasniqi versuchten sich durch die Mitte mit Tempodribblings durchzusetzen, was sie recht gut machten. Seiler lässt in der Rückwärtsbewegung aber weiterhin dem Gegner häufig zu viel Raum.

Noch grössere Probleme in der Rückwärtsbewegung hatte die Dreierabwehrkette der Ersten Halbzeit Kamberi – Katic – Sauter. Sie war für den Gegner extrem einfach mit einem langen Ball zu überwinden und stellte sich in den Zweikämpfen auch nicht geschickt an, so dass Dornbirn in den ersten 45 Minuten ohne viel vom Spiel zu haben zu einem Chancenplus kam. Auch das einzige Gegentor entstand aus einer Situation, wo sich die Dreierabwehr im Spielaufbau unnötig in Nöte brachte, worauf der in die Mitte zum Helfen geeilte Boranijasevic in Bedrängnis einen Rückpass spielte, der im eigenen Tor landete, weil Yannick Brecher nicht darauf gefasst war. Omeragic – Mets – Aliti in der Zweiten Halbzeit wirkten etwas sicherer.

Züri Live Stellungnahme zum FCZ Radio-Projekt

Der FC Zürich hat am Dienstag, 6. Dezember 2022 angekündigt, ab Rückrunde mit einem eigenen Radio die Meisterschaftsspiele seiner 1. Mannschaft übertragen zu wollen.

Der FCZ hat Züri Live im Oktober 2021 darüber informiert, dass er ein solches Projekt ins Auge fasst / plant. Es fanden damals diesbezüglich auch zwei Online-Meetings statt. Ob und wenn ja, wann dies umgesetzt wird, war bis vor ein paar Tagen unklar.

Mit den seit 13 Jahren ein FCZ Radio betreibenden Freiwilligen eine gemeinsame Lösung zu entwickeln, stand bei den Meetings nicht zur Debatte. Der FCZ will «im Rahmen der kommunikativen Neuausrichtung» ein selbst kontrolliertes Radio-Projekt aufbauen unter dem Label «von Fans für Fans». Dies ist das gute Recht des FC Zürich und in gewisser Hinsicht verständlich. Es unterscheidet sich aber vom Vorgehen aller anderen Super League-Klubs.

In Basel wird das unabhängige «FCB Live» nicht durch ein Klubradio konkurrenziert. In Bern wurde das ursprünglich unabhängige «Radio Gelb-Schwarz» Schritt für Schritt in die Klubmedien eingebettet. GC, Luzern und St. Gallen wiederum haben in den letzten Jahren «auf der grünen Wiese» reine Klubradios gegründet. Sie vertreten den Klub, werden von ihm betrieben und grosszügig finanziert. Sie sind dadurch automatisch in Themenwahl und Meinungsäusserung limitiert.

Europäische Grossklubs haben schon seit Jahren immer weitergehende Anstrengungen unternommen, um zum Schutz ihrer «Marke» die Berichterstattung zu kontrollieren. Kleinere Vereine folgen diesem Beispiel. Züri Live sieht hingegen weiterhin einen Wert in einer nicht nur frei zugänglichen, sondern auch unabhängigen Live-Berichterstattung über den FC Zürich. FCZ-Interessierte und -Fans kommen somit in der Rückrunde 22/23 bei Meisterschaftspartien der 1. Mannschaft in den Genuss von zwei parallelen Live-Übertragungen.

«Dann geh ins Footeco von GC…»

Blick ins FCZ-Leistungszentrum. Grosses Interview mit dem Leiter Academy, Heinz Russheim – TEIL 4 von 4

Züri Live: Heinz Russheim, wie kommt es überhaupt, dass Brüder in verschiedenen Nachwuchsabteilungen landen?

Heinz Russheim: Zum Beispiel weil der eine FCZ-Fan ist – und der andere GC. 

ZL: Heute sind ja aber die Gebiete für Footeco aufgeteilt…

HR: Ja. Wenn nun aber ein Junge kommt und sagt: «mein Herz schlägt für GC», sage ich: «Dann geh ins Footeco von GC». Ich könnte ihm das theoretisch verbieten, da die Gebiete zwischen den Klubs aufgeteilt sind. Was passiert dann aber? Variante A: Er sagt kategorisch: «Das FCZ-Trikot ziehe ich nicht an». Solche Fälle gibt es. Der würde dann in Wiedikon bleiben und verzichtet aufgrund seiner Liebe zu einem Verein auf Juniorenspitzenfussball. Variante B: Er kommt mit Murren trotzdem, wird aber niemals sein Potential abrufen können, wenn er das Trikot nicht gerne trägt. Darum haben wir schon vor längerer Zeit mit dem Technischen Leiter von GC ein klares Gentlemen’s Agreement gemacht. Wenn ein Talent sagt, es sei ein eingefleischter Fan vom anderen Klub, dann lassen wir ihn dorthin ziehen.

ZL: Die Einteilung in der Region Zürich ist etwas speziell. Der FCZ hat aus der Vergangenheit das Image als «Arbeiterverein», aber beim Footeco-Einzugsgebiet ist es eher umgekehrt. Der FCZ hat die Goldküste, den Züriberg, die schönen Lagen – auch Pfnüselküste, Greifensee und so weiter. GC hingegen hat das Unterland, oder in der Stadt Altstetten und Affoltern, wo eher die «Arbeiter» von heute leben.

HR: Ja, das ist speziell.

ZL: Im Eishockey gibt es ein ähnliches Phänomen: ein teurer Sport, der daher tendenziell von den Kindern der oberen Mittelschicht gespielt wird. Aber die Fans sind eher vom Land. Beim FCZ kommt ein nicht unwesentlicher Teil der eigenen Spieler eher aus bevorzugten Wohngegenden, die Zuschauer hingegen vielfach nicht.

HR: Das war ja damals eine ganz harte Verhandlung. Man kann Fan sein von der beschlossenen Aufteilung oder nicht. Ich respektiere beides. Persönlich finde ich es gut. Denn wenn wir das nicht hätten, müssten wir in der ganzen Grossregion Zürich mit rund 150 Vereinen scouten. Nach Rafz, nach Bülach, überall. Jetzt sind es 42. GC und Winterthur haben die anderen Gebiete. Wir gehen nur noch schauen, ob es bei unseren Vereinen noch mehr Talente hat, die in einer 1. Runde nicht gesehen worden sind.

Die Anzahl Talente im Gesamtgebiet ist fix – obs aufgeteilt ist oder nicht. So ist es effizienter und wir sind näher bei den Leuten. GC und der FCZ haben plus/minus gleich viele Junioren zur Verfügung – gemessen auf Stufe E-Junioren. Die Anzahl Vereine ist nicht bedeutend, sondern die Anzahl E-Junioren. Man weiss: pro 1’000 Junioren gibt es so und so viele Talente. Wie hat man also die Aufteilung gemacht? Man ist zusammengesessen und hat sich gefragt: wo ist GC zuhause? Antwort: im Unterland. Also hat man dort einen Kreis gemacht. Um den FC Winterthur hat man ebenfalls einen Kreis gemacht. FCZ: ebenfalls. Dann fingen die Diskussionen an. Zum Beispiel kann man nicht die ganze Stadt Zürich einem Verein zuteilen. Sonst hätte beispielsweise GC zu wenig. Dann bleibt noch das Oberland, die Pfnüselküste und Goldküste. Da muss man dann die Zuordnung so vornehmen, damit es ein Gleichgewicht  bei der Anzahl E-Junioren gibt.

ZL: Der Standort ist also in erster Linie entscheidend. Heerenschürli und Niederhasli.

HR: Genau. Dann muss man aber auch noch die Partnervereine berücksichtigen. Der Partner des FCZ war früher Rappi. Und Red Star war bei GC. Interessanterweise haben beide Vereine unabhängig voneinander das Gefühl gehabt, der andere Klub wäre der bessere Partner. Rapperswil-Jona ist also vor etwas mehr als zehn Jahren zu GC gekommen. Und Red Star zum FCZ. Wenn also Red Star der Partner ist, macht es ja Sinn, dass man auch gleich die nähere Umgebung als Partner beim Footeco hat. Weil es ein potentieller Standort ist. Und wenn der FCRJ Partner von GC ist, macht es natürlich Sinn, dass die Region rund um den Obersee mit Wangen, Lachen etc. zu GC geht. Die unmittelbar angrenzenden Gemeinden des Oberlands mit Wald und Rüti sind darum ebenfalls GC zugeteilt worden. Beide Vereine wollten eigentlich um keinen Preis zu GC. Das musste man ein bisschen erzwingen.

ZL: Ausgerechnet der Stammklub von Ancillo Canepa….

HR: Ja klar, auch meiner… Dann hat man geschaut, wie weit kann oder muss Winti Richtung GC- und FCZ-Gebiet vorstossen? Die Linie wurde dann bis Effretikon – Pfäffikon ZH gezogen. So ist das Ganze entstanden.

ZL: Aus Pfäffikon kommen doch aber die drei Kissling-Brüder beim FCZ?

HR: Ja, weil Pfäffikon zuvor mal im Einzugsgebiet des FCZ war. Dann hat man das mal bereinigt.

ZL: Für die Partnerklubs ist das Ganze ja auch ein grosser finanzieller Aufwand. Wie wird dies geregelt?

HR: Die erhalten Geld von uns. Für das Label gibt es Subventionen des Verbandes für die U16 und die U15 von Red Star. Das ist klar definiert. Ein U15-Trainer beispielsweise löst CHF 30’000.- aus. Der ganze Betrag, den wir wegen den Mannschaften von Red Star bekämen, gehen direkt zu Red Star. Das hat sich gut bewährt.

ZL: Wie viele Scouts sind insgesamt von Seiten FCZ für die Rekrutierung und Selektion für die Footeco-Stufen unterwegs?

HR: Wir haben einen Pool von 20-25 Leuten, die wir zu den uns zugeteilten Teams in der Region zu E-Junioren und D-Junioren- Spielen senden. Eher selten müssen wir auch noch C-Junioren anschauen. Denn es kann sein, dass ein eigentlicher D-Junior bereits bei den C-Junioren spielt. Diese Scouts sind nicht wirklich Angestellte.

ZL: Sie werden aber schon etwas entschädigt?

HR: Spesenaufwand. Und dann kann einer davon vielleicht noch einen Kaffee trinken, nachdem der Benzintank gefüllt ist. Auf höherer Stufe schauen wir uns dann natürlich die nationale Ebene an. Die harte Realität sieht so aus, dass ein U15-Spieler im Breitenfussball praktisch null Chancen hat, es noch zu schaffen.

ZL: Wobei ich das Gefühl habe, dass die Coca-Cola Liga an Qualität gewonnen hat in den letzten Jahren…

HR: Ja, aber die haben trotzdem praktisch keine Chance mehr. Es kann ausnahmsweise mal sein, da sind wir wieder bei den Beispielen Servette oder YB. Es gibt Spieler, bei denen kein Mensch weiss, warum die nie aufgefallen sind. Dann siehst du einen stämmigen Spieler und denkst: okay, für den Moment reicht es für ihn, es in den Kader zu schaffen. Er kann von der Physis her etwas bringen. Dann bringt er auch den Mitspielern was. Aber wenn es ein kleiner, filigraner ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr klein.

ZL: Weil er die technische Ausbildung nicht hat…?

HR: Ja. Es fehlt einfach das Trainingsalter. Ausnahmen gibt es, wenn einer zu einem frühen Zeitpunkt mental noch nicht bereit dazu ist, seinen Stammverein zu verlassen. Das gibt es ganz selten. Dass einer in der U12 noch nicht will und bis zur U13 wartet. Aber wenn er in der U14 nicht dabei ist, wird es ganz schwierig.

ZL: Nochmal zurück zu einzelnen Brüderpaaren. Die Haile-Selassies gehören zu denen, die zur Zeit auf dem Sprung sind wie ein paar andere Brüderpaare ebenfalls. Wir haben die Reichmuth-Brüder. Oder Hodzas. Was gibt es zu diesen Spielern zu sagen?

HR: Dass alle aufgezählten in dieser letzten Saison Freude gemacht haben. Bei den Reichmuths: einer ist ausgeliehen, der andere bei der 1. Mannschaft dabei. Es wäre sensationell, wenn es wieder einer packt für die 1. Mannschaft. Bei Haile-Selassie wurde der eine wegtransferiert, der andere stösst Richtung 1. Mannschaft. Ob er es schaffen wird, kann ich nicht beurteilen. Mirlind Kryeziu beispielsweise hatte lange Zeit Schwierigkeiten, sich zu etablieren. In der Meistersaison war er dann eine Säule der Mannschaft. Weil ein Trainer gekommen ist, der in ihn als Fussballer vernarrt war. Das gibt Rückenwind. Dass nicht alle Trainer gleich auf einen Spieler ansprechen, ist menschlich. Es soll keiner kommen und behaupten, er behandle alle gleich. Das gibt es nicht. Das Ziel muss sein, alle gleich FAIR zu behandeln. Das Potential haben alle. Von fünf bis sechs Spielern, die das Potential haben, wird am Ende nur einer oder zwei sich durchsetzen.  

ZL: Mit Maren Haile-Selassie habe ich ein paar mal geredet und habe ihm gesagt, dass ich bei seinem jüngeren Bruder Kedus etwas mehr Talent sehe. Und er hat dies sicherlich nicht nur von mir gehört. Ich hatte schon das Gefühl, dass ihn das nochmal am Ehrgeiz gepackt hat. Zuvor hatte er etwas zu wenig aus seinen Möglichkeiten gemacht. Als dann der jüngere Bruder angefangen hat von unten Richtung 1. Mannschaft zu pushen, scheint Maren nochmal einen Schub bekommen zu haben.

HR: Die grosse Frage ist: «Was ist ein Talent?». Ein Talent ist ein Mensch, der in seinem Gebiet überdurchschnittliche Ansätze hat. Was braucht es für den Fussball? Man kann das anhand des aus Holland stammenden TIPS-Schemas evaluieren. «T» steht für Technik. Da sind fünf Elemente drin. Ich kann in einem Element top sein und in den anderen vier nicht. Da ist es dann fragwürdig, ob man von einem Talent sprechen kann. «I» steht für Intelligenz / Kognition / taktisches Verständnis, «P» für Persönlichkeit, «S» für Schnelligkeit. In Holland sind sie zum Schluss gekommen, dass für die Talentdiagnostik Schnelligkeit der entscheidende Faktor ist, «S» steht aber auch allgemein für Athletik.

Es reicht nicht, wenn ich in einem der Bereiche weit überdurchschnittlich bin und in einem anderen weit unterdurchschnittlich. Man darf keinen Bereich haben, der «unter die Tischkante fällt». Ein einziger leistungslimitierender Bereich kann den Weg in die Super League verbauen. Alle Bereiche «knapp über der Tischkante» nützt aber auch nichts. Dann bräuchte ich zwingend mindestens einen, in dem ich beinahe unwiderstehlich bin. Es gibt aber auch Talente, die haben keinen unwiderstehlichen Bereich, sind aber in allen Bereichen gut bis sehr gut. Dominant bei Spielern ist letztendlich der Faktor Mentalität – analog der Sozialkompetenz bei den Trainern. Ohne Mentalität nützt der ganze Rest nichts. In allen Bereichen muss man «über der Tischkante» sein und im Endeffekt hilft die Mentalität, all diese Bereiche auszuprägen. Und das ist eben auch ein Talent.

TEIL 1: «Die Sozialkompetenz wird zu wenig berücksichtigt»

TEIL 2: «Wir sind nicht Ajax»

TEIL 3: «Bei Zwillingen wird es irgendwann schwierig»

«Bei Zwillingen wird es irgendwann schwierig»

Blick ins FCZ-Leistungszentrum. Grosses Interview mit dem Leiter Academy, Heinz Russheim – TEIL 3 von 4

Züri Live: Kommen wir zum Fokusthema dieses Interviews: Brüderpaare – und Schwestern. Aktuell gerade Liliane und Sydney Schertenleib. Die jüngere, Sydney, hat die letzte Saison bei den Jungs in der U15 gespielt. Am FIFA/Blue Stars U19-Frauenturnier war sie als 15-jährige aus meiner Sicht eine der zwei besten Spielerinnen…

Heinz Russheim: Ja, sie ist in der aktuellen Saison bei den Jungs in der U16, und wir schauen wie lange es geht. Wenn sie dieses Niveau bis Ende Saison mitgehen könnte, wäre das phänomenal, einmalig. Es ist immer noch so, dass bei den Jungs ein anderer Fussball gespielt wird, auch wenn bei den Mädchen das Niveau ebenfalls steigt. Es gibt keinen Grund, ein Mädchen, welches gut genug ist, nicht zu integrieren. Sie nimmt dadurch natürlich einem Jungen den Platz weg. Aber es gibt keinen «Sozialplatz» für die Jungs. Für Mädchen auch nicht. Und mit dem Spielerpass gibt es auch keine Probleme, da es keinen Vereinswechsel braucht.   

ZL: Ähnlich ist es ja für die Jungs. Sie profitieren davon, wenn sie so früh wie möglich wettkampfmässig mit und gegen Männer spielen können. Das scheint mir ein Vorteil der Schweiz gegenüber Ländern wie England zu sein. Schweizer Toptalente, die früh in die Akademien von Premier League-Klubs wechseln, stagnieren dort in der Regel und werden von weniger talentierten Gleichaltrigen, die in der Schweiz geblieben sind, in der Entwicklung überholt.

HR: Ja, das ist die Frage: was wäre passiert, wenn diese Toptalente in der Schweiz geblieben wären?

ZL: Man sieht es an Beispielen wie Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri. Sie haben die ganze Nachwuchsausbildung in der Schweiz durchlaufen und sich dann über die Super League bei den Profis etabliert. Sie sind heute die Leistungsträger der Nationalmannschaft.

HR: Die richtigen Karriereentscheidungen zu fällen, gehört halt eben auch zu den Eigenschaften eines echten Toptalentes.

ZL: Auf den ersten Blick scheint mir, dass es beim FCZ so viele Brüderpaare gibt wie bei keinem anderen Klub. Woher könnte das kommen?

HR: Zufall. Ob wir wirklich mehr haben als andere Vereine kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Gefühlsmässig haben wir relativ viele. Einen Grund dafür finde ich aber nicht. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass ein jüngerer Bruder ein guter Fussballer wird, wenn der ältere auch gut ist. Denn der jüngere eifert häufig dem älteren nach. 

ZL: Gibt es auch den Fall, dass der jüngere Bruder als Talent entdeckt wird, und dann holt man im Nachhinein auch noch den älteren dazu? 

HR: Bei uns gibt es keinen Freipass für einen Bruder. Das wäre völlig falsch. Ein einfallsloses Auswahlkriterium. Wir haben eine begrenzte Anzahl Ausbildungsplätze. Wir nehmen diejenigen, die es verdient haben.

ZL: Das kann ich als Beobachter von aussen bestätigen. Die beim FCZ spielenden Brüder haben alle ihren Platz verdient. Manche gehören gar zu den Besten ihres Jahrganges. Wird es aber vielleicht in den Stammklubs in der Region zum Gesprächsthema unter den Gleichaltrigen, wenn der jüngere Bruder ein, zwei Jahre nach dem älteren auch noch zum FCZ wechselt?

HR: Bei uns ist es so, dass wirklich alleine die Qualität entscheidet. Ich weiss schon, dass im Schweizer Fussball manchmal Geschichten kursieren. Dass Eltern sagen: «der Talentierte kommt nur zu Euch, wenn ihr den Bruder auch nehmt». Ich habe null Sympathie für so eine Entscheidung. Aber ich weiss, wie das Geschäft läuft.

ZL: Interessant finde ich die Dynamik zwischen dem älteren und dem jüngeren Bruder…

HR: …es gibt ja auch noch Zwillinge….

ZL: Genau. Die Freis – und die Elvedis früher…

HR: Ja. Dort ist Jan dann weggegangen…

ZL: ..nach Winterthur…

HR: Ja. Inwiefern das sein musste, weiss ich nicht. Da war ich nicht involviert.

ZL: Der Vater war damals ja auch beim FCZ.

HR: Ja, er ist jetzt noch hier. Aber es war auf jeden Fall der einzig richtige Entscheid. Wenn Brüder altersmässig auseinander sind, dann geht’s. Bei Zwillingen hingegen wird es irgendwann mal schwierig. Nehmen wir als Beispiel das Zwillingspaar Filip und Luka Frei. Die habe ich auseinandergenommen. Das Problem ist: irgendwann kommt ein Verein und sagt: «wir wollen den Einen hier verpflichten – und den Anderen nicht». Bei einem internationalen Transfer kann man nicht zwei «im Multipack» verkaufen. Und dann würde es sehr schwierig, wenn die zwei das vorher nicht schon gelernt haben.

Wir haben die beiden auseinandergenommen nach der U16. Der eine ging in die U17, der andere in die U18. Es war ein Kampf, weil die beiden unbedingt zusammenbleiben wollten. Es gab auch Diskussionen mit den Eltern und dem Spielerberater. Nach einem halben Jahr sind dann diejenigen Beteiligten, die ursprünglich am kritischsten waren, gekommen und haben gesagt, dass es der einzig richtige Entscheid war. Es war positiv in jeder Beziehung. Die beiden haben immer noch eine enge Beziehung, aber sie konnten im Fussball eine eigene Identität entwickeln. Anders ist es nicht möglich. Bei den Elvedis ging einer zu einem anderen Verein. Letztendlich geht es um das Individuum. Dann haben wir die Brüder Janko…

ZL: Die sind ziemlich weit auseinander.

HR: Ja. Da ist natürlich die Problematik viel kleiner. Wir hatten aber auch Geschwisterpaare oder Cousin / Cousine. Wie Djibril und Coumba Sow.

ZL: Cavars sind ein Beispiel für Geschwister.

HR: Ja. Marin ist schon länger weg.

ZL: Jetzt sind noch Martina und Mihael da.

HR: Mihael ist in der U16. Dass es Geschwister sind, hat bei uns auf die Auswahl keinen Einfluss. Dafür würde ich beide Hände ins Feuer legen.

ZL: Wir publizieren bei Züri Live ja einen monatlichen Podcast. Eine Ausgabe war mit dem Spielerberater Dino Lamberti. Er betreut gleich zwei FCZ-Brüderpaare, die beiden Hodzas und die beiden Di Giustos. Für mich haben alle vier gemeinsam, dass sie neben ihren sonstigen Qualitäten alle eine sehr gute Mentalität mitbringen. Ist es in der Beziehung des Klubs mit den Eltern einfacher, wenn es um den jüngeren Bruder geht? Sie haben ja den ganzen Prozess bereits mit dem älteren durchgemacht.

HR: Ob das wirklich einfacher ist, weiss ich nicht. Würde ich nicht so unterschreiben. Es gibt schon Konstellationen, wo es schwieriger sein könnte: wenn der Ältere top ist und der Jüngere nicht. Ich kenne keinen konkreten Fall, aber theoretisch könnte von Angehörigen gesagt werden: «der Erste bleibt nur, wenn ihr den zweiten auch aufnehmt». Ich kenne keinen solchen Fall. Wenn es so wäre, dann würde ich dem nicht zustimmen. Dann müsste unter Umständen der Ältere wieder gehen. Erpressen lasse ich mich nicht.

Bei Matteo und Nevio Di Giusto war der Jüngere zuerst bei GC, der Ältere bei uns. Der Jüngere ist dann auch zu uns gekommen, weil für die Familie der Aufwand mit Jungs bei zwei verschiedenen Klubs zu gross war. Wenn die Mutter den Einen fahren muss und der Vater den Anderen… Wir wussten, dass beide gute Fussballer sind. Über die Qualitäten des Jüngeren mussten wir nicht lange diskutieren. Die waren top. Der Impuls kam von der Familie, dass entweder beide zu GC sollen oder beide zum FCZ.

ZL: GC wäre ja eigentlich von Baden aus etwas näher gewesen….

HR: Ja, das ist so. Der Jüngere war schon früh bei GC, als wir den Älteren von Baden geholt haben. Da kommt man als Familie natürlich in die Zwickmühle. Das kann man nicht bewältigen. Sowohl Niederhasli wie auch Schwamendingen lagen nicht gerade am Weg.

ZL: Bei den Rodriguez-Brüdern war es auch schon so, dass der Älteste bei GC war, der Mittlere beim FCZ,…

HR: Das ist dann aber natürlich nicht so ein Problem. Ricardo musste niemand ins Training fahren. Er hat im Quartier gewohnt. Höchstens Roberto musste zu GC gebracht werden.

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TEIL 1 von 4 – «Die Sozialkompetenz wird zu wenig berücksichtigt»

TEIL 2 von 4 – «Wir sind nicht Ajax»

«Wir sind nicht Ajax»

Blick ins FCZ-Leistungszentrum. Grosses Interview mit dem Leiter Academy, Heinz Russheim – TEIL 2 von 4

U16 vor siegreichem Cupfinal gegen Team Vaud / Lausanne-Sport in Biel

Züri Live: Heinz Russheim, die 1. Mannschaft und die Frauen waren in der Saison 21/22 zusammen noch nie erfolgreicher. Wie lief es im Nachwuchs?

Heinz Russheim: In Bezug auf den sportlichen Erfolg: U16 Cupsieger und im Meisterschaftsfinal, U18 im Meisterschaftsfinal, U15 in der Ostgruppe auf dem 1. Rang, die 2. Mannschaft der U15 spielte ebenfalls in der Elitegruppe, war sogar vorne mit dabei – und erreichte zusätzlich den Cupfinal. Das ist der Beweis, dass gut gearbeitet wurde. Allerdings nicht in erster Linie in Bezug auf diese Saison. Man kann kurzfristig an gewissen Dingen schrauben, aber die Saat, die wir heute in der U15 bis U18 ernten, wurde vor drei bis vier Jahren gesetzt. Die Erfolge mit all diesen Teams sind schon ein klares Zeichen, dass wir zuvor auf der Stufe Footeco (FE-12 bis FE-14) sehr gut gearbeitet haben – und danach in der Academy auch.

Wir beobachten natürlich, was sich im Fussball entwickelt und wie wir uns in der Ausbildung verbessern können. Wir haben daher zuletzt wieder gewisse Anpassungen vorgenommen. Die Resultate davon ernten wir dann wiederum in etwa drei bis vier Jahren.

ZL: Ist zum Beispiel der physische Aspekt ein Bereich, den man noch mehr gewichten muss?

HR: Nein. In diesem Bereich sind wir schon seit Jahren top. Das Team um Dorjee Tsawa macht einen Riesenjob. Natürlich entwickeln wir uns weiter. Aber eine grosse Änderung haben wir nicht vorgenommen. Im Gegensatz zur Spielanalyse bei den Academy-Mannschaften. Das ist sozusagen das «i»-Pünktchen der Ausbildung: filmen und analysieren der eigenen Spiele, teilweise auch von Gegnern. Bis zur Coronapause haben wir zwar unsere Spiele auch gefilmt, besprochen und analysiert – aber nicht so wie heute. Letzte Saison haben wir da einen Sprung nach vorne gemacht. Auch die Betreuung der Talente mittels Talentmanagement wurde intensiviert.

ZL: Ich habe aber schon das Gefühl, dass beispielsweise YB bei der Selektion der Talente stärker auf den physischen Aspekt schaut.

HR: Das muss ich auch annehmen, wenn ich mich beispielsweise an den U18-Final erinnere, den wir zusammen in Bern gesehen haben. Möglicherweise wechseln dort auch einfach grössere Spieler aus der Region in den Klub. Dazu kommt: nur schon ein Südeuropäer ist im Vergleich mit einem Zentraleuropäer mit 16 Jahren im Schnitt körperlich weiter entwickelt. Bei afrikanischstämmigen Talenten ist es noch extremer. Beim U16-Final in Genf gegen Servette waren wir ja ebenfalls beide. Servette setzte acht afrikanischstämmige Spieler ein, sieben davon waren gleichzeitig auf dem Platz. Das macht einen Unterschied. Genf hat eine ganz andere Bevölkerungszusammensetzung als Zürich. Basel mit den grenznahen französischen und deutschen Gebieten auch. Das sind die Fakten. Schlussendlich ist es weder ein Vor-, noch ein Nachteil. Ich beschäftige mich nicht damit, was die Anderen allenfalls mehr haben. Wir schauen auf das, was wir haben. Wir haben eine gute Situation. Wenn allerdings all diese grossen, stämmigen Spieler bei YB und Servette dann tatsächlich in der 1. Mannschaft landen würden, müssten wir uns schon Gedanken machen. Das ist aber nicht der Fall. So relativiert sich das Ganze.

ZL: Auf Stufe Footeco gibt es keine Tabellen. In der Academy scheint der sportliche Erfolg aber durchaus auch ein wichtiger Aspekt zu sein. Ich hatte in den letzten Jahren das Gefühl, dass sich die FCZ Academy-Teams ähnlich wie die 1. Mannschaft in K.O.-Spielen im Vergleich zu normalen Wettbewerbspartien am meisten steigern. Wird im Hinblick auf die Profikarriere speziell ein Fokus darauf gelegt, dass die Talente lernen, im richtigen Moment die beste Leistung abzurufen?

HR: Grundsätzlich haben in der Academy die langfristigen Aspekte Vorrang vor den kurzfristigen. Während der regulären Meisterschaft arbeiten wir mit Sechs- oder Vierwochenplänen und wollen so das Beste herausholen. Man kann sich voll auf die Ausbildung fokussieren und das zahlt sich dann auch aus. In den Playoffs hingegen heisst es «heute oder nie», das Resultat ist am Tag X gefragt. Das beisst sich ja gegenseitig nicht.

ZL: Dieses «heute oder nie» kann man als Teil der Ausbildung betrachten…

HR: Für mich ist das mit den Playoffs in der Academy eine sehr gute Lösung des SFV. Nicht alle sind dieser Meinung, auch beim FCZ nicht. Das respektiere ich. Ich persönlich finde es gut. Es gibt dann nicht mehr ein «nächstes Spiel». In so einem Final wie gegen YB oder Servette mit der U18 oder U16 kann alles passieren. Aber neu werden die Playoff-Partien im Viertelfinal und Halbfinal ja in Hin- und Rückspiel ausgetragen. Wenn eine Mannschaft besser ist, setzt sie sich in zwei Spielen durch. In einem Spiel kann etwas Unvorhergesehenes passieren.

ZL: Allerdings hat Qualifikationssieger FCB U16 gegen den FCZ in den Playoffs im Hinspiel beim 2:6 einen schlechten Tag erwischt, und sie konnten diesen grossen Ausrutscher dann nicht mehr drehen…

HR: Ja, aber wenn man es richtig macht, passiert so etwas nicht. Wir haben es in dieser Partie richtig gemacht, Basel nicht so sehr. Sie waren bis dahin aufgrund der Tabelle klar die beste Mannschaft, hatten einen grossen Vorsprung. Dahinter herrschte aber eine grosse Leistungsdichte. Die Jungs müssen lernen, wie es ist, gewinnen zu MÜSSEN – nicht nur zu sollen oder zu wollen. Die Playoff-Situation ist attraktiv und in der Ausbildung wichtig. Selbst wenn wir vom FCZ nach der Qualifikation mal Erster sein sollten und am Ende dann eben nicht mehr. Dieses Jahr waren die Finalsieger in der Qualifikation beide besser klassiert, als die Finalgegner.

ZL: Die 2. Mannschaft auf Stufe U15 wurde vorhin kurz erwähnt. Wie wird diese zur Zeit überhaupt zusammengestellt?

HR: Über das Label müssen wir Partnerschaften haben. Wir haben eine Partnerschaft mit Red Star. Das ist nun quasi unsere dritte U15-Mannschaft. Vor zwei Jahren haben wir entschieden, einen Versuch zu machen mit 1. Mannschaft und 2. Mannschaft auf dieser Stufe. 21/22 gab es dann die Möglichkeit, dass die 2. Mannschaft («FCZ Oberland») in der gleichen Gruppe spielt, wie die Erste. Das gab es vorher nicht. Vorher waren alle Hauptvereine der Partnerschaften in der «Gruppe A». Jetzt gibt es neu eine West- und eine Ostgruppe. Damit es genug Teilnehmer gibt, wurde ermöglicht, dass drei Klubs auch eine 2. Mannschaft auf dieser Stufe anmelden dürfen. Aufgrund der Qualität, die wir zur Verfügung hatten, haben wir uns gemeldet. Wir waren nicht sicher, wie es rauskommen würde. Letztendlich können wir aber konstatieren: Top! Wir haben mit der 2. Mannschaft alle grossen Gegner zumindest ärgern können, Luzern und GC gar geschlagen. In der Liga waren wir mit dem «Zwei» vorne dabei und im Cup sogar im Final.

ZL: Registriert ist dieses Team aber unter dem FC Bauma….

HR: Das ist eine rechtliche Angelegenheit. Es darf nicht zwei Teams mit dem gleichen Namen geben. Wir wollten drei Mannschaften haben und deshalb haben wir neben Red Star noch einen Breitenfussballverein gesucht, der uns unterstützt.

ZL: 21/22 ist mir aufgefallen, dass sich einzelne Academy-Mannschaften zumindest phasenweise am aktuellen Spielsystem der 1. Mannschaft orientiert haben. Was ist da in der Academy die Grundidee? Soll langfristig durch den ganzen Klub ein System durchgängig umgesetzt werden oder sollen die Jungen eine Vielfalt an Systemen einüben?

HR: Man muss die Ausbildung immer wieder hinterfragen, sonst kommt man nicht vorwärts. Bis anhin haben wir es so gemacht, dass bis und mit U16 die gängigen Systeme umgesetzt wurden. U14 (als noch im 11er-Fussball gespielt wurde) und die U15 zwingend 4-4-2. Bei der U16 wird im Herbst ein halbes Jahr mit Dreierverteidigung ausgebildet, die Rückrunde dann mit Viererkette. Ab der U17 kann der Trainer frei entscheiden. Aus pädagogischen Gründen soll dabei aber mit demselben System mindestens sechs Wochen am Stück durchgespielt werden. Dann lernt man es besser, als wenn von Spiel zu Spiel immer wieder gewechselt wird. So sollte dann ein Spieler auch in taktischer Hinsicht für unsere 1. Mannschaft bereit sein. Wir haben nicht wie bei Ajax das Prinzip, dass der Klub das System der 1. Mannschaft bestimmt, und der Trainer sich danach zu richten hat. Wenn die Trainer in der 1. Mannschaft also unterschiedliche Ansätze verfolgen, müssen auch die Talente variabel ausgebildet werden.

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TEIL 1 von 4 – «Die Sozialkompetenz wird zu wenig berücksichtigt»

«Die Sozialkompetenz wird zu wenig berücksichtigt»

Blick ins FCZ-Leistungszentrum. Grosses Interview mit dem Leiter Academy, Heinz Russheim – TEIL 1 von 4

Wer ist das Herz eines Vereins? Einige würden sagen: die 1. Mannschaft. Für andere ist es die Vereinsführung. Die Dritten meinen: natürlich die Fans! Es gibt aber auch noch eine vierte Sichtweise: die Nachwuchsabteilung! In ihr entwickeln sich die zukünftigen Identifikationsfiguren und Botschafter des Klubs. Sie tragen schon seit früher Jugend das Vereinswappen auf der Brust und in jeder Altersstufe heisse Derbys aus. Sie sprechen die Sprache der Fans und können auswärtige Zuzüge in den Klub einführen. Die Juniorenabteilung bildet ausserdem die handfeste Verbindung zur aktiven Fussballfamilie der Region. Jeder Amateurverein ist stolz, wenn er einen eigenen Jungen in den Profiklub bringen kann.

Blerim Dzemaili (Oerlikon, Unterstrass, YF Juventus), Fabian Rohner (SV Höngg) und Gianni De Nitti (Red Star) stammen von Stadtvereinen. Lindrit Kamberi (Volketswil), Selmin Hodza (Uster), Ilan Sauter (Maur) und Yanick Brecher (Männedorf) aus der Agglomeration. Mirlind Kryeziu und Bledian Krasniqi können sich hingegen an ihr Leben vor dem FCZ fast nicht erinnern. Sie traten praktisch gleichzeitig in die Schule und den Stadtclub ein. Miguel Reichmuth kam mit 12 Jahren vom schwyzerischen Ibach. 

Leiter Academy Heinz Russheim vor dem Home of FCZ

Leiter Academy beim FC Zürich ist Heinz Russheim. Seit mehr als 11 Jahren im Verein, seit April 2013 als Technischer Leiter. Anders als die Mehrheit seiner Pendants bei Schweizer Klubs bringt Russheim einen fundierten pädagogischen Background mit: Sportlehrerstudium an der ETH, Tätigkeit als Lehrer und Ausbildner in der Allgemeinbildung an Berufsschulen, beim Bundesamt für Sport oder an der ETH. Bis 2009 hat er noch selbst Schule gegeben. Der FCZ gehört seit vielen Jahren im Nachwuchsbereich zu den besten Ausbildungsklubs der Schweiz und führt das Label des Schweizerischen Fussballverbandes als eines der Nationalen Leistungszentren. Russheim hat Heinz Moser als neuen Leiter Entwicklung zur Seite gestellt erhalten, der vom SFV kommend das Konzept gleich selbst in einem Klub in die Tat umsetzen kann. Moser ist zuständig für «den Roten Faden» durch den ganzen Klub inklusive Frauen und Profis und die langfristige Entwicklung. Russheim ist der Leiter des Nachwuchsbereiches der Jungs (Academy und Footeco), in welchem auch ein paar der talentiertesten Mädchen aktiv sind.

Züri Live: Heinz Russheim, wir befinden uns im dieses Jahr neu eröffneten «Home of FCZ». Der FC Zürich hat als erster von mehreren Vereinen das Zertifikat «Leistungszentrum» vom Schweizerischen Fussballverband erhalten. Muss man nun Jahr für Jahr «zittern», ob man das Label wieder erhält, oder ist dies mit dem aktuellen Angebot gesichert?

Heinz Russheim: Das ist zur Zeit ziemlich fix. Als wir uns 2015 beworben haben, konnten wir darlegen, dass wir alle Kriterien erfüllen. Wir erfüllten sie bereits, bevor es das Label überhaupt gab. Und es gibt nicht Jahr für Jahr wieder neue Kriterien. U16-, U18- und U21-Trainer müssen festangestellte Profis sein. Auch den Talent Manager, Leiter Goalies oder Leiter Athletik hatten wir schon vorher zu 100% angestellt. In einem Leistungszentrum darf man diese Rollen nicht auf verschiedene Personen splitten.  

ZL: Zuletzt wurde heiss über den Super League-Modus diskutiert. Für den Ausbildungsbereich scheint aber vor allem die Aufstockung der Super League auf 12 Mannschaften nicht ungefährlich zu sein. Das Geld für die Jugendakademien kommt ja letztlich aus dem Profifussball. Wenn Klubs wie Aarau, Thun, Xamax, Wil, Schaffhausen oder Vaduz durch das Fehlen der besten zwei Gegner weniger Einnahmen generieren, kriegen sie dann nicht Probleme mit der Finanzierung ihres Spitzenjuniorenbereiches?

HR: Da müsste man die Einnahmenstruktur analysieren. Wenn durch die zwei Top-Klubs, die in die Super League verschwinden, in der Challenge League die Zuschauerzahlen sinken, dann hätte das schon einen negativen Einfluss auf die Finanzierbarkeit der Nachwuchsabteilungen. Wenn aber die Zuschauereinnahmen keinen wesentlichen Teil des Budgets abdecken, sehe ich nicht einen riesigen Einschnitt – ausser die Sponsoren würden aufgrund des Zuschauerrückgangs und damit verminderter Attraktivität die zugesprochenen Gelder ebenfalls kürzen.  

ZL: Was hat sich für Dich persönlich mit dem Einzug ins Home of FCZ verändert?

HR: Die Wege sind natürlich wesentlich kürzer geworden. Bisher habe ich jeweils gependelt. Am Mittwoch bin ich beispielsweise um 8 Uhr im Heerenschürli ins Training, dann in die Geschäftsstelle im Stadtzentrum und dann um 13 Uhr wieder raus nach Schwamendingen fürs Nachmittagstraining. Auch die Kommunikation intern ist direkter. Wenn es etwas mit der Buchhaltung zu diskutieren gibt, kann man drei, vier Zimmer weiter schnell fragen gehen und muss kein Mail schreiben. 

ZL: Nicolas Chappuis hat den Sprung in den Staff der 1. Mannschaft geschafft – ein Verlust für die Academy?

HR: Ja klar. Einerseits ist jeder, der raufgeht, grundsätzlich ein Verlust. Andererseits ist es ein gutes Zeichen für die Academy. Ich mag mich noch erinnern, als Chappuis vor etwa acht Jahren von Etoile Carouge in die U14 gekommen ist. Er war Assistent von Magnin. 2018 als Magnin in die 1. Mannschaft befördert wurde, hatten Chappuis und ich zwei Wochen lang die U21 zusammen. Erst ich mit ihm als Assistent, dann er mit mir als Assistent. Dann war er Assistent bei Massimo Rizzo’s U18 und letzte Saison U17-Cheftrainer, dazu verantwortlich für das technische Equipment und die Spielanalysen. Wenn die 1. Mannschaft jemanden aus dem Academy-Staff «absaugt», ist das für mich nicht primär ein Verlust. Ich habe gegenüber Ancillo und Heliane Canepa immer betont, dass für jede Position in der 1. Mannschaft ein valabler Kandidat im Nachwuchs vorhanden sein sollte – egal ob Konditionstrainer, Cheftrainer oder Goalietrainer.

Nicolas Chappuis, Spielanalyst der 1. Mannschaft

ZL: Was sind die Kriterien, auf die beim FCZ bei der Trainerauswahl für die Academy am meisten geachtet wird?

HR: Die Diplome sind vorgegeben, da gibt es Mindestanforderungen: ab U16 aufwärts das A-Diplom. In den Stufen darunter gibt es ebenfalls die entsprechenden Auflagen (B-Diplom). Durch das Bestehen der Prüfung beweist ein Trainer, dass er die notwendige Fachkompetenz hat. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen «sehr gut» oder nur «knapp» bestehen. Aber die Prüfung ist nur eine Momentaufnahme. Ein Tag. Eine 5,5 ist zwar für den Moment besser als eine 4,5, aber der Kandidat hat vielleicht ein ganz anderes Prüfungsthema erwischt, als sein Studienkollege. Es heisst noch gar nicht, dass er dann auch der bessere Trainer sein wird. Für mich wird die Sozialkompetenz immer wichtiger. Der Umgang mit den Spielern ist zentral.

ZL: Und dies täglich…

HR: Ja. Ich hatte grad gestern ein Gespräch mit einem Gymischüler bei uns. Die haben über 30 Stunden Schule, dazu Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung. Und trainieren bei uns vier Mal abends. Wenn dann einer mal etwas müde ist, muss der Trainer die Empathie mitbringen, dafür Verständnis zu haben. Das hat man als Trainer und Mensch – oder man hat es nicht. Beim A-Diplom lernt man das auf jeden Fall nicht. Fordernd kann man trotzdem sein. Aber Verständnis für die Chancen, Gefahren, Freuden und Ängste der Jugendlichen muss vorhanden sein, und der Trainer muss damit umgehen können.

ZL: Bei einem Profiklub wie dem FCZ gibt es Legenden, Spieler mit Verdiensten, die man aufgrund der Klubpolitik gerne nach der Spielerkarriere in der Organisation halten möchte. Man kommt dann auf der Suche nach einer passenden Position schnell mal auf die Idee «Nachwuchstrainer» – obwohl der Ex-Profi möglicherweise nicht die beste Besetzung dafür ist. Hat sich in diesem Punkt mittlerweile etwas getan? Hat ein von der Sozialkompetenz und Pädagogik her starker Nachwuchstrainer eines kleinen Vereins aus der Region gute Chancen, sich in der Auswahl der Bewerber gegen einen Ex-Profi durchzusetzen?

HR: Wenn man keinen Hintergrund als Spielerprofi hat, ist es sehr schwer, bei den Grossvereinen reinzukommen. Wir hatten Fischer, Magnin oder Petrosyan. Colatrella hat ebenfalls in der obersten Liga gespielt, Romano war auch Profi.

ZL: Zumindest von der U15 an abwärts scheint es aber weniger Ex-Profis auf der Trainerposition zu geben…

HR: Ja, U15 kommt mir jetzt auch grad keiner in den Sinn. Der Einstieg ist aber meist in der U14 – und dann geht es direkt in das Leistungszentrum (U16). Man muss wissen: vor etwa 20 Jahren war die Philosophie des SFV, möglichst vielen ehemaligen Super League- und sowieso National-Spielern den Einstieg als Trainer zu ermöglichen. Denn diese haben die Erfahrung beispielsweise auch vor 50’000 Zuschauern zu spielen. Sie wissen, was auf dem Platz abläuft. Sie haben einen grossen Rucksack. Sie haben das Fachliche als Profispieler selbst erlebt und umgesetzt: «Was mache ich im Pressing? Wohin stehe ich? Wie verteidige ich?». Grundsätzlich alles. Das war die Stossrichtung.

Meines Erachtens hat man etwas zu wenig darauf geachtet, dass die Sozialkompetenz die dominante Qualität ist, die ein Nachwuchstrainer haben muss – ganz klar wichtiger als vieles andere. Diese Meinung wird nicht von allen geteilt. Natürlich muss ein Nachwuchstrainer im Spitzenjuniorenfussball eine Ahnung davon haben, was auf dem Fussballplatz abläuft. Aber das Pendel schlägt für mich zu stark in Richtung ehemalige Top-Spieler aus. Der Umgang mit einer U16 oder U18 ist nicht das Gleiche, wie mit der 1. Mannschaft. Sie trainieren zwar gleich viel, aber der Juniorenspieler macht nebendran noch eine Lehre, geht in die Schule, ist in der Entwicklung, in der Pubertät – das braucht vom Trainer spezielle Kompetenzen.

Thomas Tuchel oder Julian Nagelsmann waren als Spieler nicht auf dem Niveau ihrer jetzigen Mannschaften. Sie arbeiten erfolgreich, weil sie einen sehr guten Umgang mit ihren Spielern pflegen. Franz Beckenbauer vertraute als DFB-Teamchef fast ausschliesslich auf seine Sozialkompetenz. Das Training leitete ein Anderer.

ZL: Gut mit Jugendlichen umgehen zu können, ist eine spezielle Qualität… In gewisser Hinsicht schwieriger als mit Männern.

HR: Was heisst schwieriger? Das würde der Aufgabe der Eins-Trainer auch nicht gerecht. Dort kann man beispielsweise auch einmal eine «Diva» in der Mannschaft haben. Wie geht man damit um?

ZL: Im Nachwuchs hat man natürlich als Trainer etwas mehr Autorität und Möglichkeiten, Druck auszuüben. In der 1. Mannschaft ist der Trainer wohl das schwächere Glied im Mannschaftsgefüge. 

HR: Das ist zwangsläufig so. Wenn’s nicht läuft, dann muss bei den Profis immer wieder der Trainer gehen. Auch wenn es häufig nicht die richtige Entscheidung ist.

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