Platz schaffen für Rohner / Sion – FCZ 2:2 in der Züri Live-Analyse
Spiel, Gegner und Taktik
Erneut baut der FC Zürich im Abstiegskampf einen Gegner auf, der verunsichert ist und nach der 0:3-Klatsche im Direktduell in Vaduz gleich auf sechs Positionen wechselt. Guillaume Hoarau steht erstmals seit fünf Monaten wieder in der Startformation. Léo Lacroix spielt zum ersten Mal in dieser Saison über 90 Minuten. Und Christian Zock ist nach zwei Monaten wieder mal dabei. Sion-Trainer Marco Walker setzt auf den zentralen Positionen mit Karlen, Hoarau, Zock, Araz, Ndoye und Lacroix voll auf Kampfgeist und hohe Bälle. Die häufig etwas fragilen Zürcher Techniker Grgic und Bamert bleiben zu Beginn draussen. Zock übernimmt die Rolle des Abräumers und die des Regisseurs in Personalunion.
Setzt man auf hohe Bälle, lässt Grgic aber draussen, dann hängt sehr viel an Matteo Tosetti. Dessen Standards sind aber gegen den FCZ nicht so konstant gut getreten wie gewohnt: womöglich ein entscheidender Faktor für den Zürcher Punktgewinn im Wallis. Trotzdem kassiert man zwei Gegentore. Erst mal aber startet der FCZ trotz in der Anfangsphase hart einsteigenden Wallisern dank effektivem Mittelfeldpressing gut in die Partie – ohne allerdings zu vielen Torchancen zu kommen. Trotzdem nicht ganz überraschend kommt die Auswärtsführung in der 14. Minute: nach einem Ballgewinn von Ousmane Doumbia vor dem gegnerischen Strafraum gegen Christian Zock (Überraschungseffekt durch plötzliches hohes Pressing) durch einen abgefälschten Tosin-Schuss.
Derselbe Tosin leitet dann aber vor der Pause mit einem unnötigen Aussenristpässchen in der eigenen Platzhälfte den Ausgleich durch Guillaume Hoaraus erstes Saisontor ein. Omeragic vergisst dabei gedankenverloren, die Flanke Iapichinos zu verhindern. Sion war zuvor in der 19. Minute nach einer Fehlerkette von Marchesano, Doumbia über vor allem Omeragic und Hekuran Kryeziu mit einer grossen Doppelchance des von Hellas Verona ausgeliehenen Lubomir Tupta im Spiel angekommen. In der 27. Minute vergibt Karlen vor dem praktisch leeren Tor, nachdem zuerst Doumbias Kopfball im Mittelfeld ungewollt rückwärts fliegt, sowie anschliessend Yanick Brecher sich mit dem Herauslaufen verschätzt und von Tupta umspielen lässt.
Wie so häufig in letzter Zeit kommt der FCZ schlecht aus der Pause. Beim Führungstreffer zum 2:1 nach sechs Minuten profitiert Sion erneut von einem unkonzentrierten Becir Omeragic: Musa Araz kommt deshalb alleine vor Yanick Brecher gleich zwei Mal in Folge ungedeckt zum Abschluss, nachdem Ousmane Doumbia mit einem Ballverlust vor dem eigenen Strafraum gegen Gaëtan Karlen dasselbe Missgeschick unterlaufen war, von welchem er gegen Christian Zock vor dem 0:1 noch selbst profitiert hatte. Yanick Brecher macht zudem in der Aktion zu viel Show. Der erste Ball von Araz fliegt direkt auf seinen linken Fuss. Anstatt ruhig stehenzubleiben und mit der richtigen Fussstellung den Ball möglichst weit wegspicken zu lassen, lässt er seine Körperteile in alle Richtungen fliegen, wehrt den Ball so nur ungenügend ab und liegt machtlos am Boden, als der zweite Abschluss kommt. Das Tor hätte allerdings wohl nicht zählen dürfen: Guillaume Hoarau steht im Offside und greift in die Aktion ein, indem er seinem Gegenspieler Hekuran Kryeziu, der eine Chance zur Klärung des Balles hätte, den Weg versperrt.
Vor allem dem eingewechselten Fabian Rohner ist es zu verdanken, dass am Ende dieser Partie die Walliser keine (drei) Punkte auf den Stadtclub gut machen können. Sein 2:2-Ausgleich in der 85. Minute steht exemplarisch für seine Entscheidungs- und Handlungsschnelligkeit, die er zusätzlich zu seiner Schnelligkeit in den Beinen mitbringt. Er profitiert dabei allerdings auch vom nicht optimalen Verhalten des aktuell grössten Sion-Schwachpunktes Sandro Theler. Sofort mit der Einwechslung von Rohner kommt Zug ins Zürcher Spiel. Schon in seiner ersten Einsatzminute holt er zwei Einwürfe heraus und kommt zu einer Abschlusschance im gegnerischen Strafraum. Nach drei Minuten kann er mit einem Lauf über die rechte Seite nach Steilpass Omeragic an Ndoye vorbei für noch mehr Gefahr im Walliser 16er sorgen. Nach fünf Minuten kommt Rohner zu einer Grosschance nach Vorarbeit von Toni Domgjoni – Iapichino rettet für den bereits geschlagenen Fickentscher. Diese Aktionen des Zürcher Einwechselspielers verunsichern Sion. Es häufen sich beim Heimteam die unnötigen Ballverluste und die Offsidelinie steht schlecht.
Neben der Personalie Rohner (und Gnonto) bringt der FCZ Sion aber auch mit zwei taktischen Umstellungen in kurzer Folge aus der Balance, zu denen sich zusätzlich auch noch eine individuell hohe Agilität und viele Positionswechsel gesellen. Die Schlussphase in Sion erinnerte von der Spielweise her mit vielen fliessenden Positionswechseln etwas an den „Total Voetbal“ der Holländer in den 70er-Jahren. Die Einwechslungen und die Veränderung der taktischen Formation hatten einen Zusammenhang, denn durch den Shift vom 4-2-3-1 erst auf ein 3-4-1-2 und dann vor allem auch noch auf ein 4-4-2 mit Rhombus wurden die Sion-Flügel durch die Zürcher Überzahl im Zentrum in die Mitte gezogen, was den Zürcher Aussenläufern / Aussenverteidigern, vor allem Rohner, viel Platz über die Seiten ermöglichte. Gleich nach dem 2:2 durch Rohner kommt durch eine Unaufmerksamkeit von Hekuran Kryeziu (und davor Seiler) Karlen zu einer guten Kopfballchance. In den letzten Minuten der Partie ist dann aber der FCZ näher dran am Sieg. Erst vergibt Kramer nach guter Tosin-Flanke eine „Hundertprozentige“ am linken Pfosten und dann macht Kololli aus einem von Seiler herausgeholten Freistoss zentral direkt vor dem Strafraum zu wenig.
Statistisch kommt der FCZ in Sion zu vielen Freistössen in Strafraumnähe (7) und wie in der letzten Begegnung mit den Wallisern zu einer grossen Anzahl an Flanken (17). Die FCZ-Startformation hat eine ungenügende Züri Live-Durchschnittsnote. Zwar resultieren aus der Partie eine saisonrekordhohe Anzahl an Top-Offensivaktionen sowie Top-Defensivaktionen im dreistelligen Bereich. Gleichzeitig sind aber auch die Fehler und Negativaktionen äusserst zahlreich. Gegen YB in Top-Verfassung reicht üblicherweise ein einzelner Fehler für ein Gegentor. Sion in ihrem Zustand nach dem Vaduz-Spiel ist hingegen nur in der Lage zu treffen, wenn mehrere Spieler des Gegners eine Fehlerkette aneinanderreihen. Und dies dürfte dem FCZ nicht passieren – schon gar so häufig. Die Einwechselspieler (vor allem Rohner und Gnonto) machen den Gesamtschnitt letztlich noch genügend. Die Probleme in der Abwehrreihe setzen sich fort und Kololli bewegt sich wieder stark in seinen üblichen teilnahmslosen Mustern.
Personalien
Becir Omeragic (2) – Rutscht immer tiefer in die Krise. Das sechste Spiel in Folge mit einer ungenügenden Note – davon die letzten drei mit einer „1“ oder „2“. Hat durchaus seine guten Aktionen nach hinten und vorne, aber die negativ zu bewertenden Situationen sind viel zu zahlreich. Schon in der 19. Minute agiert er gegen Tupta viel zu zögerlich, was diesem eine grosse Doppelchance zur Walliser Führung eröffnet. Omeragic verliert zudem beim Eckball seinen Gegenspieler Lacroix aus den Augen und ist vor allem an beiden Gegentoren entscheidend beteiligt. Nach Tosins Ballverlust ist er mit dem Kopf nicht bei der Sache und trabt gedankenverloren auf eine Position im Niemandsland und lässt Doumbia auf der Seite alleine gegen zwei Sittener verteidigen. Ausgerechnet gegen ein Sion, das in dieser Partie auf Körpergrösse und Hohe Bälle gesetzt hat, lässt Omeragic Iapichino unbedrängt flanken, was Guillaume Hoarau sein erstes Saisontor ermöglicht und dem FC Sion nicht nur in diesem Spiel, sondern im Abstiegskampf insgesamt neue Moral verleiht. Auch beim zweiten Gegentor herrscht nach Doumbias Ballverlust vor dem eigenen Strafraum Alarmstufe Rot, aber Omeragic joggt wie zuletzt häufig selbst in einer solchen Situation gemächlich in den eigenen Strafraum zurück, als ob ihn die Sache nichts anginge, und lässt so Musa Araz gleich zwei Mal hintereinander zum Abschluss kommen – beim zweiten Mal trifft der Sion-Mittelfeldmann. Die Ursprungsfehler haben zwei Mitspieler gemacht, aber ohne Omeragics geistiger Abwesenheit wären beide Gegentore ziemlich sicher nicht gefallen.
Hekuran Kryeziu (2) – Nach zwei guten Leistungen gegen St. Gallen und Servette gibt es in Sion wieder mal einen „Abschiffer“ von Heki. Sein Auftritt während der ganzen Partie war grossen Schwankungen unterworfen mit sich abwechselnden besseren und schlechten Phasen. In entscheidenden Situationen im eigenen Strafraum nicht so fokussiert wie zuletzt. Macht zeitkostende Schlenker und hat wieder eine brenzlige Situation bei einem Standard, als er Gaëtan Karlen leicht zurückhält – allerdings eher nicht penaltyreif. Verschätzt sich gleich im Gegenzug nach dem 2:2-Ausgleich Rohners und lässt Karlen völlig frei zum Kopfball kommen.
Nathan (6) – Am Brasilianer müssten sich beim FCZ viele ein Vorbild nehmen. Zu Beginn der Partie gelingt ihm nichts. Die Bälle fliegen weit entfernt von den Orten hin, wo er sie hinhaben will. Seine beste Phase der Saison ist es nicht. Und obwohl der Paulista nicht so spritzig wie in anderen Phasen der Saison wirkt, findet er trotzdem über den Kampf ins Spiel – und dreht gegen Ende der Partie sogar noch auf, ist überall anzutreffen. Mit einem energischen Sprint im Laufduell in der 78. Minute kauft er dem eingewechselten Sion-Hoffnungsträger Jared Khasa gleich zu Beginn von dessen Einsatz den Schneid ab.
Fidan Aliti (10) – Gegen Servette mal einen schlechten Tag erwischt, aber in Sion ist Aliti wieder voll da! Hat sowohl am drittmeisten Top-Offensivaktionen als auch am drittmeisten Top-Defensivaktionen der Mannschaft und macht praktisch keine Fehler. Vor allem auch dank Aliti kann sich Ceesay auf der linken Seite steigern. Kololli nutzt die guten Ansätze seines Nationalteamkollegen hingegen zu wenig aus.
Toni Domgjoni (6) – Am meisten Top-Offensivaktionen aller FCZ-ler, unter anderem mit einem präzisen 40 Meter-Diagonalball direkt nach dem ersten Gegentor und der ausgezeichneten Vorarbeit zu Fabian Rohners Grosschance in der 69. Minute. Versteht sich erneut hervorragend mit seinem schon in Juniorenzeiten langjährigen Teamkollegen Rohner. Ist aber in dieser Partie ebenfalls nicht vor Leistungsschwankungen gefeit.
Ousmane Doumbia (5) – In der Startphase der beste Zürcher, gibt es ab der 27. Minute einen Bruch im Spiel des Ivorers, als dieser sich bei einem hohen Ball im Mittelfeld verschätzt und gefährlich rückwärts köpft, was Gaëtan Karlen nach Vorarbeit von Lubomir Tupta zu einer Top-Chance vor dem verwaisten leeren Zürcher Kasten verhilft. Ab diesem Moment verliert Doumbia mehrere Bälle zu einfach, darunter denjenigen in der 51. Minute gegen Karlen, welcher zum 2:1-Führungstreffer Sions führt. Kann sich im Verlauf der 2. Halbzeit wieder steigern, als Sion sich hinten reindrängen lässt und Doumbia im Gegenpressing einige gute Aktionen hat.
Aiyegun Tosin (5) – Startete bei seinem Comeback in St. Gallen mit einer „1“, dann gegen Servette eine „3“ und nun erstmals eine genügende Note. Überzeugt auch in dieser Partie in der Sturmspitze deutlich mehr, als auf dem Flügel – unter anderem auch mit seinem Forechecking an vorderster Front. Schiesst sein viertes Saisontor und gewinnt im Abschluss wieder an Selbstvertrauen.
Assan Ceesay (5) – Fängt gerade in der Anfangsphase mehrmals vor dem eigenen Strafraum wichtige Zweite Bälle ab und leitet den Gegenangriff ein. Profitiert auf Links von Alitis Steigerung im Vergleich zum Servette-Spiel.
Benjamin Kololli (1) – Hat den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt! Schon die Erste Halbzeit war schlecht. Vielleicht dachte er, dass nach seiner Ablage auf Tosin zum 0:1 seine Arbeit erledigt sei. Die Zweite Halbzeit grenzte dann an Arbeitsverweigerung. Kommt den Bällen nicht entgegen, ist gedanklich nicht präsent, hält sich aus Zweikämpfen weitgehend raus und seine Standards sowie Weitschüsse wirken unmotiviert. Beginnt in der Sturmspitze, spielt nach der Einwechslung Rohners in der 64. Minute zehn Minuten lang als sein Pendant am Linken Flügel, um dann die Partie sowohl im 3-4-1-2, als auch im 4-1-2-1-2 auf der Zehnerposition zu beenden. Seine Konzentrationsprobleme bleiben während der ganzen Partie positionsunabhängig die gleichen.
Fabian Rohner (10) – Genau das Gegenteil von Kololli. Kommt in der Minute seiner Einwechslung mit guter Deckungsarbeit gegen Hoarau sofort zu einem Ballgewinn und noch in derselben Minute bereits zu seinem ersten Abschluss. Zwei Mal mit Ballgewinnen am eigenen Strafraum und anschliessendem schnellen Gegenstoss. Kippt so das Spiel wieder mehr auf die Seite des FCZ. Nach einer durch Iapichino für den bereits geschlagenen Fickentscher geklärten Topchance Rohners, nutzt der junge Zürcher durch Entschlossenheit und Handlungsschnelligkeit mit seinem schwächeren linken Fuss seine zweite gute Chance zum Ausgleich. Beginnt seinen Einsatz in der 64. Minute auf dem Rechten Flügel im 4-2-3-1, spielt dann ab der 74. Minute nach der Umstellung auf Dreierabwehr als Rechter Aussenläufer und erzielt sein Tor schlussendlich als hoch stehender Linker Aussenverteidiger in einem Rhombussystem. In letzteren beiden Rollen findet er relativ viel Platz über die Seiten vor, weil Sions Flügel durch die Massierung des FCZ im Zentrum in die Mitte gezogen werden.
Telegramm
Sion – FC Zürich 2:2 (1:1)
Tore: 14. Tosin (Kololli) 0:1, 41. Hoarau (Iapichino) 1:1; 52. Araz (Theler) 2:1, 85. Rohner (Omeragic) 2:2.
Sion – Fickentscher; Theler, Lacroix, Ndoye, Iapichino; Tosetti, Zock (75. Grgic), Araz, Tupta (84. Bamert); Karlen, Hoarau (71. Khasa).
FCZ – Brecher; Omeragic, H. Kryeziu, Nathan, Aliti (83. Gnonto); Domgjoni (74. Seiler), Doumbia; Tosin, Marchesano (74. Kramer), Ceesay (64. Rohner); Kololli.