St. Gallen revolutionär, der FCZ differenziert / FCZ – St. Gallen in der Züri Live-Analyse

Die Auftritte des FC St. Gallen sind immer wieder beeindruckend: das Tempo, die Athletik, die Laufbereitschaft und Kompromisslosigkeit. Mit vielen kleineren und grösseren innovativen Herangehensweisen und Prinzipien brechen sie über Jahrzehnte eingeschliffene Spielweisen und Gewohnheiten auf. Sie zwingen ihren Gegnern damit einen Fussball auf, der den Stempel der Unterhaltungsgarantie trägt. Die Liga sollte den Ostschweizern dafür dankbar sein. Das fängt bei der schnellen Ausführung von Einwürfen und Eckbällen an, geht über die unaufhörliche Suche nach dem direktesten Weg zum Tor, bis zu einer verteilten Positionierung, welche beiden Teams viel Platz zum Laufen und Spielen mit Ball bietet – ein wichtiger Grund dafür, warum Spiele gegen St. Gallen so abwechslungreich rüberkommen.

St. Gallen hat den Super League-Fussball verändert

Die Spielweise ist eine moderne Version des ursprünglich Englischen Stils des „Kick and Rush“ und eine komplette Abkehr von der seit den durch Italien dominierten 90er-Jahren gepredigten „Kompaktheit“ im internationalen Fussball. Sie wurde in für Innovationen offenen und mit der notwendigen Geduld für langfristiges Arbeit ausgestatteten österreichischen und deutschen „Retortenklubs“ entwickelt. St. Gallens Peter Zeidler entstammt dieser Trainerschule, welche speziell österreichischen Vereinen im Europacup ungeahnte Höhenflüge ermöglicht hat. In der Schweiz führte der ehemalige Salzburger Trainer Adi Hütter YB auf den langfristigen Erfolgskurs.

Wer schon einmal Zusammenfassungen von englischen First Division-Partien aus den 70er-Jahren gesehen hat, fühlt sich bei St. Gallen-Matches daran erinnert. Wenn man gut hinhört, vernimmt man dabei sogar als ein Echo der damaligen Zeit wieder das leidenschaftliche englische Stehplatzpublikum bei jeder Aktion lebhaft mitgehen. Aber natürlich ist es in der Realität nicht genau dasselbe: die Plätze sind heute besser, ebenso die Athletik und Technik der Spieler sowie die deutlich zahlreicheren taktischen Finessen. Während die Fesseln auf dem Platz also wieder etwas fallen, strahlen derweil die Fankurven mehr denn je römische Kompaktheit aus.

FCZ agiert differenzierter als die Grünweissen

So viel zum löblichen Spielstil. Niemand wird aber behaupten, dass St. Gallen und Peter Zeidler alles richtig machen, sonst würden sie nicht auf der aktuellen Tabellenposition stehen. Die Partie gegen den FCZ zeigte exemplarisch die Probleme des aktuellen St. Galler Spiels auf: es ist zu stereotyp. Wie „Manöggeli“ in einem Computerspiel der 80er-Jahre verhalten sich die grünweissen Spieler überall auf dem Platz genau gleich. Egal ob im Mittelfeld, im Angriffsdrittel oder im eigenen Strafraum. Das St. Galler Pressingverhalten ist auf dem ganzen Platz intensiv. Dabei handelt es sich tendenziell nicht um ein kollektives Pressing, sondern jeweils um eine überfallartige Attacke des ballführenden Gegners durch einen einzelnen St. Galler im Vollsprint. So auch von Boubacar Traoré gegen Blerim Dzemaili im St. Galler Strafraum – das Resultat: Penalty!

Oder in der Angriffszone: wie wenn sich im Zürcher Tor ein Magnet befinden würde, bewegt sich der Ball bei St. Galler Ballbesitz entweder durch Dribblings oder lange Pässe in direkter Linie zum gegnerischen Tor. Und es wird auch aus relativ grosser Distanz schnell der Abschluss gesucht. Querpässe scheinen verpönt zu sein. Anders der FCZ: er passt sich zwar bis zu einem gewissen Grad dem St. Galler Spiel an und hat ebenfalls Zug in seinen Aktionen, geht aber deutlich differenzierter vor. Vor dem 2:1-Führungstreffer beispielsweise wird die gegnerische Abwehr im Angriffsdrittel auch mal mit Querpässen und Diagonalbällen ausgehebelt. Und im eigenen Strafraum verteidigt man nicht gleich wie im Mittelfeld.

Nikola Boranijasevic macht viele kleine, entscheidende Dinge gut

Beeindruckend bei St. Gallen ist die Sprungtechnik von Kwadwo Duah und Elie Youan bei den eingeübten hohen langen Bällen von Ati Zigi in die gegnerische Hälfte. Sie steigen so hoch mit einem hervorragenden Timing, dass den Zürcher Gegenspielern nur das Staunen bleibt. In der Anfangsphase ergibt sich so eine grosse Gästechance. Das Vorgehen kostet aber auch Kraft, die den Stürmern dann oft im Abschluss fehlt. Wenn die Spieler Roboter wären, würde St. Gallen mit seiner Spielweise mit grossem Vorsprung Schweizer Meister. Aber es sind eben Menschen mit begrenzten Ressourcen. Und natürlich haben die Ostschweizer die Abgänge eines Ermedin Demirovic, Silvan Hefti oder Jordi Quintilla bis heute noch nicht richtig kompensieren können. Gegen den FCZ fiel im Verlauf der Partie dann auch noch Leistungsträger Ousmane Diakité verletzt aus. Bei gegnerischen Eckbällen hat sich das Zeidler-Team nach zwei Corner-Gegentoren in Luzern Ende Oktober der grossen Mehrheit der Liga angeschlossen und auf Manndeckung umgestellt.

Obwohl St. Gallen nicht ganz so hoch verteidigt wie noch beispielsweise bei der Heimniederlage gegen GC (0:4), operiert der FCZ sehr häufig mit Hohen Bällen von hinten heraus. Im ersten Spielviertel zeigt sich bei den Zürchern eine grosse Diskrepanz zwischen sehr schlecht in die Partie gestarteten Spielern wie Becir Omeragic und Blerim Dzemaili auf der einen Seite und auf der anderen die herausragend beginnenden Nikola Boranijasevic und Aiyegun Tosin. Blerim Dzemaili war vom Anfangstempo der St. Galler überfordert. Unter anderem führte ein Ballverlust von ihm, als er dem Ball nicht entgegenging, zu einem St. Galler Konter mit dem Pfostenschuss des wirbligen Elie Youan. Nach vier gelungenen Teileinsätzen lief Tosin zum zweiten Mal in dieser Vorrunde in der Startformation auf, baute im Verlaufe der Partie dann aber fortlaufend ab. Nach stürmischer Anfangsphase war von ihm nicht mehr viel zu sehen. Der für Tosin in der 61. Minute eingewechselte Wilfried Gnonto brachte hingegen wieder viel Schwung.

Boranijasevic ist erstmals der Zürcher MVP, profitiert dabei auch etwas davon, dass die linke St. Galler Seite mit Aussenverteidiger Traoré und dem linken 8-er Schmidt nicht immer ganz sattelfest war. Es ist auch eine Belohnung dafür, dass der Serbe schon die ganze Vorrunde hindurch viele kleine, aber nicht unwichtige Dinge immer gut macht – zum Beispiel die Einwürfe. Wie sehr im FCZ auf Details geachtet wird, um das Maximum aus seinen Möglichkeiten herauszuholen, wird unter anderem dadurch illustriert, dass Assan Ceesay die Ausführung des Penaltys übernahm. In einem Team, das nicht lebt, geht man häufig den Weg des geringsten Widerstandes und hält sich an Gewohnheiten. Hier wird hingegen flexibel auf Umstände reagiert. Jedes Spiel, jede Aktion, jede Entwicklung wird ernst genommen und die jeweils bestmögliche Lösung für die jeweilige Situation gesucht.

Alle vier Tore des Spiels auf Standards erzielt

Der 0:1-Rückstand in der 7. Minute durch ein Eigentor von Becir Omeragic war das vierte Gegentor der Vorrunde nach einem Eckball. Gegen St. Gallen und GC gab es in jedem bisherigen Spiel solch einen Gegentreffer. Der Eckball war aus einem anderen Eckball und dieser aus einem Ballverlust des wie meist in den letzten Wochen eher durchschnittlich spielenden Antonio Marchesano in der Angriffszone entstanden. Dass Becir Omeragic den Ball dabei ins eigene Tor lenkte, war kein Zufall. Der Genfer, obwohl Innenverteidiger, gehört eher zu den schwächeren Zürchern in solchen Situationen und verliert ab und zu mal seinen Gegenspieler aus den Augen. Da Mirlind Kryeziu wie immer im Raum eingesetzt wurde, wurde daher Lindrit Kamberi damit betraut, den stärksten Gegenspieler (erst Diakité, dann Nuhu) zu decken. Beim Gegentreffer verlor Omeragic seinen Gegenspieler Guillemenot, der damit die Möglichkeit erhielt, Kryeziu an der Grenze des Erlaubten beim Versuch, den Ball wegzuköpfen zu behindern. Omeragic hätte danach den Ball auch selbst wegköpfen können, war aber darauf auch nicht gefasst. Stattdessen stand er letztendlich abseits des Geschehens an einer Stelle, wo er nichts bewirken konnte – aussser einen Schuss von Kwadwo Duah, welcher klar nebens Tor geflogen wäre, entscheidend ins eigene Gehäuse abzulenken.

Duahs Gegenspieler wäre Ousmane Doumbia gewesen. Der Ivorer gehört normalerweise zu den aufmerksamen Manndeckern bei gegnerischen Eckbällen, aber diesmal liess er sich erwischen. Auf der anderen Seite erzielte der FCZ alle seine drei Tore ebenfalls aus Standardsituationen: ein Penalty, ein Freistoss und ein Corner. Der neben Antonio Marchesano stärkste Offensiv-Kopfballspieler Lindrit Kamberi erzielte nach einem Guerrero-Corner per Kopf sein erstes Wettbewerbstor im Fanionteam. Es war beinahe eine Kopie von Mirlind Kryezius 3:0-Treffer gegen Luzern, ausser dass diesmal der Eckball von links und an den nahen Pfosten geschlagen wurde. Bei St. Gallen lief in dieser Szene etwas mit der Zuteilung schief. Boubacar Traoré war sicherlich die falsche Wahl als Gegenspieler von Kamberi. Insgesamt hat der FCZ in dieser Vorrunde inklusive Cup 41% seiner Tore auf Standards erzielt.

Telegramm

FCZ – St. Gallen 3:1 (1:1)
Tore: 7. Omeragic (Eigentor, Duah) 0:1, 28. Ceesay (Penalty, Dzemaili) 1:1; 78. Kramer (Kryeziu) 2:1, 86. Kamberi (Guerrero) 3:1.
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Kamberi; Boranijasevic (90. Gogia), Dzemaili (90. Hornschuh), Doumbia, Guerrero; Marchesano (71. Krasniqi); Tosin (61. Gnonto), Ceesay (71. Kramer).
St. Gallen – Zigi; Sutter, Stergiou, Fazliji, Traoré; Diakité (43. Nuhu); Münst (81. Schubert), Schmidt (63. Diarrassouba); Guillemenot (63. Besio); Duah, Youan.

Kamberi, Dzemaili und Tosin starten / Aufstellungen FCZ – St. Gallen

Lindrit Kamberi ersetzt erwartungsgemäss den nach dem Auswärtssieg in Lausanne gesperrten Fidan Aliti. Die erfahreneren Tosin und Dzemaili kommen für die vorerst auf der Bank Platz nehmenden Gnonto und Krasniqi rein.

Bei den Gästen aus St. Gallen sind im Vergleich zum Heimspiel gegen Lugano Guillemenot, Duah, Münst und Schmidt neu in der Startformation. Lukas Görtler fehlt genauso gesperrt wie Basil Stillhart.

Gnonto und Krasniqi scharren mit den Hufen / Vorschau und Aufstellungen Lausanne-Sport – FCZ

Im Gegensatz zu Gastgeber Lausanne-Sport tritt der FCZ am Lac Léman mit einem ähnlichen Team wie in der ersten Direktbegegnung der beiden Teams an. Blerim Dzemaili war schon damals nicht in der Startformation mit dabei. Heute wird er aufgrund des Lausanner Kunstrasens geschont und beginnt auf der Ersatzbank. Er wird erwartungsgemäss von Bledian Krasniqi ersetzt, der sich mit seiner Technik und Konstitution auf dem Kunstrasen gut zurechtfinden sollte. Vorne darf Wolfried Gnonto heute von Beginn an neben Assan Ceesay stürmen!

Aufgrund der Sperren der zentralen Mittelfeldspieler Cameron Puertas und Trazié Thomas trat Lausanne-Coach Ilja Borenovic zuletzt in Basel (1:1) in einem 4-4-2 an und wich vom zuletzt üblichen 4-1-4-1 ab. Der 6-er und Captain Stjepan Kukuruzovic ist Dreh- und Angelpunkt einer sowohl technisch wie auch physisch guten Mannschaft, die zuletzt im Verlauf des Herbstes durch die Abwehrspieler Koné, Grippo und Chafik verstärkt worden ist. Lausanne spielt im Gegensatz zum FCZ wenn immer möglich flach hinten heraus und verlässt sich defensiv weitgehend auf gutes Positionsspiel mit möglichst wenigen Zweikämpfen. Auch gegen den FCZ beginnen die Waadtländer wohl im 4-4-2.

Eingespielter Stamm vs. neue Besen / FCZ – Luzern Vorschau

Der FCZ hat mit einem eingespielten Stamm, Teamspirit und Effizienz zuletzt einige enge Partien auf seine Seite ziehen können. Der Unterschied zum nächsten Gegner Luzern besteht in dieser Saison bisher vor allem in den erzielten Toren, und diesbezüglich unter anderem der Beteiligung des treffsicheren, physisch und auch spielerisch stark verbesserten Assan Ceesay und den beiden Aussenläufern Adrian Guerrero und Nikola Boranijasevic auf Zürcher Seite. Diese Elemente fehlen Luzern. Der FCZ hat zudem eine aussergewöhnliche Quote an direkt verwandelten Freistössen mit drei verschiedenen Torschützen (Marchesano, Kryeziu, Coric). Zuletzt sind dank der Rückkehr von Blaz Kramer und Aiyegun Tosin aus dem Lazarett in der Vordermannschaft Alternativen für effektive Einwechslungen entstanden.

Dem FC Luzern fehlt es hingegen zur Zeit an Selbstvertrauen im Abschluss. Mit Sandro Chieffo ist neu ein Zürcher Cheftrainer bei den Innerschweizern. Seine taktischen (4-2-3-1) und personellen Umstellungen im ersten Spiel gegen Basel (1:3) standen unter dem Motto „Back to the roots“. Das Mittelfeld wird häufig mit langen, hohen Bällen überspielt und in der Angriffszone setzt man auf Wucht und schnelles Direktspiel – so wie man Luzern von früher her kennt. Seit dem FCZ-Wiederaufstieg waren die Duelle mit dem FCL insgesamt ungefähr ausgeglichen, mit leichten Vorteilen für die Innerschweizer, die in drei von vier Saisons ein Punkteplus gegen den FCZ aufzuweisen hatten.

Chieffo brachte gegen den FCB den kosovarischen Nationalspieler David Domgjoni für die bisher grösste Luzerner Schwachstelle Badstuber erstmals von Beginn weg. Dazu standen Patrick Farkas und Varol Tasar auf der rechten Seite in der Startformation. Dem von Olympiakos ausgeliehenen Nikola Cumic gelang mit einem Lupfer in der Nachspielzeit sein erstes Super League-Tor. Defensiv ist das Team wie der Basel-Match gezeigt hat aber weiterhin anfällig auf Umschaltsituationen – so wie das der FCZ lange Zeit gewesen war. Ein unter dem Strich positives Element im Innerschweizer Team war bisher der 36-jährige Christian Gentner. Voraussichtlich kommt es im Letzigrund im Zentrum zum Direktvergleich mit dem 35-jährigen Blerim Dzemaili. Dabei treffen 430 Bundesligaspiele auf 280 Serie A-Partien.

Züri Live (mit Experte Urs Meier) überträgt die Partie live aus dem Letzigrund ab 17:55: www.zuerilive.ch

Mit Demut und Pragmatik den Bann gebrochen / FCZ – YB in der Züri Live-Analyse

Nach sieben langen Jahren ist der Bann gebrochen. Der FCZ gewinnt erstmals wieder in der Super League gegen YB. In dieser ganzen Zeit hatte man nie wirklich aus den Misserfolgen gegen die Berner gelernt. Eine solche Partie auf Züri Live in voller Länge zu kommentieren, welche trotz „guten Ansätzen“ zum dutzendsten Mal auf das übliche 0:4 zusteuerte, wurde mit der Zeit qualvoll. Man fragte sich immer wieder: Warum kann der FCZ nicht mal gegen YB so aufspielen, wie dies Servette immer wieder zustande bringt? Oder zumindest einen Punkt ermauern wie Lugano oder GC?

FCZ verwickelt YB in viele Zweikämpfe

Nur die Formbaisse YB’s hätte auch diesmal nicht gereicht. Es brauchte wirklich die davor jahrelang in solchen Spielen fehlende Pragmatik und Demut des Trainerduos Breitenreiter / Scholtysik, um die unheilvolle Serie zu brechen. Die Idee, der FCZ müsse auch gegen einen Gegner wie YB mitspielen, wurde hochkant über Bord geworfen. Der verführerische Stolz überwunden. Der FCZ stand deutlich tiefer als noch im mit 0:4 verlorenen Hinspiel im Wankdorf und verteidigte auf allen Positionen Eins zu Eins, Mann gegen Mann – und dies fokussiert sowie diszipliniert. Dies war auch notwendig, denn bei Aussenläufern, welche die gegnerischen Aussenverteidiger angreifen und einer Dreierabwehr, die sich Mann gegen Mann um den YB-Dreimannsturm kümmert, war in der Regel keine Absicherung vorhanden. Hefti und Garcia versuchten jeweils mit Vorstössen mit Ball am Fuss Richtung Zentrum die Blockade zu brechen, ihre Doppelpässe seitlich in der Angriffszone waren aber nicht erfolgreich. Viele Zweikämpfe, Fouls und Einwürfe brachen den Rhythmus des Spiels, was Aussenseiter FCZ zugute kam. Der Spitzenkampf wurde so schlussendlich zu einem der ereignislosesten Super League-Spiele der letzten Jahre. Normalerweise füllen die Notizen von Züri Live zu einem analysierten Spiel fünf bis sechs A4-Seiten – diesmal knapp anderthalb.

Ein Spiel für Fidan Aliti

Beide Mannschaften kamen kaum zu Abschlüssen. Die mit Abstand beste Torchance der 1. Halbzeit hatte Adrian Guerrero alleine vor YB-Keeper Guillaume Faivre nach Vorarbeit von Ceesay, Dzemaili, Doumbia und Aliti. Es war eine Abwehrschlacht mit 140 Top-Defensivaktionen, eine Partie, in welcher ein Fidan Aliti wieder mal so richtig in seinem Element war – so wie es letzte Saison häufiger der Fall gewesen war. Szenenapplaus erhielt der Linksfuss in der 38. Minute, als er im eigenen Strafraum auf dem Hintern rutschend Meschack Elia gezielt den Ball wegstibitzte. Mirlind Kryeziu hatte seinen Gegenspieler Jordan Siebatcheu fast komplett im Griff – so eng wurde in dieser Saison wohl noch kein Gegenspieler vom FCZ gedeckt. Becir Omeragic setzte zusätzlich zu seiner guten Defensivarbeit Offensivakzente.

Ante Coric desorientiert und unkonzentriert

In der 1. Halbzeit hatte das Zürcher Mittelfeldzentrum defensiv grosse Probleme. Dzemaili und Doumbia hatten ihre Positionen vor der Abwehr gegen Aebischer und Sierro nicht im Griff und waren in der Rückwärtsbewegung zu langsam. Antonio Marchesano musste nach zwei hohen Beinen gegen Christopher Martins vorsichtshalber schon vor der Pause ausgewechselt werden. Sein Ersatz Ante Coric wirkte desorientiert. Seine lasche Körpersprache setzte sich nahtlos fort in unüberlegte Aktionen. In der Nachspielzeit war das schlechte Zweikampfverhalten des Kroaten hauptverantwortlich dafür, dass Aebischer zu seinem Pfostenschuss (beste YB-Chance der Partie) kam und anschliessend nach einem unnötigen Foul Corics an Fabian Lustenberger nochmal einen Freistoss in Strafraumnähe treten durfte.

Probleme im Zentrum und „Maskottchen“ Kramer

Offensiv wurde das Zürcher Mittelfeldzentrum sowieso in der Regel mit Hohen Bällen aus der Hintermannschaft auf die Forwards überspielt und “innen vor“ gelassen. Dzemaili mit seinen Schwankungen zwischen Übermotivation und Passivität war erneut einer der fehlerbehaftetsten Spieler beim FCZ – diesmal wurde dies aber durch überdurchschnittlich viele gelungene Defensivaktionen (mehr als) kompensiert. Nach der Pause konnten sich Dzemaili und Doumbia dann steigern, ohne allerdings ihre Fehler ganz abstellen zu können. Bei Blaz Kramer verlief die Formkurve umgekehrt: mit mehreren engagierten und effektiven Defensivsprints und guten Kopfballweiterleitungen in die Partie gestartet, baute der Slowene nach der Halbzeitpause stark ab. Die Trainer scheinen ihn auch etwas als das „Maskottchen“ des Teams zu sehen – 6 Einsätze, 6 Siege. Mit weniger Einsätzen eine hundertprozentige Siegquote haben bisher auch Tosin, Kamberi und der zur Zeit zwischen Ersatzbank und Militärdienst pendelnde Seiler.

Joker Tosin nutzt Berner Schwachstelle

Wie so häufig in der Super League kam der FCZ in einem typischen 0:0-Spiel schlussendlich durch die Ausnutzung der Schwachstelle des Gegners zum Erfolg. Die Aussenverteidiger-Backups Lefort und Maceiras vermögen mit dem Niveau des Restes der gelb-schwarzen Mannschaft nicht mitzuhalten. Der zum dritten Mal eingewechselte Comebacker Tosin brachte zum dritten Mal entscheidende Impulse, stibitzte Maceiras im Pressing den Ball weg, bediente erst Doumbia, dann Boranijasevic, dieser liess ebenfalls Maceiras aussteigen und brachte mit dem schwächeren linken Fuss eine butterweiche für die Berner Abwehrreihe nicht zu verteidigende Flanke auf den mit idealem Timing startenden Wilfried Gnonto. Der 18-jährige Italiener feierte sein zweites Super League-Kopfballtor.

Telegramm

FCZ – YB 1:0 (0:0)
Tor: 83. Gnonto (Boranijasevic) 1:0.
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Aliti; Boranijasevic, Dzemaili (65. Hornschuh), Doumbia, Guerrero; Marchesano (42. Coric); Ceesay (82. Tosin), Kramer (65. Gnonto).
Young Boys – Faivre; Hefti, Bürgy (86. Lustenberger), Lauper, Garcia (62. Maceiras); Martins (84. Kanga); Aebischer, Sierro (62. Rieder); Elia (62. Mambimbi), Siebatcheu, Moumi.

Darius Scholtysik über das Spitzenspiel gegen YB, Blerim Dzemaili, Fabian Rohner und Wilfried Gnonto

An der Pressekonferenz vor dem YB-Match erschien für einmal Co-Trainer Darius Scholtysik, weil sich Trainer André Breitenreiter, wie sich später herausstellte Corona-bedingt, unwohl fühlte. Der in Polen geborene ehemalige Bundesliga-Mittelfeldspieler gab einige interessante Einblicke ins Innenleben der Mannschaft vor der Partie im Letzigrund und einige Personalien. Die (fast) gesamte Pressekonferenz (20 Minuten) hier im Wortlaut:

Züri Live: Spitzenspiel am Sonntag, freuen Sie sich darauf?

Darius Scholtysik: Ja. Nicht nur ich, die ganze Mannschaft, der Staff, der gesamte Verein. Wir freuen uns vor allem auf ein gut besuchtes Haus und dass die Begeisterung entfacht worden ist durch die Leistungen, die wir abgeliefert haben. Jetzt haben wir als Belohnung ein Spitzenspiel vor der Brust. Da ist die Freude natürlich gross.

Züri Live: Im «Hinspiel» in Bern habt ihr von Anfang an hoch gepresst, seid Risiko gegangen. Nach 30 Minuten hatte man das Gefühl, dass ihr die Laufleistung nicht mehr durchhalten könnt, es sind Lücken entstanden, die YB dann genutzt hat. Ist der FCZ mittlerweile einen Schritt weiter im Vergleich zu damals?

Scholtysik: Das ist aus taktischer Sicht ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Man kann nicht 90 Minuten ständig pressen. Speziell gegen eine so gute Mannschaft. Man muss die Balance finden zwischen pressen und zwischendurch dann eben auch mal kompakt stehen. Das haben wir damals logischerweise nach dem Spiel auch mit der Mannschaft besprochen. Dass wir den Gegner auch aus einer kompakten Position heraus mit frühem Anlaufen ärgern und Balleroberungen haben können. Wir werden uns definitiv nicht verstecken vor diesem Gegner. Wir wollen einfach unseren Fussball spielen, den wir in den letzten Wochen geboten haben.

Züri Live: Aufgefallen ist, dass gegen die Spitzenteams YB und Basel die Abschlusseffizienz nicht so hoch war, wie gegen andere Gegner. Woran könnte das liegen? An der Qualität des jeweiligen Torhüters, oder mentale Gründe bei den Stürmern?

Scholtysik: Eine mentale Sache glaube ich nicht. In den letzten Spielen waren wir relativ erfolgreich. Die Jungs schwimmen momentan auf einer Erfolgswelle. Das macht Riesenspass. Natürlich sind bei den Spitzenteams der Torwart oder auch die Verteidiger besser. Man hat beispielsweise gegen Atalanta gesehen, dass YB in der Lage ist, Gegnern auf europäischem Niveau die Stirn zu bieten.

Züri Live: André Breitenreiter war im Wankdorf dabei. Was hat er mitgenommen aus diesem Spiel?

Scholtysik: Ja, André und unser Analyst Fabi Sander sind hingefahren und wollten sich das Spiel mal live anschauen. Es ist live vor Ort ja doch ein bisschen was anderes als zu Hause vor dem Fernseher. Atalanta spielt ähnlich wie wir, versucht auch mal hoch zu pressen und frühe Balleroberungen zu haben. Von der taktischen Aufstellung her spielen sie ebenfalls ähnlich wie wir, mit drei Verteidigern. Das muss man sich auf dem Spitzenniveau dementsprechend mal anschauen und dann versuchen mit unserer Mannschaft das Beste herauszuholen, um in der Lage zu sein, so einen Gegner auch mal zu schlagen.

Blick: Ist die Mannschaft reif für dieses Spitzenspiel?

Scholtysik: Ja. Man hat direkt nach dem letzten Spiel bei Sion in der Regeneration an der Körpersprache sehen können, dass sie sich bereits freuen auf dieses Spitzenspiel. Das ist ein Riesenvergleich! Wir spielen bei uns zuhause. Hoffentlich bei einem vollen Haus. Die Stimmung wird wahrscheinlich sehr gut sein. Wenn dann die Leistung auch noch stimmt und das Ergebnis am Ende, sind alle zufrieden.

Tagi: Wie zeigt sich das an der Körpersprache, wenn man sich freut?

Scholtysik: Es gibt das Phänomen, wo man mit gesenktem Kopf geht, die Schultern und Arme hängen nach unten, man ist ein bisschen lustlos. Das wäre die negative Körpersprache. Die positive Körpersprache ist Brust raus, Kopf nach oben, man freut sich, man macht Spässe untereinander. Der Einsatz im Training ist dann dementsprechend hoch. Man möchte jeden Ball gewinnen, keinen Zweikampf verlieren. So merkt man: die Jungs sind bereit, die wollen unbedingt. Hoffen wir, dass sie das am Sonntag auch auf dem Platz zeigen.

Tagi: Wie war die Woche in der Position des Leaders, hält sich das Empfinden die ganze Woche?

Scholtysik: Da ist die Trainingssteuerung wichtig. Vor zwei Tagen haben wir zwei Mal trainiert auf einem hohen Niveau mit hoher Intensität. Gestern hatten wir hier in der Saalsporthalle die Möglichkeit, etwas regenerativ zu arbeiten: Mobilität, Stabilität und nachher Fussballtennis. Damit sich die Spieler auch mal etwas von der Belastung erholen. Heute (Freitag) versuchen wir wieder eine Schippe draufzulegen, damit die Spannung wieder kommt. So dass die Freude und Begeisterung auf dieses Spiel hin dann vorhanden ist.

Züri Live: Trainieren Sie heute auf Kunstrasen?

Scholtysik: Ich war noch nicht auf dem Platz. Wir werden uns im Staff unterhalten, wie wir das machen. Und dann holen wir das Beste raus. Einfach ist es nicht. Sie sehen es ja.

Tagi: André Breitenreiter hat vor dem Spiel in Basel gesagt, es sei noch viel Luft nach oben. In welchem Bereich ist das der Fall?

Scholtysik: In Basel waren wir von der Spielanlage richtig gut. Wir haben uns viele Torchancen herausarbeiten können. Wir haben die Bälle aber nicht im Tor versenkt. Einige Freunde von mir haben sich das Spiel angeschaut und die haben gesagt, der FCZ spiele wirklich guten Fussball. Das könne man sich anschauen. Der Fussball sei mutig, natürlich mit einem gewissen Risiko behaftet. Aber das wollen wir ja auch spielen. Wir wollen offensiv sein und Tore machen und Spiele gewinnen. Basel war vier Mal gefährlich vor unserem Tor und hat drei Tore gemacht. Uns hat in diesem Spiel halt vielleicht das Glück etwas gefehlt.

Tagi: Aber grundsätzlich, wie viel Luft ist noch nach oben? Nach 14 Runden hat man ja wahrscheinlich mittlerweile einen Eindruck davon?

Scholtysik: Beispielsweise bezüglich Stabilität der Mannschaft in den verschiedenen Spielphasen. Wie anfangs erwähnt, man kann nicht 90 Minuten pressen. Dass die Mannschaft nach 20 Minuten powern merkt, auch wenn es immer noch 0:0 steht, dass es sinnvoll sein kann, kompakter zu stehen und trotzdem das Spiel zu dominieren. Dazu gehört, bei eigenem Ballbesitz auch mal etwas ruhiger zu agieren, so dass die Vorbereitung der Tore hinten heraus klar und deutlich zu sehen ist, was die Spieler wollen, wie wir unsere Torchancen herausarbeiten. Das braucht eine gewisse Zeit, damit diese Automatismen greifen.

Tagi: Wie wichtig ist in dieser Funktion ein Blerim Dzemaili mit seiner Erfahrung?

Scholtysik: Da brauchen wir uns gar nicht darüber zu unterhalten. Das ist ein ganz wichtiger Spieler für uns. Durch seine Präsenz und Erfahrung kann er auch mal vorgeben, was defensiv oder offensiv gemacht werden soll.  

Züri Live: Mir hat Dzemaili auf der Sechs oder Doppel-Sechs zuletzt besser gefallen, als weiter vorne. Wie haben Sie das gesehen?

Scholtysik: Er ist ein Spieler, der flexibel ist im zentralen Bereich. Er kann alleine die Sechs spielen oder auch die Doppel-Sechs, kann auf der Acht spielen. Je nach Gegner wird seine Qualität auf unterschiedlichen Positionen gebraucht. Da stellt er sich dann jeweils zur Verfügung und ruft sehr gute Leistungen ab.

Züri Live: Noch eine andere Personalie. Einer, der kaum zum Einsatz kam in letzter Zeit ist Fabian Rohner. In der Vorbereitung hat er sehr viel gespielt auf verschiedenen Positionen. Wie sehen Sie den Stand seiner Entwicklung? Auf welchen Positionen kann er ein Startelfkandidat sein?

Scholtysik: Fabi ist ein Spieler, der die rechte Seite sehr gut besetzen kann – defensiv und offensiv. Seine Stärke ist ja nicht in erster Linie das Dribbling, sondern das pure Tempo, mit dem er den Ball vorbeilegen kann. Er schlägt sehr gute Flanken / Torvorbereitungen und hat zudem einen sehr guten und präzisen Schuss. Wenn wir beispielsweise etwas riskieren müssen, dann stellen wir Fabi rechts hinten auf, wenn mit Niko etwas sein sollte oder um frische Kräfte reinzubringen. Und er ist in der Lage, die ganze Zeit die Linie rauf und runter zu marschieren und seine Aufgabe zu erfüllen.

Züri Live: Aber er könnte auch im Sturm spielen zum Beispiel, mit seinem guten Schuss und dem Tempo – je nachdem, wie man spielen will?

Scholtysik: Genau. Vor jeder Einwechslung oder Auswechslung machen wir uns Gedanken: Wie läuft das Spiel? Müssen wir das Spiel beruhigen? Müssen wir das Spiel stabilisieren? Oder mehr Risiko eingehen? Zum Beispiel nach vorne noch einen Offensiven bringen. Die Entscheidung trifft natürlich der Cheftrainer.

Tagi: Wenn man solche Spiele sieht wie in Sion, wo man in der 2. Halbzeit nicht mehr gut gespielt hat und gegen Ende richtig stark unter Druck geraten ist, wie wertvoll sind solche Siege? Auch das 2:1 davor bei Servette war ein sehr zäher Kampf…

Scholtysik: Man sagt immer, man macht einen Schritt weiter, wenn man solche Spiele gewinnt. Ich glaube, dass die Mentalität und Einstellung der Mannschaft absolut vorhanden ist. Die Jungs geben nie auf. Sie haben sicherlich auch schon mal bemerkt, wie viele Spiele wir schon im Rückstand waren und dann aufgeholt haben. Das spricht für die Mentalität der Jungs. Das ist eine Eigenschaft, die kann man nicht verpflichten, sie entwickelt sich mit der Zeit. Für uns als Staff ist das eine gute Bestätigung, dass wir Spass bei der Sache haben. Und immer wieder versuchen, das Beste herauszuholen. In jedem Spiel.

Tagi: Sie wissen ja, was man auch sagt: wenn man solche Spiele gewinnt, kann man Meister werden.

Scholtysik: Wissen Sie, das ist weit weg. Es ist wie ein Marathonlauf. Man gewinnt nicht nach 2’000 oder 10’000 Metern. Das ist eine lange Strecke. Es ist immer ganz gut, wenn wir von Spiel zu Spiel denken. Wir versuchen in jedem Spiel unser Bestes zu geben. Es ist relativ einfach.

Tagi: Es gibt so eine Sendung im deutschen Fernsehen am Sonntagmorgen, da hätten Sie jetzt drei Euro zahlen müssen…

Blick: Gerade eben kam das Urteil raus im Zürcher Fanskandal, Ihr müsst die nächsten zwei Derbies ohne Südkurve spielen. Wie schwierig wird das? Es waren bisher enge Spiele gegen GC…

Scholtysik: Man merkt ja bereits schon beim Einlaufen, dass die Stimmung da ist. Und wir werden danach über 90 Minuten oder auch mehr unterstützt. Das Schönste ist immer, wenn man gewonnen hat, dass man mit den Fans auch mal feiern kann. Das sind so diese Momente, die den Fussball ausmachen. Man will das einfach mal erleben. Die Fans sind schon sehr wichtig für uns. Aber wenn es so sein sollte, dann hat man so bestimmt hat, dann muss man auch ohne Fans sei Bestes geben. Aber es wäre natürlich sehr schade.

Tagi: Könnt Ihr gegen dieses Urteil rekurrieren?

FCZ: Ja, kann man. Es ist erst gerade rausgekommen. Wir haben noch nicht entschieden, was wir machen. Die Rekursfrist läuft 5 Tage.

Blick: Mal etwas ganz anderes, wenn Sie schon hier sind. Es gab im Sommer mal ein Bild von Ihnen, wo Sie so etwas wie eine Stoppuhr während des Spiels in der Hand haben. Was hat es damit auf sich?

Scholtysik: Ich bin mir gewohnt, diese Stoppuhr einfach mal laufen zu lassen. Vielleicht ein kleiner Tick von mir, dass ich immer die Zeit im Auge behalte. Heute zeichnet der Analyst alles auf, aber früher hatte ich immer einen Notizblock dabei und habe mir die wichtigsten Szenen mit Minute und andere Auffälligkeiten notiert, zur späteren Analyse. Ich bin nicht abergläubisch, aber die Uhr gehört trotzdem immer noch irgendwie dazu. So kann ich beispielsweise zum Cheftrainer gehen und sagen: wir haben jetzt genau noch dreissig Minuten Zeit, wir können noch etwas ändern…  

Züri Live: Es geht also nicht darum, wie in Salzburg im Training die Zeit von Balleroberung bis zum Torabschluss zu stoppen…

Scholtysik: Nein, nein… (lacht)

Tagi: Noch eine ganz andere Frage zu Wilfried Gnonto. Er ist ja erst 18, wo sehen Sie sein Potential?

Scholtysik: Er hat ein Riesenpotential. Für sein Alter hat er schon sehr viele Erstligaspiele. In der Nationalmannschaft hat er auch einige Spiele bestritten. Er ist auf einem sehr, sehr guten Weg ein guter Fussballer zu werden. Aber wir wissen ja alle, dass es nicht nur darum geht, gut zu trainieren, gut Fussball zu spielen, sondern es gehören viele andere Sachen dazu, ganz allgemein die Entwicklung eines jungen Menschen. Das alles braucht seine Zeit. Bis jetzt hat er seine Einsätze bekommen, seine Leistungen immer wieder bestätigt. Was ihm vielleicht noch fehlt, sind die Tore.  Das beflügelt, gibt Selbstvertrauen. Das ist der nächste Schritt für ihn, dass er in den Spielen so torgefährlich wird, wie in den Trainings. In St. Gallen hat er ein Kopfballtor nach einem Standard gemacht. Solche Aktionen wünscht man sich natürlich mehr. Er sich selber wahrscheinlich auch.

Tagi: Was ist das Riesenpotential bei Gnonto, wie können Sie das beschreiben?

Scholtysik: Über seine Qualitäten brauchen wir uns nicht zu unterhalten: Tempo, sehr gutes Dribbling, kann mit beiden Füssen schiessen, sehr unangenehm für den Gegner. Sie wissen ja selber, dass Willie einem 1.95m-Innenverteidiger Knoten in die Beine spielen kann. Was er teilweise noch etwas lernen muss, sind die Fouls, die er zu ziehen versucht. Die Schiedsrichter lassen immer weiter laufen. Das ist ein schmaler Grat. Von fünf Aktionen war vielleicht zwei Mal Foul, wo der Schiedsrichter hätte pfeifen können, es dann aber unterlassen hat. Das meine ich mit der Entwicklung eines jungen Spielers.

Tagi: Er sucht zu sehr das Foul, würde ich sagen. Und es ist wirklich nicht jedes Mal Foul, wenn er liegen bleibt.

Scholtysik: «Suchen» vielleicht nicht unbedingt.  Er versucht seine Fähigkeiten auszuspielen und das ist sein Dribbling. Wenn er gegen einen grossen Spieler spielt und der stellt sein Bein da hin, dann fliegt Willie natürlich aufgrund der Körpergrösse durch die Gegend. Aber entscheidend ist danach: er muss halt aufstehen und weitermachen. Wenn der Schiedsrichter nicht gepfiffen hat, dann geht’s halt immer weiter. Und wenn er liegenbleibt und versucht, etwas zu bekommen, dann kommt logischerweise der Schiedsrichter auf ihn zu und sagt: «Du machst ja nur Schwalben, ich kann nicht pfeifen». Auch wenns manchmal ein Foul ist. Das gehört dazu. Er ist ein intelligenter Spieler und wird das sicherlich im Laufe der Zeit lernen.

Tagi: Darüber redet Ihr mit ihm?

Scholtysik: Ja, natürlich. Wir haben uns unterhalten, haben ihm Videos gezeigt. Und da gibt es dann Szenen, wo er auch selber erkannt hat, dass der Schiedsrichter in der einen Situation vielleicht auch kein Foul pfeifen kann – und dann gibt es andere Situationen, wo sowohl wir wie auch Willie gesagt haben, «das muss er pfeifen». Wir sind alle nur Menschen. Aber die Häufigkeit, wenn man solche Einzelanalysen immer wieder macht, wird dazu führen, dass man irgendwann den Weg finden wird.

Mut, Effizienz und des Gegners Ungeduld / Servette – FCZ in der Züri Live-Analyse

Im Stade de Genève präsentierte sich der FCZ von seiner effizienten Seite und holte aus einem relativ chancenarmen, ausgeglichenen Spiel einen 2:1-Auswärtssieg. Mit Mirlind Kryeziu gelang bereits dem dritten FCZ-Akteur in dieser immer noch relativ jungen Saison ein direktes Freistoss-Tor – das sechste insgesamt.

Dzemaili erneut besser auf der 6-er Position

Da Servette im Zentrum standardmässig mit zwei „Achtern“ spielt, agierte beim FCZ Blerim Dzemaili weiter hinten als zuletzt üblich auf einer Doppel-Sechs mit Ousmane Doumbia. Und nicht zum ersten Mal war seine Leistung auf dieser Position deutlich besser, als wenn er weiter vorne agiert. Dies gilt auch für seine zwar selteneren, aber dafür konkreteren Offensivaktionen.

Mutig hohes Pressing des FCZ wird belohnt

Der FCZ ging von Beginn weg ins Pressing mit den beiden Aussenläufern Guerrero und Boranijasevic, welche in sehr hoher Position die gegnerischen Aussenverteidiger anliefen. Die drei Verteidiger hinten spielten somit alle Eins-gegen-Eins und rückten bei einer Rückfallbewegung ihres Gegenspielers zudem weit ins Mittelfeld vor. Die mutige Spielweise wurde mit einer 2:0-Pausenführung belohnt, wobei das Breitenreiter-Team beim 1:0-Führungstreffer das für einmal hoch stehende Servette mit einem exzellent gespielten Aufbau von hinten heraus überwinden konnte. Entscheidend war dabei die hervorragende direkte Ablage Blaz Kramers aus vollem Lauf auf Adrian Guerrero, als der Slowene sich noch zwischen Ball und den verdutzten Anthony Sauthier zu stellen vermochte.

Servette nutzt kleine Pressingpausen beinahe aus

Die wenigen gefährlichen Offensivaktionen Servettes entstanden jeweils in Phasen, in welchen der FCZ eine kurze „Pressing-Verschnaufpause“ einlegte. Imeri und Clichy nutzten dies zu Vorstössen im Halbfeld in die gegnerische Hälfte, um von dort ihre gefährlichen weiten Flanken hinter die Abwehr zu spielen.

Exzellentes Comeback Tosins

Abgesehen von der einen, allerdings mitentscheidenden Aktion, war das Comeback Kramers nicht überzeugend verlaufen und er wurde wie schon vor der Partie abgemacht zur Pause für Wilfried Gnonto ausgewechselt. Dieser musste im Verlauf der Zweiten Halbzeit wegen Gelb-Rot-Gefährdung dem zweiten Comebacker Aiyegun Tosin Platz machen, welchem sowohl defensiv wie offensiv einige exzellente Aktionen gelangen. Exemplarisch in der 90. Minute, als der Nigerianer im eigenen Strafraum eine gefährliche Cornerflanke per Kopf vor dem einen Kopf grösseren Rodelin klärte und dann höchstselbst den darauffolgenden Pass hintenheraus von Ousmane Doumbia mit einem Sprint im Höchsttempo an der Mittellinie erlief und mit einer Ballberührung Aussenrist mit dem schwächeren linken Fuss ideal in die Mitte weiterleitete, wo Assan Ceesay dadurch alleine auf Torhüter Frick zulaufen konnte.

Servettes taktische Vorteile durch eigene Ungeduld zunichte gemacht

Im letzten Spielviertel stellte Servette-Coach Alain Geiger auf ein 4-1-2-1-2 (Rhombus-System) um. Diese Umstellung funktionierte zu Beginn ausgezeichnet. Der FCZ kam im Mittelfeld ins „Schwimmen“, weil der Gegner im Zentrum nun häufig in Überzahl war und sich sowohl horizontal wie vertikal nun vorwiegend in Zwischenräumen bewegte. Zum Glück für den FCZ verlor ein Teil der Genfer Mannschaft dann aber viel zu früh die Geduld. Anstatt weiterhin die Zwischenräume im Mittelfeld zu besetzen und den FCZ vor Probleme zu stellen, rannten die offensiv orientierten Spieler bereits ab einer Viertelstunde vor Schluss vermehrt alle nach vorne und warteten auf Hohe Bälle, während gleichzeitig die Aufbauer hintenheraus händeringend immer noch Anspielstationen fürs Kombinationsspiel suchten. Die individuelle Qualität des sich in der bisherigen Form seines Lebens befindlichen Kastriot Imeri reichte so zu nicht mehr als dem Anschlusstreffer.

Telegramm

Servette – FCZ 1:2 (0:2)
Tor: 28. Ceesay (Marchesano) 0:1, 44. Kryeziu (Freistoss, Ceesay) 0:2; 66. Imeri (Rodelin) 1:2.
Servette – Frick; Sauthier (59. Diallo), Rouiller, Severin, Clichy; Douline (90. Mendes); Imeri, Valls (59. Rodelin); Stevanovic, Kyei, Schalk (79.Antunes).
FCZ – Brecher; Omeragic, Kryeziu, Aliti; Boranijasevic (90.+2 Kamberi), Dzemaili (72. Hornschuh) Doumbia, Guerrero; Marchesano (72. Krasniqi); Ceesay, Kramer (46. Gnonto, 83. Tosin).

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